Читать книгу An den Feuern von Hastur - Marion Zimmer Bradley - Страница 5
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ОглавлениеYsaye? Bist du da oben?« Elizabeth Mackintosh steckte den Kopf vorsichtig in den Schacht, der den Computerkern enthielt. Sie war eine kleine, zierliche Frau, nicht eigentlich hübsch, aber von einer sanften und doch intensiven Lebendigkeit, die das Wort »hübsch« bedeutungslos machte. Sie hatte dichtes dunkles Haar und blaue Augen, lieblich und klar, und eine Stimme, die in dem widerhallenden Schacht klang, als würde sie singen. Für Computer hatte sie nicht viel übrig, und der enge Schacht mit all seinen aktivierten Komponenten vermittelte ihr ein beklemmendes Gefühl von Klaustrophobie. Sie hatte einmal zu Ysaye gesagt, in dem warmen, von winzigen roten Lichtern getupften Dunkel komme sie sich vor, als sei sie von einer Sphäre rotäugiger Dämonen umgeben. Ysaye hatte gelacht und an einen Scherz geglaubt, aber es war wahr.
»Ich bin in einer Minute fertig«, rief Ysaye Barnett hinunter. »Lass mich nur noch diese letzte Schalttafel anschließen.« Sie ersetzte die Schalttafel, an der sie gearbeitet hatte, und drückte die Fingerspitzen leicht gegen das Paneel, damit sich ihr hoch gewachsener Körper die Röhre hinunterbewegte. In der geringen Schwerkraft des Kerns war dazu kein starker Schub notwendig. Je näher sie dem Ende des Schachtes kam, desto höher wurden die ge-Zahl und ihre Geschwindigkeit. Mit vorsichtig gebeugten Knien landete sie unten neben Elizabeth. Die Schwerkraft im Computerraum betrug wie üblich 0,8 Standard, und Elizabeth klammerte sich, ebenfalls wie üblich, verzweifelt an das Geländer, das mitten durch den Raum lief. Veränderungen der Schwerkraft machten Elizabeth nervös. Sie lebte für den Tag, an dem das Schiff zu einem Planeten gelangte, auf dem sie bleiben konnte. Manchmal fragte sie sich, warum sie überhaupt in den Raum gegangen war. Aber dann hielt sie sich vor Augen, wie es auf der übervölkerten, lärmigen, techniksüchtigen Erde aussah, und sie wusste genau, dass sie niemals zurückkehren würde. Nur die sehr Reichen konnten sich auf Terra Platz und Privatleben leisten. Vom kläglichen Gehalt einer Kultur-Anthropologin hätte sie sich dort, Lichtjahre hinter ihnen, nicht einmal die Abgeschlossenheit einer winzigen Zelle der Art, die sie an Bord bewohnte, leisten können.
Ysaye dagegen war für das Leben in einem Raumschiff wie geschaffen. Sich verändernde Schwerkraftzonen waren für sie ein Spiel, so etwas wie die Version für Erwachsene vom Kästchenhüpfen. Ihr schwarzes, drahtiges Haar war in viele winzige Zöpfchen geflochten, damit es ihr nicht ins Gesicht in die Ausrüstung, mit der sie arbeitete, oder in die Ventilationsleitungen geriet. Sie hielt ihre Unterkunft so ordentlich, dass nicht einmal bei negativen ge’s etwas von seinem Platz fiel. Sie kannte die Zeitpläne, Abläufe und Notfallübungen des Schiffes vorwärts und rückwärts. Wenn man den Fähnrichen Glauben schenken konnte, war jedes Stück Information im Computer in Ysayes Kopf dupliziert und konnte ebenso schnell hier wie dort abgerufen werden.
Ein Fähnrich, der in der dritten Schicht arbeitete, behauptete sogar, der Computer wache nachts auf und rufe nach ihr. Ysaye hatte ihm mit einem Zwinkern in ihren glänzenden braunen Augen geraten, er solle mit seiner Neigung, Maschinen zu vermenschlichen, vorsichtig sein. Zwar redete sie selbst mit dem Computer, aber sie achtete darauf, es nur dann zu tun, wenn niemand sie hören konnte. Schließlich hatte sie ihren Ruf als Wissenschaftlerin zu wahren.
