Читать книгу Asharas Rückkehr - Marion Zimmer Bradley - Страница 7

4

Оглавление

Die beiden alten Männer genossen es eindeutig, ihr Interesse an Musik zu teilen, aber Margaret fand es ziemlich anstrengend, für den Professor zu übersetzen, während sie aß. Als Meister Everard während des Mahls – eine dicke Suppe und herzhaftes Brot – vom Tisch weggerufen wurde, war sie fast erleichtert. Der Kopfschmerz, der im Musikzimmer begonnen hatte, war beim Essen nicht vergangen, aber sie tat ihn als ein Überbleibsel des Medikamentenkaters von der Reise ab. Es war die Art von Kopfschmerzen, die sie auf Thetis manchmal bekam, wenn Stürme über das Meer des Weines fegten; es hatte mit dem Luftdruck und anderen Wettererscheinungen zu tun. Auf Darkover hatte es ziemlich sicher nichts zu bedeuten.

Allein gelassen mit Ivor, machte sie sich nun auch Sorgen wegen dessen gebrechlichen Aussehens. Unter dem Rest der Bräune von Relegan war seine Haut grau, und Margaret fragte sich, ob sie ihre geplante Einkaufstour absagen und statt dessen versuchen sollte, Ivor zu einem Besuch bei den Medizinern im terranischen Sektor zu überreden. Er verabscheute Ärzte und hätte sich ihren Bemühungen höchstwahrscheinlich widersetzt, deshalb beschloß sie, den Vorschlag zu unterlassen – zumindest vorläufig.

»Geht es Ihnen gut, Ivor?« fragte sie dennoch. Sie gab sich Mühe, ihre Angst zu verbergen und beiläufig zu klingen.

»Ich gestehe, ich bin ziemlich müde, Maggie.« Zum wiederholten Male benutzte er nun den Kosenamen für sie, und Margaret fand das ein wenig beunruhigend. »Je älter ich werde, desto schwerer gewöhnt sich mein Magen an fremdes Essen. Die Gerichte hier auf Cottman schmecken sehr gut, aber sie liegen mir wie ein Stein im Magen. Ich hätte wirklich lieber etwas Leichteres – eine klare Suppe und Cracker, so wie Ida sie kocht.« Er seufzte heftig und schwelgte in der Vorstellung. »Ich hatte mich eigentlich auf die Annehmlichkeiten der Universität gefreut – elektrisches Licht, die Stille der Bibliothek. Ich wollte meine liegengebliebene Lektüre nachholen und meine Aufzeichnungen über Relegan ordnen. Ich bilde mir dauernd ein, daß ich vielleicht nicht mehr dazu komme, und irgendein bartloser Schnösel, auf dessen Diplom die Tinte noch nicht trocken ist, macht ein völliges Chaos aus unserer Arbeit.«

Und wo bin ich in dieser Phantasie, Ivor? »Ich weiß«, erwiderte Margaret und ignorierte den kleinen Stachel, als den sie seine Worte empfand. Sie fühlte sich sofort fürchterlich schuldbewußt, weil ihr klar wurde, daß sie selbst die Universität nicht im geringsten vermißte. Die Geräusche und Gerüche von Darkover lockten sie, umgaben sie mit den Versprechungen eines Komforts, der nichts mit Zentralheizung, stimmaktivierten Lichtschaltern und den vielen anderen Wohltaten einer fortgeschrittenen Technologie zu tun hatte. Sicher, die flackernden Lampen, Kerzen und anderen primitiven Lichtquellen in Meister Everards Haus wirkten wie eine bizarre Affektiertheit – wieso hatte Thendara City nicht längst elektrischen Strom? Die Terraner waren schon seit Jahrzehnten auf dem Planeten und immer noch auf ihre kleine Enklave rund um den Raumhafen beschränkt. Es paßte nicht zusammen. Ein weiteres Rätsel, das an ihrem schmerzenden Schädel nagte. Sie schaute zu der roten Sonne, die durch die hohen Fenster des Eßzimmers fiel, und auf die kleinen Lampen, die auf dem Tisch brannten, und stellte fest, daß beides ihren Augen nicht weh tat. Tatsächlich schien ihr jetzt, da sie darüber nachdachte, das Licht von draußen zu »stimmen«, wie es noch kein Licht auf irgendeinem anderen Planeten getan hatte.

»Ich glaube, ich habe mich ein wenig erkältet bei unserem Spaziergang gestern«, fuhr Ivor fort und unterbrach ihre Gedanken. »Jedenfalls wird mir irgendwie nicht richtig warm.«

»Ivor, niemand wird richtig warm in diesen verdammten Allwetterdingern, die der Service für eine angemessene Kleidung hält. Und dann kommt noch hinzu, daß wir ein Jahr lang fast nackt in einem tropischen Klima herumgelaufen sind – mich fröstelt auch!« Mit der Suppe im Bauch war Margaret eigentlich ganz behaglich zumute, aber sie wollte sich unbedingt versichern, daß alles in Ordnung war. »Es ist schwer, sich an einen derart radikalen Klimawechsel anzupassen.«

Ivor lachte in sich hinein. »Ich bin eben ein alter Mann, mit den Beschwerden eines alten Mannes, mein Kind. Es hat Spaß gemacht, Blumen und Federn und Perlen zu tragen anstatt der Uniform, nicht wahr? Aber du weißt ja, wie der Service darüber denkt, wenn man sich zu sehr mit den Einheimischen einläßt – diese Idioten. Ich weiß, ich habe ziemlich albern ausgesehen in meiner gefiederten Aufmachung – Ida hat sich über die Bilder schiefgelacht –, aber es war ein wunderbar freies Gefühl. Diese Uniform ist nicht sehr bequem, Maggie. Ich glaube, sie ist zu eng am Rücken oder so.«

Diesmal ließ der Gebrauch des Kosenamens Margaret bis ins Mark erschaudern. Er war nicht er selbst, wenn er so ungeniert herzlich war. Margaret kannte Ivor, seine Launen und Eigenarten, und das hier sah ihm einfach nicht ähnlich. Sie musterte ihn angestrengt, aber er wirkte ganz normal – ein kleiner, älterer Mann, runzlig und müde aussehend, und vielleicht ein bißchen appetitlos, aber ansonsten der Mensch, den sie kannte. Es gab keinen Grund zur Besorgnis. Sie erschrak über Schatten, bildete sich Gespenster in Harfen ein und verwechselte Erschöpfung mit Kranksein.

