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Die Diktatur der Mächtigen

Seit Jahrzehnten hat die riesige Lobby der Lebensmittel- und Getränkehersteller die Politiker fest im Griff. Einer ihrer Hebel ist die Meinungsbildung in der Medizinforschung. Damit schaffen es die Hersteller, dass Nebenwirkungen mit freundlicher Unterstützung von Wissenschaft und Staat verharmlost werden. Wie das geht? Ganz einfach.

Die Industrie treibt die Forscher vor sich her

… bezahlt sie dafür fürstlich, und die Politiker hecheln verwirrt hinterher. Wir alle haben uns daran gewöhnt, von Studienergebnissen zu hören, die kurze Zeit später von einer anderen Studie widerlegt werden. Nehmen wir das Beispiel Zucker. Man wundert sich nur noch kurz darüber, wenn man liest, dass das American Journal of Public Health im Jahr 2007 warnte, Limonaden machen dick und fördern Diabetes, weil es nur ein Jahr später im American Journal of Clinical Nutrition heißt, dass es praktisch keinen Zusammenhang dafür gebe. Solche widersprüchlichen Aussagen von Medizinern haben dazu geführt, dass wir Hinweise auf eine gesündere Ernährung von vornherein mit großer Skepsis aufnehmen – „Wer weiß schon, was wirklich stimmt?“ Im Zweifel ignorieren wir sie und machen weiter wie bisher. Das gilt nicht nur für uns Verbraucher, sondern auch für Politiker, Ernährungsberater, Mediziner – und Journalisten. Weil die Unsicherheit dank widersprüchlicher Forschungsergebnisse so groß ist, haben Politiker eine hervorragende Ausrede, um unliebsame Gesetze erst gar nicht zu erlassen. Dieser lähmende Zustand kommt den Herstellern nicht nur gerade recht – sie haben ihn herbeigeführt.

Professor Torben Jorgensen ist Leiter des Forschungszentrums für Prävention an der Universität in Kopenhagen. Er erläuterte im Juni 2015 auf einer Fortbildungsveranstaltung der Deutschen Akademie für Präventivmedizin, wie diese Strategie funktioniert. Bereits 2007 gab es erdrückende Beweise dafür, dass zuckerhaltige Getränke bereits bei jungen Menschen zu Übergewicht führen. Doch der Forscher Richard A. Forshee sah die Sache komplett anders. Für seine Forschungsarbeiten an der Universität von Maryland erhielt er finanzielle Hilfe, und zwar von Coca-Cola und PepsiCo, so Jorgensen (das lässt sich übrigens ganz einfach nachprüfen – es stimmt). Die Ergebnisse seiner Studien zogen die bisherigen Erkenntnisse stark in Zweifel. In der Zwischenzeit wechselte seine Mitarbeiterin und Mitautorin in die Ernährungsindustrie. Kollegen aus der Forschung nahmen die Arbeit von Forshee unter die Lupe – ein völlig üblicher Vorgang – und entdeckten methodische Mängel. Jorgensen sagt, dass Forshee für seine Untersuchung genau die Arbeiten ausgesucht hatte, die man so deuten könne, dass zuckerhaltige Limonaden unbedenklich seien. Doch da war das Kind schon in den Brunnen gefallen, denn die Arbeit war publiziert. Nun konnte man sie zitieren, vorlegen, Politikern unter die Nase halten. Und dies ist nur ein Beispiel von sehr, sehr vielen. Je mehr Studien sich widersprechen, umso größer wird die Verunsicherung bei Politikern. Nachvollziehbar, nicht?

Dr. Johannes Scholl, der die Veranstaltung der Akademie für Präventivmedizin leitete, ist erbost darüber, dass man nicht einmal in führenden Fachzeitschriften vor Manipulationen gefeit ist: „Als David Ludwig von der Harvard-Universität 2013 seine überzeugenden Bildbefunde zum Suchtpotenzial bestimmter Zucker und Kohlenhydrate in dem weltweit führenden American Journal of Clinical Nutrition veröffentlichte, hat Ian Macdonald von der Universität von Nottingham diese in demselben Journal ziemlich kleingeredet.“ Das British Medical Journal enthüllte jedoch, dass Unternehmen wie Mars und Coca-Cola den Forscher Macdonald bei seiner Stoffwechselforschung finanziell unterstützten. Das britische Ärzteblatt konnte außerdem aufdecken, dass dies bei zahlreichen Experten, die die britische Regierung in Sachen Ernährung unabhängig beraten sollen, ganz ähnlich aussieht. Viel zu selten gelangen Machenschaften wie die eben erwähnte und die nun folgende an die Öffentlichkeit.

„Keine Einflussnahme!“

Bereits im August 2015 hat die Times berichtet, dass Coca-Cola in den USA dem Global Energy Balance Network (GEBN) 1,5 Millionen Dollar gespendet hatte. Nicht gerade wenig – dafür kann man schon etwas erwarten, oder? Kurze Zeit später wurde bekannt, dass Coca-Cola damit offenbar die Forschung über Fettleibigkeit beeinflussen wollte, denn das Global Energy Balance Network betreibt in diesem Bereich Forschung. Professor James O. Hill, Präsident von GEBN und Mediziner an der Universität Colorado, beteuerte, dass es keine Einflussnahme des Konzerns gegeben habe. Doch E-Mails, die die Nachrichtenagentur Associated Press in die Hände bekam und in Auszügen veröffentlichte, legen das Gegenteil nahe. Eine führende Mitarbeiterin des Konzerns ist mittlerweile zurückgetreten.