»Damit dürfte die kleine Macke beseitigt sein«, stellte Ysaye glücklich fest. Nichts freute sie mehr, als die Antwort auf ein Rätsel zu finden, und dieses hatte die Techniker tagelang gequält, ein in Abständen immer wieder auftretender Signalverlust von der Robotsonde, die dem Schiff in etwa einem Tag Abstand vorausflog. »Ich habe doch gleich gesagt, es müsse an unserer Hardware liegen, nicht an der Sonde. Und ich werde irgendwem die Haut dafür abziehen, dass er die vorgeschriebenen Tests, mit denen er den Fehler gefunden hätte, nicht durchgeführt hat.«
»Gibt es etwas Neues über unseren neuen Planeten?« David Lorne, Elizabeths Verlobter, betrat den Computerraum und ging vorsichtig an dem Geländer entlang auf die Frauen zu. Elizabeth streckte unwillkürlich die Hand aus, und ebenso unwillkürlich ergriff er sie. Wie eine phototropische Reaktion, dachte Ysaye. David war Elizabeths Sonne, und manchmal konnte man meinen, ohne ihn werde sie schnell welken und verblassen.
»Kein Name«, antwortete Ysaye, klickte den Bibliotheks-Modus an und tippte Befehle in die Konsole. »Auch der Stern ist nur im ungekürzten Verzeichnis zu finden. Cottmans Stern. Sechs Planeten, heißt es in der Aufzeichnung, aber ...« Sie holte ein Diagramm auf den Konsolenschirm. »... die letzten Daten unserer Scanner machen sieben daraus. Drei kleine Felsbrocken, vier große kugelige Schwämme. Der Vierte von der Sonne aus ist bewohnbar oder steht zumindest am Rand der Bewohnbarkeit. Er hat wenig schwere Metalle, aber er wäre nicht der erste besiedelte Planet, der knapp an Metallen ist. Etwas besitzt er in Massen, nämlich Sauerstoff.«
»Ist das der Planet mit den vier Monden? Das klingt so exotisch – als gebe es dort eine Menge Stoff für Balladen«, sagte Elizabeth.
»Nun, für dich klingt alles wie ein Stoff für eine Ballade«, meinte Ysaye liebevoll.
»Warum auch nicht?«, gab Elizabeth vollkommen ernst zurück. Ysaye schüttelte den Kopf. Elizabeth hatte die Gewohnheit, alles mit der einen oder anderen Ballade in Verbindung zu bringen. Natürlich war Volksmusik ihr Hobby und Anthropologie ihr Spezialgebiet, und natürlich ist sehr viel primitive Geschichte in Liedern und Balladen enthalten, aber trotzdem ... Es gab eine Grenze, wenigstens soweit es Ysaye betraf. Einmal hatte Elizabeth versucht, Ysayes Neigung, für mehrere Tage zu verschwinden, wenn sie einem Computerfehler nachspürte, mit der Entführung Toms des Reimers durch die Elfenkönigin zu vergleichen ... Ysaye hatte Wochen gebraucht, um all den Unsinn über im Kern lebende Elfen und Feen auszumerzen.
»Irgendwelche Bewohner?«, fragte David. »Oder, besser gesagt, irgendwelche Zeichen von intelligenten Lebewesen?« Sowohl für David als auch für Elizabeth war das die große Frage. Ysaye machte sich weniger daraus, denn sie gehörte zur Schiffsbesatzung. Aber David und Elizabeth wollten heiraten und eine Familie gründen, und an Bord konnten sie das nicht. Kinder durften nicht einmal auf einem Schiff reisen, falls sie mit etwas, das einem menschlichen Skelett ähnelte, groß werden sollten. Kindliche Körper sind viel zarter und zerbrechlicher, als Planetenbewohner es sich vorstellen können. Das Paar hatte noch Zeit. Beide waren ebenso wie Ysaye gleich nach Abschluss der Universität in den Raumdienst eingetreten und erst Ende Zwanzig. Theoretisch würde früher oder später ein Planet auftauchen, der entweder für die Kolonisierung oder einen Imperiumskontakt geeignet war. Dann konnten die Kontakt- und Erkundungsteams sich dort niederlassen und zwanzig Jahre oder länger bleiben. Aber nach drei Jahren mit nichts als Felsbrocken bekam es zumindest Elizabeth mit der Angst zu tun.
»Ihr seid beide Telepathen«, zog Ysaye sie auf, »sagt ihr es mir.« So hatten sie sich überhaupt kennen gelernt, als Versuchspersonen im parapsychologischen Labor der Universität. Unglücklicherweise waren die Instrumente nicht darauf eingestellt gewesen, Liebe auf den ersten Blick zu registrieren, sonst hätten sie vielleicht ein paar hochinteressante Daten bekommen. Ysaye hatte an diesem Tag als Technikerin Dienst getan und pflichtgemäß alles andere aufgezeichnet, was die Maschinen maßen. Sie hatte nie jemandem von den anderen Effekten erzählt, die sie gesehen zu haben glaubte. Schließlich war es zweifellos eine höchst subjektive Erfahrung, eine Aura zu erblicken.