Darkover tröstete sie mit seiner Beinahe-Vertrautheit, aber sie fand es ebenso beunruhigend. Es führte ihr Urteilsvermögen in die Irre, das war alles. Einmal richtig ausschlafen reichte einfach nicht, um ihre ansonsten robuste Gesundheit wiederherzustellen – nicht nach einer tagelangen Weltraumreise und einem totalen Klimawechsel.

Ivor lächelte sie an, wobei er seine welken Lippen über die großen Zähne dehnte. Es erinnerte sie in ihrem überempfindlichen Zustand sofort an einen Totenkopf, und sie unterdrückte einen Schauder. »Geht es Ihnen auch bestimmt gut? Nach den vielen Spritzen, die sie uns gegeben haben ...«

»Hör auf, mich zu bemuttern, Maggie. Zieh du nur los mit diesen kleinen Halunken und besorg dir ein paar einheimische Klamotten. Ich weiß, es juckt dich, aus deiner Uniform herauszukommen. Wenn du einen guten Wollmantel in meiner Größe siehst – nichts Auffälliges, wohlgemerkt –, dann kauf ihn. Ich mache jetzt ein Nickerchen, und bis zum Abendessen bin ich wieder voll auf der Höhe.« Er lachte erneut in sich hinein, und sie wußte, er dachte an ihr schwarzweißes Cape aus Thetis, das sie während ihres ersten einsamen Universitätsjahres über ihre Uniform gehängt hatte. Das und ihre Begeisterung für glitzernden Schmuck hatten ihr ihren Spitznamen eingetragen: die Elster. Selbst im Einheitsbrei der akademischen Gemeinde war sie anders geblieben – ein bißchen seltsam und exotisch für die hierarchische Ordnung, wie die Terraner sie liebten.

»Ich bemuttere Sie nicht! Aber ich kann nichts dafür, daß ich mir Sorgen um Sie mache.« Margaret versuchte das Gefühl der Hilflosigkeit zu ignorieren, das sie plötzlich zu überwältigen drohte.

»Was für ein gutes Kind du doch bist. Du warst immer wie eine Tochter für mich – obwohl ich ein paar sehr wenig väterliche Gedanken hatte, als ich dich zum ersten Mal in releganischer Aufmachung sah.« Er lächelte wehmütig und seufzte. »Du hast den Wunsch in mir geweckt, noch mal fünfzig zu sein.«

»Tatsächlich?« Sie war fasziniert von diesem Geständnis, denn der Professor hatte bisher nie zu erkennen gegeben, daß ihm bewußt war, daß sie erwachsen und eine Frau war. In seinem Benehmen ihr gegenüber war eine Verläßlichkeit, die sie davor bewahrte, sich nach der Unordnung von Liebesaffären und gebrochenen Herzen zu sehnen, die für viele ihrer Mitstudenten das tägliche Brot zu sein schienen. Nicht zum ersten Mal, aber mit einem neuen Gefühl der Überraschung, machte sich Margaret klar, daß sie beinahe drei Lebensjahrzehnte hinter sich gebracht hatte, ohne sexuell aktiv geworden zu sein. Sie war nicht prüde, und sie hatte die jammervollen Geschichten ihrer Mitstudentinnen mit Neugier und Interesse angehört, aber ohne das geringste Bedürfnis, mit irgend jemandem, den sie kennengelernt hatte, ins Bett zu gehen. Sie blieb für sich, als gehorchte sie einem Instinkt oder Befehl. Ihr ging jetzt durch den Kopf, wie seltsam dieses Verhalten eigentlich war, aber es schien nicht von Bedeutung zu sein. Es war nicht so, daß sie das Gefühl hatte, etwas zu verpassen. »Ich bin zwar alt, meine Liebe, aber noch nicht tot! Du bist eine äußerst reizvolle Frau. Die Releganer haben dich zunächst für meine Frau gehalten, oder zumindest für meine Konkubine, und sie waren sehr verwirrt, weil wir in verschiedenen Hütten geschlafen haben. Sie waren fasziniert von unserem Verhalten, oder vielmehr vom Fehlen desselben, und schließlich hat mich der Hetman gefragt, ob du tabu bist. Ich habe ihnen erklärt, daß du wie eine Tochter für mich bist, was ihnen aufgrund ihres strengen Inzestverbots eingeleuchtet hat. Ist es nicht seltsam, wie universell dieses Tabu ist?«

»Eigentlich nicht; es scheint in unsere Gehirne eingebrannt zu sein. Mit ein paar bemerkenswerten Ausnahmen.« Margaret dachte an einige Kulturen, die sie studiert hatte, in denen Inzest nicht verboten war. Sie wußte, daß Ivor und Ida sie wie ihr Kind behandelten, aber es bewegte sie mehr, als sie gedacht hätte, als sie es ausgesprochen hörte.

