Читать книгу Aelia, die Kämpferin - Marion Johanning - Страница 6
Kapitel 2
ОглавлениеAm nächsten Morgen erschien völlig überraschend Dardanus in der alten Lagerhalle. Die Mädchen fuhren erschreckt zusammen, als die Tür laut hinter ihm ins Schloss knallte. Er kam nur selten, um den Kämpfen zuzusehen, und wenn er kam, hatte es meistens zu bedeuten, dass er ein Mädchen für einen Kampf auswählen wollte.
Sofort fielen die Mädchen vor ihm auf die Knie. Sie waren erhitzt, weil Sarus sie im Stockkampf unterrichtet hatte. Sarus liebte den Stockkampf. Er hatte diese in Treveris unbekannte Art zu kämpfen von einem Hunnen aus seiner Legion gelernt und war stolz darauf, wenn die Mädchen sie bei den Gastmählern vorführen durften. Der Stockkampf war bei den Zuschauern noch beliebter als der Messerwurf, den nur die älteren Mädchen, die schon Jahre bei Dardanus waren, beherrschten.
Die Mädchen pressten ihre Stirnen auf den Boden. Aelia fühlte ihren Herzschlag in den Schläfen pochen, als sie Dardanus erst leise mit Sarus sprechen und dann ihre Schritte hörte. Sie bemerkte, wie er kurz vor ihr innehielt, und für einen Augenblick fürchtete sie, dass er sie für ihren Ungehorsam von gestern bestrafen würde.
Nur nicht rühren, ganz still bleiben.
»Stickig ist es hier, guter Sarus«, hörte sie Dardanus sagen. »Willst du, dass sie ohnmächtig werden?«
»Sie müssen lernen, das auszuhalten«, antwortete Sarus ungerührt.
»Ja, ja, ich kenne deine Meinung, mein Lieber«, erwiderte Dardanus. »Im Winter lässt du sie wieder auf dem Hof üben, bis sie krank werden.«
»Wenn ihre Leiber sich erst an den Wechsel gewöhnt haben, werden sie nicht mehr krank.«
»Ja, ja.« Dardanus fächelte sich mit einer Hand Luft zu. »Aber nun wirst du so freundlich sein und frische Luft hereinlassen, ja? Sonst ersticke ich noch.«
Aelia hörte, wie Sarus zur Tür ging und sie öffnete. Sofort strömte frische Luft herein. Sie atmete auf, aber nun wurde ihr kalt.
Der Hausherr klatschte in die Hände. »Erhebt euch!«
Langsam standen die Mädchen auf, während sie ihre Stöcke vor sich auf dem Boden liegen ließen.
Dardanus war klein und rund, mit einem kahlen Kopf, der von einem Kranz dunkler Haare umgeben wurde. In seinem blassen Gesicht lagen dunkle Augen, mit denen er lebhaft umherblickte. Über seiner Tunika aus schlichtem Leinen trug er – obwohl es erst Herbst war – einen Umhang aus Kaninchenfell.
Aelia hörte ihn näher kommen, als er die Reihe der Mädchen abschritt.
Sie würde ihm keinen Anlass zu einer Strafe geben. Ihr Gewand saß tadellos, und sie bewegte sich keinen Fingerbreit. Sie heftete ihren Blick auf den Boden und sah, wie die Stiefel des Händlers vor ihr stehen blieben. Die Wolke eines aufdringlichen Parfumöls umgab ihn.
»Wie ich gehört habe, hat es gestern Verletzte gegeben«, sagte er.
»Eine der Kleineren musste zur Köchin gebracht werden, Herr«, beeilte sich Sarus zu erklären. »Aber sie war nur überanstrengt. Nun sind alle wieder vollständig.«
Aelia spürte, wie Dardanus sie musterte.
