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Wem gehört das Wasser?

Am 28. Februar 2013 hatte der deutsche Bundestag auf Antrag der Fraktion Die Linke über die Aussage „Wasser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern“ abgestimmt. Damit sollte die Bundesregierung aufgefordert werden, sich in Brüssel gegen EU-Pläne zu wehren, die die kommunalen Wasserwerke unter verstärkten Privatisierungsdruck setzen. Von den 620 Bundestagsabgeordneten stimmten sage und schreibe knapp 50 Prozent – nämlich 299 – mit Nein. 125 enthielten sich der Stimme, 75 gaben ihre Stimme nicht ab. Lediglich 122 Abgeordnete stimmten mit Ja. Eine Katastrophe.

Unter anderem aufgrund der europäischen Bürgerinitiative Right2Water/Wasser ist ein Menschenrecht, die rund 1,9 Millionen Unterschriften erzielte, musste sich das EU-Parlament mit dieser Frage beschäftigen. Right2Water war die erste Bürgerinitiative, die alle Anforderungen erfüllte, die im Vertrag von Lissabon genannt werden: mehr als eine Million Unterstützer aus mindestens sieben Mitgliedstaaten.

Im März 2014 hatte die Europäische Kommission dann auf Empfehlung des EU-Parlaments die Wichtigkeit von Wasser als öffentliches Gut von grundlegendem Wert betont: „Wasser ist kein kommerzielles Produkt.“ Eine rechtliche Verankerung fehlt bisher, und deshalb schreiten die Liberalisierungsanstrengungen nach wie vor ganz offen voran (zum Beispiel in Griechenland: Das dritte Hilfspaket fordert eine Privatisierung der Wasserwerke). Doch die Botschaft ist klar.

Bereits im Jahr 2010 hatten die Mitglieder der UNO erklärt, dass Wasser ein Menschenrecht ist. Der Anspruch auf sauberes Wasser ist völkerrechtlich zwar nicht verbindlich und auch nicht einklagbar, einen hohen symbolischen Wert hat diese Verankerung aber in jedem Fall.

Nestlé sieht das offenbar komplett anders.

„Wasser ist kein Menschenrecht“

Peter Brabeck-Letmathe ist Präsident der Nestlé Gruppe. Nestlé ist der weltweit größte Abfüller von Flaschenwasser: Sechs Milliarden Euro verdienen die Schweizer mit ihren weltweit 73 Wassermarken, die bekannteste von ihnen, Pure Life, wird vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern verkauft. Mit einem Jahresumsatz von sage und schreibe 92,5 Milliarden Dollar ist Nestlé auch der größte Lebensmittelkonzern der Welt, also ein Gigant mit entsprechend großem Einfluss. Lassen Sie sich die folgenden Worte von Brabeck bitte in aller Ruhe auf der Zunge zergehen:


„Wasser ist natürlich das wichtigste Rohmaterial, das wir heute noch auf der Welt haben. Es geht darum, ob wir die normale Wasserversorgung der Bevölkerung privatisieren oder nicht. Und da gibt es zwei verschiedene Anschauungen. Die eine Anschauung – extrem, würde ich sagen –, wird von einigen von den NGOs1 vertreten, die darauf pochen, dass Wasser zu einem, äh, äh, ‚öffentlichen Recht‘ erklärt wird. Das heißt, als Mensch sollten Sie einfach Recht haben, Wasser zu haben. Das ist die eine Extremlösung, ja? Und die andere, die sagt, Wasser ist ein Lebensmittel, und so wie jedes andere Lebensmittel sollte das einen Marktwert haben. Ich persönlich glaube, es ist besser, man gibt einem Lebensmittel einen Wert, sodass wir alle bewusst sind, dass das etwas kostet, und dann anschließend versucht, dass man mehr spezifisch für diesen Teil der Bevölkerung, der keinen Zugang zu diesem Wasser hat, dass man dann dort etwas spezifischer reingreift, und da gibt’s ja verschiedene Möglichkeiten …“

Dieses Statement aus einem Interview, das auf YouTube verfügbar ist, hat weltweites Entrüsten ausgelöst. Doch Brabeck fühlt sich missverstanden. In offiziellen Statements rudert er zurück und betont, dass jeder Mensch überall auf der Welt das Recht auf sauberes, sicheres Wasser zum Trinken und für die Hygiene haben sollte. Auch Menschen, die nicht dafür bezahlen können, gehörten dazu.

Sehen wir uns an, was Nestlé mit „spezifisch eingreifen“ meint, und welchen Nutzen die Menschen davon haben.

