Читать книгу Circles of Fate (4). Schicksalserwachen - Marion Meister - Страница 7

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Wie lange brauchte das Mädchen, um sich trockene Sachen anzuziehen? Zara stand fröstelnd in der Halle des Weberinnenturms und beobachtete, wie das Leben aus dem Schicksalsbaum rann. Blatt für Blatt, Frucht für Frucht fiel und verging in Fäulnis.

Genau wie sie. Die Kälte, die sie seit ihrer Wiederkehr spürte, war inzwischen in jede Faser ihres Körpers vorgedrungen. Ihr Körper fühlte sich taub an und sie fragte sich, ob sie ihre Beine überhaupt bewegen konnte, wenn sie noch länger hier warten musste.

Sie hatte nicht darum gebeten, in diesen Körper zurückgeholt zu werden. Es war Folter. Misano hatte sie aus purem Egoismus aus der jenseitigen in diese Welt zurückgezerrt.

Mit einem Mal begann in ihr eine kleine heiße Flamme zu flackern.

Wieso wollte Misano nicht verstehen, wie sehr sie litt!

Ein Gedanke an Rache loderte in ihr auf wie eine Flamme und schenkte ihrem erfrorenen Körper wunderbare Wärme.

Zara taumelte, erschrocken über sich selbst. Sie wollte diesen Gedanken nicht. Sie wollte keine Rache nehmen. Sie wollte nur zurück und ihren Frieden finden. In ihrem Leben hatte sie nie den Wunsch nach Rache verspürt. Sie hatte immer nach Aussprache und Verständnis füreinander gesucht. Und ganz gewiss würde sie jetzt, wo sie nicht mehr auf dieser Welt lebte, nicht damit anfangen.

So überraschend, wie der Rachegedanke in ihr aufgelodert war, so schnell erlosch er auch wieder.

Zara blickte zu dem jungen Mann, Rukar, der sie in die jenseitige Welt bringen würde. Er wirkte nervös. Offensichtlich fand er keine Position, in der er es länger als ein paar Augenblicke aushielt. Immerzu verlagerte er sein Gewicht, hockte sich hin, stand auf, verschränkte die Arme, steckte die Hände in die Taschen seiner Marinejacke. Dabei blieb sein Blick auf die Treppe geheftet, die Lita hinaufgegangen war, um sich umzuziehen.

Die Weberin mit den lila Haaren, von der Zara inzwischen wusste, dass sie Tegan hieß, stand dagegen regungslos und steif abseits. Es war ihr anzusehen, dass sie sich der Gruppe nicht freiwillig anschloss. Aus irgendeinem Grund schien sie sich dazu verpflichtet zu fühlen. Tegan vermied es, in Rukars Richtung zu sehen, und blickte lieber verärgert vor sich hin. Nur hin und wieder, wenn Rukar ein ungeduldiger Seufzer entkam, sah sie feindselig zu ihm hinüber.

Hoffentlich ist der Weg in die jenseitige Welt kurz, dachte Zara. Eine lange Reise mit diesen beiden würde sehr anstrengend werden. Die Flamme in ihr wuchs erneut empor. Wenn wir lange genug unterwegs sind, kann ich Rukar einen Schmerz zufügen, der ihn leiden lassen wird, schoss es ihr durch den Kopf. Er hatte schließlich ihren Faden gestohlen! Wenn auch in Misanos Auftrag. Erst würde sie ihn strafen, dann Lita, die ihren Faden wieder eingewoben hatte. Dies hatte sie nun verstanden. Und am Ende, am Ende wartete Misano …

Entsetzt wandte sie sich ab. Was denkst du da! Sie wollte keine Gedanken dieser Art! Das war doch nicht sie! Wie heiß der Wunsch nach Rache in ihr aufgeflammt war! Und doch … sie ertappte sich dabei, dass sie die Hitze genoss, die von diesem Impuls ausging.

Zara zog den Teddyfellmantel enger um sich. Ihr war unendlich kalt. War es da so schlimm, sich an der Hitze der Rachegedanken zu wärmen?

Endlich kam Lita die Treppe heruntergeeilt. Anscheinend stellte sie sich auf eine längere Reise ein, denn ihre Tasche war derart vollgestopft, dass der Verschluss nicht mehr zuging.

»Also, los mit uns! Rukar? Du kennst den Weg!«, rief sie, während sie die letzte Stufe hinabsprang und auf ihn zulief.

»Was hast du alles eingepackt?«, fragte er amüsiert. »Denkst du, wir gehen auf Weltreise?«

»Tun wir das nicht?«, gab sie zurück. »Von einer Welt in eine andere. Ich finde, das klingt ziemlich nach Weltreise.«

Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er etwas von seinem Gürtel löste. »Dann mal los. Ich werde uns swipen, damit wir nicht noch mehr Zeit verlieren.«

Wie aufs Stichwort warfen sie alle einen besorgten Blick auf den Baum. Sämtliche Blätter hatten sich bereits schwarz gefärbt und die meisten waren zu Boden gefallen. Für einen kurzen Augenblick blitzte der Gedanke in Zara auf, wie seltsam sich doch alles fügte: Der Baum starb und so musste ein neuer Samen besorgt werden. Und dieser war nur dort zu finden, wohin sie wollte. Und Zara spürte, dass es gut war. Wie ein Kreis, der sich schloss und alles zusammenfügte in perfekter Harmonie.

»Gute Idee«, meinte Lita und stellte sich dicht neben Rukar, hakte ihren Arm unter seinen.

Auf ihr Winken hin kam auch Zara näher. Es überraschte sie, dass sie sich ohne große Anstrengung bewegen konnte, obwohl ihre Gliedmaßen so kalt waren. Sie hatte erwartet, dass jeder Schritt schmerzen würde, doch sie fühlte einfach gar nichts. Nicht mal den Boden unter ihren Füßen.