Coca-Cola-Präsident Kent Muhtar räumte ein, dass sein Unternehmen auch an andere Organisationen und Wissenschaftler gespendet hat. Seit 2010 seien insgesamt 120 Millionen Dollar geflossen. Gleichzeitig betonte Muhtar, der Konzern werde seine Aktivitäten in Zukunft transparenter gestalten. Ich fürchte, die Wahrscheinlichkeit, dass ABBA noch einmal ein Konzert gibt, ist größer.

Nun könnten Sie einwenden, dass Professor Hill so lange als unschuldig gelten muss, bis sein Fehlverhalten eindeutig nachgewiesen werden kann. Da stimme ich Ihnen zu. Es ist ja auch möglich, dass Professor Hill noch nicht viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Konzernen hatte und einfach einen Fehler gemacht hat. Sehen wir also einmal nach, ob Hill einfach unerfahren ist:

Professor Hill hielt 2013 auf dem International Congress of Nutrition (ICN) in Granada einen Vortrag zum Thema Übergewicht. Der Kongress wurde von der Nahrungsmittelindustrie mitfinanziert, die auch mit Ständen und Symposien präsent war, darunter Nestlé, Süßstoff-Hersteller Ajinomoto, Friesland Campina, Danone – und Coca-Cola. Hm. Hill ist aber nicht nur Referent, sondern auch Mitglied im International Scientific Committee des ICN. Hills Vortrag „Energy Balance and Active Living“ wurde von der ILSI gesponsert. Das ILSI (International Life Sciences Institute) ist eine einflussreiche Lobbyorganisation im Lebensmittelbereich. Finanziert wird sie weitgehend durch Unternehmen der Lebensmittel-, Chemie- und Gentechnikindustrie, zum Beispiel Coca-Cola, Nestlé und Monsanto. Hm. Hill bietet Ernährungsexperten kostenlose Online-Webinare zum Thema Übergewicht an, und zwar auf der Plattform des Beverage Institute. Dieses Institut gehört – Coca-Cola. Na sowas! 2011 veröffentlichte das ILSI einen Vortrag zum Thema Übergewicht. Der „Experte“: Hill. Die Sponsoren für diesen Vortrag: Die International Beverage Association (Coca-Cola ist selbstverständlich Mitglied) und Lebensmittelriese McCormicks. Zu den „Beratern“ dieses Vortrags gehörte auch Coca-Cola. Und so weiter und so fort …

Zu den Sponsoren des ICN gehört übrigens auch das von der Lebensmittelindustrie finanzierte EUFIC. EUFIC wirbt auf seiner Website mit einem Interview mit Hill, das man im Rahmen des Kongresses geführt habe. Wer mag (und des Englischen mächtig ist), kann sich das völlig einseitige und nichtssagende Interview im Internet anhören. Sechs Minuten, die sich lohnen: http://www.eufic.org/upl/1/default/doc/3-ICN2013_James%20O%20Hill.mp3

Die Times hatte übrigens auch entdeckt, dass die Website von Hills Organisation GEBN von Coca-Cola registriert und betrieben wurde. Hill erklärte diesen Vorgang damit, dass seine Mitarbeiter nicht gewusst hätten, wie man eine Internetadresse registriert. Sicher …

EUFIC: „Inhaltlich korrekt und wahr“

Das Wissenschaftliche Beratungsgremium der EUFIC hat „primär die Aufgabe, sicherzustellen, dass die Informations- und Kommunikationsprogramme des EUFIC auf wissenschaftlich überprüften Erkenntnissen beruhen, die von der wissenschaftlichen Gemeinschaft generell unterstützt werden, so dass die Information repräsentativ, inhaltlich korrekt und wahr ist.“ Diese Logik ist einzigartig: Wenn Erkenntnisse von der wissenschaftlichen Gemeinschaft generell unterstützt werden, so sind diese Informationen automatisch wahr. „Generell“ bedeutet aber natürlich auch, dass diese Ansichten nicht von allen Wissenschaftlern geteilt werden müssen – es gibt also konträre Meinungen. Und die sind dann automatisch unwahr?

Das EUFIC ist natürlich keine unabhängige Institution, sondern eine klassische Lobbyorganisation, die schöngefärbte Informationen verbreitet. Nehmen wir die Wissenschaftler und Experten unter die Lupe, die im Namen von EUFIC die Wahrheit und nichts als die Wahrheit verbreiten.

Da hätten wir zum Beispiel den Deutschen Klaus Grunert, Professor für Marketing an der Aarhus Universität. Grunert ist darüber hinaus Mitglied im Verwaltungsrat der Lobbyorganisation ILSI – und im wissenschaftlichen Beirat des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel (Max-Rubner-Institut). Autsch! Grunert vertritt zum Beispiel die Ansicht, dass auf Lebensmittelverpackungen viel zu viele Informationen stehen. (Und wo wir gerade beim Max-Rubner-Institut sind: Dessen Präsident ist Prof. Dr. Gerhard Rechkemmer. Rechkemmer sitzt auch im Leitungsgremium von ILSI. Zur Verteidigung sagt Rechkemmer, ILSI sei keine Lobbygruppe, sondern eine „wissenschaftliche Plattform“. Diese Aussage finde ich wenig wissenschaftlich und schon gar nicht seriös, sondern unredlich und irreführend.)

