Читать книгу Circles of Fate (1). Schicksalsfluch - Marion Meister - Страница 4
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Halt mal, Lita!« Chloe drückte Lita den halb gegessenen Burger vor die Brust und wühlte in ihrer Handtasche, aus der ihr Elsa Let it Go entgegenschmetterte.
»Hey! Vorsicht!« Lita lachte und streckte den Burger hastig mit ausgestrecktem Arm von sich, denn Ketchup tropfte daran herunter und bekleckerte ihren neuen Schal. Allerdings rammte sie dabei das triefende Streetfood um ein Haar einem Skater in den Bauch, der in der gleichen Sekunde an ihnen vorbeicruiste. Er reagierte schnell, wich aus, erwischte jedoch fast einen entgegenkommenden Kinderwagen. Die Mutter pöbelte den Skater an, das Kleinkind begann zu weinen. Lita hielt starr vor Schreck weiterhin den Burger von sich und lächelte die empörte Mutter nur verlegen an.
»Ist das deine neue Masche, um coole Skater anzubaggern, Lita?«, rief Lauren laut – so laut, dass der Skater sich noch mal nach Lita umsah und ihr zuzwinkerte.
Sofort schüttelte Lita den Kopf, damit der lange, fransige Pony ihr über die Augen fiel und das Gesicht halb verdeckte. Durch die Haarsträhnen blickte sie dem Typen nach, der nun grinsend in der Menge untertauchte. Lauren kringelte sich vor Lachen über Litas gequälten Gesichtsausdruck.
Es war ein sonniger Samstag, ein Herbsttag wie aus dem Bilderbuch, und der Weg entlang der Themse dicht bevölkert. Touristen strömten Richtung London Eye, Londoner flanierten zum Flohmarkt unter der Waterloo Bridge. Lita und ihre Freundinnen hatten sich an einem Foodtruck leckere Burger und Wraps geholt und wollten am Southbank Skate Space ein wenig zugucken. Es war Laurens Idee gewesen, denn sie hatte sich in einen Typen verguckt, der dort immer mit seinen Jungs abhing.
»Müssen wir wirklich zu den Skatern?«, murmelte Lita. Sie hatte keine Lust, den Skatertypen von eben dort wiederzusehen, nachdem Lauren ihm hinterhergebrüllt hatte. Lita streckte noch immer Chloes Burger von sich. Ketchup lief ihr die Finger hinunter. Sie hatte ihren Burger schon längst verputzt und wartete ungeduldig, dass Chloe ihr das Ding wieder abnahm.
»Keine Chance. Ihr müsst unbedingt Jeremy sehen. Sein Kickflip ist der Hammer!« Schwärmerisch legte sich Lauren die Hand aufs Herz. Noch nie hatte Lauren so penetrant über einen Kerl geschwärmt wie über diesen Jeremy.
Inzwischen hatte Chloe ihr bimmelndes Handy endlich aus der Tasche gefischt, klemmte es sich ans Ohr und rupfte Lita den Burger aus der Hand. »Ja?«, hauchte sie ins Handy, bedachte Lita mit einem Augenverdrehen und biss herzhaft in den Burger.
Wie der Klingelton verraten hatte, war am anderen Ende der Leitung Will, Chloes derzeitiger Freund. Seit einigen Wochen forderte er mehr Zeit mit Chloe und zeigte das besonders deutlich, wenn sie sich mit ihren Freundinnen traf. Doch der Samstagnachmittag gehörte nun mal den Mädels, daran hatte noch kein Junge rütteln können. Und auch Will würde verlieren.
Lita säuberte ihre Finger vom Ketchup und sah sich nach DeeDee um. Inzwischen waren sie auf Höhe der Royal Festival Hall und es waren weniger Leute hier als beim London Eye.
DeeDee hatte einen der alten Schreine neben einer Laterne direkt an der Themse entdeckt. Aus ihrem Rucksack, in dem sie für jede Notlage immer das passende Helferchen dabeihatte, zog sie eine kleine Chipspackung und legte einige davon in die Opferschale.
