Читать книгу Circles of Fate (1). Schicksalsfluch - Marion Meister - Страница 8
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Lita strubbelte ihre Haare, dass das Regenwasser davonspritzte, und holte tief Luft, bevor sie den Schlüssel im Schloss umdrehte. Sie hatte sich vorgenommen, ihrer Mutter keine Vorwürfe zu machen. Die Therapeutin, mit der Lita vor einem halben Jahr gesprochen hatte, war der Meinung, Lita sollte Hannas Visionen einfach hinnehmen. Lita fand das falsch. Es war schließlich alles andere als okay, wenn Hanna die Medikamente nicht nahm und mit den Stimmen in ihrem Kopf herumstritt. Es machte Lita Angst. All die unzähligen lustigen, unbeschwerten Tage mit ihrer Mum wurden in solchen Momenten von der Angst, ihre Mum könnte etwas Schlimmes tun, überschattet.
»Meine Güte, Mum. Hast du den Regen gesehen? Von null auf hundert in einer Sekunde.« Lächelnd trat Lita in die Wohnung. Ihre Mutter stand am Fenster und starrte in den Regen. Sie sah schrecklich aus.
»Endlich!« Hanna lief auf sie zu und schlang die Arme um ihre Tochter.
»Du weißt, dass ich triefend nass bin?«
»Ich liebe dich trotzdem.« Hanna lachte und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Lita musterte ihre Mutter. In Hannas Stimme schwang Angst mit. Hoffentlich hatten sie genügend Eiscreme im Haus. Eis und Komödien waren das Einzige, was half, wenn Mum so neben der Spur war.
Unauffällig ließ Lita ihren Blick durch die Wohnung gleiten. Palmen, Agaven, Efeu, Elefantenblätter und Farne – alles an seinem Platz. Am Hausaltar qualmte ein Räucherstäbchen vor sich hin. Hanna hatte also zu einem Kami gebetet. Lita spannte sich an. Die altmodische Teeschale mit dem Kirschblütendesign stand wie immer im Altar und Ingwerkekse stapelten sich auf der Opferschale. Nicht einmal DeeDee hatte sie erzählt, dass Hanna an diesem Holzkasten Kekse und Tee opferte und um Schutz bat, wenn die Stimmen kamen. Manchmal glaubte Lita sogar, dass dieser Kami-Glaube Teil von Hannas Wahnvorstellungen war. Geholfen hatten ihre Bitten jedenfalls noch nie.
Nervös knetete Hanna die Hände. Sie hatte sich erneut dem Fenster zugewandt, an dem die letzten Regentropfen wie Tränen herabrannen, und starrte auf die Skyline der City.
»Was ist so wichtig, dass du mich sofort hierhaben wolltest?«
»Ich wollte, dass du in Sicherheit bist.«
Lita atmete ruhig ein. Keinen Streit, mahnte sie sich. Du weißt, es wird nur schlimmer, wenn du ihr Benehmen infrage stellst. »Tja, der Regen hat mich zwar erwischt, aber ansonsten geht es mir wirklich gut, Mum. Du musst dir keine Sorgen machen.« Sie hängte ihre Tasche an die Garderobe. Dabei stieß sie mit dem Fuß an einen Koffer. Daneben stand ein zweiter. Was sollte das denn?
Hanna drehte sich zu ihr um. Im Gegenlicht, das durch das Fenster fiel, wirkte sie wie ein Schatten. »Wir verlassen London. Noch heute.«
»Wie bitte?« Lita musste sich verhört haben. Das ging zu weit. Wie sollte sie ruhig bleiben, wenn ihre Mutter völlig durchdrehte? »Dir ist klar, dass keine Ferien sind?« Nicht wütend werden, Lita! Der Ratschlag der Therapeutin Hanna ernst zu nehmen, mit ihr sachlich über ihr Verhalten zu reden, war doch Blödsinn.
»Ich erkläre es dir später. Aber zuerst müssen wir von hier weg.«
Lita schüttelte den Kopf und ging auf ihre Mutter zu. Sie wollte einfach nicht mehr. Sie wollte einfach nicht mehr diejenige sein, die Hannas Wahnvorstellungen aushalten musste. »Wo sind deine Tabletten?«
Immer wieder forderte die Krankheit ihrer Mutter von Lita, sich selbst zurückzunehmen. Und das, obwohl ihre Mutter nur diese blöden Tabletten zu nehmen brauchte, damit die Stimmen still wurden.
»Mir geht es gut, Lita.« Aber sie schwitzte und war blass. Während der Anfälle, die ihre Mutter immer wieder heimsuchten, sah sie Dinge, die nicht real waren und sie zu Tode ängstigten. »Mum? Was macht dir solche Angst, dass du London verlassen willst?«
Hanna schreckte auf und lauschte. »Es ist so weit«, flüsterte sie. »Ich kann sie hören.«
»Wen hörst du?« Lita musste an sich halten, um sie nicht anzufahren, dass da niemand war. Dass sie all diese Stimmen nur in ihrem Kopf hörte. Dass nichts davon real war!
»Ich mach dir einen Tee, okay? Setz dich hin, leg die Füße hoch und dann erzählst du mir in aller Ruhe, was dich so erschreckt hat.«
»Geh in dein Zimmer! Schnell!«, zischte Hanna und schubste Lita in Richtung ihrer Zimmertür.