»Mein lieber Sarus, ich bin mir sicher, du weißt, was du tust. Die Mädchen wissen es bestimmt zu schätzen, dass du ihnen so viel beibringst und dass sie in meinem Haus ein Leben haben, um das sie jedes Straßenkind beneiden würde. Immer mehr Kinder lungern in der Stadt herum. Ein furchtbarer Zustand ist das! Kaiser Gratian würde in Trübsinn verfallen, wenn er wüsste, was aus seiner alten Residenzstadt geworden ist.«
Er streckte eine Hand aus, hob mit zwei Fingern Aelias Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Es gibt Kinderbanden, die alles nehmen und essen, was ihnen in die Finger kommt. Sie lungern am Hafen herum, bestehlen Reisende, rauben Sklaven ihre Einkäufe. Aber die Soldaten greifen jetzt durch. Seitdem verschwindet das Gesindel in den Verliesen der Stadt und taucht nie wieder auf.«
Aelia begegnete Dardanus’ Blick. Sie begriff, dass er allein zu ihr sprach. »Unsere Mädchen können sich glücklich schätzen, hier sein zu dürfen, nicht wahr, Sarus?«
»Gewiss, Herr.«
»In manch einer schlaflosen Nacht fürchtete ich schon, die Schule aufgeben zu müssen«, fuhr Dardanus fort. »Alles muss sich natürlich lohnen, sonst ist es zwecklos. Die Vorliebe der Zuschauer für unsere Schaukämpfe scheint nachgelassen zu haben. Wenn sie sich also nicht anstrengen, Sarus, könnte ich mich gezwungen sehen, mich von ihnen zu trennen.«
Einen Wimpernschlag lang bohrte sich sein Blick in Alias Gesicht, dann ließ er ihr Kinn los und wandte sich ab.
Aelia blieb zitternd zurück, mit einem Herzen, das sich nur langsam beruhigte. Sie hatte die Drohung des Händlers verstanden. Ab sofort durfte sie sich nicht den kleinsten Ungehorsam mehr leisten, auch wenn es ihr noch so schwer fiel. Es könnte Dardanus einfallen, sie zu verkaufen, und nur der Himmel wusste, was sie dann erwartete. Wenn er auf den Gedanken käme, die ganze Schule aufzulösen, dann würden sie womöglich alle wieder zu Straßenkindern. Das durfte nicht geschehen. Nie mehr wollte sie auf der Straße leben.
Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie Dardanus vor Verina stehen blieb, die neben ihr wartete.
»Sie sehen alle etwas überanstrengt aus, guter Sarus.«
»Gewiss, Herr, ich schone sie nicht. Je besser sie sind, desto besser ist es für die Ehre dieses Hauses.«
»Ja, ja.« Dardanus ließ Verina stehen und wandte sich an den Lehrer.
»Übertreibe es nicht. Die Zuschauer wollen hübsche Mädchen sehen, keine ausgezehrten Vogelscheuchen.« Er hob die Hand. »Nun will ich sie sehen. Lass sie kämpfen.«
Sarus nickte und stellte sich vor die Mädchen. Er hob seinen Stock und teilte sie damit in Paare ein. »Weitermachen!«, befahl er.
Die Erleichterung durchströmte Aelia. Sie war noch einmal davongekommen, es würde keine Strafe folgen. Offenbar ließ es der Händler bei seiner Drohung bewenden.
Sie verneigte sich vor Verina, die ihr als Gegnerin zugeteilt worden war. Ausgerechnet sie. Mitleid durchfuhr Aelia, als sie in das bleiche Gesicht der anderen sah, das immer noch gezeichnet war von den Anstrengungen des Vortages. Da sie beide im selben Jahr zu Dardanus gekommen waren, hätte Verina ebenso gut sein müssen wie sie, aber sie war es nicht. Sie war behäbiger als Aelia, und ihre Angriffe waren so vorhersehbar wie ihre Verteidigung langsam. Verina war eindeutig nicht für das Kämpfen geboren.
Beide setzten ihre ausdruckslosen Mienen auf, als sie einander umkreisten. Sie kannten sich mittlerweile so gut, dass sie an den Mienen voneinander ablesen konnten, was die andere dachte, und das war bei einem Kampf nur hinderlich. Aelia hob ihre Hand, die den Stock hielt, während sie den anderen Arm schützend vor ihren Oberkörper hielt. Verina tat dasselbe. Eine Weile zögerten sie, während die Stöcke der anderen schon laut aufeinander krachten.