Sie räusperte sich. Um ihre Rührung zu verbergen, fragte sie: »Glauben Sie, Kuttner wird je mit seiner Studie über Inzesttabus fertig?«

»Möglich. Falls er nicht völlig abdreht und sich in eine Grashütte auf irgendeinem gottverlassenen Planeten am Rande der Galaxis zurückzieht. Anthropologen sind manchmal ein bißchen unberechenbar.«

»Ich weiß. Ganz im Gegensatz zu Musikforschern, die stets rein wissenschaftlich und objektiv sind.« Sie lachten beide über diesen alten Witz. Der Streit darüber, ob es möglich war, die Disziplinen einer nicht-terranischen Kultur objektiv zu bewerten, tobte seit Jahrhunderten und war einer Lösung noch keinen Schritt nähergekommen. Margaret und Professor Davidson hingen der Überzeugung an, daß es nicht nur möglich, sondern notwendig war, eine Kultur innerhalb ihres Kontexts zu studieren. Der Professor hatte den größten Teil seiner akademischen Laufbahn damit verbracht, entfernte Welten zu bereisen, um diese These zu beweisen. Sein berühmter Zeitgenosse Paul Valery hielt dagegen, daß Feldforschung per Definition verunreinigt war. Valery verließ das behagliche Gebäude der Musikfakultät nur, um zum Essen zu gehen. Er war seit Jahrzehnten nicht mehr auf einem fremden Planeten gewesen, nicht einmal, um Auszeichnungen von anderen Universitäten entgegenzunehmen. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sich die beiden Männer in den Fluren des Gebäudes begegneten, rümpfte Valery immer seine schmale, aristokratische Nase, als würde er etwas Unangenehmes riechen, und fragte: »Na, Davidson, immer noch im Lande? Ich dachte, Sie trommeln wieder irgendwo mit einer Bande Eingeborener.« Davidson beantwortete diese spitzen Fragen stets mit würdevollem Schweigen und verzog sich in sein Büro. Er genoß einen ausgezeichneten Ruf und sah keine Veranlassung zu einer Antwort. Margaret hingegen spürte oft das Verlangen, ihrem Mentor zu Hilfe zu eilen und Valery auf seine überzüchtete Nase zu schlagen.

Der Professor schob seine Schüssel weg. »So, ich lege mich jetzt hin«, sagte er fröhlich. »Viel Spaß beim Schneider, Maggie, und halte deine Ohren offen. Weber, zum Beispiel, singen oft Lieder am Webstuhl, die man zugunsten anderer Musik übersieht. Ich habe mir schon häufig überlegt, daß darin ein weites Forschungsgebiet ...«

»Ins Bett jetzt, Ivor! Sie brauchen Ruhe, nicht noch ein Forschungsgebiet.«

Er lachte und ging nach oben. Seine Fröhlichkeit ließ sie eine Weile weniger ängstlich sein, während sie eine Tasse Kräutertee trank. Aber bis sie ausgetrunken hatte, waren ihre Sorgen zurückgekehrt. Ivor sah nicht gut aus, und es war mehr als nur Erschöpfung. Sie wünschte, sie wäre nicht plötzlich von Vorahnungen gepeinigt und von der lächerlichen Vorstellung, die Gedanken anderer Leute hören zu können. Und sie wünschte, die Angst, die sie bis ins Mark spürte, würde einfach vergehen und sie in Ruhe lassen. Sie war in einem schönen Haus, mit gutem Essen, und es gab nichts, worüber sie sich sorgen mußte.

Anya eilte geschäftig ins Eßzimmer und machte einen kleinen Knicks. Ihre Wangen waren vom Kochen gerötet. »Domna, die Jungs sind hier, um Sie in die Nähnadelstraße zu bringen.«

»Ah, hervorragend! Anya, können Sie mir sagen, was der korrekte Preis für einen Mantel und Stiefel wäre, und für solche Kleidung, die Sie und Meister Everard anhaben? Nicht, daß die Jungen mich täuschen würden ...«

»Nein, das sind gute, ehrliche Jungs, sonst würde ich sie nie in dieses Haus kommen, und noch viel weniger einen edlen Gast begleiten lassen. Mal überlegen ...« Während die Haushälterin nachdachte, wunderte sich Margaret über den Gebrauch des Wortes »edel«. Warum benahmen sich hier alle, als wäre sie etwas Besonderes? Konnten sie erraten haben, daß sie die Tochter des Senators von Cottman war? Sie hatte niemandem ein Wort gesagt, weil sie immer wieder feststellte, daß sich die Leute komisch benahmen, wenn sie von ihren Verbindungen zur gehobenen Gesellschaft wußten. Sie hatte die Stellung ihres Vaters in der terranischen Regierung noch nie ausgenutzt, und oft dachte sie monatelang nicht daran. Es hatte nichts mit ihr zu tun. Aber »edler Gast«? Eine politische Funktion hatte schwerlich etwas mit Adel zu tun. Es war ein weiteres darkovanisches Rätsel, das sie nicht lösen konnte, weil sie die richtigen Fragen nicht kannte.

»Ich glaube, für fünf Royals müßten Sie eine hübsche Ausstattung bekommen, obwohl alles teurer geworden ist, seit ich ein junges Mädchen war: eine Bluse, drei oder vier Röcke und Unterröcke, ein Hemd und eine Jacke. Die Unterwäsche wird ungefähr sieben Sekal ausmachen. Ein Mantel aus guter Schurwolle etwa drei Reis, einer aus Leder acht. Strümpfe, na, vier Sekal oder ein bißchen mehr, es sei denn, Sie wollen gesponnene Seide oder so.«

Anya schnaubte verächtlich. »Das Zeug, das Sie da anhaben, würde in den Bergen keinen Hund warm halten. Ich begreife nicht, warum die Terraner so etwas tragen – es riecht komisch, und anscheinend wärmt es sie nicht. Ich sehe sie immer, wie sie herumstehen und uns von oben herab anschauen und dabei ständig ihre Kleider enger um den Leib ziehen. Was ist gegen einen anständigen Wollmantel einzuwenden anstatt der glänzenden Dinger, die sie anziehen? Wovor haben sie Angst? Glauben sie, wenn sie ein Material tragen, das auf dem Rücken von Tieren gewachsen ist, daß sie dann ...« Anya zuckte die Achseln und hörte auf zu sprechen.

»Über Geschmack läßt sich eben nicht streiten, Anya.« Margaret hatte nicht vor, die in der terranischen Föderation übliche Einstellung zu erklären, daß ein zivilisierter Mensch an seiner Kleidung erkennbar war, und das hieß Kunstfaser, außer unter sehr reichen Leuten, wo das Tragen von Naturstoffen ein Zeichen für Wohlstand war. Es wäre beleidigend gewesen, weil es beinhaltete, daß die schlichte darkovanische Tracht nicht zivilisiert war – und genau so sahen es die Terraner.