Professor Mike Gibney vom University College Dublin findet die Angst vor genetisch veränderten Lebensmitteln unbegründet. Er ist Vorsitzender der staatlichen Lebensmittelsicherheitsbehörde von Irland.

Arnout Fischer ist außerordentlicher Professor an der Wageningen Universität in Holland. Er untersucht, unter welchen Umständen Verbraucher Nano-Technologie in Lebensmitteln akzeptieren würden. Danke, Herr Fischer, für diese völlig unerwünschte Forschung! Fischer arbeitet unter anderem für connect4action, eine Organisation, die die „Kommunikation“ zwischen Wissenschaftlern, Lebensmitteltechnikern und Verbrauchern fördern will. Zu den „Partnern“ von connect4action gehört nicht nur das EUFIC, sondern auch die eine oder andere von der Lebensmittel- und Chemiebranche geförderte Institution. Darüber hinaus ist Fischer für ILSI tätig, sitzt dort in einer Expertenkommission. Fischer kennt sich bestens damit aus, wenn es um den Einfluss von Wissenschaftlern auf politische Entscheidungen angeht – er verfasst Artikel und hält Vorträge darüber, in denen er erklärt, wie man es schafft, dass zum Beispiel Politiker und die Öffentlichkeit mehr Vertrauen in das haben, was Experten (und die Unternehmen, die sie sponsern) sagen.

Dann hätten wir noch Albert Flynn, Professor für Ernährung an der School of Food and Nutritional Sciences am University College in Cork. Flynn sitzt darüber hinaus im wissenschaftlichen Beirat von Kraft – ist aber gleichzeitig Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit! 2011 kam Flynn deshalb schon einmal in Bedrängnis, als ihm vorgeworfen wurde, er habe in seiner Funktion als EFSA-Vorsitzender den Lebensmittelriesen Kraft begünstigen wollen.

Gerd Harzer ist ebenfalls mit dabei. Er ist Honorarprofessor an der Technischen Universität München und war lange Jahre in führender Position bei Kraft und Milupa beschäftigt. Heute berät er aber auch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Für Harzer ist die EU-Verordnung zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln („Health Claims“) viel zu restriktiv gehalten – die Lebensmittelindustrie wäre gerne flexibler, wenn sie dem Verbraucher mitteilen will, was gesund ist und was nicht. Das glaube ich sofort.

Josef Schlatter, Toxikologe und ehemaliger Leiter der Sektion Lebensmitteltoxikologie des Schweizerischen Bundesamtes für Gesundheit, ist zum Beispiel der Ansicht, dass alle bekannten krebserregenden Stoffe in Lebensmitteln tatsächlich nur einige wenige Prozent der Krebsfälle erklären können, die Epidemiologen diesen Stoffen zuschreiben. Außerdem wird die Gefährlichkeit von Desinfektionsnebenprodukten in chloriertem Trinkwasser seiner Ansicht nach überschätzt. Bis 2012 war Schlatter für die Lobbyorganisation ILSI tätig. Nachweislich wurde er bei seiner wissenschaftlichen Arbeit unter anderem von Coca-Cola, Danone und Nestlé unterstützt. Schlatter berät das Bundesinstitut für Risikobewertung und sitzt im wissenschaftlichen Ausschuss der EFSA.

Zufälle. Alles nur Zufälle!

Lebensmittelbranche will sich selbst beaufsichtigen

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat eine wirklich wichtige Aufgabe. Sie entscheidet darüber, was die Hersteller uns zum Essen und Trinken anbieten dürfen – und was nicht. Deshalb ist es enorm wichtig, dass eine solche Behörde wirklich unabhängig ist und von der Industrie nicht beeinflusst wird.

Im Mai 2012 ist Diána Bánáti, Vorsitzende des Verwaltungsrates der EFSA, von ihrem Amt zurückgetreten. Sie ging als Vorsitzende zum International Life Sciences Institute (ILSI), das von der Lebensmittel- und Agrochemieindustrie finanziert wird. Sie war bereits im September 2010 in Kritik geraten, weil sie gleichzeitig Mitglied des Verwaltungsrates von ILSI gewesen war.

2012 hatte die Kommission Mella Frewen (zuvor bei Monsanto), die für Food Drink Europe, den größten Dachverband der Lebensmittelindustrie, tätig ist, als Mitglied des EFSA-Verwaltungsrates nominiert. Frewen beklagte in ihren Vorträgen zum Beispiel, dass die Verbraucher zu wenig Vertrauen in die Lebensmittelbranche haben. Ihre Ernennung wurde schließlich durch die EU-Mitgliedsländer und das Europäische Parlament gestoppt.

2013 schlug die Kommission erneut eine Chef-Lobbyistin von Food Drink Europe für den EFSA-Verwaltungsrat vor: Beate Kettlitz. Nach heißen Diskussionen – auch in der Öffentlichkeit – wurde Kettlitz nicht übernommen.

Dafür zog Jan Mousing vom Dänischen Forschungszentrum für Landwirtschaft erneut (!) in den Verwaltungsrat ein. Mousing ist zugleich Chef dieser Organisation, die die Interessen der dänischen Lebensmittelindustrie vertritt.