Ein Gedanke stürzte durch Aelias Kopf. Wenn Dardanus jemanden für den nächsten echten Kampf suchte, durfte sie Verina nicht gewinnen lassen, weil er immer nur eine Gewinnerin nahm. Sie wollte nicht, dass er Verina womöglich in einen echten Kampf schickte. Es dürfte nicht schwierig sein, die Freundin zu besiegen, es wäre nicht das erste Mal. Aber sie hatte nicht mit ihrer Freundin gerechnet.
Verina holte aus und traf Aelias Stab mit solcher Wucht, dass diese froh war, ihn gerade noch rechtzeitig gehoben zu haben. Sie warf Verina einen verwunderten Blick zu, als diese auch schon ihre nächsten Hiebe folgen ließ – ein Feuerwerk an kräftigen Stockschlägen, die Aelia nur mit Mühe parieren konnte.
Keuchend wich Aelia zurück, um sich einen Augenblick Ruhe zu verschaffen, als Verina ihr auch schon nachsetzte und sie erneut mit Schlägen bedrängte. Auf ihr rundliches, sonst so gutmütiges Gesicht hatte sich ein Ausdruck von Entschlossenheit gelegt, den Aelia bisher nur zwei- oder dreimal an ihr gesehen hatte, als Verina die kleineren Mädchen vor Sarus’ Schikanen gerettet hatte.
Aelia spürte, wie ihr heiß wurde. Sie hatte Verina während eines Kampfes noch nie so erlebt. Sie zögerte. Sie fühlte, dass Sarus sie beobachtete. Weil sie einen Augenblick unaufmerksam war, gelang es Verina, sie mit ihrer Waffe am Arm zu treffen.
Sie schrie auf. Der Stock glitt ihr aus der Hand und rollte über den Fußboden.
»Aelia, verdammt!«, schimpfte Sarus. Dann ging er zu Verina und hob ihren Arm in die Höhe, um sie als Siegerin zu präsentieren. Verina lächelte. Dardanus ging zu ihr und musterte sie lange. »Sie ist hübsch geworden, Sarus«, meinte er schließlich. »Und offenbar besser im Kampf. Vielleicht sollten wir uns diesmal für sie entscheiden. Was meinst du?«
Verina als hübsch zu bezeichnen, war reine Schmeichelei, das wussten alle, auch Verina selbst. Aber dennoch errötete sie, als Dardanus sie lobte.
Sarus runzelte die Stirn. »Gewiss könnten wir sie nehmen«, sagte er in einem Tonfall, der nicht verriet, was er dachte.
Der Händler lachte und klopfte Sarus auf die Schulter. »Schön, Mädchen. Kämpft weiter.«
Mit diesen Worten verließ er die Halle und schloss die Tür hinter sich. Aelia blieb bestürzt zurück.
*
»Das hast du mit Absicht getan«, fuhr Aelia Verina an, als sie sich an jenem Abend auf dem Innenhof trafen. Verina stritt es nicht einmal ab. »Vielleicht wird es ja nur ein Schaukampf«, beschwichtigte sie.
»Und wenn nicht?«
»Dann werde ich das erste Mal einen echten Kampf haben.«
Aelia atmete tief, um ruhig zu bleiben. Zum ersten Mal fühlte sie Wut auf die Freundin. »Du weißt nicht, wie das ist«, versetzte sie kalt.
»Glaubst du, es wäre besser gewesen, wenn du ausgewählt worden wärst? Bist du so versessen auf die Kämpfe?«
Aelia schüttelte den Kopf. »Wir hätten den Kampf so lange hinhalten können, bis eine andere gesiegt hätte, Eghild oder Marcia. Aber du musstest dich ja hervortun.«
»Das habe ich getan, um dich zu schützen! Sonst hätte der Herr bestimmt wieder dich genommen, das weißt du genau!«
Verina sah nun auch wütend aus, was sehr ungewöhnlich für sie war. Dabei hatte sie Recht – wenn sie Aelia nicht besiegt hätte, wäre Dardanus’ Wahl sicher wieder auf Aelia gefallen, wie bei den meisten Kämpfen. Aber nun war alles noch schlimmer. Nicht auszudenken, wenn Verina etwas bei dem Kampf zustoßen würde.
