Читать книгу An den Feuern von Hastur - Marion Zimmer Bradley - Страница 7
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ОглавлениеEin Ring aus kleinen Kuppeln, einem unordentlichen Nest von Pilzen ähnlich, war auf der Oberfläche des größten der Monde emporgewachsen. Um die Kuppeln trafen sowohl Menschen in Raumanzügen als auch Maschinen Vorkehrungen, dass die Anlage sich bald selbst versorgen konnte.
Im Inneren der größten Kuppel saß Ysaye vor einem Computerterminal und betrachtete auf dem Schirm den Satelliten, der mit seinen bunten Farben wie ein Spielzeug aussah. Eben zündete er die Bremsraketen und glitt elegant in den Orbit.
David sah ihr über die Schulter. »Nun, das ist Nummer eins – der erste Kartografierungs- und Wettersatellit«, bemerkte er glücklich. »Nun können Elizabeth und ich uns im Ernst an die Arbeit machen. Ein hochrangiges Hightech-Produkt, meint Elizabeth.«
»Hochrangig in welcher Beziehung?«, fragte Ysaye. »Die Bordcomputer sind eigentlich nichts Besonderes.«
Sie wollte, dass er weitersprach. Auf dem Schiff war sie sich des Zischens der Luft im Ventilationssystem nie so bewusst gewesen, und ihr war gar nicht wohl zu Mute mit nichts zwischen sich selbst und dem Vakuum als einer dünnen, flexiblen Haut.
David tat ihr den Gefallen. »Das Besondere sind die Beobachtungsinstrumente, die Optiken. Dieser Terra-Mark-XXIV-Satellit hat eine so hohe Auflösung, dass er ein brennendes Streichholz auf der Nachtseite sehen kann. Würde sich eine solche Optik fünfzigtausend Meter über Terra in einem geosynchronen Orbit befinden, könnte man damit das Nummernschild eines Wagens auf dem Parkplatz der Botschaft in Nigeria lesen. Ich denke, unser Satellit hier bringt ebenso viel zu Stande.«
»Vorausgesetzt, sie haben hier Autos und Parkplätze.« Elizabeth trat von hinten an sie heran. »Und Botschaften. Aber wenn es keine gibt, können wir sicher helfen, welche zu bauen ...«
David drehte sich lächelnd um und antwortete: »Hier sind es vielleicht die Nummern auf einem Straßenschild. Oder auf dem, was sie da unten als Straßen und Schilder benutzen. Hallo, Liebes! Bist du gekommen, um die Wetterbeobachtungen in Gang zu setzen?«
»Du hast es erraten.« Elizabeth nickte. »Wenn du die erste Wache für Kartografierung und Erkundung bekommen hast, werden wir zusammenarbeiten können.« Sie blickte ringsum, sah sich die Reihe der Monitore an, auf denen die draußen arbeitende Schiffsmannschaft zu sehen war. »Glaubst du, dass die Menschen dort unten ihre Monde schon erreicht haben?«
»Wohl kaum. Zumindest haben wir bislang nichts gefunden, was darauf hindeutet, nicht einmal eine weggeworfene Folienverpackung oder Nahrungsmitteltube. Es gibt keine Zeichen für eine Technologie, die wir als solche erkennen würden – keine großen beleuchteten Gebiete des Nachts, die eine Stadt sein könnten, und überhaupt keine Radiosignale.«
Ysaye schüttelte den Kopf. »Die Techniker erinnern mich dauernd daran, dass wir vorerst nicht einmal wissen, ob es da unten überhaupt intelligentes Leben gibt, und wir werden es auch nicht wissen, bis die Kameras des Satelliten zu arbeiten beginnen.«
Elizabeth bedachte die leeren Monitore, auf denen die von dem Satelliten hereinkommenden Bilder zu sehen sein würden, mit einem Stirnrunzeln. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir es dann wissen werden, Ysaye. Die Planetenoberfläche verbirgt sich unter einer dichten Wolkendecke. Wenn es da unten intelligente Lebewesen gibt und wenn sie nicht allzu fortgeschritten sind, könnten wir ihre Anwesenheit leicht übersehen.«