Das Recht des Stärkeren

In vielen Teilen der USA gilt das „Recht der stärksten Pumpe“: Jeder darf auf seinem Grundstück – ob gepachtet oder gekauft – so viel Wasser abpumpen, wie er will. Die USA sind einer der wichtigsten Absatzmärkte für Nestlé, und der Konzern sichert sich dort ein Wasserrecht nach dem anderen – häufig gegen den erbitterten Widerstand der Bürger. Die Menschen wehren sich nicht nur gegen den Ausverkauf ihres Wassers, sondern machen sich auch große Sorgen um ihre Umwelt, wenn Jahr für Jahr riesige Wassermengen abgepumpt werden. Doch Nestlé lässt sich davon nicht beirren – dem Unternehmen steht ein Heer von Anwälten, PR-Beratern und Lobbyisten zur Verfügung. Und das wird eingesetzt. So berichtet zum Beispiel Erika Carpenter, dass Nestlé-Vertreter sie einschüchtern wollten, als sie gegen den Plan des Unternehmens protestierte, in der Ortschaft McCloud die größte Wasserabfüllanlage Kaliforniens zu eröffnen. Sie sagt, das Unternehmen habe ungewöhnlich große Anstrengungen unternommen, um den öffentlichen Prozess zu untergraben. In McCloud wollte Nestlé Wasser zu einem Preis einkaufen, der deutlich unter dem liegt, was die Bürger bezahlen müssen. Auch Elizabeth Royte, Autorin des Buches „Bottlemania: How Water Went on Sale and Why We Bought It“, sagt, Nestlé sei bekannt dafür, dass es seine juristische Schlagkraft in vielen kleinen Ortschaften ganz gezielt einsetze. Der Wasserraubzug von Nestlé hat weltweit bereits zu zahllosen Protesten geführt.

In Mecosta County im Bundesstaat Michigan gelang es Nestlé im Jahr 2002, eine Konzession zum Abpumpen von Quellwasser zu erhalten. Die Genehmigung kostet den Konzern lächerliche 70.000 Dollar und gilt 99 Jahre (!). Die kanadische Publizistin und Aktivistin Maude Barlow sagt in ihrem preisgekrönten Film „Flow: For Love Of Water“, das Unternehmen mache mit dem Wasser aus Michigan jährlich schätzungsweise 1,8 Millionen Dollar Gewinn. Die Bürger in Mecosta County versuchen erbittert, sich dagegen zu wehren, dass ihr eigenes Wasser so billig verkauft wird. Die Initiative „Michigan Citizens for Water Conservation“ verklagte Nestlé und gewann – zunächst. 2003 wurde das Gerichtsurteil aufgehoben. In einer außergerichtlichen Einigung konnte die Bürgerinitiative immerhin erreichen, dass die Abpumpmenge in etwa halbiert wird.

Im März 2015 begann der Trubel in Cascade Locks in Oregon. Nestlé hatte eine Lizenz erhalten, um aus einer Quelle in der Nähe der Ortschaft Wasser abzupumpen und in Flaschen wieder zu verkaufen. Und zwar zu einem Einkaufspreis, der deutlich unter dem liegt, was die Bürger von Cascade Locks dafür bezahlen müssen. Ein Bürgerprotest erhob sich, über 100.000 Protestzuschriften wurden geschrieben. Die Fischer in der Region fürchten um ihre Existenz. Governor Kate Brown hat die genehmigende Behörde am 6. November 2015 angewiesen, die Wasserrechte wieder zu entziehen. Die Sache ist noch nicht entschieden.

Nestlé hatte in der Gemeinde Fryeburg im US-Bundesstaat Maine bereits vor Jahren kurzerhand und ohne großes Aufheben Land erworben, das für das Abpumpen von Wasser geeignet schien, und nahezu unbemerkt den Betrieb aufgenommen. Proteste erhoben sich erst, als die Bürger nach und nach davon erfuhren, denn mitgeteilt hatte ihnen das niemand. Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches lag der Fall noch bei Gericht.