»Wie wahr! Ich bin eine alte Frau, und ich habe viele Veränderungen hier auf Darkover gesehen – und nicht alle waren zum Guten. Die Jungen wollen losziehen und Sternenpiloten werden, und die Mädchen stecken voller Ideen, die nichts mit Kochen und Heiraten zu tun haben. Aber weiter. Stiefel! Die kosten zwei oder drei Reis, hohe Stiefel ein paar Sekal mehr. Begeben Sie sich in die Hände von Meister MacEwan, und er wird sie im Handumdrehen richtig ausstatten. Und falls Sie Kredit brauchen, wird Meister Everard für Sie bürgen.«

»Das ist nett von Ihnen, aber Meister Davidson – und die Universität – ziehen es vor, wenn wir sofort bezahlen. Danke für den Rat.«

Sie ging in ihr Zimmer hinauf, um den kleinen Recorder abzustellen und ihr Geld zu holen. Wenn sie im Kleiderbezirk etwas hörte, was eine Aufzeichnung wert war, würde sie später mit Ivor noch einmal hingehen. Auf der anderen Seite des Flurs hörte sie Ivor schnarchen; das tat er nur, wenn er wirklich erschöpft war. Sie befühlte die Münzen in ihrer Hand. Eine war aus Silber, die andere aus einem unedlen Metall; das waren die eisernen Sekal, die ungefähr drei imperiale Cents wert waren. Die andere, ein Reis oder Royal, war etwa drei Credits wert, was sie zuletzt gehört hatte. Der Angestellte bei Rothschild εt Tanaka hatte es nicht genau gewußt, und nach einem Jahr auf einem Planeten ohne jede Währung war sie es nicht mehr gewohnt, in solchen Begriffen zu denken. An der Universität beschäftigte sie sich natürlich nie mit solchen Dingen – dort wurde alles mit Kreditchips erledigt.

Geremy und Ethan kauerten auf der Treppe und spielten ein Spiel mit ihren Händen. Sie ließen die offene Hand, die Faust oder zwei ausgestreckte Finger schnell vor- und zurückschnellen. Als sie Margaret sahen, sprangen sie auf, verneigten sich und lächelten.

»Guten Tag, Domna«, sagte Ethan.

»Guten Tag. Was habt ihr gerade gespielt?«

Es war Geremy, der antwortete. »Das war ›Schere, Stein, Papier‹.« Im Losgehen erklärten die Jungen die Schwierigkeit des Spiels. Margaret hatte ein Dutzend ähnlicher Spiele auf einem Dutzend verschiedener Welten gesehen und erzählte es den beiden. Sie waren fasziniert. Ethan wollte mehr über Weltraumreisen wissen, aber Geremy sagte, er sei ein Langweiler, und bemerkenswerterweise ließ das den spitznasigen Jungen verstummen.

Die Geschäfte in der Musikstraße hatten geöffnet, aber was sie am Abend zuvor für Schaufenster gehalten hatte, die mit Läden verschlossen waren, stellte sich nun als breite Maueröffnungen mit Ladentischen davor heraus. Hinter den Ladentischen sah sie Arbeiter, die an Werkbänken tätig waren. Die Gerüche von Holz, Öl und Harz stiegen in die Luft, begleitet von den Geräuschen von Stemmeisen und Feilen und dem gelegentlichen Klang eines Instruments: einer Pfeife, einer Harfe oder einer Fiole, die gespielt oder gestimmt wurden. Die Jungen erklärten ihr alles, und der Spaziergang durch die Musikstraße war rasch zu Ende. Das rötliche Sonnenlicht fiel auf ihre Wangen und wärmte sie, es tat gut, und auch der bohrende Kopfschmerz verging langsam.

Manche Handwerker starrten sie an, und einer verließ sogar seine Werkbank und kam nach vorn, um sich zu verbeugen. Andere runzelten die Stirn und sahen rasch weg, als wären sie peinlich berührt. Dabei handelte es sich um Männer, die etwa Margarets Alter hatten, oder um Frauen, die jünger waren. Sie begann, unsicher zu werden.

»Ethan, sag mir die Wahrheit: Bin ich ungehörig angezogen?« Die Uniform bedeckte zwar ihren Körper, aber sehr viel enger als die Kleidung, die sie an den darkovanischen Frauen gesehen hatte. Sie war sich sicher, daß ihr Haar den Nacken bedeckte, worauf der Senator soviel Wert gelegt hatte. Ihre Jacke reichte deutlich unter die Taille, fast bis zu den Knien; der Service hatte sie speziell für Planeten entworfen, wo man die Geschlechter an der Kleidung unterschied. Natürlich lagen die Vorstellungen, die irgend jemand zu Hause auf Terra von Schicklichkeit hatte, draußen in der Praxis häufig komplett daneben – was Angestellte der Föderation offenbar nicht begreifen konnten.

»Hm, eigentlich nicht. Es ist hauptsächlich wegen Ihrem Haar.« Das machte sie leicht konfus und ärgerlich. Warum konnte der Service nicht ausreichende Informationen zur Verfügung stellen? Wieso waren die Daten über Cottman IV so lückenhaft zusammengestoppelt? Nach jahrzehntelanger Präsenz der Föderation auf dem Planeten sollten die Ethnologen und Anthropologen genügend Monographien veröffentlicht haben, um eine kleine Bibliothek füllen zu können! »Und wegen der Uniform«, fuhr Geremy fort. »In diesem Teil von Thendara sehen die Leute nicht oft eine Frau aus dem terranischen Sektor – die bleiben meist in den Gebäuden beim Raumhafen unter sich. Schwarz ist eine ungewöhnliche Farbe hier, weil unsere Färber kein gutes, dauerhaftes Schwarz herstellen können. Und da wir unser Handwerk schätzen, färben wir kein Schwarz. Unsere Garde trägt schwarze Mäntel, aber die sind aus einer Wolle, die von Natur aus schwarz ist. Sie wissen ja, wie die Leute sind, Domna – sie begaffen alles, was anders ist.« Er krümmte sich ein wenig und sah aus, als wäre ihm nicht wohl in seiner Haut.