Im September 2015 verlautete, dass Hans Verhagen, der die niederländische Regierung in wissenschaftlichen Ernährungsfragen berät, künftig die Abteilung Risk Assessment and Scientific Assistance Department (RASA) leiten soll. Er ist aber auch Mitglied des Lenkungsausschusses der Lobbyorganisation ILSI.

Harry Kuiper leitete fast zehn Jahre lang das Expertengremium für Gentechnik bei der EFSA. Während dieser Zeit arbeitete er eng mit dem ILSI zusammen. Hersteller wie Monsanto, Dupont, Dow Agro Sciences, Syngenta und Bayer kooperieren über diese Plattform mit dem Ziel, eine vereinfachte Marktzulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen zu erreichen.

EFSA-Verwaltungsrat Jiri Ruprich war bis März 2011 für Danone in der Tschechischen Republik tätig.

Gremienmitglied Carlo Agostoni wird seit 2000 von Konzernen wie Nestlé, Danone, Heinz, Hipp, Humana und Mead Johnson als Redner bei Konferenzen bezahlt.

Sehen Sie es mir bitte nach, dass ich an dieser Stelle mit der EFSA aufhöre. Sonst lesen Sie mich noch nächstes Jahr.

Heute ein Gesetz verabschieden, morgen davon profitieren

Die aktuelle Studie von Transparency International aus dem Jahr 2015 bescheinigt deutschen Politikern ein Armutszeugnis: Im europäischen Vergleich liegt Deutschland von 22 Ländern auf Platz 16. Sogar Länder wie Bulgarien haben besser abgeschnitten. Eine Tatsache wurde von der Studie besonders heftig kritisiert: die bis dahin noch fehlende Karenzzeit für Mitglieder des Bundestages bis zum Wechsel in die Wirtschaft. Das bedeutet, dass jeder, der heute als Parlamentarier über ein Gesetz entscheidet, schon morgen als Führungspersönlichkeit davon profitieren kann. Im Februar 2015 schließlich beschloss das Bundeskabinett endlich ein Gesetz, das Regierungsmitgliedern eine verpflichtende Auszeit von mindestens einem Jahr vorschreibt.

Damit wird das Problem jedoch nur ein bisschen nach hinten verschoben: Wer den Absprung in die Wirtschaft plant, könnte schon jetzt nicht im Sinne der Öffentlichkeit, sondern bereits zugunsten des neuen Arbeitgebers handeln. Und da Politiker auch über Gesetzesvorhaben informiert sind, lange bevor diese in die Öffentlichkeit gelangen und umgesetzt werden, könnten sie ihrem künftigen Arbeitgeber mit solchen Informationen wichtige Vorteile verschaffen.

Es gibt massenhaft Beispiele dafür, die Sie praktisch in jeder beliebigen Zeitung nachlesen können. Ich nenne hier nur eines: 2013 trat der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck zurück und nannte gesundheitliche Probleme als Begründung. Wenige Monate später heuerte er allerdings bereits als Berater beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim an. Ja, da sind Kranke bestens aufgehoben …

Es geht aber noch viel „effizienter“, wie beispielsweise Heiko Stiepelmann vom Hauptverband der deutschen Bauindustrie ganz ungeniert zugibt. Im Jahr 2007 erhielten die Redakteure der ARD-Sendung Monitor den prestigeträchtigen Adolf-Grimme-Preis für zwei Beiträge zum Thema Lobbyismus, die im Jahr 2006 ausgestrahlt wurden. Die Redakteure konnten belegen, dass Mitarbeiter von Unternehmen in Ministerien arbeiten, obwohl sie weiterhin von ihrer Firma bezahlt werden. So können sie beispielsweise – wie praktisch! – an Gesetzesentwürfen mitarbeiten. Sozusagen „bei guter Führung“ können diese Mitarbeiter es auch bis zum Referatsleiter bringen.

Die Einflüsterer: 40 Lobbyisten proEU-Parlamentarier

Über 30.000 Lobbyisten, so Schätzungen, gehen in Brüssel ihrer Tätigkeit nach – das sind fast 40 Lobbyisten pro Europaparlamentarier. Und die sorgen dafür, dass das Demokratieprinzip immer wieder ausgehebelt wird. Zwar gibt es in Brüssel und Straßburg ein sogenanntes „Transparenzregister“, in das sich alle Lobbyisten mit ihrem Budget und ihrem Interessensgebiet eintragen sollen, doch dieses Register ist – Trommelwirbel! – freiwillig. Zum Zeitpunkt dieser Recherche – am 12. Dezember 2015 – waren 6.018 Personen registriert. Ja, unter Transparenz versteht der eine das, der andere das …

In einem Bericht des Spiegel, der am 12. Juni 2012 veröffentlicht wurde, sagte Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, sie werde täglich „mit E-Mails bombardiert“, es regne Einladungen zu Hintergrundfrühstücken, -mittagessen und -abendessen. Sie kritisiert, dass sich dabei häufig die Grenzen verwischen: „Da lädt ein Abgeordneter als Gastgeber ein, aber tatsächlich wird die Veranstaltung gestaltet von Lobbyvertretern, die ihre Interessen darlegen.“ PR-Experten wie Jup van ’t Veld von der Agentur Schuttelaar & Partners, so der Spiegel, haben aber auch andere Wege gefunden, um ihre Interessen durchzusetzen: Sie „kooperieren“ mit den Beamten, die Gesetze verfassen. Die Beamten bekämen sehr gerne Vorschläge, wie man ein Gesetz verbessern könne, sagt der Berater, und manchmal würden diese auch in den endgültigen Gesetzestext übernommen.