Elizabeth machte überhaupt kein Geheimnis aus ihrer »Gabe« – auch wenn sie immer meinte, sich ein bisschen deswegen verteidigen zu müssen. David tat es mit einem Achselzucken ab. Wenn die Leute ihm nicht glaubten, war das ihr Problem, nicht seins. Wenn man Ysaye sehr drängte, gab sie zu, so etwas wie Intuition oder eine gelegentliche Vorahnung zu haben. Ansonsten zog sie es vor, nicht darüber zu sprechen. Sie benutzte die »unsichtbaren Dinge« und das Wissen, das ihr aus einer unbekannten Quelle zufloss, aber sie ging nicht damit hausieren.
Immer war sie so etwas wie eine Einzelgängerin gewesen, und ihr »Talent« trieb sie noch weiter in diese Richtung. Als Kind hatte sie gelernt, ihr »Wissen« in Form von Fragen an die Menschen ihrer Umgebung weiterzugeben. In ihrer Familie ließ man es Kindern nicht durchgehen, dass sie Erwachsene korrigierten, wahrscheinlich weil man davon ausging, ein Kind wisse weniger als ein Erwachsener. Doch es kam Ysaye hart an zu verbergen, was sie wusste, und so hatte sie stattdessen die Einsamkeit als ein besseres »Versteck« gewählt.
Auch ihre Intelligenz hatte sie sorgfältig hinter einer Maske kindlicher Unschuld verborgen und jeden möglichen Augenblick mit ihrem Computer verbracht. Das war für sie nicht so schwierig gewesen wie für irgendein anderes Kind. Ihre Eltern hatten sie für die Computer-Unterweisung angemeldet – »Heimschulung« wurde es genannt – statt sie in eine öffentliche Schule zu schicken. Die Werte, die in den Schulen der Erde gelehrt wurden, widersprachen ihrer religiösen Auffassung. Es mangelte den Schulen traurigerweise an Ethik und Moral, und man unterschied nicht zwischen Recht und Unrecht, ein Thema, das Ysayes Mutter besonders am Herzen lag. Im Geist hörte Ysaye immer noch, wie ihre Mutter sich entrüstete, wenn jemand in ihrer Anwesenheit eine laxe Moral oder eine verschwommene Logik verriet.
»Eine so starke Telepathin bin ich nicht«, erwiderte Elizabeth ganz ernsthaft, obwohl Ysaye doch nur gescherzt hatte. »Außerdem möchte ich, dass es dort Menschen gibt, und bin voreingenommen. Du hast keine emotionale Einstellung, Ysaye. Was meinst du? Gibt es dort Menschen?«
Weder ihre Eltern noch die Computer, mit denen Ysaye arbeitete, hatten jemals »Ich weiß es nicht« als Antwort akzeptiert. Wenn man etwas nicht gleich wusste, besorgte man sich weitere Daten. Beinahe in einem Reflex wandte Ysaye ihre Gedanken dem Planeten zu und erhielt eine Antwort, ganz ohne bewussten Einsatz ihres Willens oder Worte.
Der Planet war bewohnt, das wusste sie plötzlich. Aber sie konnte nicht erklären, wieso sie es wusste, und es auch nicht beweisen. Deshalb wich sie aus: »Wir werden es bald genug herausfinden. Euretwegen hoffe ich, der Planet ist bewohnt – obwohl ihr mir fehlen werdet, wenn ihr das Schiff verlasst. Stein und Fels haben wir jetzt oft genug gesehen. Die Leute bekommen allmählich den Isolationskoller.«
Kleine Verhaltensstörungen drohten in den letzten paar Monaten, sich zu richtigen Neurosen auszuwachsen. Ysaye war wenig davon betroffen gewesen, da sie den Großteil ihrer Zeit mit ihren geliebten Computern verbrachte. Aber gemerkt hatte sie es wohl. Jeder suchte einen Weg, wie er den anderen Mitgliedern der beiden Crews entfliehen konnte. Sogar langjährige Freunde – oder Liebende – fingen an, sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen. »Auf jeden Fall bedeutet es wahrscheinlich ein paar Monate unten«, bemerkte David fröhlich, »selbst wenn der Planet sich als nicht bewohnt erweist. Es mag für uns nicht viel Arbeit auf unseren Spezialgebieten geben, Elizabeth, wohl aber in unseren Nebenfächern.« David Lorne war Linguist und Xenokartograf, Elizabeth Anthropologin und Meteorologin. Jeder an Bord hatte zwei oder drei Berufe – ausgenommen Ysaye und der Computer, die ein bisschen von beinahe allem taten.
