Читать книгу Circles of Fate (4). Schicksalserwachen - Marion Meister - Страница 5
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Hey, alter Freund!« Jin marschierte mit stolzgeschwellter Brust in Misanos Loft. Die Blumen, die er in Misanos Auftrag für Zaras Rückkehr besorgt hatte, lagen noch immer wie ein flauschiger Teppich auf dem Boden. Er schob ein paar mit der Schuhspitze beiseite. Inzwischen waren sie welk und braun. Mit einem verschmitzten Lächeln erinnerte er sich an den Kami, der ihm die Blumen verkauft hatte – und noch immer auf sein Geld wartete. Er hatte diese orangefarbenen Blüten als Blumen der Toten angepriesen. Irgendein spiritueller Schnickschnack der Menschen, die den Seelen der Toten damit den Weg nach Hause markieren wollen. Er hatte mit den Blüten auch einen Weg markiert: den Beginn des Endes.
Beschwingt betrat er die offene Küche. Doch sie war leer. Und sauber. Fast war Jin enttäuscht, dass die Spuren seiner genialen Idee verschwunden waren – nachdem er endlich begriffen hatte, wie er das Ende der Welt herbeiführen konnte.
Misano hatte sämtliches Blut von den Oberflächen der weißen Küche getilgt. Ganz kurz überlegte Jin, ob er ein schlechtes Gewissen haben sollte, denn es wäre sein Job gewesen, all das Blut zu beseitigen. Doch dafür war keine Zeit geblieben: Kaum waren seine Kräfte zurückgekehrt, musste er einen Attentäter für seinen Plan finden.
»Misano, alter Sturkopf! Wo steckst du?« Jin schlenderte ins Wohnzimmer, vor dessen Fensterfront eine schicke Ledergarnitur stand. Und in einem der runden Retro-Style-Sessel lag Misano. Sein Kopf war ihm auf die Schulter gefallen, das Whiskyglas aus den Fingern geglitten, sodass die bernsteinfarbene Flüssigkeit den weißen Flokati getränkt hatte. Misano schnarchte. Seine Alkoholfahne konnte Jin sogar aus vier Schritten Entfernung riechen.
Misanos altmodischer Plattenspieler lief. Doch die Nadel hing in der Endlosrille fest. Jin trat an das Gerät und las den Titel, der in der Mitte der sich drehenden Platte auf einem Etikett stand. Charles Mingus – The Black Saint and the Sinner Lady.
Jin seufzte. Misano maß den Erfindungen der Menschen zu viel Bedeutung zu. Er hatte sich nicht nur in diese Zara verliebt. Er war in die gesamte Menschheit mit all ihrem törichten, nutzlosen Tun verliebt.
Jin griff den Arm des Plattenspielers und hob ihn zurück in die Ruheposition. Dann wandte er sich dem Unsterblichen zu und betrachtete ihn. Er sah jämmerlich aus. Unrasiert, seine von Grau durchzogenen Haare wirr zerzaust, Flecken auf dem gerüschten weißen Hemd.
»Du bist eine Schande für uns«, murmelte Jin. Mit einem weiteren Seufzer nahm er ein Glas von der kleinen Bar und goss sich Whisky ein. Immerhin hatten die Menschen während ihres unbedeutenden Wirkens auf dieser Welt ein paar doch sehr annehmbare Entdeckungen gemacht, Whisky war eine davon.
Er schmeckte dem Aroma nach und trat gegen Misanos Sessel. »Aufwachen, Maestro!«
Mit einem undeutlichen Knurren regte sich Misano.
»Los, du liebeskranker Tölpel! Wir haben etwas zu feiern!«
»Zara?« Mit diesem Wort schnellte Misano hoch, schwankte und plumpste zurück in den Sessel. Gegen das Sonnenlicht, das durch die Fensterfront fiel, blinzelte er Jin an. »Was willst du hier?«
»Deinen Whisky. Aber viel hast du ja nicht übrig gelassen.«
Etwas Unverständliches murmelnd strich sich Misano das zerwühlte Haar nach hinten, suchte sein Glas, fand es am Boden und schnaubte unwillig. »Sie ist noch immer nicht zurück.«
»Wer?« Jin hatte es sich nun in einem zweiten Sessel gegenüber von Misano gemütlich gemacht. Er blickte hinaus auf den strahlenden Herbstmorgen über London. Der Letzte seiner Art, dachte er fröhlich.
»Zara! Ich habe jeden Winkel der Stadt – der ganzen Welt abgesucht!« Stöhnend hievte Misano sich aus dem Sessel und wankte zur Minibar. Mit zu viel Schwung schüttete er sich Whisky nach und das teure Getränk troff ihm über die Hand. Verärgert leckte er sich die Finger ab und ließ sich wieder in den Sessel fallen. Der goldfarbene Alkohol schwappte aus dem Glas auf seine Hose.
Jin verdrehte die Augen. »Meine Güte, Misano! Es ist das Ende der Welt. Versuch doch, mit ein bisschen Anstand abzutreten.«
Sehr langsam, als ob Jins Worte Mühe hätten, in seinen Verstand vorzudringen, wandte Misano sich ihm zu. »Das Ende der Welt? Allerdings. Ich habe Zara zum zweiten Mal verloren!« Mit zusammengekniffenen Augen musterte er Jin. »Hast du eine Idee, wo sie stecken könnte?«
Misanos Anblick war erbarmungswürdig. »Also gut!«, seufzte Jin. »Aber nur, wenn du versprichst, zu duschen und saubere Sachen anzuziehen!«
Wie ein gescholtenes Kleinkind nickte Misano.
Jin erhob sich, schob die Tür zur Dachterrasse auf und pfiff scharf auf den Fingern. Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, da landete bereits eine erste Taube auf den Holzbohlen der Terrasse. Gurrend legte sie den Kopf schief und blickte zu Jin hinauf.
»Ihr müsst Zara ausfindig machen«, sagte er zu dem Vogel und ging in die Hocke. »Und wenn ihr schon dabei seid, checkt doch auch mal, was Tegan so treibt. Sie müsste eigentlich ihr Werk vollbracht haben.«
Zwei weitere Tauben waren auf der Terrasse gelandet und beäugten Jin mit wippenden Köpfen. Schließlich stoben sie mit rauschenden Flügeln auf und verschwanden über die Dächer von London.
»Gib ihnen dreißig Minuten«, meinte Jin zu Misano, als er wieder ins Wohnzimmer trat. »Das sollte ausreichen, um aus dir wieder den stolzen Unsterblichen zu machen, der du irgendwo unter diesem Säuferlook bist.«