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Kapitel 8

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Erst auf dem Schiff erfuhr Aelia mehr über das Ziel ihrer Reise: sie würden erst nach Colonia fahren und von dort weiter in den Norden. Wohin genau, verriet Wala ihr nicht.

Die Reise verlief ruhig. Die Mosella führte von der Schneeschmelze noch viel Wasser und trug sie flussabwärts in zahlreichen Windungen bis nach Confluentes, wo sie in den Rhenus mündete. Dort thronte auf einem Berg ein altes Kastell, das einst zur römischen Grenzbefestigung gehört hatte, aber sie legten dort nicht an, sondern fuhren weiter den Rhenus hinunter Richtung Norden.

Aelia, die noch nie aus Treveris hinausgekommen war, spähte immer wieder misstrauisch zum Ufer hinüber, wo Germanien lag, das Land jenseits der Reichsgrenze. Dort siedelten die Franken, erklärte ihr Wala, dahinter die Thüringer, nördlich von ihnen die Sachsen.

»Warum gibt es hier keine Grenztruppen mehr?«, fragte Aelia und betrachtete das dicht bewaldete Ufer des Rhenus mit einem kritischen Blick. »Sie wurden vor Jahren abgezogen und in den Süden verlegt, als Rom gegen die Goten verteidigt werden musste«, erklärte ihr Wala. »Dafür brauchte man alle Truppen.«

»Und so konnten die Barbaren ungehindert über den Rhenus ins Reich eindringen«, erwiderte Aelia, der plötzlich klar wurde, dass man ihre Provinz zugunsten Roms aufgegeben hatte. Doch Wala beruhigte sie. Die Stämme seien größtenteils friedlich. Selbst wenn sie Überfälle planen würden, würden römische Spione die noch verbliebenen kleinen Grenztrupps warnen. Diese würden die Barbaren notfalls aufhalten, bis das Heer käme. »Es wird uns nichts geschehen«, versicherte er, aber beruhigt war Aelia erst, als die Galla Placidia am frühen Abend Colonia erreichte. Die Stadt lag direkt am Rhenus, umgeben von einer Mauer mit Türmen und Toren, eingebettet in die Felder eines flachen Landes. Ein Gewirr von Dächern ragte hinter der Stadtmauer auf. Auf dem anderen, bewaldeten Ufer lag das einstige römische Kastell Divitia, in dem nun ein fränkischer Stammesführer residierte.

Die Stadt sei vor einigen Jahren unter die Herrschaft der Franken geraten, erklärte ihr Wala. Sie hätten die missliche Lage der Stadt nach Abzug der römischen Grenztruppen ausgenutzt und unter ­ihren »Schutz« genommen. Ihr Beherrscher sei der fränkische König Chlodwig Medelphus, Anführer aller fränkischen Stämme, die am Rhenus siedelten. Eine Brücke führte von seiner Festung zur Stadt. Nicht weit davon lag der Hafen.

»Beeilt euch, die Stadttore schließen bei Sonnenuntergang«, sagte der Schiffsherr, nachdem er die Galla Placidia sicher an die Kaimauer gesteuert hatte. Als Wala ihn großzügig bezahlte, gab er ihnen noch einige Ratschläge.

»Wenn ihr eine Herberge sucht, geht am besten zum Alten Zeno im Osten der Stadt. Der Wirt ist Römer und stellt keine neugierigen Fragen. Geht nur einfach die Via Germania hinauf bis zur Stadtmauer, dort findet ihr ihn.«

»Danke, aber wir wollen nur meine Tochter besuchen«, sagte Wala.

Der Schiffsherr blickte sich kurz um und senkte seine Stimme, als er weitersprach: »Seid vorsichtig am Stadttor, die Wachen kontrol­lieren jeden, vor allem die Romanen. Es wäre nicht das erste Mal, dass harmlose Reisende unter einem Vorwand verhaftet werden.«

»Danke für deinen Rat, guter Mann, aber sie werden uns nichts nehmen können, das wir nicht haben«, antwortete Wala.