»Warum machst du das immer? Das ist doch nichts weiter als Aberglaube! Und Tauben füttern ist hier verboten.« Kopfschüttelnd beobachtete Lita, wie die erste Taube bereits auf dem Sims des hüfthohen Altars landete. An allen Ecken und Enden fanden sich in London diese Altäre. Der Glaube an Kami war weitverbreitet und so konnte man zu jeder Zeit einen Kami um Hilfe bitten. Diese Geistwesen spendeten Hoffnung und halfen Kranken, brachten Glück und Wohlstand. Lita allerdings zweifelte an der Wirkung solcher Bitten. Denn Kami waren nur eine Idee, nichts Reales. Allerdings hatte sogar ihre Mutter im Wohnzimmer einen Schrein aufgestellt, an den sie täglich Opfergaben stellte. Jedoch war noch nie eine von Litas Bitten erhört worden, was für Lita der Beweis der Nichtexistenz von Kami war.
»Ich finde es einfach schön.« DeeDee ordnete ihre klimpernden Bronzearmreife und zupfte das orangefarbene Spaghettiträgertop zurecht, das sie über einem braunen Schlabber-T-Shirt und einem roten Langarmshirt trug. »Nur weil man Kami nicht sehen kann, bedeutet es nicht, dass sie nicht da sind. Ich bitte immer mal wieder um Hilfe. Und der Gedanke, dass es etwas gibt, das auf einen aufpasst, ist doch tröstend. Außerdem mag ich diese alten Schreine. Es ist immer ein bisschen, als könnte man in eine andere Welt sehen.«
Lita musterte den Altar. Ein handbemalter Schrein aus Holz, verwittert und schief am Themseufer. Er sah tatsächlich so aus, als stamme er aus einer anderen Welt. London war so eine laute, überfüllte Stadt. All der Verkehr, die modernen Glas- und Stahlbauten und dann, plötzlich, ein Relikt aus einer Zeit, als Pferdekarren durch die Straßen fuhren.
»Nun komm schon, Lita. Guck nicht so skeptisch. Du stehst doch auch auf diese ganzen Göttergeschichten.«
»Das ist etwas ganz anderes. Ich feiere das Fandom rund um Loki und das Marvel-Universum. Das hat nichts mit Aberglauben zu tun. Ich weiß, dass all diese unsterblichen Götter nichts weiter als Geschichten sind, DeeDee.«
DeeDee blinzelte amüsiert. »Nur Geschichten, soso! Und dennoch hast du dir deinen eigenen Loki-Schrein errichtet. Und wenn du Rat suchst – und ich gerade nicht da bin? Du sprichst doch dann mit ihm!«
Lita ließ erneut den Haarvorhang vor ihre Augen fallen.
»Das – das stimmt nicht. Vielleicht quatsch ich ihn manchmal an. Aber ich bete doch nicht zu ihm.« Zugegeben, wenn sie sauer war oder sich verloren fühlte, hielt sie hin und wieder sehr einseitige Zwiegespräche mit dem Plakat an ihrer Wand, auf dem Loki alias Tom Hiddleston charmant grinste. Aber das hatte nichts mit dem Aberglauben dieser Straßenaltäre zu tun. »Du hast ja recht: Die meisten der Altäre sehen wirklich hübsch aus und irgendwie strahlen sie auch so eine Ruhe aus. Aber ...« Lita deutete auf den vergoldeten Altar, an dem DeeDee ihre Chips geopfert hatte. »Aber all diese gammligen Lebensmittel in den Opferschalen – das ist eklig.«
»Apropos eklig – du hast da Ketchup.« DeeDee deutete auf Litas Schal.
Grummelnd tupfte Lita die rote Paste ab. Sie trug den Schal heute zum ersten Mal. Erst gestern hatte sie ihn fertiggestellt. Das hauchdünne Garn changierte in allen möglichen Grüntönen. Der Schal erinnerte sie an einen Sommerwind auf einer Waldlichtung. Außerdem passte die Farbe hervorragend zu ihrer Augenfarbe: haselnussbraun mit moosgrünen Sprenkeln.
DeeDee betrachtete ihn eingehend. »Ich verstehe echt nicht, wieso deine Mutter dich nicht stricken lässt. Das ist doch echt schräg, dabei hast du so ein tolles Talent dafür!«
Statt zu antworten, hakte sich Lita bei DeeDee ein und schlenderte zu Chloe hinüber, die sichtlich genervt noch immer mit Will telefonierte.
»Wieso wissen die Jungs inzwischen nicht alle, dass es Chloe immer nur um ihr Portemonnaie geht?« Kopfschüttelnd beobachtete DeeDee ihre gemeinsame Freundin.