»Darauf freue ich mich«, sagte Elizabeth. »Ich freue mich auf etwas Platz. Auf einen Ort, wo ich nicht dauernd gegen irgendwen anrenne. All dieses Reisen bringt uns nirgendwohin.«
»Das klingt irgendwie komisch«, neckte David sie, »vor allem, wenn man die Lichtjahre bedenkt, die wir auf diesem Schiff zurückgelegt haben.«
»Ich meine das nicht wörtlich.« Elizabeth schnitt ihm eine Grimasse. »Das weißt du doch. Bildlich gesprochen, stehen wir still, ganz gleich, wie viele Lichtjahre wir hinter uns bringen. Ich finde, soweit es uns angeht, könnten wir in den letzten drei Jahren ebenso gut auf ein einziges Gebäude in Dallas oder San Francisco beschränkt gewesen sein. Ich habe es satt, Lehrbücher und Computersimulationen zu studieren. Ich möchte mich wieder einmal mit etwas Wirklichem befassen.«
»Nun, ich hätte auch nichts dagegen, wieder beschäftigt zu sein«, gestand David mit schiefem Grinsen. »Dieses ewige Reisen durch den Raum wird allmählich langweilig. Ich hätte ebenso gut Frachtaufseher werden können. Es wird gut tun, wieder an die Arbeit zu gehen.«
An David Lorne war nichts Ungewöhnliches bis auf seine erstaunlich klaren Augen und seine Art, jedem, mit dem er sprach, gerade ins Gesicht zu sehen. Er war ein sehr ernsthafter junger Mann, dem die Haare bereits ausgingen und der älter wirkte, als er es mit seinen siebenundzwanzig Jahren war. Dabei hatte er jedoch einen subtilen und einzigartigen Sinn für Humor, den er stärker mit Elizabeth als mit sonst jemandem teilte.
»Was möchtest du wirklich da unten finden, David?«, fragte sie und war plötzlich ganz sachlich.
»Einen Planeten, der zu meinem Lebenswerk werden soll, interessante Materie, in die ich die Zähne schlagen kann«, antwortete er. »Einen Ort, den du und ich uns zu Eigen machen können. Ist es nicht das, was wir beide wollen? Eine Möglichkeit, ein Heim zu gründen und ein paar Kinder zu haben, die als Eingeborene dieser Welt aufwachsen werden – als was auch immer sie sich herausstellen mag.«
»Ich wäre froh, auf eine planetare Oberfläche hinunterzukommen, auf irgendeine Oberfläche«, stimmte Elizabeth ihm zu. »Ich bin es so müde, mich überflüssig zu fühlen. Im Raum gibt es für dich und mich kaum mehr zu tun, als Konzerte für die Crew zu geben.« Elizabeth sammelte und studierte nicht nur Balladen, sondern trug sie auch vor. Sie hatte ein umfangreiches Repertoire und spielte und sang sehr gut. Deshalb war sie für improvisierte Darbietungen im Gemeinschaftsraum ebenso begehrt wie für die fest eingeplanten Konzerte.
»Nun, es gibt gewiss genug Leute, die die Konzerte zu schätzen wissen«, sagte Ysaye lachend. »Und wir müssen doch unseren Ruf wahren! Es heißt, wir seien das einzige Schiff der Flotte, wo der Kapitän jemanden zum Chef-Ingenieur gemacht hat, weil dieser gut Oboe spielt.«
Elizabeth lachte. Kapitän Enoch Gibbons war in der ganzen Flotte des Imperiums für seine Exzentrizität bekannt. Natürlich war jeder in seiner Crew, ob er nun zur Schiffsbesatzung oder einem anderen Team gehörte, seiner Fähigkeiten wegen ausgewählt worden, aber Kapitän Gibbons fand immer qualifizierte Leute, die zufällig eine Leidenschaft für Musik hatten. Wegen der Sache mit dem Ingenieur herausgefordert, hatte er argumentiert, gute Sternenschiff-Ingenieure würden von den militärischen Colleges en gros abgegeben, wohingegen gute Oboisten selten seien. Schließlich sei die Oboe im Volksmund »das böse Holzblasinstrument, das niemand gut bläst«. Kapitän Gibbons war auch Opernsänger, und wenn jemand an Bord Italienisch, Deutsch oder Französisch nicht oder nur unzureichend beherrschte, war das seine eigene Schuld. Niemand konnte jedenfalls behaupten, nicht zumindest einem Teil des Vokabulars dieser Sprachen ausgesetzt worden zu sein. Das war eigentlich gar keine schlechte Sache, dachte Ysaye, wenn Monat auf Monat folgte, ohne dass man auf einem Planeten landete. Immer noch besser als ein Schiff voller Amateurathleten, die überschnappten bei dem Versuch, sich fit zu halten – oder eins mit eingefleischten Kampfspielern, bei denen aus dem Wettstreit Streit wurde. Das Personal auf Gibbons’ Schiff konnte die Harmonie, die ihm während einer langen Reise allmählich verloren ging, zumindest in der Musik finden.