»Da bin ich anderer Meinung«, warf David ein. »Bei dieser Auflösung brauchen wir nichts weiter als eine Lücke in den Wolken, und schon werden wir sehen, wie ein Affe oder sein hiesiges Pendant sich durch die Zweige des Waldes da unten schwingt.«
»Nur in den oberen Zweigen«, wandte Elizabeth ein. »Und nur, wenn die Wolkendecke tatsächlich aufreißt und die Kamera in die richtige Richtung zeigt!«
»Das wird bestimmt früher oder später geschehen.« David tat die Sache mit einem Achselzucken ab. »Und früher oder später muss die Wolkendecke aufreißen. Aber selbst wenn es da unten intelligente Lebewesen gibt, werden wir nichts erkennen, das wesentlich kleiner ist als eine beleuchtete Stadt, bis wir den größten Teil des Wettersatelliten-Netzwerks in Betrieb genommen haben. Hast du eine Vorstellung, wie lange das dauern wird, Ysaye?«
»Stunden«, erwiderte Ysaye erschöpft. »Nur gut, dass alles nach einem eigenständigen Programm abläuft. Ich habe weiter nichts zu tun, als den Babysitter zu spielen.«
»Du siehst schrecklich müde aus, Ysaye.« In Elizabeths blauen Augen stand die Sorge geschrieben. »Wie lange arbeitest du übrigens schon? Oder sollte ich sagen: Wie lange überarbeitest du dich schon?«
Ysaye zuckte hilflos die Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen.«
»Kann man das übersetzen mit: ›Ich habe mein Gehirn vor drei Tagen mit dem Computer verbunden und seitdem keine Pause mehr gemacht‹?«, neckte David sie.
»Etwas in der Art«, gab Ysaye mit mattem Auflachen zu. »Das und – nun, ihr beiden wisst ja, dass ich nicht gern in einem fremden Bett schlafe. Ich konnte einfach nicht einschlafen, da habe ich eben weitergearbeitet.«
»Warum legst du dich da drüben nicht ein bisschen hin und versuchst es noch einmal?«, schlug Elizabeth vor und zeigte auf einen Stapel wattierter Computerdecken in der Ecke. »Du sagst ja selbst, dass alles automatisch abläuft. David und ich werden hier sein und dir Bescheid geben, wenn etwas schief geht. Sonst wird in den nächsten Stunden kaum jemand hier hereinkommen. Außer uns und dem Bauteam sind alle noch auf dem Schiff. Du hättest es ruhig und gemütlich.«
»Das wird nicht mehr lange so bleiben«, warnte David. »Sobald die Sicherheit grünes Licht gibt, setzt eine Stampede sondergleichen ein. Auch hier wird es so sein. Die Sicherheit braucht sich nur noch zu überzeugen, dass die Kuppeln stabilisiert sind. Nicht etwa, dass es hier irgendwo frische Luft gäbe, aber wenigstens bieten die Kuppeln eine Abwechslung gegenüber dem Schiff.«
»Ja«, murmelte Ysaye, »die Schwerkraft ist niedriger.« Sie ging zu dem Deckenstapel und ließ sich darauf niedersinken. »Ich glaube, ich folge deinem Vorschlag, Elizabeth. Im Augenblick könnte ich wahrscheinlich überall schlafen, selbst bei Störungen aller Art. Weckt mich, wenn etwas Interessantes passiert.«
»Das werden wir«, versprach Elizabeth fröhlich. »Du brauchst unbedingt eine Pause, bevor man dir die Arbeit überträgt, für den Kapitän in den Bibliotheksspeichern nach obskuren Veröffentlichungen über Mondformationen zu suchen. Einer der Techniker erzählte mir, dieses Vier-Monde-System treibe ihn zur Raserei!«
