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Vorwort von Dr. Ruediger Dahlke


Als ich Marion Schimmelpfennigs erstes Buch „Giftcocktail Körperpflege“ las, fuhr mir der Schreck in die Glieder. Obwohl ein ausgesprochener Kosmetikmuffel, konnte ich kaum fassen, was wir uns da antun (lassen). Ich wechselte sofort von der „gesunden“ Zahnpasta auf Dental-Tabs, die wirklich nur noch ein wenig Pfefferminz enthalten. Ansonsten infizierte ich viele Seminar-Teilnehmer/-innen und Leser/-innen mit dem Wissen über die gefährliche Industrieware, die uns nicht schön, sondern alt, hässlich und krank aussehen lässt.

Das zweite Buch der Autorin über Getränke macht schlicht sprachlos. Mit mutiger Schonungslosigkeit legt sie die Machenschaften der Getränke- und Nahrungsmittelindustrie offen. Man fühlt sich beim Lesen an ein Gruselkabinett erinnert. Dabei empfehle ich seit Jahrzehnten – etwa zuletzt in „Geheimnis der Lebensenergie“ –, sich von Industrie- und Fertigprodukten so fern wie möglich zu halten, auf Saisonales aus der Region zu setzen und direkte Wege zur Natur über Biobauern und unter Umgehung der Nahrungsmittelindustrie zu wählen.

Aber ich hätte doch nicht gedacht, wie weit die industrielle Brunnenvergiftung im übertragenen, aber auch konkreten Sinn schon gediehen ist, wie amoralisch und auf dem Rücken der Schwächsten etwa der moderne Wasser-Krieg geführt wird. Und mindestens genauso verstört lese ich, wie ausgeliefert wir dem System aus Industrie, ihren beeinflussenden Lobbyisten, beeinflussten und wiederum beeinflussenden Politikern und beeinflussten und beeinflussenden Journalisten und Wissenschaftlern schon sind.

Nicht die Einzelbeispiele, sondern das ungeheure Geflecht aus Überschreitungen, böswillig vorsätzlichen Vergehen und geplanten Delikten verrät, wie viel System hinter all dem steckt. Hände weg von Industriegetränken ist die einzige Konsequenz, aber die Leserin/der Leser ahnt, dieses Geflecht droht langfristig alles und uns alle zu verschlingen. Mit „Peace-Food“-Essen und gutem Wasser für den Eigenbedarf kommen wir da kaum noch davon. Und was tun, wenn praktisch alles Wasser bereits von Wirtschaftskraken wir Nestlé oder Danone aufgekauft ist? In Bali und vielen Ländern der armen Welt gibt es bald gar kein anderes mehr. Schön zu hören, dass sich lateinamerikanische Länder zunehmend gegen die Enteignung ihres Wassers wehren – aber sollten wir nicht auch bald damit anfangen? Wir, aus deren Ländern das Übel kommt?

Hier nur ein paar Beispiele und keinesfalls die schrecklichsten, die die Autorin uns gibt, ja zumutet. Es braucht wirklich Mut, solch ein Buch zu schreiben, und immer noch einigen, es zu lesen. Wollen wir überhaupt wissen, was uns da systematisch angetan wird, und was wir uns antun lassen, gleichsam wie Schafe auf dem Weg zur Schlachtbank?

Zum Willen und zur Macht unserer – in diesem Fall nicht einmal demokratisch gewählten, dafür umso mächtigeren – EU-Kommission schreibt sie Folgendes: Auf Druck von unten, also aus dem Verbraucherbereich, hatte die EU-Kommission den Vorschlag gemacht, die Schriftgröße auf den Etiketten so zu erhöhen – und zwar auf 3 Millimeter –, dass die Informationen auch wirklich lesbar sind. Aber die Lobby war wie fast immer stärker: Seit Dezember 2014 gilt die neue EU-Lebensmittelinformationsverordnung, nach der die Mindestschriftgröße unverschämte 1,2 Millimeter beträgt. Am besten, weil so ehrlich, ist die Begründung der Lebensmittelindustrie (nicht etwa der EU-Kommission): Eine größere Schrift würde ihren „Markenauftritt“ gefährden. Deutlicher geht es schon nicht mehr.