Diese Sorge quälte Aelia noch die ganze Nacht. Sie wurde auch nicht besser, als Dardanus den Tag des nächsten Kampfes bekannt gab: Zu Neumond, einen Tag vor den Kalenden des November, würde jemand ein Gastmahl in der Stadt geben, dazu würde ein Schaukampf stattfinden. Man wollte den dunklen Mächten trotzen, indem man sich den Beginn des Winters mit Wein und Gesang versüßte. Es würde ein großes Festessen mit vielen Gästen sein, zu dem auch Schauspieler und Sänger geladen waren. Der Schaukampf würde Teil eines Theaterstücks sein, das an jenem Abend aufgeführt werden sollte.
Verina gab sich mit Eifer den zusätzlichen Übungen hin, die Sarus nun jeden Tag von ihr verlangte. Am Abend der Neumondnacht wurde sie in ein Seidengewand gehüllt. Es hatte die Farbe einer dunklen Tanne, war an den Säumen mit goldenen Bordüren besetzt und passte ausgezeichnet zu ihrer blonden Perücke, die der Gastgeber hatte schicken lassen.
Voller Unbehagen beobachtete Aelia, wie Hilarius die Pferde vor den Reisewagen spannte und Verina von Dardanus und Sarus zum Wagen begleitet wurde. Mit der Perücke und ihrem kostbaren Kleid sah sie fremd aus, wie eine Tochter aus reichem Haus.
Aelia sah den Wagen über den Hof rollen. Als das Tor sich hinter ihm schloss, fühlte sie sich verlassen wie schon lange nicht mehr. Die Nacht verbrachte sie unruhig, träumte wirr und erwachte früh. Ungeduldig wartete sie darauf, dass Hilarius ihnen aufschloss, und als er es endlich tat, stürzte sie aus ihrem Verschlag, doch Hilarius hielt sie auf. Mit dem eisernen Griff eines alten Gladiators packte er sie am Arm und hielt sie fest.
»Wohin willst du?«
»Zu Verina!«
Hilarius ließ sie nicht los.
»Du gehst in die Küche wie alle anderen«, sagte er ruhig.
Aelia beobachtete über seine Schultern hinweg, wie Marcia mit bleichem Gesicht aus dem Verschlag kam, den sie sich mit Verina teilte.
»Wo ist sie?«, hörte sie sich rufen.
Ihre Stimme hallte schrill durch den Gang, aber niemand antwortete. Die Mädchen schlichen schlaftrunken aus ihren Verschlägen. Mit einem heftigen Ruck riss Aelia sich los, rannte den Gang entlang und starrte in Verinas und Marcias Kammer. Verinas Holzpritsche stand unbenutzt da, die Wolldecken lagen ordentlich gefaltet unter dem Kissen. Aelia schüttelte ihren kahlen Kopf. Sie musste sich am Türrahmen festhalten, als sie Hilarius hinter sich gewahrte.
»Bei allem, was du tust, bedenke die Folgen«, warnte er sie.
Hilarius war ein kluger, gutmütiger Mann. Die Kämpfe in der Arena hatten ihn nicht verbittern lassen, sondern zu einem beherrschten und besonnenen Menschen gemacht. Aelia starrte ihm in die Augen, die sie ruhig ansahen, um dann an ihm vorbei zu Marcia zu hasten.
»Wo ist sie?«
Marcia ging langsam neben ihr her, den Blick auf den Boden geheftet. Sie kam Aelia wie eine Schlafwandlerin vor.
»Sie ist nicht zurückgekehrt.«
»Was hat das zu bedeuten?«
»Himmel, was weiß denn ich?«, versetzte Marcia gereizt und stieß die Tür zum Innenhof auf. Kühle Luft strömte ihnen entgegen. Unter einem grauen Himmel waberte Morgendunst, der das rote Hausdach bedeckte. Selbst der Brunnen im Hof war umhüllt von dunstig feuchter Luft. Während die Mädchen lustlos den Eimer hochzogen und sich mit dem kalten Wasser ihre Gesichter wuschen, lief Aelia in den Stall.
Das Pferd fraß friedlich seinen Hafer. Sie lief an ihm vorbei durch die Tür zum Schuppen, wo der Reisewagen des Händlers stand. Er war schön, aus hellem Holz, mit einem bronzenen Dach überwölbt. An den hölzernen Speichen der Räder klebten Reste von Schlamm. Aelia öffnete die Tür, spähte in das Innere, in dem sie selbst oft gefahren war, als könnte sie darin noch Spuren von Verina entdecken. Sanft fuhr sie mit dem Finger über die mit Stoff bezogenen Sitzbänke. Dann schlug sie die Tür zu und rannte in die Küche.