Eine Recherche der Desert Sun brachte 2014 ans Tageslicht, dass Nestlé in einer Waldregion bei San Bernardino in Kalifornien mit einer ungültigen Genehmigung Wasser abpumpt: Die Konzession war bereits im Jahr 1988 abgelaufen. Das Wasser – schätzungsweise rund 100 Millionen Liter im Jahr, wofür Nestlé lediglich 524 Dollar bezahlt – wird zu einer Fabrik gepumpt, in der es in Flaschen der Marke „Arrowhead“ abgefüllt wird. Kalifornien ist ein Staat, der immer wieder von Dürren heimgesucht wird. Waldbrände sind ein großes Problem. Wasser ist seit jeher ein knappes Gut. Möglicherweise reicht das unterirdische Reservoir derzeit nur noch für ein Jahr. Die Bürger protestieren, haben Angst um ihre Wasservorräte und argumentieren, dass sie selbst große Einschränkungen beim Wasserverbrauch hinnehmen müssen, Nestlé jedoch nicht. Die Antwort von Nestlé: Man brauche sich keine Sorgen zu machen, denn das Abpumpen des Wassers werde überwacht. Die zuständige Behörde ist überfordert, sie arbeitet abgelaufene Genehmigungen nach dem „Prioritätsprinzip“ ab. Weil bisher nichts geschah, hat die Bürgerinitiative „Story of Stuff Project“ Klage eingereicht.


Im Mai 2015 berichtete der Guardian, der Chef von Nestlé Waters North America, Tim Brown, weigere sich, trotz einer verheerenden Dürre in Kalifornien und trotz Bürgerprotesten das Abpumpen von Wasser zu stoppen. Falls möglich, so Brown, würde er die Menge an abgepumptem Wasser sogar noch erhöhen, denn die Bürger verlangten nach seinem Wasser. Brown gab zu, dass Nestlé derzeit rund 30 Prozent des in Kalifornien abgepumpten Wassers verschwende, und kündigte Verbesserungen an.

In der kanadischen Provinz British Columbia pumpt Nestlé in der Ortschaft Hope jährlich rund 265 Millionen Liter Grundwasser aus dem Boden – und muss das entnommene Wasser weder messen, melden noch irgendwelche ökologischen Schutzvorkehrungen treffen, weil die uralte Grundwasserregulierung das nicht vorsieht. Für diese enorme Wassermenge muss der Konzern jährlich lediglich 596,25 Dollar bezahlen. Das sind 2,25 Dollar für eine Million Liter. Was passiert mit diesem Wasser? Es wird anschließend in Flaschen verkauft. In der benachbarten Ortschaft Gibson gab es früher einen öffentlich zugänglichen Wasserhahn, aus dem man das sehr saubere und gute Wasser kostenlos zapfen konnte. Heute müssen die Menschen dafür ihre Kreditkarte zücken oder Münzen in den Wasserautomaten werfen. Die in politischen Belangen sonst eher lethargischen Kanadier haben eine Bürgerinitiative dagegen gestartet. „Nestlé findet nichts dabei, [das Wasser] für ein Almosen aus dem Boden zu saugen und in einer Plastikflasche zu verkaufen.“

Am 30. Dezember 2015 beantragte Nestlé Waters North America nach Angaben von WNEP eine Ausnahmegenehmigung für den Betrieb einer Abfüllanlage von Quellwasser in Kunkletown in Pennsylvania. Über 750.000 Liter will Nestlé dort täglich abpumpen. Auch hier sind Auseinandersetzungen abzusehen, denn die Bürger haben sich bereits formiert und protestieren gegen das Vorhaben. Gegen die Verantwortlichen in der Gemeinde haben sie Zivilklage erhoben, weil Regeln umgangen worden seien, um Nestlé bevorzugt behandeln zu können.

Auch auf eine Quelle im kanadischen Elora hat Nestlé es inzwischen abgesehen. Der Konzern will dort die Wasserqualität testen und bei positivem Ergebnis die Quelle kaufen. Und auch hier haben sich besorgte Bürger bereits zusammengeschlossen und protestieren gegen den Ausverkauf ihres Wassers.