»Sie sehen irgendwie einfach nicht wie eine Terranerin aus«, mischte sich Ethan ein. »Oder wie jemand von Thesis – der Planet, auf dem Sie gelebt haben. Sie sehen aus wie eine Dame!«

Margaret hielt ein breites Grinsen zurück und nahm sich fest vor, Ivor von Ethans Lapsus zu erzählen. In gewisser Weise kamen alle Gelehrten von Thesis. »Es heißt Thetis, Ethan, nicht Thesis. Aber sehen die anderen Frauen beim Raumhafen denn nicht wie Damen aus?«

»O nein«, antwortete Geremy. »Das sind einfach Frauen.« Damit war für ihn offenbar alles erklärt, weshalb Margaret das Thema fallenließ. Wenn sie jetzt darüber nachdachte, fand sie es amüsant, daß ihre eigene Definition einer »Dame« rein auf der äußeren Erscheinung basierte. Typischerweise sah eine Dame wie ihre Stiefmutter, die Frau des Senators aus. Das bedeutete rotblonde Haare, kleiner Wuchs und ein üppiger Busen. Ihre eigenen roten Haare und die gelben Augen hatten ihr nie gefallen. Ihre Maße waren seit der Pubertät ein Problem, was sie in vertikaler Richtung zuviel hatte, fehlte ihr um die Brust herum. Verglichen mit thetischen Eingeborenen war sie sehr groß, und selbst an der Universität ragte sie heraus. Sie hätte gern dunkle Haare gehabt wie der Alte, bevor er grau wurde, und dunkle Augen wie er. Oder graugrüne Augen und goldenes Haar wie Dio. Sie verbannte diese fruchtlosen Gedanken und hörte lieber den Jungen zu, die die einzelnen Läden mit Namen nannten, als sie nun in ein Viertel kamen, das eindeutig dem Textilhandwerk gewidmet war.

»Dort ist das Geschäft, in dem mein Bruder zur Lehre ist, aber da gehen Sie lieber nicht hin. Er macht schlechte Imitationen von terranischem Tuch.« Geremy deutete zu einem Geschäft mit einem tiefen Ladentisch voller Stoffballen. Für Margarets ungeübtes Auge sah es gar nicht schlecht aus, aber sie merkte, daß sich Geremy für den Laden schämte.

»Wie geht eine Lehre hier vor sich?« fragte sie.

Geschmeichelt von ihrem Interesse, fingen beide Jungen gleichzeitig zu sprechen an, ein freundschaftlicher Wettstreit, wer sie als erster informieren durfte. Margaret wurde klar, daß sie hier mühelos Informationen erhielt, für die ein Anthropologe mit Freuden seine Mutter verkauft oder seine Seele verpfändet hätte. Was sie ihr erzählten, hörte sich wohl durchdacht und fair an, nicht wie auf manchen Planeten, wo die Jungen als Arbeitssklaven oder bloßes Eigentum betrachtet wurden. Es war ein Jammer, daß sie den Recorder im Zimmer gelassen hatte. Sie bogen in eine Straße, die offenbar ihr Ziel war. Die Schilder zeigten Bilder von fertiger Kleidung oder, wie in einem Fall, eine leuchtend goldene Nadel vor einem braunen Hintergrund, was wohl auf einen Laden für Stickereien hinwies. Wo sich in der vorherigen Straße Stoffballen in den Türöffnungen gestapelt hatten, hingen nun Hemden oder Jacken. Alles war reich mit Stickereien verziert. Sie sah feine Blusen, fast durchsichtig, daneben aber auch festere, praktischere. Ein oder zwei Läden stellten eine angezogene Puppe in eindeutig festlicher Kleidung zur Schau – glänzendes, transparentes Material, das Margaret für die Spinnenseide hielt, von der Anya gesprochen hatte.

Ethan öffnete eine Ladentür und führte sie hinein. Ein kräftiger Mann mit schwarzem Haar stand an einem großen Schneidetisch und hielt einen Stoffballen in der Hand, als überlegte er, wie er ihn schneiden und in Falten legen sollte. Er hatte einen geistesabwesenden Gesichtsausdruck, den Blick eines Künstlers während des schöpferischen Akts, und Margaret widerstrebte es, seine Konzentration zu stören.

Ihr junger Führer hatte offensichtlich keine solchen Hemmungen. »Onkel Aaron, das ist die Dame, von der ich dir erzählt habe. Domna Alton, Aaron MacEwan.«

Der Mann blinzelte ein wenig mit schweren Lidern, dann verbeugte er sich anmutig. »Willkommen in meinem Geschäft, Domna. Sie ehren mich. Wie kann ich Ihnen dienen? Ein Spinnenseidenkleid in Erbsengrün vielleicht für das Mittsommernachtsfest?« Er zeigte auf einen Ballen schimmernden Stoffs, der am Schneidetisch lehnte. Dann hob er ihn auf, als hätte er kein Gewicht, und hielt ihn nahe an ihr Gesicht, damit er sah, ob die Farbe zu ihrer Haut paßte.

Das sah sehr teuer aus, und vollkommen unangemessen, wenngleich sich ihre Hände danach sehnten, über den hauchdünnen Stoff zu streichen. Er hatte einen Geruch, den sie kannte – ein wundervoller, reiner Duft. Wie so viele andere Gerüche in den letzten Stunden rief er die Vergangenheit wach. War es der Duft der Seide oder der Person, die sie getragen hatte, der an der Schwelle zu ihrem Bewußtsein flatterte. Und wer war die Trägerin – Dio oder eine andere Frau? Sie versuchte, die Erinnerung rasch zu verbannen, denn sie spürte, wie sie sich anspannte.