Die Köchin Gnaea stand bleich und mit kummervollem Gesicht am Herd. Sie war eine dicke, vierschrötige Frau und schon Ewigkeiten in Dardanus’ Haus. Sie warf Aelia einen warnenden Blick zu, als diese die Küche betrat. Nach und nach versammelten sich alle Mädchen um den Tisch, an dessen Kopfende sich Sarus niederließ und wie jeden Morgen das Morgengebet sprach. Hilarius postierte sich an der Tür, was er sonst nie tat. Es dauerte nicht lange und Dardanus erschien. Er blickte kurz in die Runde der Mädchengesichter, lächelte, rieb sich die Hände.
»Bei unserer lieben Gnaea brennt immer ein wärmendes Feuer, viel besser als auf den kalten Straßen von Treveris.«
Er trat an den Herd, um sich die Hände zu wärmen. Diesmal trug er einen Kaninchenfellüberwurf, der bis an die Schäfte seiner Stiefel reichte. Er drehte sich wieder um und legte die Hand auf Gnaeas Arm.
»Wie schön du immer alles richtest!«, lobte er und schnupperte. »Bei diesem Geruch läuft euch sicher das Wasser im Mund zusammen, oder?« Der Blick aus seinen dunklen Augen huschte über die Mädchen. Einige nickten, andere sahen schweigend auf ihr Brot hinunter. Keines wagte, das Brot anzurühren, solange Dardanus sprach.
»Ich habe eine gute Nachricht für euch!«, rief er. »Verina hatte gestern beim Schaukampf überwältigenden Erfolg. Sie hat das Publikum so begeistert, dass einer der Zuschauer sie kaufen wollte. Ich konnte mich seinen Bitten nicht verschließen und habe sie ihm überlassen.«
Er griff zum Brotlaib, brach sich ein Stück ab und schob es sich in den Mund. Die Mädchen saßen reglos am Tisch und vermieden es, einander anzusehen, als fürchteten sie, die anderen könnten erraten, was sie dachten. Aelia saß still wie alle anderen, doch dann hob sie den Kopf und beobachtete, wie der Händler sich erneut ein Stück frisch gebackenes Brot in den Mund schob. Wut überkam sie.
»Wo ist Verina jetzt?« Ihre Stimme hallte lauter durch die Küche, als sie beabsichtigt hatte. Verwundert blickte Dardanus sie an und vergaß für eine Weile, den Mund zu schließen, während er kaute.
»Ich kann dir den Namen des Käufers nicht verraten. Aber sei beruhigt, Verina geht es gut, und sie braucht nie mehr zu kämpfen. Ihr wisst doch, meine lieben Mädchen, dass ich immer nur das Beste für euch will. Wenn ich euch verkaufe, dann nur in gute Häuser, darauf könnt ihr euch verlassen.«
Er rieb sich die Hände und wischte einen Hauch Mehl von seinem Kaninchenfell. »Ihr seht also, unsere Schule kann euch den Weg in ein besseres Leben ebnen.«
Die Mädchen saßen immer noch reglos am Tisch, keines wagte etwas zu sagen.
»Warum sagst du uns nicht, wo sie ist?«, wiederholte Aelia leise, ohne Dardanus aus den Augen zu lassen. Die Köchin warf ihr wieder einen warnenden Blick zu, aber der kümmerte sie nicht.
»Bei meinen Schaukämpfen hat niemand versucht, mich zu kaufen«, fuhr sie fort. »Es ist seltsam, dass Verina das passiert, obwohl sie lange nicht mehr gekämpft hat.«
Ein Poltern erklang. Sarus war so hastig von seinem Platz aufgesprungen, dass sein Hocker umfiel. Mit einem Satz war er hinter Aelia, drehte ihr den Arm auf den Rücken und presste ihre Schulter auf den Tisch. »Was erlaubst du dir?«, zischte er in ihr Ohr. »Sei still!«
Dardanus hob seine Hand. »Lass sie, mein Lieber. Ich will ihr antworten. Ich verstehe ja, dass alles so rasch für euch kommt. Es ist aber so, dass ich handeln muss, wenn sich Gelegenheiten für mich bieten. Der Fortbestand unserer Schule hängt von meinen Geschäften ab, und wenn ich die nicht mehr machen kann, werde ich die Schule schließen und euch alle verkaufen müssen. Wäre euch das lieber?«
Die Mädchen schüttelten die Köpfe. Dardanus nickte zufrieden.