»Die Jungs wissen, dass Chloe sie nach ihrem Kontostand auswählt«, meinte Lita. »Aber sie wählen Chloe ja auch nur aus, weil sie mit ihr angeben können.« Lita war froh, dass DeeDee das Thema gewechselt hatte. Sie wollte nicht über das Strickverbot reden und über ihre Mutter schon gar nicht. Gestern Abend war es beinahe wieder zum Streit gekommen, denn Hanna nahm ihre Medikamente nicht. Dadurch wurde sie unberechenbar und die Stimmen in ihrem Kopf ließen sie verrückte Dinge tun.
»Hey«, rief Lauren, die schon ein paar Schritte weiter war. »Chloe soll ihn endlich absägen. Beeilt euch!«
Unter ihren wilden schwarzen Locken hervor warf DeeDee Lauren einen tadelnden Blick zu. »Etwas mehr Empathie, bitte, Lauren!« DeeDee war die Wächterin der Harmonie, wie Chloe sie einmal getauft hatte. Saloppe Sprüche auf Kosten anderer mahnte sie jedes Mal an. »Warum bin ich eigentlich jeden Samstag mit euch unterwegs?«, murmelte DeeDee.
»Weil wir genauso bekloppt sind wie du?« Lita grinste sie unter ihrem schräg geschnittenen Pony an.
»Ich? Ich bin nicht so bekloppt wie ihr. Ich pflege zum Beispiel als Einzige ein sehr ernsthaftes und wichtiges Hobby.«
Lita musste sich ein Lachen verkneifen. »Kami-Schreine polieren?«
»Tu nicht so, DeeDee. Alte Traditionen feiern gewinnt nicht den Coolnesspreis.« Lauren war zu ihnen zurückgelaufen und schob sie nun von hinten an. Dann hüpfte sie auf die Umrandung des Sandkastens, der sich an der Kaimauer entlangzog. Im Sandkasten baggerten und buddelten Kleinkinder unter Aufsicht ihrer Eltern, die auf Picknickdecken die Sonne genossen. Lauren balancierte ungeschickt auf der hölzernen Umrandung entlang. »Außerdem haben wir alle ein cooles Hobby. Na ja, außer Lita.«
Lita sprang zu ihr und zupfte Lauren die pinkfarbene Skatermütze vom Kopf, die sie ihr zum Geburtstag gestrickt hatte. »Du findest Nicht-Skaten ist cooler als Weben und Stricken?«
Lauren verlor das Gleichgewicht, als sie versuchte, Lita die Mütze wieder abzunehmen, und hopste vom Sandkasten. »Du verwechselst cool mit nice.« Sie nahm Lita die Mütze ab, zog sie wieder über ihre langen blonden Haare und rückte die verspiegelte Sonnenbrille zurecht.
»Stimmt. Es ist echt nice, dass du so hübsche Schals und Mützen machen kannst«, meldete sich Chloe. Nachdem sie mit der Handykamera ihr Aussehen überprüft hatte, ließ sie das Handy zurück in die Tasche fallen. »Und wir sehen dann damit wirklich cool aus.«
Lita rückte ihren Schal zurecht. Was hieß denn hier wir. Ihre Sachen ließen jeden gut aussehen.
»Und das macht dich eindeutig zu unserer coolsten Freundin«, führte Lauren aus und drückte Lita an sich.
Inzwischen waren sie beim Skate Space angelangt und das Klackern der Rollen und Knallen der Sprünge hallte über das Ufer. In dem offenen Tiefgeschoss der Queen Elisabeth Hall herrschte reges Treiben. Zwischen den über und über mit bunten Graffiti besprühten Betonsäulen und -rampen übten Skater ihre Tricks. Ein Metallgeländer grenzte die Passanten von den Skatern ab. Daran lehnten Schaulustige und Jugendliche saßen darauf und beobachteten die Stunts ihrer Kollegen. Lauren zog sich sogleich auf das Geländer und hielt nach Jeremy Ausschau.
»Welcher ist es?«, wollte Chloe von ihr wissen. Zwischen den Skatern in ihren Streetwearklamotten fiel sie ziemlich auf. Chloes Modestil war Geld und ihre Farben Weiß, Beige, Creme und Rosé. Hätte all der Strass nicht so sehr in der Sonne geglitzert, wäre sie zwischen den farbenfrohen Klamotten unsichtbar gewesen.
Manchmal fragte sich Lita, die ihre Hände tief in den Taschen ihres Secondhandparkas vergrub und hoffte, der Typ von eben bemerkte sie nicht, was Chloe, Lauren, DeeDee und sie eigentlich miteinander verband. Seit der Primary School waren die vier ein eingeschworenes Team. Keine Geheimnisse, keine Eifersüchtelei. Alle für eine, eine für alle.