Margaret besuchte selten Veranstaltungen, bei denen sie schickere Kleidung tragen mußte als ihre Universitätsroben, die zur Zeit in einer Kommode auf Coronis verpackt waren. Bis zu diesem Augenblick war ihr nicht bewußt gewesen, wie oft sie sich schon gewünscht hatte, Kleider wie Dio zu tragen, wenn sie mit Würdenträgern speisten oder der Alte sich ausnahmsweise zum Besuch eines Balls überreden ließ.

Sie seufzte leicht. »Danke, aber eigentlich hatte ich an etwas Praktisches, Schlichtes gedacht«, sagte sie. »Ich brauche ein paar robuste, warme Kleidungsstücke, die zum Laufen oder Reiten geeignet sind. Etwas in der Art, wie es Anya trägt, aber für draußen. Ethan?« sagte sie hilfesuchend.

Ethan sah schockiert aus. »Aber Mylady – Anya ist alt.« Margaret war überrascht. Alt? Anya sah wie fünfzig aus, vielleicht, was nach ihrem Maßstab nicht alt war. Bei den Fortschritten in der Technik der Verjüngung war fünfzig noch nicht einmal mittleres Alter. Die Lebenserwartung hier mußte geringer sein, als sie gedacht hatte. Aber wieso? Es ergab keinen Sinn. Dann kam ihr zu Bewußtsein, daß Anya eine verheiratete Frau und wahrscheinlich über das gebärfähige Alter hinaus war. Viele Kulturen kleideten Mädchen und junge Frauen anders als reife, verheiratete Frauen. Wie hatte sie nur so schwer von Begriff sein können!

»Dann so etwas wie Moira.«

»Eine Dienerin, Damisela? Aber Sie können sich doch nicht wie eine Dienerin kleiden. Onkel, vielleicht dieses rotgelbe Gewand, das du für Mestra Rafaella gemacht hast, das sie dann nicht wollte, als es fertig war.«

Aaron sah erleichtert aus. »Genau das ist es«, sagte er. »Es wurde noch nicht einmal getragen, Domna«, erklärte er. »Die Mestra kam zu dem Schluß, daß ihr die Stickerei nicht gefiel.« Seine Stimme klang nun dünner und ein wenig angestrengt. Margaret sah ihn prüfend an. Log er? Und wenn ja, warum? Dann entschied sie, daß sie wieder einmal überempfindlich war. Sie mußte sich nun wirklich bald unter Kontrolle bringen, sonst war sie zu gar nichts mehr zu gebrauchen. Bei jedem Geruch und jedem Schatten zusammenfahren – das reichte jetzt!

»Sie haben dieselbe Größe und eine ähnliche Gesichtsfarbe.« MacEwan nickte, während er sprach. »Der Junge wird mir eine echte Hilfe sein – er kennt meine Ware schon besser als ich. Manuella!« Er bemerkte den mißvergnügten Ausdruck nicht, den seine Bemerkung auf Ethans schmalem Gesicht hervorrief. Margaret lächelte dem Burschen zu, und dessen Miene heiterte sich augenblicklich auf. Sie konnte kaum glauben, daß sie ihm gestern noch mißtraut und ihn für einen potentiellen Dieb gehalten hatte.

MacEwans erhobene Stimme rief eine müde aussehende Frau auf den Plan, die ähnlich gekleidet war wie Anya, und Margaret erkannte, daß sie richtig vermutet hatte. Es gab tatsächlich eine Unterscheidung zwischen dem, was einer verheirateten Frau angemessen war, und dem, was für eine alte Jungfer wie sie selbst paßte. Der Gedanke erschreckte sie ein bißchen – so hatte sie sich noch nie gesehen.

»Meine Frau, Domna. Nimm sie mit nach hinten, meine Liebe, und zeige ihr das rotgelbe Gewand, das wir für diese mäkelige Rafaella gemacht haben. Und du, Ethan, lauf auf den Dachboden hinauf und hole die grüne Rabbithornwolle. Sie ist leicht, aber sehr warm. Dann geh rüber zu Jason, dem Gürtelmacher, und laß ihn eine anständige Auswahl an Damengürteln und Handschuhen schicken. Und du, Geremy, läßt von Mestra Dayborah eine hübsche Auswahl an Damenunterwäsche kommen – ungefähr die Größe von Mestra Rafaella.«

Margaret wurde von einer sichtlich verlegenen Manuella sanft nach hinten verschleppt. »Bitte verzeihen Sie ihm, Domna. Er ist ein Künstler und vergißt manchmal seine Grenzen. Er wollte sie nicht herumkommandieren!«

»Ich glaube, er war mitten in den Schöpfungswehen, als ich hereinkam.«

Manuella seufzte, wie es geduldige Ehefrauen tun, dann lächelte sie schüchtern. »Er träumt jetzt schon seit Tagen über dieser Stoffbahn. Er ist ein braver Mann und sieht keine andere Frau an, aber wie er sich bei einem Ballen feinem Stoff aufführt, das ist fast nicht zum Aushalten. Wie soll ich gegen Wolle oder Spinnenseide ankommen, oder auch nur gegen Baumwolle aus den Trockenstädten. Trotzdem ist er ein Meister seines Fachs. Hier ist das Gewand, das er für Rafaella gemacht hat – ein Gewand, wie sie in ganz Thendara kein schöneres finden werden, aber nicht gut genug für diese ... Katze! Diese Entsagenden! Können sich nicht anständig benehmen. Trotzdem tut sie recht vornehm, nur weil ihr Vater Coridom bei den MacLorans war. Ein Coridom ist immer noch ein Diener, sag ich, und nicht etwas Besseres als ein ehrlicher Handwerker.«

Während sie weiter plapperte, schüttelte Manuella die Falten des komplizierten Gewandes aus. Es bestand aus drei Röcken, jeweils in einem leicht helleren Rotgelb gefärbt als der vorhergehende und am Saum mit einem grünen Blattmuster bestickt, einer Bluse in der Farbe des blassesten Rocks und einer Jacke in einem sehr dunklen Rotgelb, die das Ensemble abschloß. Alles auf einmal getragen, war es bestimmt warm und schwer und sehr viel bequemer als das, was Margaret im Moment anhatte.