»Es ist ja nichts verkehrt daran, Konzerte zu geben«, sagte David. »Du bist eine gute Sängerin und trägst deinen Teil dazu bei, uns alle daran zu hindern, dass wir aus Langeweile an den Nägeln kauen.«
»Gut genug für die Konzerte«, stimmte Elizabeth schüchtern zu. »Aber eine Opernsängerin bin ich nicht.«
»Da mich Opern nicht so sehr interessieren, macht mir das nichts aus«, meinte David lachend. »Und ich bezweifele, dass es in der Crew viele Opernliebhaber gibt, den Kapitän ausgenommen. Doch ich räume ein, dass jemand, der Opern so richtig hasst, nicht lange auf diesem Schiff bleiben wird.«
»Wie dein Freund Lieutenant Evans?«, forschte Elizabeth und rümpfte die Nase. Sie konnte Evans nicht leiden. Sein Benehmen stieß sie ab. David dagegen mochte ihn recht gern. Der Lieutenant hatte etwas an sich, das irgendwie störte. Ysaye hatte die Sache einmal mit den Worten abgetan: »Oh, mach dir wegen Evans keine Gedanken. Er hat eine große Karriere als Verkäufer von gebrauchten Luftwagen vor sich.« Elizabeth brachte es nicht fertig, ihn so gelassen zu betrachten.
»Davon weiß ich nichts«, protestierte David. »Sicher, er macht unfeine Bemerkungen über die Oper, aber das ist nun einmal sein Stil. So spricht er über beinahe alles.« Er schüttelte den Kopf. »Warum in aller Welt reden wir eigentlich über Musik, wenn es in wenigen Tagen einen neuen Planeten zu erkunden gibt?«
»Weil dein neuer Planet nur eine Möglichkeit und noch Tage von uns entfernt ist. Das Konzert für die Crew ist jedoch eine Gewissheit.« Elizabeth seufzte. »Es ist schwer, an etwas anderes als unseren normalen Alltag zu denken, wenn es noch Tage dauern wird, bevor wir auch nur nahe genug herankommen, um ein paar anständige Bilder von dem Planeten zu machen. Ich habe meiner Abteilung versprochen, sie eingehend zu informieren, sobald es etwas zu berichten gibt. Aber wenn es nichts gibt, gehe ich besser. Mein Dienst fängt an.«
»Gut, Liebes.« David küsste sie schnell. »Bis später.«
David und Elizabeth gingen, um ihre verschiedenen Posten aufzusuchen, und Ysaye wandte sich wieder ihrer Konsole zu. Statt jedoch etwas einzugeben, das nur mit »Daten unzureichend« beantwortet werden konnte, saß sie still da und dachte über das Rätsel des bewohnten Planeten nach.
Wer oder was mochten diese Bewohner sein? Vielleicht kannten sie die Raumfahrt noch nicht, was bedeuten würde, dass man aus dem Orbit keine Anzeichen von Zivilisation erkennen konnte, falls der Himmel auf weiten Strecken nicht so klar war, dass die optischen Instrumente hinunterspähen konnten.
Es könnte sogar eine Verlorene Kolonie sein, gegründet von einem der Verlorenen Schiffe aus der Zeit vor der Gründung des Imperiums. Das wäre faszinierend. Allerdings hatte Ysaye noch von keiner Kolonie gehört, die sich so weit draußen befand. Aber warum nicht?, sagte sie zu sich selbst. Nur weil noch nie eine gefunden worden war? Das mochte einfach daran liegen, dass noch nie jemand an der richtigen Stelle nachgesehen hatte.
Eine dieser Verlorenen Kolonien war erst letztes Jahr entdeckt worden, und einige der ganz alten Verlorenen Schiffe mussten erstaunlich weit gekommen sein, Schiffe, die vor zweitausend Jahren gestartet waren, bevor die Terraner lernten, von einer Bodenstation aus einen Kurs zu verfolgen. Später vermisste Schiffe hatte man innerhalb weniger Jahre aufgespürt. Falls sich hier also tatsächlich eine Kolonie befand, würde das Verlorene Schiff bestimmt eins der ganz frühen sein, das, lange bevor es ein Imperium gab, auf sich selbst gestellt gewesen war.
Selbst wenn ihre Ahnung falsch und der Planet unbewohnt war – nicht, dass sie das wirklich glaubte, aber bis sie einen echten Beweis hatte, war es gut, alle Möglichkeiten zu bedenken –, hatte er doch eine günstige Position für einen Transfer-Raumhafen, denn er lag in der Nähe des Punktes, wo sich die Spiralarme der Galaxis vereinigten, plus oder minus rund eine Milliarde Meilen. Falls er also bewohnbar war und sich David und Elizabeth bereit erklärten, ihre Nebenberufe auszuüben, würde es hier für ihr ganzes Leben Arbeit genug geben, sofern die maßgeblichen Stellen den Bau eines solchen Raumhafens anordneten.