Obwohl Rukar eine Jacke aus dickem Stoff trug, bemerkte sie, wie er durch ihre Nähe fröstelte.

»Tut mir leid«, murmelte sie. Ihre Kälte drang sogar durch den dicken Teddymantel nach draußen, es war also kein Wunder, dass der flauschige Stoff sie nicht zu wärmen vermochte.

»Schon gut.« Er sah zu Tegan. »Was ist, kommst du? Du wolltest doch aufpassen, dass ich Litas Tasche nicht klaue.«

Mit harschen Schritten kam die Weberin auf die Gruppe zu. »Da hast du ganz recht, Halbblut.« Demonstrativ stellte sich Tegan auf Litas Seite.

Zara musterte die Kugel, die Rukar von seinem Gürtel genommen hatte. Er trug eine weitere in einer Schlaufe am Gürtel, die aussah wie eine übergroße dunkle Murmel. Die Kugel in Rukars Hand hingegen leuchtete bereits und als er sie mit Schwung auf den Boden warf, explodierte sie in einem Lichtball. Dieser schwebte vor ihnen und ein starker Sog ging von ihm aus. In nur zwei Schritten befanden sie sich inmitten des Lichts.

Zara war oft mit Misano geswipt, doch die Swipes der Unsterblichen waren anders. Die Kugeln, die Nicht-Magische erwerben konnten, fühlten sich milder an, stellte sie fest. Außerdem hatte der Hersteller der Swipekugeln sie – aus welchen Gründen auch immer – mit einem blendenden Lichteffekt versehen. Viel Effekt ohne Nutzen.

Zaras toten Augen machte die stechende Helligkeit nichts aus. Ihr wurde nicht mal wie sonst schwindelig. Sie hörte Tegan neben sich aufstöhnen. Weberinnen swipten vermutlich nicht sehr oft.

Das Licht spuckte sie auf eine schmale Straße. Während Tegan und Lita herausstolperten und Schwierigkeiten hatten, ihr Gleichgewicht wiederzufinden, gingen sie und Rukar weiter, als wäre nichts gewesen.

Forschend sah sich Zara um. Die Gegend kam ihr bekannt vor. War sie schon mal hier gewesen, nachdem sie gestorben war? War dies der Weg, den alle Toten nahmen?

Außer ihnen war niemand zu sehen.

Eine mannshohe Backsteinmauer flankierte die asphaltierte Straße zur rechten, auf der linken Seite stand ein Bretterzaun. Dahinter musste sich ein Park befinden, denn dichte Hecken und Bäume wucherten von beiden Seiten über die Straße. Er war, als stünden sie in einem Tunnel.

Zara beobachtete, wie Lita sich fröstelnd die Arme rieb. Diese Kühle kam nicht von ihr. Sie entströmte diesem Ort. Waren sie bereits in der jenseitigen Welt?

»Wo sind wir?«, wollte Lita von Rukar wissen.

»Komm mit. Dann erkennst du es.« Rukar zupfte sich seine Jacke zurecht und ging die Straße hinab. Ganz sanft führte sie bergab und linker Hand tauchte nun ein neogotisches Gebäude auf, das mit Zinnen und kleinen gedrehten Türmchen verziert war. Sie erinnerte sich an diesen Ort! Hoffnungsvoll beschleunigte Zara ihre Schritte – und war kurz darauf bitter ent‌täuscht. Sie waren nicht in der jenseitigen Welt. Sie liefen noch immer durch London! »Das ist der Highgate Cemetery«, murmelte sie. »Ihr bringt mich also auf einen Friedhof?«

Rukar nickte und deutete auf das Eingangsgebäude, das rechts von ihnen lag. »Fast. Dahinter gibt es einen Zugang zur jenseitigen Welt. Ich habe ihn schon mehrmals benutzt.«

Das Gebäude hob sich düster gegen den Herbsthimmel ab. Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben und es sah nach Regen aus.

Schon als sie als lebendiger Mensch hier am Friedhof gewesen war, hatte das Torhaus, das zum westlichen Teil von Highgate führte, auf Zara wie eine Trutzburg gewirkt. Obwohl das Gebäude mit seinen schmalen Fenstern und den vorgesetzten Türmchen verspielt und erhaben wirken sollte, hatte es Zara schon immer mit Unbehagen erfüllt.

Selbst Tegan blickte eingeschüchtert auf das aus Bruchstein gemauerte Haus. »Ich lass mich von dir nicht in irgendeine Gruft locken, Rukar.«

Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. »Denkst du nicht, ich hätte mit dem Swipe direkt hineingezielt, wenn ich vorhätte, dich in einer Gruft einzumauern?«

Tegan knurrte etwas und musterte die hohe Friedhofsmauer argwöhnisch.

»Ihr Weberinnen habt echt so gar keine Ahnung von der Welt um euch herum, oder?«, fragte Rukar kopfschüttelnd. »Ihr verlasst tatsächlich nie euren Turm, oder?« Rukar stieß das schmiedeeiserne Tor auf, das den mächtigen Eingang des Hauses versperrte. »Die Gatekeeper zur jenseitigen Welt sind … na ja, etwas eigen. Sie halten sich für mächtig, weil sie Leute von der einen Welt in die andere lassen. Dabei haben sie nicht mal irgendwelche besonderen Kräfte. Tut einfach so, als wärt ihr von ihnen beeindruckt. Dann sollten wir ohne großen Papierkram schnell rüberkommen.«

Zusammen mit Lita und Tegan folgte Zara Rukar zögernd durch den dunklen Torbogen.

Circles of Fate (4). Schicksalserwachen

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