David hatte währenddessen die Monitore im Auge behalten, die den Ablauf der Arbeiten außerhalb der Kuppel zeigten. Plötzlich sagte er: »He, das sieht aus, als stellten sie die Freizeitkuppel auf – falls es nicht die Unterkunft ist. Jedenfalls ist es eine große Kuppel.«
»Nein, ich bin sicher, die Unterkunft ist es nicht. Damit wird man warten, bis die erste Gruppe mit einem Untersuchungsbericht über den Planeten zurückkehrt«, sagte Elizabeth. »Vielleicht können wir uns gleich da unten niederlassen, vor allem dann, wenn es keine intelligenten Lebewesen gibt. Warum sollen wir eine weitere große Kuppel aufstellen und Luft für sie erzeugen, wenn es auf der Oberfläche massenhaft gute natürliche Luft gibt ...«
»Ein zwingendes Argument – obwohl ich immer noch nicht gegen intelligente Lebewesen wetten möchte«, stimmte David ihr zu. Ysaye, die mit geschlossenen Augen ruhig dalag, hörte, wie ein Stuhl über den Fußboden scharrte. Sie brauchte nicht erst hinzusehen, um zu wissen, dass David sich sowohl ihren Stuhl als auch das Terminal angeeignet hatte. Ihr Verdacht wurde bestätigt, als seine Stimme von dieser Stelle aus, ein bisschen rechts von ihr, fortfuhr: »Eines, an dem der Planet keinen Mangel haben wird, ist frische Luft. Und selbst wenn es intelligente Lebewesen gibt, hat man noch auf keinem Planeten einen Weg gefunden, Luft zu verkaufen. Das ist in orbitalen Kolonien oder in Kolonien auf luftlosen Welten möglich, aber natürliche Luft ist immer noch die einzige Ware, die es überall umsonst gibt.«
»Lass das die Behörden nicht hören«, scherzte Elizabeth, »sonst werden sie eine Methode finden, sie zu messen, und das Atmen besteuern.«
»Was meinst du denn, was eine Kopfsteuer ist?«, fragte er lachend.
Elizabeth stimmte in sein Lachen ein. Dann herrschte lange Zeit Schweigen. Ysaye war halb eingeschlafen, als Elizabeth, der eine Veränderung auf dem Schirm aufgefallen war, fragte: »Was geschieht denn jetzt?«
»Das System nimmt die Instrumente des Satelliten in Betrieb«, antwortete David. »Es müsste damit fast fertig sein, wir werden also bald die ersten meteorologischen Daten erhalten. In einem hatte Ysaye Recht: Da unten breitet sich eine umfangreiche Wolkendecke aus. Es wird harte Arbeit erforderlich sein, um ein paar anständige Landkarten zu bekommen.«
»Nun, wenigstens werde ich für eine Weile viel zu tun haben!«, rief Elizabeth vergnügt aus. »Gut, ich gebe es zu: Ich bin ein Wetter-Junkie.«
»Das ist wahrscheinlich nur gut, da es die dir zugewiesene Aufgabe ist«, hänselte David sie. »Und wir sind so verdammt lange im Raum gewesen ...«
»Nichts als Simulationen, um mich vor dem Isolationskoller zu bewahren«, seufzte sie. »Ich habe Computer-Modelle so satt ...«
»Nun ja, sie halten uns in Übung, aber mit der Wirklichkeit können sie natürlich nicht konkurrieren«, pflichtete David ihr bei. »Sieh mal, der Computer hat die ferngesteuerten Tests beendet. Jetzt geht es los.« Er gab das Startsignal ein. Die eingehenden Daten liefen zu schnell über den Schirm, als dass man sie hätte lesen können, aber darüber machte sich keiner von beiden Sorgen, da alles für eine spätere Durchsicht gespeichert wurde. Der Plotter schlürfte ein Blatt Papier ein und lieferte die erste Wetterkarte. Ein zweiter Monitor baute eine detaillierte Ansicht des Planeten unter ihnen auf. Gedopplerte Radarsignale zeigten Windströmungen und Wolkendichte.