Es läutete zum Schichtwechsel. Der Cheftechniker, der die nächste Wache hatte, trat ein und schritt mühelos über das Schwerkraftgefälle auf das Terminal zu. Ysaye trug sich aus, er trug sich ein, und sie verließ den Computerraum.
Auf dem Weg den Korridor hinunter streckte sie die schmerzenden Muskeln und stellte fest, dass ihre Schultern, Arme und Hände verkrampft und steif waren. Offenbar hatte sie mehr Zeit zusammengekrümmt damit verbracht, im Kern peinlich genaue Einstellungen vorzunehmen, als ihr bewusst geworden war. Sie entschloss sich, ein bisschen umherzuwandern, bevor sie ihre Unterkunft aufsuchte.
So kam sie an die Tür mit der Aufschrift »Aussichtsraum« und trat ein. »Möchten Sie einen Blick auf unser neues System werfen?«, fragte ein junger Mann. Er gehörte, wie Ysaye wusste, zum wissenschaftlichen Stab des Schiffes. Deshalb würde er nur auf dem Planeten bleiben, wenn es zum Bau eines Raumhafens kommen sollte. Seine gegenwärtige Aufgabe bestand darin, den Planeten so gut wie möglich zu erkunden, bevor sie darauf landeten – und im Augenblick kam alles, was sie an Informationen erhielten, von der Sonde. »Danke, dass Sie den Fehler gefunden haben, Ysaye. Er hat uns alle verrückt gemacht«, setzte er hinzu. »Oder vielmehr, noch verrückter.«
Ysaye schüttelte den Kopf. »Das war nichts Besonderes«, wehrte sie bescheiden ab. »Wenn ich ihn nicht gefunden hätte, wäre es jemand anders gewesen.«
Der junge Mann sah sie skeptisch an, bemerkte aber nichts dazu. »Sie wissen sicher schon, dass mindestens ein Planet bewohnbar ist«, fuhr er fort, »und zwar der Vierte. Der Fünfte vielleicht auch, aber das ist ziemlich unwahrscheinlich – er ist zum größten Teil gefroren, hat das ganze Jahr Eiskappen, und das Jahr ist fünf Standardjahre lang. Nummer vier ist mit Ach und Krach bewohnbar: Ein ziemlich raues Klima, aber auf Kohlenstoff basierendes Leben wäre hier möglich. Keine größeren ungefrorenen Meere, ein einziger Kontinent. Ich möchte nicht dort leben, und ich bezweifele, dass Sie es wollen. Er ist so kalt wie Dantes Hölle. Doch er liegt eindeutig innerhalb der Grenzwerte.«
»Nicht schlecht, Haldane«, sagte Ysaye und lächelte dann. »Proben Sie Ihren Bericht für den Kapitän?«
»Sie haben es erraten«, erwiderte John Haldane fröhlich. »Oh – habe ich schon erwähnt, dass er vier Monde hat, jeder von einer anderen Farbe?«
Ysaye schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge. »Nein, die Monde hatten Sie vergessen. Sie müssen Ihr Material besser organisieren. Sind vier Monde nicht ein Rekord für einen so kleinen Planeten?«
Er nickte. Seine Aufmerksamkeit war zur Hälfte auf die Konsole gerichtet. »Da mögen Sie Recht haben. Wenn ein Planet mehr als das hat, ist er für gewöhnlich ein dicker Brocken, und die Monde sind planetenähnlich. Wie Jupiter im alten Solarsystem. Ich habe vergessen, auf wie viele Monde man sich in seinem Fall schließlich geeinigt hat. Anscheinend fing er jedes bisschen Treibgut ein, das ihm auch nur halbwegs in die Nähe kam. Aber es waren mindestens elf größere.«
Ysaye blickte auf den Schirm hinab. Der Gegenstand all ihrer Untersuchungen zeigte sich aus dieser Entfernung wenig anziehend. »Vier Monde. Hmm. Wie mag er das wohl angestellt haben?«
Haldane zuckte die Achseln. »Wer weiß? Das ist nicht mein Fachgebiet. Ich glaube, Bettmars Welt hat fünf, aber es gibt eine Grenze: Ein Planet ist nur bewohnbar, wenn die Summe der Masse aller seiner Monde geringer ist als seine eigene. Für gewöhnlich ist sie geringer als ein Fünftel. Auch die Größe der Monde hat ein Limit. Sind sie zu klein, entkommen sie dem Planeten und werden zu Asteroiden.« Haldane wies auf den Schirm. »Der weiße da liegt so ungefähr an der unteren Grenze für die Größe.«