»Schön, dass ihr das versteht. Die Zeiten sind nun mal schlimm. Ihr habt keine Eltern mehr, aber ihr habt hier ein Zuhause gefunden. Draußen auf den Straßen gibt es genug Mädchen, die sich das sehnlichst wünschen. Wollt ihr mit ihnen tauschen? Wollt ihr auf die Straße zurück?«
Die Mädchen schüttelten die Köpfe.
»Ich sehe, ihr seid kluge Mädchen«, sagte er und gab Sarus ein Zeichen. Der hielt Aelias Kopf fest auf die Tischplatte gedrückt. Dardanus hob die Hand.
»Sprecht den Gehorsamkeitsschwur!«
Die Mädchen senkten die Köpfe, legten ihre Hände übereinander auf den Tisch und gelobten feierlich, dem Händler und ihrem Lehrer Sarus in allem zu gehorchen und die Ehre des Hauses zu bewahren. Nur widerwillig kamen die Worte aus Aelias Mund. Jedes Mal, wenn sie stockte, presste Sarus ihren Kopf umso fester auf die Tischplatte. Dardanus tätschelte Gnaea die fleischige Schulter und schob sich noch ein Stück Brot in den Mund.
»Schmeckt vorzüglich, meine Liebe«, lobte er kauend. Als er dann, der Tür zustrebend, an Aelia vorbeikam, lächelte er auf sie herunter.
»Vielleicht hast du etwas falsch gemacht bei deinen Kämpfen«, sagte er immer noch kauend. »Vielleicht hast du dem Publikum nicht gefallen.«
Mit diesen Worten ging er durch die Tür und warf sie hinter sich zu.
Für ihre Widerworte kam Aelia noch am selben Tag in den Kerker. So nannten die Mädchen jenen Verschlag über dem Stall, der fensterlos, dunkel und so klein war, dass gerade ein Mädchen hineinpasste. Nichts war darin außer ein Strohsack und ein Eimer für die Notdurft; es war ein Ort, der verlassener nicht sein konnte.
Aelia kauerte sich auf den Strohsack und machte sich Vorwürfe und Sorgen. Sie sah Verina, im Kampf verletzt, ihrem baldigen Ende entgegendämmern oder als Getötete auf der kalten Erde liegen. Sie sah sie im Hurenhaus arbeiten oder den Nachstellungen eines lüsternen reichen Mannes hilflos ausgeliefert. Sie sah sie als Arbeitssklavin in einer Wäscherei oder irgendwo in den Straßen der Stadt betteln, nachdem sie den Kampf verloren hatte. Vielleicht hatte Dardanus sie an einen Sklavenhändler verkauft, weil er glaubte, mit ihr keinen Gewinn mehr machen zu können.
Viele Möglichkeiten gingen ihr durch den Kopf, und jede beunruhigte sie mehr.
Hätte sie sich im Kampf gegen die Freundin doch nur besser geschlagen! Wie sollte sie nur weiterleben ohne die andere? Ohne Verina würde sie keine Verbündete mehr haben, keine, mit der sie abends auf den Hof reden konnte, keine, die ihr ehrlich sagte, was sie dachte. Aelia legte ihren Kopf auf die Knie und weinte.
Als man sie nach drei Tagen und Nächten wieder hinausließ, waren ihre Tränen getrocknet. Bleich, aber entschlossen blinzelte sie in das Licht, das in ihr Gefängnis fiel, als Hilarius endlich die Tür öffnete. Gierig griff sie nach dem Becher mit Brunnenwasser, den er ihr hinhielt, und leerte ihn in einem Zug. Sie hatte einen Entschluss gefasst. Sie musste Verina folgen, um herauszufinden, was mit ihr geschehen war. Dazu musste der nächste Kampf ihrer sein.