In der ARD-Sendung Weltspiegel vom 6. Mai 2013 konnten Millionen Zuschauer am Bildschirm mitverfolgen, wie Nestlé in der Nähe von Pretoria Quellwasser in Flaschen abfüllt, während die Menschen direkt um die Fabrik herum ein Leben in Müll und ohne Wasseranschluss fristen. Diejenigen, die bei Nestlé Arbeit gefunden haben, müssen sich mit Almosen begnügen, wenn es um das Wasser geht, das eigentlich „ihr“ Wasser ist. Oder besser gesagt, war, denn die Regierung hat Nestlé eine Konzession erteilt. Die Reportage bestätigt, was die Schweizer Journalisten Res Gehriger und Urs Schnell in ihrem inzwischen mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm „Bottled Water“ über Nestlés Wasserpolitik aufgedeckt hatten. Arbeiter erklären, sie hätten zwar kein fließendes Wasser zu Hause, dürften aber Flaschen mit beschädigtem Etikett schon einmal mitnehmen. Nestlé gebe ihnen zwar einen Liter Wasser am Tag zu trinken, aber diese Flaschen nähmen sie oft lieber für die Kinder zu Hause mit, denn leisten könnten sie sich dieses saubere Wasser aus dem Supermarkt nicht. Und das, obwohl es eigentlich nur wenige Meter von ihrer Hütte aus dem heimischen Boden fließt. Durch einen Tunnel gehen die Menschen auf die andere Seite der Schnellstraße, denn dort hat der Konzern – man gibt sich großzügig – einen kleinen Wasserhahn zur Verfügung gestellt. Ein Arbeiter fragt, ob es für Nestlé nicht möglich wäre, eine Leitung mit sauberem Wasser ins Dorf zu legen. Eine gute Frage. Wie antwortet Nestlé? „Die Forderung nach einer Wasserleitung in das Dorf macht den Bau einer Rohranlage unter einer bestehenden Schnellstraße notwendig. Ein solcher Bau liegt in der Verantwortlichkeit der staatlichen Behörden.“ Natürlich. Das hilft diesen Menschen sehr.

Im Oktober 2014 berichtete die Handelszeitung in der Schweiz, dass Nestlé kurz vor der Inbetriebnahme einer Abfüllanlage für Mineralwasser in Äthiopien stehe. Die Produktion solle den Zugang zum äthiopischen Markt mit seinen über 90 Millionen Einwohnern erleichtern. Dazu arbeite das Waadtländer Unternehmen mit dem äthiopischen Produzenten Great Abyssinia zusammen, dem größten Mineralwasserproduzenten des Landes. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb dazu, Nestlé verfolge die Entwicklung in Äthiopien ganz genau, um im richtigen Moment mit einem direkten Engagement einsteigen zu können. Der Moment wäre perfekt gewählt: Dem Land droht derzeit die schlimmste Dürre seit 30 Jahren. Die 8,2 Millionen Menschen, die von der Dürre betroffen sind, werden sich das Flaschenwasser nicht leisten können.

Da ich keine weiteren Details zu dieser Meldung finden konnte, fragten wir bei Nestlé nach, ob das Unternehmen dort in Äthiopien inzwischen Wasser abfülle und verkaufe. Außerdem wollten wir wissen, ob Nestlé an Abfüllorten, wo die Menschen in der (nahen) Umgebung sich das abgepumpte und in Flaschen verkaufte Wasser nicht leisten können, dafür Sorge trägt, dass diese Menschen das zum Überleben benötigte Wasser von Nestlé kostenlos erhalten – so wie Herr Brabeck-Letmathe dies immer wieder betont.

Nestlé antwortete, dass man zwar derzeit keine Aktivitäten in Äthiopien und auch keinen Brunnen im Bau habe, aber als langfristiger Partner großen Wert auf ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis mit den lokalen Gemeinschaften an den weltweiten Niederlassungen lege. Dazu gehöre auch an „vielen Standorten“, an denen die öffentliche Wasserversorgung nicht sichergestellt ist, die Bereitstellung von Trinkwasser oder Wasseraufbereitungsanlagen. Dazu nannte Nestlé ganze zwei Beispiele. Eines davon war der unsägliche Wasserhahn in der Nähe der Abfüllanlage im südafrikanischen Pretoria. Und wer es überlesen haben sollte: Nestlé gibt längst nicht allen bedürftigen Menschen kostenlos Wasser – nur „vielen“. Wir fragten nach, was man sich unter „vielen Standorten“ vorstellen dürfe – 99 Prozent aller Standorte vielleicht? Oder etwas weniger?

Nestlé bat um Verständnis: Es stünden keine weiteren Informationen zur Verfügung.

Der Zeit sagte Brabeck am 26. Januar 2012:

„Ich bin der Meinung, dass es ein Menschenrecht ist, über die täglich benötigten fünf Liter Trinkwasser und 20 Liter Wasser für die tägliche Hygiene zu verfügen.“

Also „satte“ 25 Liter. Inklusive Geschirr spülen, Wäsche waschen, Körperpflege und Toilettengänge. Und was ist mit der Bewässerung meines Gartens, wo ich Gemüse für meine Familie anbauen muss, um zu überleben? Wir haben es übrigens einmal getestet und sind eine Woche lang extrem sparsam mit Wasser umgegangen. Das Ergebnis: 25 Liter pro Tag und Person sind ein Witz!