»Nein! Mum! Es reicht! Ich hatte echt Spaß mit den Mädels, bis du angerufen hast! Du wirst mich nicht auf mein Zimmer schicken. Ich habe nichts angestellt. Du bist krank – Mum – Mum?«
Hanna hörte ihr nicht zu. Sie war zur Wohnungstür gerannt und spähte durch den Türspion ins Treppenhaus. »Jetzt, Lita!«
Es war ein Befehl wie aus Stahl. Entsetzt musterte Lita ihre Mutter. So hatte sie sie noch nie erlebt. Lehnen Sie sich während solcher Attacken nicht gegen Ihre Mutter auf, hatte die Therapeutin geraten.
»Schnell!« Hannas Stimme war so scharf und schneidend, dass Lita widerspruchslos gehorchte.
Litas Hand zitterte, als sie die Zimmertür hinter sich zudrückte. So schlimm war es noch nie gewesen. Selbst damals, als Hanna Lita den Schulausflug des Kunstkurses in den Finanzdistrikt verboten hatte, war ihre Mutter nicht derart panisch gewesen.
Den Atem anhaltend, lauschte Lita durch die Tür. Ihre Mutter flüsterte. Sie flüsterte mit den Schatten, den Stimmen in ihrem Kopf, die sie in diese Panik trieben.
Hektisch durchwühlte Lita ihre Jackentaschen. Wo war nur ihr Handy? Sie brauchte Hilfe. Die Therapeutin musste sofort herkommen!
Loki grinste sie frech von dem Filmplakat an, das über ihrem Bett hing.
»Ja, schon klar. Du hast leicht lachen«, zischte sie ihn an. »Was würdest du tun?« Sie schnaubte. »Ich ziehe die Frage zurück. Du hast versucht, alle umzubringen. Bruder, Vater, Mutter.«
Loki grinste nur.
Sie tastete noch mal alle Taschen ab, bis ihr klar wurde – verdammt –, das Handy war ja noch in ihrer Umhängetasche! Und die hing an der Garderobe.
Entschlossen legte sie die Hand auf die Klinke. Mum, sagte sie sich vor, du brauchst Hilfe. Ich werde jetzt deine Ärztin anrufen.
»Nein!«, hörte sie da ihre Mutter kreischen. »Nicht –!«
Ein dumpfes Dröhnen wie eine schallgedämpfte Explosion schlug gegen die Tür. Bevor Lita reagieren konnte, flog ihre Zimmertür auf, sie wurde von den Füßen gerissen und gegen ihr Bücherregal geschleudert.
Ein Buchregen ging auf sie nieder. Schmerzen zuckten durch ihren Kopf. Fluchend schüttelte sie die Bücher ab, rappelte sich auf. »Mum?«
Stille. Nein. Ein kreischendes Fiepen dröhnte ihr in den Ohren. Sie krabbelte auf allen vieren zur Tür. Blinzelnd starrte sie ins Wohnzimmer.
Ihr Herz setzte aus.
Um sie herum war nur noch weißes Licht. Das schrille Fiepen brachte ihren Kopf jeden Moment zum Platzen. Was war nur passiert!
»Mum?«, brüllte sie. Doch es kam keine Antwort, nur dieses Fiepen in ihrem Kopf.
Lita blinzelte, ihre Augen tränten. Sie tränten, weil das Licht so stechend hell war.
Noch immer krabbelte sie über den Boden, bis sie den Sessel ertastete und sich daran hochzog. »Mum!«
Erst jetzt bemerkte sie den Wind, der an ihr zerrte. Wo kam der bloß her?
Wieder blinzelte sie und wischte sich die Tränen fort. Da war jemand! Endlich begann sie, ihre Umgebung, wenn auch verschwommen, zu erkennen. »Mum?«
Die Explosion hatte alles umgerissen: den Sessel, Tisch, Pflanzen, zerscherbte Töpfe. Vor den Fenstern pulsierte eine riesige Kugel aus … Licht.
Lita krallte sich an den umgestürzten Sessel.
Erneut blinzelte sie. Versuchte zu verstehen, was sie sah.
Eine Lichtkugel wölbte sich in ihrem Wohnzimmer, sie reichte bis zur Decke hinauf und … und in ihrem Zentrum … »Mum!«
Sie konnte ihre Mutter kaum erkennen, so sehr strahlte die Helligkeit. Der Wind, den sie bemerkt hatte, war ein Sog. Ein Sog, der direkt aus dieser Kugel kam. Und er hatte Hanna gepackt und verschlang sie!
»Nein!« Sie wollte über den Sessel springen, hinein in das Licht, zu ihrer Mutter. Sie zurückziehen. Sie retten vor … vor was immer das war … Doch plötzlich wurde sie selbst gepackt.
Sie fuhr herum. Hinter ihr war jemand, gehüllt in einen schwarzen Kapuzenumhang. Er hatte sie gepackt und zerrte sie von dem Licht fort.
Weg von ihrer Mutter.
Das Licht kollabierte.
Es verschlang Hanna.
Nur lichtlose Leere blieb zurück.