»Elizabeth meinte, eine Welt mit vier Monden müsse allerlei Stoff für Balladen abgeben.«
Haldane justierte die Brennweite, und es war, als springe der weiße Mond sie aus dem Bildschirm an. »Ich könnte mir vorstellen, dass sie der Mythologie der Eingeborenen Seltsames antun, sofern es überhaupt Eingeborene gibt. Bei vier Monden wird die Wahrscheinlichkeit gering sein, dass sie einen Monotheismus entwickeln. Von der Oberfläche des Planeten aus muss das schon ein Anblick sein – alle in unterschiedlichen Farben. Ich habe noch nie so etwas gesehen. Es ist entschieden anomal.«
Ysaye kniff die Augen zusammen und versuchte, weitere Einzelheiten des Planeten selbst zu erkennen, aber er blieb ein in Wolken gehülltes Geheimnis. »Sind es wirklich unterschiedliche Farben, oder ist es nur ein Effekt der Sonne, der sie so aussehen lässt?«
Haldane schüttelte den Kopf. »Ihre Vermutung ist ebenso gut wie meine. Ich habe noch nie so etwas – oh, das habe ich schon gesagt. Eins jedoch weiß ich«, setzte er hinzu. »Ich wette, ganz gleich, wie fortgeschritten die Eingeborenen sind, die Monde spielen eine wesentliche Rolle in der Religion, die sie da unten haben mögen. Das tun Monde immer.«
»Wissen Sie, ob wir auf einem von ihnen landen werden?«, fragte Ysaye.
»Wahrscheinlich werden wir eine Wetterstation auf einem von ihnen errichten«, meinte Haldane. »Das wäre in jedem Fall der erste Schritt. Und wenn die Eingeborenenkultur das Raumfahrtzeitalter noch nicht erreicht hat, ist so ungefähr alles, was wir tun können, das Wetter zu beobachten. Es würde uns nicht erlaubt werden, ihr Tun in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Primitive Völker müssen in Ruhe gelassen werden, damit sie sich auf ihre eigene Weise entwickeln können.«
»Wenn es da unten irgendeine Art von Kultur gibt, würde es sie doch schon beeinflussen, wenn wir nur auf dem Planeten landeten«, wandte Ysaye ein.
»Stimmt«, gab Haldane unbekümmert zu, »aber alles, was wir tun, bevor wir eine offizielle Einschätzung der Leute abgeben, zählt nicht. Mein Gott! Sehen Sie sich das an!« Er brach plötzlich ab und beschäftigte sich eifrig mit seinen Instrumenten. »Nein, ich kann das Bild nicht näher heranholen – die Wolken da unten sind schrecklich.«
»Was ist denn?« Ysaye beugte sich über seine Schulter, um besser zu sehen. »Zeichen von Leben? Ein Richtstrahl, der sagt: ›Hier sind wir, kommt und holt uns?‹« Als er nicht antwortete, setzte sie spöttisch hinzu: »Eine riesige Lichtwerbung von Aliens?«
»Nichts, was so eindeutig wäre«, erwiderte Haldane. »Es wirkt wie die Große Mauer von China – aber die war ein künstlich errichtetes Bauwerk. Ich habe den Verdacht, es handelt sich hier um eine natürliche Formation.«
»Wie was?«, fragte Ysaye. »Welche Art von Formation wäre groß genug, um aus dieser Entfernung gesehen zu werden? Die Sonde ist noch nicht einmal auf eine Umlaufbahn eingeschwenkt!«
»Ein Gletscher«, sagte Haldane. »Etwas, das größer ist als jeder Gletscher in einer der Eiszeiten Terras. Einer, der sich nahezu um die ganze Welt erstreckt. Ein Wall um die Welt.«
Ein Wall um die Welt? Das regte ihre Phantasie an. »Wer könnte ihn gebaut haben?«
»Niemand – es ist ein natürliches Phänomen«, behauptete Haldane überzeugt.
»Eine natürliche Formation?« Ysaye war skeptisch.