Und dennoch waren sie so unterschiedlich. Chloe, die nur auf Äußerlichkeiten zu achten schien (aber ein Herz aus Gold und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte). Lauren, die so gerne das toughe, sportliche Girl wäre. Und DeeDee, die sich meist im Hintergrund hielt, alles beobachtete und einen ausgeprägten Aufräumtick hatte: die Wohnung ihrer Mutter, die täglich von den drei jüngeren Geschwistern verwüstet wurde, Laurens Schulplaner, Litas Strickkorb, Chloes Lippenstiftsammlung. Aber vor allem schaffte sie es meist, Gefühls- und Gedankenkuddelmuddel mit ein paar prägnanten Sätzen aufzulösen. Dabei wirkte DeeDee mit den unbezähmbaren schwarzen Locken und den weiten, in zig Lagen getragenen, bunt gemusterten Klamotten selbst eher wie organisches Chaos.
Lächelnd beobachtete Lita ihre drei BFFs. Ohne ihre Mädels wäre sie selbst schon längst verloren gegangen. Sowohl im Reallife, da sie ein lausiges Orientierungsvermögen hatte, als auch mit sich selbst. Manchmal fragte sie sich, wo das Leben sie wohl hinführen würde. Ob sie ihre Träume verwirklichen konnten? Lita hatte wenig Zweifel, dass es den dreien gelang. Seufzend senkte sie den Blick. Für sich selbst hatte sie da weniger Hoffnung. Ihre Mutter untersagte ihr alles, das auch nur irgendwie mit Nähen, Stricken oder Handarbeit zu tun hatte. Ein Symptom ihrer Wahnvorstellungen. Hanna hielt Fäden offenbar für tödliche Waffen. Sobald Lita volljährig war, wollte sie ausziehen … Eigentlich. Doch konnte sie ihre Mutter sich selbst überlassen?
Ein Skater schoss auf sie zu, die Rampe zum Geländer hinauf.
»Meine Güte!« Erschrocken wich Chloe einen Schritt zurück.
Der Typ drehte sich und das Board in der Luft, landete sicher und raste in die Schatten des Tiefgeschosses.
»War das dein Jeremy?«, wollte DeeDee von Lauren wissen.
Lauren hatte ihre Brille inzwischen nach oben auf die Mütze geschoben, zupfte nervös an ihren langen Haaren und suchte in den Schatten des Skaterareals nach ihrem Schwarm.
»Nope«, antwortete sie und versuchte, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen.
Lita zog sich neben sie auf das Geländer und beobachtete eine Truppe von vier Mädels, die Sprünge über eine Rampe übten. »Hast du noch mal mit deinen Eltern gesprochen?«, fragte sie Lauren, deren Enttäuschung von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Offenbar war Jeremy nicht hier.
Lauren zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. Dabei wussten alle, dass es ihr nicht egal war. Sie brannte darauf, selbst zu skaten. Doch ihre Eltern hatten es ihr verboten. Zu gefährlich – und nichts für Mädchen. Also musste sich Lauren mit den Skaterklamotten zufriedengeben. Vorerst. Denn Lauren sparte schon lange auf ein Board und die nötige Ausrüstung. Ihr fehlte nur noch ein cooler Lehrer.
Chloe hatte schon wieder ihr Handy in der Hand. »Selfie!«, zwitscherte sie und alle vier steckten die Köpfe zusammen und grinsten in die Kamera.
»Wie spät ist es?«, wollte Lauren wissen und Chloe hielt ihr das Handy hin. Lauren warf einen Blick auf die Uhrzeit. »Shit. Wieso ist er nicht hier?«
»Wie hat der sich denn da reinverirrt?« Chloe deutete auf einen großen Kerl, der lustigerweise ein Poloshirt trug und einen ziemlich kurzen Haarschnitt. Er sah eher nach dem perfekten Schwiegersohn aus als nach einem lässigen Skater.
Lauren grinste. Der Skater fuhr, schneller werdend, zwischen den Säulen lang. »Sein Footwork ist der Hammer! Und –« Der Typ schanzte in die Luft, streckte sich, ohne das Board zu verlieren, das um die eigene Achse rotierte, und landete zielsicher wieder mit dem Board unter den Füßen. »Nice tweak!«, rief Lauren.