Einmal rügen – zack?

Erinnern Sie sich daran, dass sich das EU-Parlament für eine verbesserte Herkunftsbezeichnung ausgesprochen hatte? Erinnern Sie sich auch an das Ergebnis? Diese wichtige Initiative ist an der hartnäckigen Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie gescheitert. Deshalb wissen Sie auch heute noch nicht, woher zum Beispiel die Orangen oder Äpfel in Ihrem Saft kommen. Der Spitzenverband der Lebensmittelindustrie (Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde) „rügte“ das Vorhaben als „zu weitgehend“. Die Politiker knickten schließlich ein.

Ärgern Sie sich auch darüber, dass die Schriftgröße für Informationen auf Verpackungen viel zu klein ist? Ich kann sie selbst mit meiner Lesebrille kaum noch entziffern! Die EU-Kommission hatte endlich den Vorschlag gemacht, die Schriftgröße zu erhöhen, und zwar auf 3 Millimeter. Das wäre für mich eine riesige Erleichterung gewesen! Doch die Lobby war stärker: Seit 13. Dezember 2014 gilt die neue EU-Lebensmittelinformationsverordnung, nach der die Mindestschriftgröße klägliche, schändliche 1,2 Millimeter beträgt. Die Begründung der Lebensmittelindustrie: Eine größere Schrift würde ihren „Markenauftritt“ gefährden. Deutlicher kann man nicht sagen, wie viel man von uns hält. Lesen Sie selbst, was der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) im Namen der Verbände dazu schrieb: „Auch die Forderung der EU-Kommission nach einer Mindestschriftgröße von 3 mm für die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist nicht zielführend. Sie ist keine Gewähr für die bessere Lesbarkeit der Angaben für die Verbraucher. […] Besser ist es, gemeinsam mit den betroffenen Wirtschaftsbeteiligten Leitlinien zu erarbeiten [Hervorhebung durch mich], die eine Orientierung für die Lesbarkeit von Angaben bieten.“ Was dann auch geschehen ist. Nein – eine größere Schrift trägt keinesfalls zu einer besseren Lesbarkeit bei. Ironie aus.

Und was war mit der geplanten Ampelkennzeichnung, die über 70 Prozent der Verbraucher haben wollten? Damit hätten die Menschen auf einen Blick erkennen können, ob ein Produkt zum Beispiel eine große, mittlere oder geringe Menge an Zucker enthält. Um dies zu verhindern, gab die Lebensmittelindustrie in einer jahrelangen Kampagne eine Milliarde (!) Euro aus – mit Erfolg, wie wir wissen. Das klingt nach sehr viel Geld, ist aber nichts im Vergleich zu den Umsatzverlusten und Gewinneinbrüchen, die der Branche mit dieser Ampelkennzeichnung gedroht hätten, denn plötzlich hätten die Verbraucher angebliche Fitness-Produkte sofort als Zuckerbomben entlarven können.

Für die globale Lebensmittelsicherheit ist der „Codex Alimentarius“ zuständig, eine Organisation der UNO. Dessen Beschlüsse sind weltweit bindend. Kein Land kann mehr in Eigenregie andere Vorschriften erlassen. Bei den Zusammenkünften des Codex Alimentarius trifft man natürlich auch jede Menge Lobbyisten aus der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, die ihr Gewicht in die Waagschale werfen. Das gelingt ihnen ausnehmend gut. Ein Vorstoß der skandinavischen Länder, Schutzbestimmungen für Allergiker zu erlassen, wurde ebenso abgeschmettert wie das Vorhaben, eine Zusatzstoffdatenbank für Lebensmittelallergiker einzurichten. So gilt also weiterhin „freie Bahn“ für schlechte Nahrungsmittel, die nur einigen wenigen guttun: nämlich den Bilanzen der Konzerne.

Vergiftung mit Beihilfe der Behörden

Endokrine Disruptoren – Substanzen mit hormonähnlicher Wirkung – stecken überall. Im Plastik, in Kosmetika, in Pestiziden – und damit auch in Lebensmitteln und im Wasser. Das Europaparlament entschied deshalb im Jahr 2009, dass diese Chemikalien reguliert werden müssen. Die EU-Kommission hatte bis 13. Dezember 2013 Zeit, Rechtsakte auszusprechen. Dann nahm das Unglück seinen Lauf:

Die Generaldirektion Umwelt (DGE NV) wird mit der Federführung dieses Vorhabens beauftragt und will sich zunächst einen Überblick über die aktuelle Forschungslage verschaffen. Dazu lädt sie die führenden Forscher auf diesem Gebiet ein, unter anderem den Deutschen Andreas Kortenkamp, Professor an der Brunel University in London. Unter der Leitung von Kortenkamp entsteht ein umfangreiches Papier – das „State of the art assessment of endocrine disruptors“. Dieses mehrere hundert Seiten umfassende Papier ist eine aktuelle Bestandsaufnahme der Forschung zu endokrinen Disruptoren, mit Analysen der jüngsten Literatur sowie Studien und Belegen zu den Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass jeder Versuch, endokrine Disruptoren regulieren zu wollen, ein großes Problem lösen müsste: Es existiert kein universelles und einsatzbereites Instrumentarium, um solche Substanzen nachzuweisen. Das liegt daran, dass das Hormonsystem enorm komplex ist und endokrine Disruptoren es auf vielfältige – und meist unbekannte – Weise angreifen können. Der Bericht deckt eine große Kluft auf zwischen den wachsenden Erkenntnissen über endokrine Substanzen und der Art und Weise, wie die EU diese Chemikalien reguliert. Kortenkamp empfiehlt eine strenge Regulierung, denn er weiß genau, dass es auch dann zu Gesundheitsrisiken kommen kann, wenn mehrere Chemikalien in derart niedrigen Dosen vorhanden sind, dass die einzelne Substanz für sich genommen keinerlei Auswirkungen hätte. Er schlägt vor, zuverlässige Tests zu entwickeln, um festzustellen, welche Chemikalien auf das Hormonsystem wirken. In einem zweiten Schritt sollten klare Kriterien für eine Zulassung oder ein Verbot festgelegt werden. Nur so könne die Bevölkerung vor den immensen Gefahren dieser Substanzen besser geschützt werden.

Die DGE NV setzt daraufhin eine Arbeitsgruppe ein, die Vorschläge für eine Regulierung erarbeiten soll. Dieser Arbeitsgruppe gehören über 40 Experten aus Mitgliedsländern, nationalen Regulierungsbehörden, Forschungszentren sowie Vertreter anderer Generaldirektionen, der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und weiterer EU-Behörden an. Fünf „Beobachtersitze“ werden an Industrie und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vergeben. Darüber hinaus setzt die DGE NV eine Expertengruppe ein, die bei der Entwicklung der Kriterien technologische Beratung leisten sollte. Zwischen beiden Arbeitsgruppen kristallisiert sich bald ein Konsens heraus, bei dem die Definition der WHO zu endokrinen Disruptoren übernommen wurde: eine Substanz, die das Hormonsystem verändert und deshalb in einem intakten Organismus Gesundheitsschäden verursacht. Aufgrund dieser Definition wenden sich die beiden Gruppen der Frage zu, welche Kriterien verwendet werden sollen, um endokrine Substanzen zu identifizieren. Der Bericht von Kortenkamp empfiehlt, verschiedene Kriterien zu verwenden, die sich gegenseitig ergänzen. Keines dieser Kriterien, so Kortenkamps Bericht, dürfe dazu verwendet werden, um nur die schlimmsten Substanzen zu regulieren.

Die Auseinandersetzung mit dieser Frage entwickelt sich zu einem Schlachtfeld, denn die „Betroffenen“ setzen nun alles daran, diesen Prozess zu beeinflussen. Die „Betroffenen“ sind Unternehmen aus der Chemiebranche, allen voran Pestizidhersteller wie BASF oder Bayer. Doch auch die Pharmabranche wirft ihr Gewicht in die Waagschale, ebenso die Kunststoffhersteller und die Landwirtschaft. Die Industrie wehrt sich dagegen, dass Substanzen, die sich als endokrine Disruptoren erwiesen haben, prinzipiell verboten werden. Bisher war es nämlich möglich, solche Substanzen zu erlauben, wenn sie bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten. Die Industrie will nur die schlimmsten Wirkstoffe erfassen und die anderen Pestizide unreguliert lassen.

Im Mai 2011 veröffentlichen Großbritannien und Deutschland plötzlich ein gemeinsames Positionspapier zu den Bewertungskriterien. Darin bringen sie unumwunden ihre „Bedenken“ zu den wirtschaftlichen Auswirkungen zum Ausdruck und verteidigen gar den Vorschlag der Unternehmen, nur die schlimmsten Wirkstoffe zu reglementieren. Kortenkamp kritisiert, dies würde dazu führen, dass ein Großteil der endokrinen Substanzen überhaupt nicht reguliert werden würde. Ein solches Vorgehen wäre völlig willkürlich und wissenschaftlich nicht vertretbar. Doch für Großbritannien und Deutschland ist das offenbar kein Problem.

Hinter den Kulissen hat die Lobbyarbeit längst begonnen. Das Ziel: Kortenkamp soll diskreditiert werden. So erscheint beispielsweise im Mai 2012 ein Artikel in Critical Reviews in Toxicology, in der Kortenkamps Bericht als unkritisch und unausgewogenen beanstandet wird. Einer der Autoren: Lorenz R. Rhomberg. Rhomberg ist allerdings nicht nur Wissenschaftler, sondern vertritt auch das Can Manufacturers Institute (CMI), den US-amerikanischen Wirtschaftsverband der Hersteller von Metall- und Kunststoff-Verpackungen. Rhomberg war schon zuvor mit Aussagen wie „BPA2 in Lebensmittelverpackungen ist nicht giftig“ aufgefallen. Im Oktober 2012 erscheint ein Artikel in einem Branchenfachblatt, der von ECOTEC (European Centre for Ecotoxicology and Toxicology of Chemicals) gesponsert wurde, einer Branchenorganisation, zu der auch BASF, Bayer, Dow und Syngenta gehören. Eine weitere Attacke kommt ausgerechnet von der britischen Regierung. Im Juli 2012 veröffentlicht das Ministerium für Umwelt, Ernährung und Angelegenheiten des ländlichen Raums (DEFRA) ein nicht unterzeichnetes dreiseitiges Papier, in dem die von Kortenkamp vorgeschlagene Methodik kritisiert wird.