Dazu schreibt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) im Namen der Verbände: „Auch die Forderung der EU-Kommission nach einer Mindestschriftgröße von 3 mm für die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist nicht zielführend. Sie ist keine Gewähr für die bessere Lesbarkeit der Angaben für die Verbraucher.“

Ein System von Interessenvermischungen und Klüngelei führt am Ende dazu, dass die Schriftgröße nicht mehr mit der Lesbarkeit zusammenhängt!

Genauso ging es der eigentlich geplanten und vielfach geforderten Ampelkennzeichnung bezüglich des Zuckeranteils, die über 70 Prozent der Verbraucher wollten. Damit hätten Verbraucher schon auf den ersten Blick erkennen können, ob ein Produkt eine große, mittlere oder kleine Zuckermenge enthält. Laut der Autorin war es der Lebensmittelindustrie in einer jahrelangen Kampagne eine Milliarde Euro wert, diesen Vorstoß zu kippen, sodass die Zuckerbomben unter den Getränken weiter ziemlich unerkannt bleiben und ihren gesundheitlichen Schaden anrichten können.

Wer dieses Buch liest, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Getränkeindustrie bewusst und vorsätzlich Gesundheit und Leben ihrer Kunden gefährdet. Gesundheitskatastrophen zählen einfach nicht gegenüber der Gefahr von Gewinneinbrüchen.

Wie weit die Menschenverachtung bereits geht, mag folgende gängige Missachtung selbst einer Instanz wie des Europäischen Gerichtshofes zeigen. Im Dezember 2015 bekräftigte dieser per Gerichtsbeschluss eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Was auf der Verpackung abgebildet ist, muss auch drin sein. Die Firma Teekanne hatte dazu eine andere Meinung, denn auf ihrem Kinder-Früchtetee „Himbeer-Vanille-Abenteuer“ war ein Häschen abgebildet, das zwischen Vanilleblüten und Himbeeren herumhüpfte, im Tee waren aber weder Vanilleschoten noch Himbeeren enthalten, nicht einmal deren Aromen, sondern Kunstprodukte, die den Geschmack nachahmten. Das Unternehmen hielt dagegen:

„Der Durchschnittsverbraucher wird mit der Abbildung von stilisierten Himbeeren und Vanilleblüten auf dem Produkt […] nicht ein Produkt mit Himbeeren und Vanille erwarten.“

Die Durchschnittsverbraucher seiner Produkte versteht dieses Unternehmen offensichtlich als Volltrottel. Seitenlang vermittelt die Buchlektüre tatsächlich den Eindruck, ein Volltrottel ist, wer dieser Industrie noch glaubt.

Wer nun denkt, die Getränke- und Nahrungsindustrie hätte wenigstens bei der Gesundheit von Kindern ein Einsehen, wird im Buch eines Besseren belehrt. Die Lebensmittelunternehmen hatten 2007 im Rahmen einer EU-Initiative per Selbstverpflichtung zugesichert, bestimmte Regeln bei der Bewerbung von Kinderprodukten einzuhalten. Etwa sollten nur noch Lebensmittel, die besondere Anforderungen an den Nährwert erfüllten, für Kinder unter zwölf Jahren beworben werden. Offenbar ein Schritt gegen die ausufernde kindliche Fettsucht.

Die Verbraucherorganisation foodwatch prüfte das Ergebnis dieser Selbstverpflichtungserklärung. Das Marketing der Unterzeichnerfirmen wie Kellogg’s, Ferrero, Danone, Nestlé und Coca-Cola wurde untersucht. Das ernüchternde Ergebnis: Von insgesamt 281 Produkten im Test erfüllten nur 29 die WHO-Kriterien. 90 Prozent, also 252 Lebensmittel, durften nach Meinung von Gesundheitsexperten nicht an Kinder vermarktet werden.