Lita und die anderen beiden warfen ihr einen fragenden Blick zu.
»Na was!« Lauren zuckte die Achseln. »YouTube hat mir meine Mum noch nicht verboten.«
Als sei das eine Art Stichwort, schrillte eine Warnsirene los, die alle Umstehenden herumfahren ließ. Lita griff reflexartig in ihre Tasche, zögerte dann aber, ihr klingelndes Handy herauszuholen.
DeeDee drängelte sich neben sie. »Willst du nicht rangehen?«
»Es ist Mum.« Unschlüssig starrte Lita ihre Tasche an.
»Ist was passiert?«, hakte DeeDee nach.
Lita sprang vom Geländer und ging zur gegenüberliegenden Seite, weg von den Schaulustigen. Dort an der Mauer am Themseufer war es leerer. Das Handy gellte immer noch.
»Du und Chloe, ihr solltet endlich eure Klingeltöne ändern«, meinte DeeDee, die ihr nachgegangen war. »Wie soll es eine gute Beziehung werden, wenn jedes Gespräch mit Let it Go angekündigt wird? Und du wirst niemals ein entspanntes Verhältnis zu deiner Mutter aufbauen, wenn bei jedem ihrer Anrufe eine Sirene wie bei einem Atomkraftwerksunfall losgeht.«
Seufzend tastete Lita erneut nach dem Handy. »Wie immer hast du recht, DeeDee. Ich hab gestern die Pillen gefunden, die der Arzt ihr verschieben hatte. Sie hat keine einzige davon genommen.« Es war eine lange Diskussion gewesen, bevor ihre Mutter sich überhaupt einen Therapeuten gesucht hatte. Und nun endlich hatte er ihr Medikamente verordnet. Lita war so dankbar gewesen. Hatte so viel Hoffnung, dass es dadurch besser wurde.
»Aber es geht ihr doch gut, oder?«
Schließlich nahm Lita ab. »Ja, Mum?« Ihre Miene verfinsterte sich, als sie der aufgeregten Stimme ihrer Mutter lauschte. »Nein. – Mum! Ich bin –«
Abwartend musterte DeeDee sie und Lita wandte sich von ihr ab. Sie schloss die Augen und ließ Hannas Ausbruch über sich ergehen. »Was ist so wichtig?«, fragte sie ins Handy.
DeeDee umrundete sie und sah Lita sorgenvoll an. Genervt verdrehte Lita die Augen. Anscheinend hatte ihre Mutter wieder einen Anfall. Sie sollte umgehend heimkommen. Mit niemandem reden. »Mum, ich bin hier mit meinen Freundinnen. Es ist Samstag. Die Sonne scheint – was – Mum –« Mit einem kleinen Wutschrei drückte Lita das Gespräch weg.
»Shit«, murmelte DeeDee und nahm sie in den Arm. »Soll ich dich begleiten?«
»Danke. Aber das schaff ich schon. Ist ja nicht das erste Mal.« Sauer stopfte Lita das Handy zurück in die Tasche. »Aber es war ja so klar, dass sie wieder Gespenster sieht! Ich verstehe nicht, warum sie mir das immer wieder antut. Was ist so schwer daran, diese blöden Pillen zu schlucken?« Sie marschierte zu Chloe und Lauren hinüber. Der Poloshirttyp lehnte neben Lauren am Geländer und die beiden waren in ein Skaterfachgespräch vertieft.
Chloe formte mit den Lippen das Wort Jeremy und deutete auf den Typen. Wäre sie wegen ihrer Mum nicht gerade auf hundertachtzig gewesen, hätte Lita sich bestimmt darüber amüsiert: Lauren, das rebellische Girl, verknallt sich in den einzigen Skater der Welt, der wie Mamas Liebling aussieht.
»Ich muss los«, murmelte Lita knapp.
Chloe und DeeDee tauschten einen Blick. Damit war alles klar. Litas verrückte Mum hatte wieder einen dieser Tage.
»Ich schreib dir, wo wir noch hingehen«, meinte Chloe.
»Am nächsten Schrein bitte ich für euch.« DeeDee lächelte. Sie meinte es ernst und Lita lächelte zurück. Vielleicht fand sie den Glauben an Kami so blöde, weil die krankhaften Wahnvorstellungen ihrer Mutter so ähnlich waren – sie redete mit unsichtbaren Leuten …
Lita seufzte und wandte sich zum Gehen. Der Tag war gelaufen.