»Es ist wunderschön«, sagte Margaret, »und etwa meine Lieblingsfarbe, aber ich glaube, es ist ein wenig zu ... zu elegant für das, was ich im Sinn hatte. Was ich brauche, ist ein Arbeitsgewand.« Sie kannte irgendwie das richtige Wort für das, was sie wollte, und fragte sich, woher, denn sie wußte, daß es nicht auf der Diskette mit dem Grundwortschatz gewesen war. Es flog ihr einfach zu, wie das Lied auf der Ryll. Das Gewand hier, so schön es auch war, fand sie zu kunstvoll gearbeitet, um damit in einer Werkstatt voller Sägespäne herumzustöbern oder in den entlegensten Winkeln dieses Planeten Lieder zu sammeln. »Es gefällt mir wirklich sehr, aber ich hatte eher an etwas in der Art gedacht, wie Sie es anhaben.«

Manuella sah auf ihre zweckdienlichen Röcke und ihre schlichte graue Jacke, dann rollte sie die Augen himmelwärts. Margaret hatte diese Mimik schon oft gesehen, und sie bedeutete immer das gleiche: Warum sind die Menschen nur so schwer von Begriff? Das zutiefst Menschliche dieses Blicks tröstete Margaret ein wenig, und sie lächelte schwach.

»Sie wollen sich wie eine Geschäftsfrau anziehen? Wollen Sie Ihrer Familie Schande machen? Bitte, Domna, jeder sieht doch, was Sie sind, und niemand wird sich davon täuschen lassen, wenn Sie sich unter Ihrem Rang anziehen.« Manuellas Stimme war ernst.

Rang? Margaret konnte sich nicht vorstellen, was Manuella meinte. Wußten diese Leute, daß sie die Tochter des Senators von Cottman war, und welchen Unterschied machte das? Die Frau war offensichtlich besorgt, daß Margaret die falsche Kleidung tragen könnte, aber wieso? Sie wollte gerade fragen, als eine runzelige alte Frau hereinkam, den Arm voller weicher Kleidungsstücke. Die Frau hielt inne, gaffte Margaret verblüfft an und machte dann einen tiefen Knicks. Es war Dayborah, die Wäscheherstellerin.

Margaret vernahm einen leise geflüsterten Gedanken der alten Frau, als sie ihr vorgestellt wurde. Eine Comynara! Es ist wie in den alten Zeiten, als ich noch ein junges Mädchen war! Sie fing ein sehnsüchtiges Gefühl auf, ein Verlangen nach einer vergangenen Zeit, als noch jeder seinen Platz kannte, dann schüttelte sie die Empfindung ab, die Gedanken der alten Frau hören zu können. Margaret war überzeugt, daß sie mit jemandem verwechselt wurde, wenngleich sie sich nicht vorstellen konnte, mit wem.

Margaret war plötzlich zu müde, um weiter über Kleidung zu streiten, und sie ließ sich aufschwatzen, was die anderen für richtig hielten. Sie probierten mehrere Stücke an, bevor sich Manuella zufrieden zeigte. Die Kleider paßten ganz gut, und die Zugbänder an Taille und Hals ließen noch Spielraum. Manuella öffnete Margarets Zopf und kämmte ihr Haar aus, dann faßte sie es mit einer schönen silbernen Spange in Schmetterlingsform wieder zusammen. Die Spange fühlte sich schwer an in ihrem Nacken, obwohl sie leicht war, und auch vertraut, obwohl sie sich nicht eindeutig erinnern konnte, schon einmal eine ähnliche gesehen zu haben. Hauptsächlich fühlte sie sich richtig gut an.

Während die beiden Frauen über Gürtel berieten und einen dunkelgrünen aussuchten, hatte Margaret das beunruhigende Gefühl, daß sie dabei war, ihre persönliche Identität zu verlieren. Es gab keine Margaret Alton mehr, sondern statt dessen eine endlose Parade von Fremden, die lagenweise in Stoff gekleidet wurden, deren Haar von Schmetterlingen gebändigt und deren Handgelenke mit Stickereien und Armreifen umschlossen wurden. Der Geruch der Textilien weckte Erinnerungen, die ganz bestimmt nicht ihre eigenen waren! Er rief Bilder von jenem silberhaarigen Mann wach, der manchmal durch ihre Träume spukte, und von der kreischenden, roten Teufelin. Plötzlich erfaßte sie ein Kaleidoskop von widerstreitenden Bildern. Sie mühte sich, im Hier und Jetzt zu bleiben, in der Gegenwart statt der gefährlichen Vergangenheit. Aber die Erinnerung an das Waisenhaus kehrte zurück, und plötzlich fürchtete sie sich. Sie biß sich auf die Unterlippe und zwang sich, ihre Aufmerksamkeit auf die Frauen zu richten, die um sie herumscharwenzelten.

Man drückte ihr die grüne Rabbithornwolle in die fast tauben Hände, und sie hörte sich mechanisch zustimmen, daraus ein Festtagskleid machen zu lassen, mit einer passenden Bluse aus einer baumwollartigen Faser. Mit Sicherheit war es zu kalt auf diesem Planeten, als daß man Baumwolle anpflanzen konnte.

Margaret klammerte sich im Geiste an ihre Hochschulauszeichnungen, als die Fragen immer mehr wurden und ihre Verwirrtheit zunahm. Sie erkundigte sich nach dem Gewebe und erfuhr, daß man es aus den Fasern des Federschotenbaums wob. Man erzählte ihr von dem kräftigen Schaf, das in den Bergen lebte, und von vielen anderen Dingen. Beim Zuhören fühlte sie sich langsam wieder ein wenig klarer, und Manuella ging mit ihr zurück in die große Werkstatt.