Es bleibt immer nur derselbe Schluss: Alles sehr gut prüfen und selbst Kleinstgeschriebenes mit der Lupe lesen – oder, noch viel sicherer, Industrieprodukte von vornherein und möglichst generell meiden und nur bei integren Firmen einkaufen, wie in den „Peace-Food“-Büchern angegeben.

Marion Schimmelpfennig schreibt hier Dinge, die schlimmste Befürchtungen übertreffen, und ich hoffe für sie, sie hat sich juristisch warm angezogen. Denn bevor Konzerne ihre Produkte ändern, neigen sie dazu, lieber ihre Widersacher zu verklagen. Die Autorin beschreibt diesbezüglich die Geschichte einer ehemaligen Nestlé-Managerin, die lange versuchte, sich gegen die Qualitäts-Missstände im Konzern zu wehren, und der schließlich gekündigt wurde. Die vormalige UNO-Mitarbeiterin aber hatte den Mut, vor Gericht zu gehen, wo sie nun erleben muss, wie ihre Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, weil das sonst wohl zu peinlich für den Konzern würde.

Wenn die Einflussnahme der Konzerne nach Politik, Mainstream-Journalisten und Wissenschaftlern auch noch die Rechtsprechung erfasst, steht es schlecht für die Bürger und ihre Rechte. Der Prozess läuft noch, und die Hoffnung stirbt zuletzt.

Dergleichen fliegt überhaupt nur auf, wenn Menschen persönlich betroffen sind. Bei den Grenzwerten wird schon lange manipuliert, dass sich die Balken biegen. Sie werden erhöht, wie die Industrie das braucht und wünscht, und wenn das mal nicht reicht, werden nach Bedarf Sondergenehmigungen verteilt wie etwa beim Trinkwasser. Die Autorin kann erschreckend viele Beispiele anführen. Der Name des Verbraucherschutzministeriums wird zur reinen Karikatur, wenn dieses nach Fukushima der Bevölkerung meldet, es werde schärfer kontrolliert, und dann die Grenzwerte bei radioaktiver Verseuchung erhöht. Grenzwerte erscheinen in diesem Buch plötzlich als das, was sie schon lange sind, nämlich „politisch ausgehandelte Kompromisse zwischen ökologisch und gesundheitlich Gebotenem, technisch Möglichem, finanziell Tragbarem sowie wirtschaftlich und politisch Vertretbarem“. Und das wirtschaftlich Gewünschte gibt dann letztlich den Ausschlag. So einfach ist es in Wirklichkeit, es wird nur sehr kompliziert verpackt.

Diesem Buch und dem Mut seiner Autorin, Ross und Reiter beim Namen zu nennen, wünsche ich den verdienten großen Erfolg, damit sich auf breiter Front ein Bewusstsein für diese Wirklichkeit entwickelt, um mit vereinten Kräften eine andere zu schaffen.

Der Ausweg ist tatsächlich einfach: Was wir nicht kaufen, können Konzerne auch nicht mehr produzieren. Unsere Abstimmungsmacht ist mit dem Einkaufszettel inzwischen ungleich größer als mit dem Stimmzettel, außer in der Schweiz, wo tatsächlich noch beides möglich ist. Wir müssen uns nur informieren, und dieses Buch liefert die Grundlage dazu. Ideal wäre, das verlorene Vertrauen in die Industrieprodukte durch jenes in Naturprodukte zu ersetzen, die aus eigenen Gärten kommen, vom Biobauern vom nahen Land, aus dem Bio-Laden oder Reformhaus, von verlässlichen Versandunternehmen oder aus der erwachten Nachbarschaft, wo man sich gegenseitig zu vertrauenswürdigen Lebensmitteln verhilft.

Ruediger Dahlke, Bürgenstock, im Januar 2016

(www.dahlke.at)

Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia

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