David überflog die Karte, die im Wesentlichen das Gleiche zeigte, in Zahlen übersetzt. »Sieht aus, als würdest du einen Sturm bekommen, der sich in den Bergen zusammenbraut«, stellte er fest. »Wir können ihn verfolgen, er müsste im Laufe der Nacht eintreffen. Wahrscheinlich ein heftiger Sturm. Bei den nächsten beiden Umkreisungen wird er wohl verzeichnet werden.«
»Gib her.« Elizabeth riss ihm das Blatt aus der Hand. »Du meine Güte, das sind komplexe Wettermuster da unten! Eine Menge Stürme. Die Eingeborenen tun mir Leid. Wahrscheinlich wissen die Leute auf der Oberfläche nicht halb so viel über ihr Wetter, wie wir es bereits tun, und wünschen sich, sie wüssten mehr.«
»Dann haben wir etwas, das wir ihnen schenken können.« David wandte sich von dem Schirm ab. »War nicht geplant, dass du ein Konzert gibst, um das Aufstellen der Kuppeln oder so etwas zu feiern?«
»Wenn Kapitän Gibbons den Befehl führt?« Elizabeth lachte. »Das Konzert findet mit Sicherheit statt. Er hat es angeordnet, um alles Mögliche zu feiern. Diesmal gibt es Volkslieder, was heißt, dass ich die Hauptlast der Darbietung zu tragen habe, aber erst, wenn die lokalen Wettermuster stehen. Jetzt, da ich endlich richtige Arbeit zu tun habe, muss das Feiern warten! Hat Ysaye nicht neulich von einem neuen Instrumenten-Sound gesprochen, den sie aus dem Orchester-Synthesizer herausgeholt hat? Sie hat eine Flöte daran angeschlossen und die Wellenformen in den Bass transponiert. Vielleicht kann sie ein Konzert geben.«
»Hmm.« David studierte intensiv den Monitor. »Daraus wird nichts. Ich werde das Netz in seinem ganzen Umfang benötigen, wenn ich überhaupt irgendwelche Details bekommen will. Es gibt einfach zu viele Wolken, und auf dem Boden liegt so viel Schnee, dass ich nicht sicher bin, ob die topografischen Daten auch nur halbwegs richtig sind.«
Elizabeth klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter. »Ich wünschte, ich könnte helfen.«
David zuckte die Achseln. »Eigentlich könnte ich ebenso gut zu dem Konzert gehen. Ich kann doch nichts tun, solange nicht alle Satelliten platziert sind. Wenigstens wird es mir was zum Nachdenken geben, vor allem, wenn Ysaye wirklich einen neuen Sound gefunden hat«, fuhr er fort. »Zwar haben schon viele Leute mit Synthesizern herumgespielt, und für mich klingen sie alle ziemlich gleich.«
»Durchaus nicht«, widersprach Elizabeth halbherzig, denn sie widmete ihre Aufmerksamkeit völlig der nächsten Wetterkarte. An einem Reißnagel kauend, grübelte sie über etwas auf dem Ausdruck nach, das ihr entweder nicht gefiel oder das sie nicht verstand.
Vorübergehend von dem gleichen Wetter, das Elizabeth faszinierte, in seinen Tätigkeiten lahmgelegt, setzte David die Diskussion fort. »Im Grunde ist ein elektronischer Ton doch ein elektronischer Ton, und große Unterschiede gibt es zwischen dem einen und dem anderen elektronischen Sound nicht. Man hat auch nicht viele Möglichkeiten, etwas damit anzufangen.«
»Der Meinung bin ich nicht«, antwortete Elizabeth, ohne von ihrer Arbeit hochzublicken. Sie waren beide daran gewöhnt, Gespräche zu führen, die in gar keinem Zusammenhang mit dem standen, was sie gerade taten. »Mit dem Sound, den wir programmiert haben, als ...«
»Sound«, betonte David. »Keine Musik.«
»Du denkst wie ein prähistorischer Mensch.« Elizabeth sah ihn kurz an und krauste die Nase. »Ich sehe nicht so viel Unterschied zwischen Sound und Musik. Du glaubst, du müsstest auf etwas schlagen oder in etwas hineinblasen oder über etwas kratzen, um Musik zu machen. Was ist daran heilig?«
»Ihr modernen Musiker!«, sagte David resigniert. »Jede Art von Geräusch, Lärm, Disharmonie – du bist mir vielleicht ein feines Beispiel für eine Volksmusikerin! Es wundert mich, dass du nicht aus der Authentizitätsgewerkschaft austrittst.«
»Volksmusiker sind in keiner Gewerkschaft«, belehrte sie ihn. »Und ich glaube, diese Diskussion haben wir schon einmal geführt.« Elizabeth lachte und wandte sich wieder ihren Karten zu, machte Notizen und rief weitere Daten von ihrem Terminal ab. Sie wirkte glücklicher als seit Monaten. »Du musst zugeben, dass Zufälligkeiten ...«
»Ich muss überhaupt nichts zugeben.« Auch David lachte. »Ich habe das unbestrittene Recht zu sagen, wenn ich es möchte, dass seit Hardesty keine richtige Musik mehr geschrieben worden ist – ja, eigentlich seit Händel nicht mehr. Alles, was folgte, ist nach meiner Definition keine Musik. Nur Geräusch. Stimmt es nicht, dass nicht einmal die Tonleitern mehr gelehrt werden?«
»Hast du denn gar nichts zu tun?«, fragte Elizabeth. David wies auf den Schirm mit dem wolkenbedeckten Globus, und Elizabeth seufzte. »Also, ich habe sie gelernt. Sicher, es war ein kleines Privatcollege, aber es wird dich freuen zu hören, dass Juilliard auch heute noch nur Studenten aufnimmt, die wissen, was Dur und was Moll ist.«
»Hurra! Als Nächstes wird man dort von den Studenten verlangen, dass sie einen einfachen Grundbass lernen«, murmelte David.