Noch bis Mitte 2012 will die DGE NV die Wünsche der Industrie eigentlich nicht berücksichtigen. Doch der Druck wird stärker. Nachdem die britische und die deutsche Regierung, die Industrie und selbst Mitglieder aus der Kommission bereits ordentlich Druck ausgeübt haben, kommt nun auch noch die EFSA ins Spiel. Und zwar auf eine hinterhältige Weise.

Die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher (DG Sanco) beauftragt die EFSA, eine wissenschaftliche Stellungnahme zu erarbeiten. Dazu gründet die EFSA eine Arbeitsgruppe. Die Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe lässt schlimmste Befürchtungen zu: Acht der 18 Mitglieder haben Verbindungen zur Industrie, drei haben bereits zugunsten der Industrie Stellung bezogen. Und nur vier der Mitglieder haben jemals wissenschaftlich auf diesem Gebiet gearbeitet. Das Resultat: Die Arbeitsgruppe der EFSA ist der Ansicht, dass endokrine Substanzen wie die meisten anderen Chemikalien behandelt werden können. Und das, obwohl die WHO und das Umweltschutzprogramm der UN noch kurz zuvor festgestellt hatten, dass endokrine Substanzen „eine globale Bedrohung“ darstellten und reguliert werden müssten.

Jetzt nimmt die Industrie Anlauf für den Todesstoß und warnt vor den wirtschaftlichen Folgen einer für sie ungünstigen Entscheidung: Drei bis vier Milliarden Euro ständen allein bei Pflanzenschutzprodukten auf dem Spiel. Ernteverluste von bis zu 20 Prozent bei Weizen, Kartoffeln und Raps seien zu erwarten. Möglicherweise würde sogar die Hälfte der Ernte vernichtet werden, wenn viele Pestizide verboten würden. Es werden immer mehr E-Mails und Briefe an die Kommission verschickt, auch persönliche Gespräche werden häufiger. Bayer CropScience wendet sich direkt an die Nummer zwei im Generalsekretariat der EU-Kommission, die Deutsche Marianne Klingbeil. Das Unternehmen warnt eindringlich vor einer „signifikanten Beschädigung der Wettbewerbsfähigkeit“ und fordert ein sogenanntes Impact Assessment, also eine Folgenabschätzung. Die Forderung nach einem Impact Assessment in derartigen Situationen ist nicht neu und hat Strategie: Es geht darum, den Prozess zu verschleppen, die Beteiligten mürbe zu machen, denn ein Impact Assessment dauert sehr lange.

Und die Industrie hat noch ein Ass im Ärmel: Das geplante EU-Freihandelsabkommen TTIP. Die geplante Einstufung von endokrinen Disruptoren würden die Gespräche gefährden, warnen europäische und amerikanische Unternehmensverbände, Landwirte und auch die US-Handelskammer. Schließlich wird der Druck zu groß, und die EU-Kommission knickt ein. Die beiden konkurrierenden Sekretariate für Umwelt sowie für Gesundheit und Verbraucher werden angewiesen, eine Folgenabschätzung zu erarbeiten. Auf Anfrage teilt die Kommission mit, diese werde im zweiten Halbjahr 2016 fertig sein. Einen Zusammenhang mit den TTIP-Verhandlungen weist die Kommission allerdings zurück. Natürlich.

Zwischenzeitlich hatte Schweden – mit Unterstützung fast aller Mitgliedsstaaten – die EU-Kommission wegen der verschleppten Regulierung verklagt. Das war im Juli 2014. Am 16. Dezember 2015 verkündete das EU-Gericht sein Urteil: Der Klage der Schweden wurde recht gegeben. Die EU-Kommission wurde kritisiert, ihrer Verpflichtung, Kriterien zu hormonell wirksamen Chemikalien zu erstellen, nicht nachgekommen zu sein. Die Sache ist deshalb aber noch lange nicht ausgestanden.

Das Aus für Lobbyradar

Anfang Dezember 2015 wurde bekannt, dass das ZDF ein Prestigeobjekt für mehr Transparenz beerdigen wird – ganze sechs Monate nach der Einführung. Auf der Seite www.lobbyradar.de kann man die Netzwerke der Macht einsehen: Verbindungen zwischen Politikern, Journalisten sowie Vereinen, Verbänden, Unternehmen und Lobbyagenturen. Angeblich gab es politischen Druck, das Angebot nicht mehr unter dem Logo des ZDF weiterzuführen, behaupten Mitarbeiter. Die Macher wollen das Projekt nun auf europäischer Ebene weiterführen. Dafür suchen sie einen neuen Partner. Wir drücken die Daumen.

Information oder Beeinflussung?