In seiner offiziellen Stellungnahme zum Dokumentarfilm „Bottled Life“ sagt Brabeck:

„Ich bin aber andererseits nicht der Meinung, dass die übrigen 98,5% des Süßwassergebrauchs – inbegriffen die Bewässerung von Golfplätzen und das Autowaschen – ein Menschenrecht sind.“

Ja, all die Menschen in Südafrika, Algerien, Pakistan und wo sonst Sie noch zu Dumpingpreisen das Wasser abpumpen, haben sicherlich eigene Pools, Autos und Golfplätze!

Ist es das, Herr Brabeck, was Sie mit „gezielt eingreifen“ meinen?

Nestlégate

Oder das vielleicht?

Im Jahr 2008 wurden Nestlé und die Sicherheitsfirma Securitas mit einer Strafanzeige und einer Zivilklage konfrontiert. Der Vorwurf: Eine Gruppe von Attac in der Schweiz, die an einem kritischen Buch über Nestlé gearbeitet hatte, war im Auftrag von Nestlé von Securitas infiltriert und ausspioniert worden. Das Westschweizer Fernsehen TSR hatte den Fall publik gemacht. Im Januar 2013 lag das Urteil vor: Ein Zivilgericht verurteilte den Nahrungsmittelkonzern sowie Securitas wegen unerlaubter Infiltration. Nestlé und Securitas wurden dazu verurteilt, den beiden Klägerinnen eine Genugtuung in Höhe von je 3000 Franken zu bezahlen.

Was die Verantwortlichen im Spionagefall um Nestlé und Securitas nicht gesagt haben und wie sie im Untersuchungsrichter einen Verbündeten fanden, erzählt ein Buch. Der Journalist Alec Feuz gelangte in den Besitz der Untersuchungsakten und zeichnet in seinem Buch „Affaire Classée“ („Zu den Akten gelegte Affäre“) das Verfahren minutiös nach. Über knapp 200 Seiten führt er Untersuchungsrichter Jacques Antenen vor, sodass man fast – aber nur fast – Mitleid mit dem Richter bekommt. Feuz diktiert ihm naheliegende Fragen, die der Richter nie gestellt hat, weist auf widersprüchliche Aussagen und fehlende Beweisdokumente hin. Antenen bittet die Anwälte der Firmen freundlich darum, selbst nach Beweismitteln zu forschen. Seine Begründung: „Ich kann doch nicht 850 Polizisten zu Nestlé schicken!“ Wer des Französischen mächtig ist, wird seine Freude an diesem Buch haben.

In guter Gesellschaft

Nestlé ist natürlich nicht der einzige Multi, der in die Kritik geraten ist, er scheint nur besonders dreist und besonders aktiv zu sein. Doch Konzerne wie Coca-Cola, PepsiCo oder Aqua-Danone stehen den Schweizern in nicht viel nach.

In North Carolina, so Dr. Cat Warren im preisgekrönten Dokumentarfilm „Tapped“ („Abgefüllt“) von Stephanie Soechtig, könne man sich ausgetrocknete Landstriche gar nicht vorstellen. Doch genau dazu sei es gekommen. Pepsi, so Warren, betrieb seine Abfüllanlage trotz einer schweren Dürre weiter. Stadtrat Eugene Brown entrüstet sich: „Auf dem Höhepunkt der Dürre pumpten sie pro Tag 1,5 Millionen Liter ab.“ Pepsi füllte kommunales Wasser ab und verkaufte es der Bevölkerung, als dort das Wasser ausging.

In seinem Buch „Das Wasser-Syndikat“ beschreibt Jens Loewe, wie sich der Weltkonzern Coca-Cola um die Belange der Bewohner der Gemeinde Plachimada im indischen Bundesstaat Kerala „kümmert“: 2002, ein Jahr nach der Inbetriebnahme einer Fabrik zum Abfüllen von Flaschenwasser und zur Getränkeherstellung, begann der Grundwasserspiegel in der Umgebung so stark zu sinken, dass die Brunnen versandeten. Bürgerproteste erhoben sich, und die Regionalregierung entschied sich deshalb, die Konzession für Coca-Cola nicht zu verlängern. Der oberste Gerichtshof von Kerala erklärte dieses Vorgehen 2005 allerdings für unwirksam und begründete seine Entscheidung mit den Ergebnissen eines „Expertenberichts“. Es stellte sich heraus, dass ein Mitglied dieser Expertengruppe ein Vertreter von Coca-Cola war. Letztlich haben die Bürger der Gemeinde aber doch noch einen Sieg davontragen, denn nach weiteren Protesten und einer langen gerichtlichen Auseinandersetzung musste Coca-Cola die Fabrik schließen, berichtete die BBC im Februar 2011. Die Bürger hätten darüber hinaus ein Anrecht auf Entschädigung.