»Als Nächstes könnte von einem Kartografen verlangt werden, dass er etwas für sein Gehalt tut!«
»Ich täte ja etwas, wenn ich könnte«, beschwerte David sich. »Nur gibt es im Augenblick nichts, was der Computer nicht besser macht.«
»Nun, ich habe Arbeit, eine ganze Menge sogar, und ich werde mich nicht länger mit dir streiten«, sagte Elizabeth. »Du bist eben einer dieser Primitivisten, die Kompositionen für elektronische Instrumente nicht akzeptieren, so wie es Kunstakademien gibt, die einen Examenskandidaten nur bestehen lassen, wenn er ein Aktbild, ein Stillleben und eine Landschaft in klassischem Stil vorlegt. Erst danach darf er moderne Gemälde zeigen.«
»Das finde ich auch ganz richtig!«, erklärte David. »Der Maler muss dann wenigstens lernen zu zeichnen, bevor er sein Examen ablegt, und er kann Mangel an Talent nicht unter einem Nebel von Kunstgeschwätz verstecken.«
»Das Zeichnen ist nicht alles, nicht einmal in der Kunst«, behauptete Elizabeth. »Aber dieses Argument werde ich jemand anders überlassen. Ich habe jetzt keine Zeit, die ganze Kunsttheorie durchzugehen.« Sie räusperte sich vielsagend. David reagierte auf diesen Wink jedoch nicht.
»Ich hätte viel mehr Freude an der Musik ...« Ein Quietschen verriet Ysaye, dass er es sich wieder auf ihrem Stuhl bequem gemacht hatte. »... wenn jeder moderne Komponist ein Lied im Stil Schuberts, einen Choral im Stil Bachs, eine Sonate und eine klassische Symphonie einreichen müsste, bevor er irgendetwas Modernes schreiben dürfte, und ich glaube, die meisten Zuhörer würden mir zustimmen. Eure modernen Symphonien verlieren ihr Publikum, weil die Komponisten absichtlich Musik schreiben, die niemand hören will. Sie konkurrieren mit der Vergangenheit. Natürlich, in der Volksmusik ...«
Ysaye schlief bei diesem freundschaftlichen Streit über Musik ein. Oder vielmehr bei Davids Monolog. Von Elizabeth, die sich auf ihre Arbeit konzentrierte, kamen nur noch geistesabwesende Laute. Ysaye dachte flüchtig, dass Davids Herumhacken auf der Musik symptomatisch für die leichte Verrücktheit war, mit der sich jeder Einzelne infiziert hatte. Zu viel Freizeit, nicht genug wirkliche Arbeit, um den Verstand zu beschäftigen ... Nebensächlichkeiten werden ebenso wichtig genommen wie unsere eigentlichen Aufgaben ...
Sie erwachte von dem Geräusch des Plotters, der eine neue Karte produzierte, und Davids überraschtem Ausruf.
»Was ist los, David?«, fragte Ysaye, setzte sich hoch und rieb sich die Augen. »Funktioniert etwas nicht richtig?«
»Hier stimmt etwas nicht – und vielleicht ist es nur wieder ein Fehler im Computer«, antwortete er. »Erinnerst du dich an den heftigen Sturm, von dem ich sagte, er baue sich auf dieser Ebene hier auf?« David warf ihr die ältere Karte zu.
Ysaye betrachtete sie stirnrunzelnd. Ihr kam sie vollkommen normal vor. Wenigstens sah sie aus wie Sturmmuster, die sie von Simulationen her kannte. Die Wolken bildeten die üblichen Wirbel. Solche Satellitenfotos hatte sie schon von dutzenden von Welten und von tausenden von Simulationen gesehen. »Was ist daran verkehrt?«
»Nichts«, sagte David. »Aber der Sturm ist nicht mehr da. Er ist einfach verschwunden.«
Ysaye wollte es nicht glauben. »Computerfehler löschen keine Stürme aus. Du hast die Karte nicht richtig gelesen, das ist alles. Wahrscheinlich brauchst du auch ein Nickerchen.«
»Sieh selbst.« David reichte ihr die neue Karte.