Fragt man Unternehmen, ob sie versuchen, Behörden oder Wissenschaftler zu beeinflussen, wird dies – wie soll es auch anders sein – vehement bestritten. Wir haben beispielsweise Nestlé gefragt, ob das Unternehmen die Zusammenarbeit mit Behörden und Wissenschaftlern als „Beeinflussung“ bezeichnen würde. Es begann ein zermürbendes Spielchen: Nestlé schrieb zurück, man müsse zunächst einmal intern weitere Informationen einholen, bevor man uns antworten könne. Dann herrschte Stille. Wir baten mehrmals um Beantwortung unserer Frage. Stille. Wir kontaktierten Nestlé erneut, erhielten wieder eine Eingangsbestätigung, dieses Mal von einer anderen Abteilung. Danach: Stille. Wir fragten erneut nach, wurden als Antwort nach unserem Wohnort gefragt. Wir antworteten, dass der Wohnort nichts mit der Beantwortung der Frage zu tun habe und baten um Antwort. Stille. Wir schrieben die Pressestelle der Zentrale in der Schweiz an. Dasselbe Spiel: eine Eingangsbestätigung, dann Stille. Schließlich, nach erneuten Nachfragen und insgesamt knapp drei Wochen, endlich die Antwort:

„Wie Sie es richtig beschreiben, haben Lebensmittelhersteller wie Nestlé Kontakte mit Behörden und pflegen einen engen Austausch. Nestlé versucht dabei selbstverständlich seine Interessen gegenüber den Behörden und der Politik kundzutun und das in den Bereichen, welche Nestlé direkt betreffen. Dies kann beispielsweise im Rahmen neuer Gesetzesvorlagen oder Verordnungen (wie zum Beispiel beim Lebensmittelgesetz, beim Markenschutzgesetz oder beim Wettbewerb) sein. Nestlé wird dabei teilweise auch direkt konsultiert (so beim Vernehmlassungsverfahren) und können auch auf diesem Weg unsere Betroffenheit und Interessen zum Ausdruck bringen. Das machen übrigens nicht nur Unternehmen, sondern auch Verbände (wie Konsumentenverbände) und andere Organisationen der Zivilgesellschaft, die auch wiederum ihre Interessen und Anliegen haben. Das ist normal und gut so, wenn diverse Akteure ihre Interessen verteidigen und dementsprechend auch Einfluss nehmen.“

Kein Wunder, dass sich Nestlé mit einer Antwort schwer tat: Uns liegt ein internes Dokument aus dem Jahr 2009 vor. Erstellt wurde dieses Dokument von der „Influencing Strategy Group“ von Nestlé Research. Darin heißt es unter anderem:

„Ensure interaction in association is guided by business interests […] Influence agenda of the association“ (Sinngemäß: „Sicherstellen, dass der Dialog in diesen Organisationen von unseren Geschäftsinteressen bestimmt wird […] Beeinflussung des Programms der Organisation“).

Im Dokument heißt es weiterhin:

„A structured process to support effective influencing […] It does however not substitute for negotiation and political skills“ (Sinngemäß: „Ein strukturierter Prozess, um eine wirksame Einflussnahme zu ermöglichen […] Dies ersetzt jedoch nicht Verhandlungen und politisches Geschick.“

So so – Verhandlungen und politisches Geschick reichen also nicht aus …

Ich gebe Ihnen zwei Beispiele aus diesem Dokument:

Zum einen sollte die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln verhindert werden, indem die Nestlé-Kontaktpersonen bei den Regulierungsbehörden allen Delegierten aller Länder die Position von Nestlé klarmachten.

Ein andermal sollte das ISIRI (Institute of Standards & Industrial Research of Iran) derart beeinflusst werden, dass die iranischen Standards nach der Überarbeitung nicht denen der EU entsprechen, die natürlich viel strikter sind als die iranischen Standards.

Ja, Nestlé legt wirklich großen Wert auf die Gesundheit und Wünsche der Verbraucher.

Unabhängiger Journalismus

Existiert. Aber nur am Rande. Er ist inzwischen kaum noch wahrnehmbar, denn er wurde überrollt von Medienberichten, die hauptsächlich von drei Faktoren gesteuert werden: von den riesigen Werbebudgets der Anzeigenkunden. Vom Druck, „Schlagzeilen“ produzieren zu müssen. Und von der Angst vor Abmahnungen. Ein Großteil der „unabhängigen Presse“ ist eine Horde von Befehlsempfängern geworden, die all jenen nach dem Mund reden (oder Dinge verschweigen), von denen sie profitieren oder vor denen sie Angst haben. Ich weiß nicht, wie diese Menschen noch in den Spiegel sehen können, ohne dass ihnen schlecht wird.

Dafür gibt es unendlich viele ganz konkrete Beispiele. Ich liefere Ihnen eines aus meiner eigenen Erfahrung. Vor einiger Zeit wandte sich ein großer Zeitschriftenverlag an mich und schlug mir eine Kooperation zu einem Artikel vor, der in mein Fachgebiet fällt. Ich sagte zu und beantwortete die Interviewfragen. Dann begann der Redakteur mit dem „Weichspülprogramm“. Entschuldigte sich, dass es nicht anders ginge. Der Artikel ging gefühlte tausend Mal in die Rechtsabteilung, wurde dort immer weicher gespült, sodass am Ende nichts, aber auch gar nichts mehr davon übrigblieb, was ich eigentlich sagen wollte. „Ja“, sagte der Redakteur schließlich, „man darf in Deutschland nicht alles kritisieren.“

Lesen Sie dazu bitte auch das Dokument „Der lange Arm der Industrie – Einflussnahme auf Forschung und Behörden in Deutschland im Bereich Gentechnik und Lebensmittelsicherheit“ im Anhang des Buches.

2 Bisphenol A – ein sog. Weichmacher und eine bekannte endokrine Substanz.

Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia

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