»Warum nicht?«, gab er zurück. »Die Große Mauer auf der Erde kann mit geeigneter Vergrößerung vom Mond aus gesehen werden. Es hat sogar einmal eine Diskussion gegeben, ob die Große Mauer von den Chinesen eigens zu diesem Zweck errichtet wurde und die Gesellschaft, die sie gebaut hat, auf einen prätechnischen Stand zurücksank – oder meine ich posttechnisch?«
»Ob Sie nun das eine oder das andere meinen«, warnte Ysaye ihn, »ich würde Ihnen nicht raten, diese spezielle Theorie dem Kapitän vorzutragen. Haben Sie seine Standardansprache über ›die Pseudowissenschaft der Psychokeramik‹ noch nicht gehört?«
»Schon mehrere Male«, gestand Haldane und wand sich. »Nun gut: In Anbetracht des scheußlichen Klimas, das dort unten herrscht, vermute ich, dass dieses Gebilde natürlichen Ursprungs ist, aber ich kann mir dessen nicht sicher sein. Vielleicht wurde es auch von dort lebenden intelligenten Lebewesen erbaut oder ist von einem früheren Besuch intelligenter Lebewesen übrig geblieben. Es könnte durchaus ein Modell des sprichwörtlichen glotzäugigen Monsters für den Schulunterricht sein. Oder sogar ein Kunstwerk.«
»Genug der Theorien.« Ysaye lachte. »Gibt es irgendwelche Spuren von Verkehr auf einem der Monde?«
»Nichts Offensichtliches«, antwortete Haldane. »Jedenfalls nichts, was die Sonde feststellen kann. Wir haben Fußabdrücke und ein Sortiment Müll auf unserem Mond hinterlassen, aber es ist noch zu früh, um hier nach Vergleichbarem Ausschau zu halten. Wenn wir gründlich suchen, finden wir vielleicht eine weggeworfene Bierdose oder dergleichen, und das wäre auch ein Beweis. Ah, sehen Sie! Die Wolken verziehen sich.«
Er stellte an seinen Instrumenten herum, bis der Gletscher genau in der Mitte des Betrachters lag. »Wenigstens kann er als Markierungspunkt für eine Landung dienen, obwohl das Terrain dort ziemlich rau und gebirgig sein muss. Der Sauerstoffgehalt ist höher als normal, so dass der Hyper-Himalaja dort immer noch erstiegen werden könnte, ob Sie es glauben oder nicht. Falls einem so etwas gefällt. Ich persönlich denke, wenn Gott gewollt hätte, dass wir Berge ersteigen, hätte er uns Hufe und Kletterhaken anstelle von Händen und Füßen gegeben.«
»Von wem könnte er erstiegen werden?«, fragte Ysaye zweifelnd. »Glauben Sie, der Planet ist bewohnt?«
Haldane zuckte die Achseln. »Kann man von hier aus nicht sagen. Das kann man von hier aus nicht beurteilen, es sei denn, er wäre stark industrialisiert, und das scheint nicht der Fall zu sein. Sollten wir feststellen, dass er bewohnt ist, werden wir wohl auf einem der Monde eine Wetterstation errichten und nach Hause gehen, ohne die Leute zu stören.«
»Und wenn es eine Verlorene Kolonie ist?« Warum habe ich das gefragt?, wunderte Ysaye sich. Sie hatte den Gedanken schon einmal verworfen, und hier war er wieder, tauchte auf und gab ihr ein vage unbehagliches Gefühl.
»Ich weiß es nicht«, sagte er unsicher. »Es gibt keine festen Vorschriften für den Umgang mit Verlorenen Kolonien. Jedesmal, wenn wir auf eine gestoßen sind, war die Situation unterschiedlich. Sie sind wir – und doch sind sie nicht wir, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Eigentlich nicht«, antwortete Ysaye. »Aber wie stehen die Chancen?«
Haldane schüttelte den Kopf. »Es ist sehr unwahrscheinlich. Aber ich weiß, dass der Verbleib von einigen Schiffen immer noch nicht aufgeklärt ist. Eine komische Vorstellung, dass wir in einem solchen Fall für die Leute nur Legenden wären. Oder vielleicht eine Religion – ich möchte zu gern wissen, was dabei, gemischt mit vier Monden, herauskäme! Wären wir wiederkehrende Götter oder etwas Scheußliches aus der schwärzesten Nacht?«
»Wahrscheinlich Götter. Wenn dies entgegen aller Wahrscheinlichkeit eine Verlorene Kolonie wäre, würde es Elizabeth glücklich machen«, stellte Ysaye fest. »Legenden sind ihr Job, und Religion ist es in gewissem Sinn auch.«
John Haldane lachte. »Ich kann es mir richtig vorstellen. Sie und Elizabeth werden die Göttinnen sein, die eine schwarz, die andere weiß.« Er verbeugte sich vor ihr, legte die Hände auf die Brust. »Oh, große Himmelsgöttin der Nacht, höre die Gebete deines demütigen Dieners! Sie würden niemals mehr aufs Schiff zurückkehren wollen. Sie hätten hunderte von heiratsfähigen jungen Männern, die Ihnen buchstäblich anbetend zu Füßen lägen!«
Ysaye musste ebenfalls lachen. »Sie sind unverbesserlich, Haldane. Ich versichere Ihnen, das einzige Göttliche, für das ich mich interessiere, ist eine leckere Götterspeise.«