Der Schiffsherr sah ihn prüfend an. »Dann werdet ihr kaum in die Stadt kommen. Reisende müssen nämlich immer zahlen. Der alte König rühmt sich für den friedlichen Handel in seiner Stadt, aber in Wahrheit nimmt er den Händlern und Durchreisenden hohe Zölle ab.« Er spie wütend über die Reling. »Ich weiß auch, warum. Er hat so viele Bastardtöchter, die alle eine Mitgift haben müssen, dass er zu solchen Mitteln greifen muss. Jedes Jahr erlebt Colonia eine neue verdammte Hochzeit.«

Er lachte höhnisch auf. Wala lachte mit und bedankte sich bei ihm. Der Schiffsherr wünschte ihnen viel Glück für die Weiterreise und winkte ihnen zum Abschied. Sie kämpften sich durch das Gewühl am Hafen zum Stadttor. Fischerboote lagen am Ufer, sie stanken nach Abfall und nach den Innereien der Fische.

Aelia fühlte sich nicht gut. Sie hatte in den letzten Nächten auf dem schwankenden Schiff kaum geschlafen, weil sie viel zu aufgeregt gewesen war. Nun war sie müde und erschöpft. Schon ragte das Stadttor vor ihnen auf. Ein Fallgitter lugte aus dem großen Torbogen des mittleren Durchgangs hervor, daneben befanden sich zwei kleinere Tore. Sowohl Wagen als auch Fußgänger mussten das mittlere Tor benutzen, und da die Wachen alles kontrollierten, hatte sich eine lange Schlange von Menschen und Wagen vor dem Tor gebildet. ­Aelia beobachtete, wie einer der Wachsoldaten die Plane eines Wagens zurückschlug und prüfend mit seinem langen Schwert zwischen mehreren großen Säcken herumstocherte.

»Müssen wir unbedingt in die Stadt?«, flüsterte sie. »Können wir nicht auch woanders übernachten?«

Wala drückte ihren Arm und zwinkerte ihr zu. »Du sagst am besten nichts. Überlass das Reden mir.«

Sie runzelte die Stirn und musterte die beiden Wachsoldaten, die an beiden Seiten des Eingangs standen und mit mächtigen Lanzen den Durchgang versperrten. Beide trugen Eisenhelme, die unter dem Kinn mit einem Bügel verschlossen waren, lederne Brustpanzer, lange Beinkleider und Schuhe mit Wadenschnüren. Ihre Mäntel wurden an den Schultern von silbernen Fibeln gehalten. Auf ihren runden Schilden leuchtete ein goldener Vollmond über einem Kastell. Sie musterten Aelia und Wala misstrauisch und fragten nach ihrem Ziel.

»Wir brauchen hier nur ein Nachtquartier«, antwortete Wala in geschmeidigem Fränkisch. »Morgen wollen wir weiter nach Tolbiacum.«

Aelia hatte keine Ahnung, wo das war. Sie spürte, wie einer der beiden Soldaten sie musterte, und heftete ihren Blick auf die Lederschnüre an seinen Waden.

»Tolbiacum?«, grinste der Soldat, »was wollt ihr denn da?«

»Verwandte besuchen. Mein Bruder hat uns gebeten, auf seinem Hof zu helfen. Seine Frau bekommt ein Kind, und da …«

Der Franke schnitt ihm mit einer heftigen Handbewegung das Wort ab. »Jaja. Woher kommt ihr?«

»Aus Treveris. Mit dem Schiff.«

Unauffällig sah Aelia hoch und bemerkte, wie die Soldaten Blicke tauschten.

»Zeigt eure Beutel her!«, forderte der Wortführer sie auf. Wala reichte dem Mann den Lederbeutel mit seinen Habseligkeiten. Der Soldat durchwühlte ihn, fand aber nichts, das sein Interesse hätte erregen können. Doch er war nicht zufrieden. Er deutete auf Aelia. »Und du?«

»Sie hat nichts dabei«, beeilte sich Wala zu sagen.