Auch der Konzern Danone lässt sich nicht lumpen: In einer Kleinstadt in der Nähe von Solo in Zentral-Java stellt der französische Multi Aqua-Danone Flaschenwasser her. Um an die unterirdischen Wasservorräte zu gelangen, musste das Unternehmen nur wenig Land erwerben. Schätzungsweise 64 Liter in der Sekunde Wasser fördert das Unternehmen. Das scheint Auswirkungen zu haben, denn es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Bauern in der Umgebung. Sie sind verzweifelt und erbost, weil sie ihre Nassreis-Felder aufgrund des stark gesunkenen Grundwasserspiegels nicht mehr ausreichend bewässern können.

Das Milliardengeschäft mit Wasser

Es gibt genügend Wasser auf der Welt. Theoretisch jedenfalls, denn das Wasser ist sehr ungleich verteilt. Doch häufig ausgerechnet dort, wo dieser wichtige Rohstoff knapp ist, beuten Konzerne wie Nestlé, Danone, PepsiCo oder Coca-Cola die bestehenden Vorkommen aus und verkaufen sie für viel Geld in Flaschen weiter. Nicht selten direkt in der Nachbarschaft, und immer mit riesigen Gewinnen. Kein anderes Lebensmittel ist billiger zu haben und verspricht üppigere Margen, und die Märkte sind noch lange nicht gesättigt. Die Konzerne reiben sich bereits die Hände … Das Ganze erinnert an den Ölboom der 1930er Jahre. Banken locken in ihren Hochglanzbroschüren mit Sprüchen wie „Wasser, das Öl des 21. Jahrhunderts“. Willem Buiter, Chefökonom von Citigroup:

„Wasser als Anlagekategorie wird zur wichtigsten physischen rohstoff-basierten Anlageklasse überhaupt werden und Öl, Kupfer, Agrarrohstoffe und Edelmetalle in den Schatten stellen.“

Wasser muss etwas kosten. Und wenn es das Leben von Menschen ist.

Lesen Sie dazu bitte auch das Interview mit dem Soziologen und Globalisierungskritiker Jean Ziegler im Anhang des Buches: „Wir lassen sie verhungern.“

Ausverkauf auf Raten

Dass Regierungen an Konzerne Wasserlizenzen vergeben, hat Strategie, denn es geht um viel mehr als um die Produktion von Flaschenwasser: Man kann davon ausgehen, dass auch die Wasser- und Abwasserversorgung vieler Länder künftig an Privatunternehmen verkauft wird. Verkauft werden muss, denn die Länder sind hoffnungslos verschuldet. Zahlreiche Schwellen- und Entwicklungsländer lassen sich dazu übrigens von der 2030 Water Resources Group (WRG) beraten. Deren Präsident? Peter Brabeck-Letmathe, Firmenboss von Nestlé.

Der Startschuss für den Ausverkauf des Wassers fiel schon vor vielen Jahren. Die Weltbank hatte 1992 damit begonnen, die Wasserprivatisierung in Entwicklungsländern zu fördern und zu unterstützen. 1998 empfahl die UN Kommission für nachhaltige Entwicklung diesen Regierungen, sich an große multinationale Unternehmen zu wenden, um deren Wissen und Expertise zu nutzen. Die meisten Entwicklungsländer haben übrigens überhaupt keine Wahl, ob sie Gelder von der Weltbank annehmen wollen oder nicht. Doch jedes Land, das die Weltbank hereinlässt, lässt damit natürlich auch Konzerne wie Coca-Cola, PepsiCo, Nestlé, SUEZ oder Veolia in den inneren Kreis der Regierung hinein …

Die Finanzmärkte bereiteten sich zur selben Zeit vor. Der weltweit tätige Finanzdienstleister Goldman Sachs war eine treibende Kraft bei der Gründung des World Resources Institute (WRI) und etablierte einen Finanz-Index, der „wasserbezogene Risiken bei Unternehmen und ihren Investoren misst und absichert“. Der Index berücksichtigt Daten wie Wasserknappheit und Wasserqualität. Die Wasserbranche profitiert seit vielen Jahren von einem hohen und weitgehend krisensicheren Wachstum. An der Börse sind für Anleger dadurch überdurchschnittliche Kursgewinne von bis zu 60 Prozent möglich (wieviel Prozent Zinsen bekommen Sie nochmal für Ihr Sparguthaben?). Wasser ist seit langem ein Spekulationsobjekt. Dies führt häufig zu grotesken Situationen, zum Beispiel in Australien. Die Regierung hatte in den 1990er Jahren ihr größtes Wasservorkommen – eine Region im Murray Darling Basin – an Investoren verkauft. Im darauffolgenden Jahrzehnt wurde Australien von einer furchtbaren Dürre heimgesucht, und der spekulative Markt explodierte daraufhin. Australien musste Land bzw. Wasserrechte zu horrenden Preisen zurückkaufen. Der Gewinn für die Spekulanten betrug mehrere Milliarden Dollar.