Ysaye sah zuerst auf die Zeit. Sie hatte etwas länger als zwei Stunden geschlafen. Elizabeth kam, setzte sich neben ihr auf den Deckenstapel und betrachtete die Karte ebenfalls.
»Er hat Recht.« Elizabeth tippte mit dem Finger auf die Karte. »Siehst du hier das Tiefdruckgebiet? Es ist noch da, aber die Wolken sind weg. Es gibt keine Spur von einem Sturm, keinen Regen, keinen Schnee – nichts.«
»Vielleicht bedeutet auf diesem Planeten ein Tief keinen Sturm«, meinte David unsicher.
»Es gibt nichts anderes, was es bedeuten könnte ...« Elizabeth blickte außerordentlich verwirrt drein. »... falls dieser Planet nicht einzigartig in der Galaxis ist. Vielleicht rufen alle diese Berge Veränderungen hervor – oder dieser monströse Gletscher. Oder der ganze Schnee.« Aber es klang zweifelnd.
»Möglich ist alles«, erwiderte Ysaye.
»Sicher. Trotzdem möchte ich wissen, wohin dieser Sturm abgezogen ist. Wir wollen abwarten, ob das Tief auf der nächsten Wetterkarte erscheint.« Elizabeth zuckte die Achseln. »Wenigstens habe ich etwas zu berichten. ›Verloren: ein Sturm.‹ Es ist ein ziemlich großes Ding, um es zu verlegen.«
»Gott helfe mir. Sag das nicht. Du kennst die Vorschriften. Wir werden wahrscheinlich ein Extra-Fundbüro für vermisste Wettermuster einrichten müssen«, scherzte David. »Ich sehe es schon vor mir. Berichte in dreifacher Ausfertigung und Erwähnung im Protokoll jeder Konferenz. Verloren: ein tropisches Tiefdruckgebiet, zwei Hurrikane ...« Er tat, als wolle er sich die Haare ausreißen.
»Das ist albern ...«, kicherte Elizabeth.
»Diesen Sturm hast du aber verlegt«, hielt David ihr vor.
»Ich nicht«, wehrte Elizabeth entrüstet ab. »Meine Aufgabe ist, über das Wetter zu berichten und es vorherzusagen, nicht, es zu machen. Vielleicht ist es eine Fehlfunktion des Computers. Vielleicht hat der Computer ein Tief gemeldet, wo in Wirklichkeit keins war, und die Gewitterwolken waren nur ... nur eine seltsame, in Auflösung begriffene Formation. Oder der Sturm hatte die Absicht, herausgeröhrt zu kommen, wo auch immer diese Stürme herauszuröhren pflegen, und irgendetwas zwang ihn, dort wegzugehen.«
Ysaye kroch zum Terminal hinüber, zog die Hülle ab und begann, Diagnostiken durchlaufen zu lassen. »Vielleicht«, meinte sie versonnen, »hat jemand da unten das alte Problem gelöst. ›Alle reden vom Wetter, und niemand tut etwas dagegen.‹«
Sie schwieg eine Weile, da ihre eigenen Worte eine seltsame Saite in ihr zum Schwingen gebracht hatten. Habe ich eben etwas darüber geträumt? Sie versuchte, sich zu erinnern, aber der Traum war zerstoben.
David sah ernst auf sie hernieder.
»Das glaubst du?«
»Wir haben doch eben gesagt, möglich ist alles«, wich Ysaye aus. »Auch Eingeborene mit einer Technologie, die ganz anders ist als das, was wir uns unter Technologie vorstellen.«
David bedachte den jetzt leeren Schirm mit einem Stirnrunzeln. »Nun, wenn wirklich jemand das Wetter verändert hat ... ganz gleich, wer er ist, wenn er diese Art von Macht hat, möchte ich den Mann gern kennen lernen – oder die Frau oder die Leute.« Er überlegte.
»Andererseits«, sagte er leise, »vielleicht möchte ich es lieber nicht.«