»Durchsuchen!«, befahl der Wortführer, und schon fühlte Aelia kräftige Hände auf sich, die ihren Leib abklopften. Sie dachte an ihr Messer, das Tertinius ihr für den Notfall gegeben hatte. Mit einer Lederschnur festgebunden steckte es in ihrem Stiefel. Wenn er es nun entdeckte! Mit angehaltenem Atem verfolgte sie, wie die Hände des Soldaten nur knapp an ihren Brüsten vorbei nach unten glitten, um an ihrem Gürtel nach einem Messer zu suchen. Aber er fand nichts.

Sie sog tief die Luft ein, hielt mit Mühe ihre Arme still und funkelte den Mann wütend an. Der Soldat bemerkte ihren Blick und grinste, dann ließ er sie endlich los.

»Eine Siliqua!«, forderte der Wortführer.

»Was?«

»Na weißt du denn nicht – das ist die Königsmünze! Jeder Fremde, der die Stadt betritt, muss sie zahlen. Und morgen zahlt ihr noch mal, wenn ihr die Stadt wieder verlasst.« Er wechselte mit dem anderen einen spöttischen Blick.

Aelia ballte ihre Fäuste und heftete ihren Blick auf die Füße des Mannes. Sie spürte Walas Hand, die sich um ihre Faust schloss. Er zog eine Silbermünze aus seinen Gewandfalten und reichte sie dem Franken. Der nickte zufrieden. »Geht in Wodans Namen«, brummte er und winkte sie durch das Torhaus.

»Verfluchte Kerle!«, entfuhr es Aelia, als sie außer Hörweite der Soldaten waren. Wala drückte wieder ihre Hand und gebot ihr mit einer Geste zu schweigen, doch Aelia dachte nicht daran. »Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn wir um Colonia einen Bogen gemacht hätten.«

»Wie sollten wir dann weiterkommen ohne Pferd und Wagen?«, fragte Wala. »Etwa zu Fuß? Wir müssen uns einem Händlerzug anschließen, der von hier aus nach Westen fährt.«

Aelia schwieg missmutig. Wenn sie doch nur wieder in Treveris wäre! Warum hatte Tertinius ausgerechnet sie für diese Aufgabe ausgewählt? Sie würde niemals die Freiheit erlangen, sondern in der Fremde sterben.

Die beiden gingen die Straße zum Stadtkern hinauf. In der Nähe lag der Statthalterpalast, bewacht von fränkischen Bewaffneten.

»Warum lebt der König nicht dort?«, fragte Aelia und deutete auf das weitläufige Gebäude, dessen Ziegeldach rot in der Abendsonne glühte. »Dieser Palast ist doch sicher viel passender für die große Familie des fränkischen Königs.«

»Das Kastell ist stärker befestigt als die Stadt.«

»Aber er hat doch keinen Grund mehr, Angst vor einem römischen Angriff zu haben.«

»Vielleicht ist er ein vorsichtiger Mann.«

»Kennst du ihn?«

»Nein, nur das, was ich gehört habe. Er hat einen Stall von Kindern von mehreren Frauen. Der einzige Sohn, den er mit seiner rechtmäßigen Frau zusammen hatte, ist letztes Jahr gestorben. Wenn er selbst stirbt – und das wird eher eine Frage von Monaten sein als von Jahren – wird es Streit um seinen Thron geben.«

Aelia wollte etwas erwidern, aber Wala zog sie warnend an ihrem Mantel und gab ihr ein Zeichen zu schweigen, denn das Gedränge um sie herum war dichter geworden. Sie liefen über die Via Germania am Forum vorbei. Colonia vermittelte ihnen das traurige Bild einer barbarisch besetzten Stadt. Es gab in etwa gleich viele Römer wie Franken, sie unterschieden sich in ihrer Kleidung voneinander. Die meisten der Römer waren ärmlich gekleidet, und in ihre Gesichter hatten sich Angst und Sorgen tief eingegraben. Die Franken hingegen wirkten unbeschwert, als wären sie sich bewusst, dass die Stadt ihnen und ihrem König gehörte. Aelia erkannte sie an ihrer Tracht: die Gewandspangen, die ledernen Wadenschnüre, die bunten Glasperlenketten der Frauen.

Aelia, die Kämpferin

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