Die Situation in Europa ist übrigens noch lange nicht ausgestanden: Das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA dient den Interessen der Konzerne – und nicht den Bürgern. Zum einen öffnet es Privatisierungen Tür und Tor. Das Abkommen soll es Konzernen nämlich erleichtern, auf Kosten der Allgemeinheit Profite bei Wasserversorgung, Gesundheit oder Bildung zu machen. Zum anderen kann der Schuss auch finanziell in die Hose gehen. Ausländische Konzerne können Staaten auf hohe Schadensersatzzahlungen verklagen, wenn sie sich – zum Beispiel durch „unfaire“ Gesetze – benachteiligt fühlen. Dies kann man am Beispiel NAFTA (Nordamerikanisches Freihandelskommen) bereits jetzt schon sehr schön in der Praxis beobachten: 2001 belegte Mexiko alle Produkte, die den besonders gesundheitsschädlichen Zuckersirup Isoglukose enthielten, mit einer Steuer. Ein Konzern klagte auf entgangene Gewinne. Die Rechtsgrundlage der Klage: Der Investorenschutz der NAFTA. Mexiko verlor und musste 58 Millionen Dollar Schadensersatz zahlen. Unter www.state.gov/s/l/c3439.htm können Sie selbst einsehen, wie viele Klagen von wem gegen wen eingereicht wurden und welches Land bisher am meisten „bluten“ musste. Ein T(t)ip: Die USA sind es nicht.

Übrigens: Wenn TTIP erst einmal da ist, werden wir es auch nicht wieder los, denn Vertragsänderungen müssten von allen Vertragspartnern genehmigt werden. Da die EU den Vertrag abschließt, könnte Deutschland den Vertrag auch nicht kündigen. Mitgehangen, mitgefangen.

Lesen Sie dazu auch bitte den Beitrag des Juristen Axel Fischer im Anhang des Buches: TTIP – die schleichende Entstaatlichung der „Alten Welt“.

Der Wolf im Schafspelz

Dass Nestlé-Chef Brabeck auch Präsident der 2030 Water Resources Group (WRG) ist, war für mich Grund genug, dieser ominösen Gesellschaft ein bisschen nachzuschnüffeln. Sie gibt sich den Anschein von Neutralität, wird aber von Unternehmen wie Barilla, Coca-Cola, The International Finance Corporation, McKinsey, Nestlé oder Syngenta finanziert und gesteuert. 2009 veröffentlichte die WRG ein umfangreiches Dokument mit dem Titel „Charting Our Water Future. Economic frameworks to inform decision-making“ (Die Gestaltung unserer Wasserzukunft. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen für fundierte Entscheidungsfindung). Im Vorwort kommt (der damalige) Prinz Willem-Alexander von Oranien-Nassau in seiner Funktion als Vorsitzender im Bereich Wassernutzung der Vereinten Nationen zu Wort. Er sagt:

„Wenn Wasser jeden angehen soll, dann müssen die Beteiligten in Ländern mit Wasserknappheit zusammenkommen und einige schwierige Zugeständnisse auf dem Weg zu sicheren Wasserressourcen machen. Einige Lösungen könnten unpopuläre politische Veränderungen und die Einführung von wassersparenden Technologien bei Millionen von Farmern erfordern. Die Gespräche unter den Beteiligten müssen sich also auf wirtschaftliche und soziale Prioritäten konzentrieren, wie viel Wasser benötigt wird, damit diesen Prioritäten entsprochen werden kann, und bei welchen der schwierigen Herausforderungen es sich lohnt, dieses Wasser zu beschaffen.“

Was sagt der Holländer wirklich? Er sagt, dass sich Schwellen- und Entwicklungsländer auf harte Zeiten einstellen dürfen. Politisch dürfte es schwierig werden, soziale Unruhen liegen deshalb durchaus im Bereich des Möglichen. Die Bauern müssen irgendwie überredet werden, viel Geld für Wassertechnologie auszugeben. Sollte sich etwas wirtschaftlich oder sozial (!) nicht rechnen, sollte es gar nicht erst versucht werden.

Auch viele andere Ausführungen in diesem Dossier sind äußerst vielsagend. Und nicht minder erschreckend und kaltschnäuzig:

„Verschiedene Studien legen nahe, dass der Abbau von Energiesubventionen in Indien – welche es Bauern derzeit ermöglichen, Grundwasser zu sehr niedrigen Preisen abzupumpen – zu einer geringeren Getreideproduktion führen würde, was wiederum zu reduzierten Wassermengen für die Bewässerung führen würde.“ Alles klar?

„Die Rückzahlungskurve […] zeigt, wie lange es dauert, bis sich ein Investment rechnet, und erlaubt damit einen Vergleich mit den Erwartungen des Endnutzers: Ein Bauer mit niedrigem Einkommen will sein Geld vielleicht in 3 Jahren wiederhaben, wohingegen ein industrieller Wassernutzer flexibler ist. Wenn man die Finanzen transparenter gestaltet, kann dies politischen Entscheidungsträgern dabei helfen, zwischen Maßnahmen zu unterscheiden, auf die noch etwas mehr Druck ausgeübt werden muss, und solchen, die – zumindest auf dem Papier – für den Endnutzer vorteilhaft aussehen.“ Zumindest auf dem Papier? Diese Menschen sollen gnadenlos verheizt werden!

Übrigens: Zu den Unterstützern der WRG gehört unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ist sogar Gründungsmitglied und unterstützt die WRG mit millionenschweren Beträgen – also mit Steuergeldern.

Lateinamerika spielt nicht mit

Doch es gibt Hoffnung, und zwar ausgerechnet aus „weniger entwickelten Ländern“. In Mittel- und Südamerika formiert sich Widerstand. Und diese Beispiele zeigen, wieviel Macht von zivilgesellschaftlichem Engagement ausgehen kann.

In Uruguay wurde ein Verbot für Wasserprivatisierungen beschlossen. In Ecuador ebenfalls. In Mexiko wurde das Menschenrecht auf Wasser im Gesetz verankert. Und in Cochabamba in Bolivien konnte die Wasserversorgung rekommunalisiert werden: Dort war es nach der Übernahme der Wasserversorgung – wie so häufig bei solchen „Deals“ – durch den Konzern Bechtel zu enormen Wasserpreiserhöhungen gekommen. Es gab Proteste, Aufstände, auch Tote. Doch letztlich nahm Bechtel seinen Hut, und die Wasserprivatisierung musste im Jahr 2000 rückgängig gemacht werden. Ähnliches ereignete sich auch in anderen Städten Boliviens, zum Beispiel in El Alto und La Paz.

In Paraguay fordern viele Bürger ebenfalls ein Gesetz, das die Wasserprivatisierung verbietet. Paraguay hat allen Grund dazu, denn die Region sitzt auf einem riesigen unterirdischen Süßwasservorkommen, dem sogenannten Guarani-Aquifer. Mit einer Ausdehnung von fast 1,1 Millionen Quadratkilometern (mehr als die doppelte Fläche Frankreichs) und einem Gesamtvolumen von rund 30.000 Kubikkilometern gehört der Guarani-Aquifer zu den größten unterirdischen Süßwasserreservoirs der Welt. Es verläuft unter den Staatsgebieten von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay, was einen hohen Koordinierungsbedarf zwischen diesen Ländern erfordert, um möglichen Konflikten vorzubeugen. Diese Koordinierung ist bereits seit Jahren im Gange. Allerdings: Laut der Defensoria da Água (brasilianische Organisation zum Schutz des Wassers) haben sich die Konzerne Nestlé und Coca-Cola bereits Informationen zu günstigen Wasserentnahmestellen beschafft und Land in diesen Gebieten gekauft.


Zum ersten Mal in der Geschichte nimmt Lateinamerika sein Schicksal offenbar selbst in die Hand. Ich denke, das wird spannend. Und für gewisse(nlose) Konzerne hoffentlich eine Lehrstunde wie aus dem Bilderbuch.

„Wasser ist ein Menschenrecht. Es ist für das Überleben auf der Erde notwendig. Wenn man Lebensnotwendiges zur Handelsware macht und der Zugriff darauf schwieriger wird, kann es zu politischer Instabilität kommen.“

Dennis Kucinich, Mitglied des US-Repräsentantenhauses

Mit diesem ersten Kapitel haben Sie nun eine ungefähre Vorstellung davon, weshalb ich den Buchtitel so und nicht anders gewählt habe.

1 Non-Governmental Organisation (Nichtregierungsorganisation: zivilgesellschaftlich zustandegekommener Interessenverband)

Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia

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