Aaron MacEwan wickelte eine Bahn von der Spinnenseide auf, ein dunkles Grünblau, das so schön war, daß es Margaret mit wortlosem Verlangen erfüllte. Die Seide war sogar noch schöner als das Material, das er ihr zuerst gezeigt hatte, und ihr Widerstand geriet ein wenig ins Wanken. Er bedrängte sie, ein Ballkleid daraus machen zu lassen. Margaret protestierte vergeblich, daß sie für eine solche Aufmachung keine Verwendung hatte. Alle lächelten nur verschwörerisch und setzten sich über ihren Einspruch hinweg.

Dann erhaschte sie in dem langen Spiegel an der Stirnseite des Ladens einen Blick auf sich, und ihre Knie wurden weich. Sie sah die Fremde in dem Glas an, dann schaute sie schnell weg. Das war nicht sie. Sie hatte plötzlich das verzweifelte Verlangen nach ihrer armseligen alten Uniform! Sie fürchtete sich vor der Frau in dem Spiegel. Margaret wandte sich ab, biß sich auf die Unterlippe und versuchte, ihre zitternden Knie zu beruhigen.

Aaron fertigte eine Skizze des vorgeschlagenen Gewands und schickte einen der Jungen um eine Stickerin. Margaret bot ihren letzten Rest Energie auf, um den quälenden Stimmen um sie herum ein Ende zu machen. »Aufhören! Bitte! Ich brauche kein Tanzkleid. Ich bin Wissenschaftlerin, keine Prinzessin.« Dann floh sie ins Hinterzimmer, legte die Kleider ab und schlüpfte wieder in ihre Uniform.

Als sie in die Werkstatt zurückkam, war Dayborah verschwunden, und sowohl Aaron als auch Mannella hatten einen verwirrten Gesichtsausdruck. Tatsächlich sah Aaron mehr als nur verwirrt aus – er wirkte verletzt!

»Aber was ist mit dem Mittsommernachtsball?« fragte er.

So entschlossen sie konnte, entgegnete Margaret: »Wenn es einen solchen Ball gibt, werde ich ihn bestimmt nicht besuchen. Ich verkehre nicht in diesen Kreisen. Und was ich jetzt brauche, ist ein guter Wollmantel für einen Mann, vielleicht um soviel kleiner als Sie, Meister MacEwan« – sie machte eine entsprechende Geste – »und schon ein bißchen älter. Ich muß jetzt wirklich bald zu ihm zurückgehen. Die ganze Sache hier hat viel zu lange gedauert.«

»Nun, wenn Sie müssen, dann müssen Sie, Domna. Wir lassen dann später alles in die Burg bringen.« Sie spürte die Verwirrung und einen leichten Unmut, als würde sie die beiden absichtlich um ein Vergnügen bringen. Wenn sie nur schlau aus all dem werden könnte. Sie hatte das Gefühl, nur Haferbrei im Hirn zu haben – einen klumpigen Haferbrei noch dazu.

»Burg?« Sie hatten sie mit jemandem verwechselt. Plötzlich setzte sich ihr Humor durch. Es war wie in einer uralten Geschichte. Sie mußte einer einheimischen Adligen ähneln, und sie glaubten bestimmt, daß die sich aus Neugier unters Volk gemischt hatte.

»Die Domna wohnt bei Meister Everard in der Musikstraße«, sagte Geremy schnell. »Das habe ich euch doch erzählt!« Er war rot vor Verlegenheit.

Die Älteren sahen ihn mit einer Mischung aus Enttäuschung und Ungläubigkeit an. Aaron MacEwan schüttelte den Kopf. »Wenn Sie meinen, Domna

»Allerdings«, sagte sie gereizt. »Wenn Sie jetzt bitte ein Paket fertig machen; ich nehme es gleich mit.«

»Also wirklich, nein; das ziemt sich nicht«, sagte Meister MacEwan entschlossen, offenbar glaubte er weder ihr noch seinem jungen Neffen. Er war die Verkörperung von verletztem Ehrgefühl. »Wir schicken alles innerhalb einer Stunde.«

Margaret gab auf. Sie wollten nicht glauben, daß sie die war, für die sie sich ausgab, und beharrten eigensinnig darauf, sie sei eine völlig andere Person. »Wieviel macht das?« Aaron schaute zerstreut in eine Ecke des Raumes, während Manuella einen Preis nannte, der weit unter dem lag, was Margaret erwartet hatte. Wenigstens berechneten sie ihr nicht zuviel. Als die peinliche Geldangelegenheit erledigt war, räusperte sich MacEwan.

»Domna«, sagte er. »Es steht uns nicht zu, Sie in Frage zu stellen. Aber als uns der kleine Ethan gesagt hat, wer Sie sind oder zu sein schienen, fühlte ich mich aufrichtig geehrt, daß Sie mein Geschäft für Ihren Einkauf erkoren haben. Oh, ich gestehe, das war wegen meines eigenen Ruhms. Ich habe selten Gelegenheit, eine Dame der Comyn einzukleiden, denn meistens kaufen sie nur das Tuch und lassen es von ihren eigenen Dienern schneidern. Es geht mir gegen den Strich, wenn ich daran denke, daß sich ungeübte Hände an meinen schönen Waren vergreifen, aber so ist es nun einmal. Ich habe durchaus einen guten Ruf, aber weiter kommt man eben nicht mit gesellschaftlichen Aufsteigern, Dichtern und fahrenden Sängern.«

Margarets Schädel pochte nun, als würden tausend Trommeln in ihm geschlagen, und ihre Haut war kalt und klamm unter der Uniform. Sie bot ihre ganze Höflichkeit auf und erwiderte: »Glauben Sie mir, Meister MacEwan, sollte ich je Stammkunde bei einem Schneider werden, dann bei Ihnen. Sie waren mehr als freundlich. Ich erkenne einen Künstler, wenn ich einen sehe. Ich weiß nicht, für wen Sie mich halten, aber glauben Sie mir, ich bin kein Mitglied dieser Comyn. Von denen habe ich bisher noch nie gehört!«

Kaum hatte sie die Worte gesprochen, wurde Margaret klar, daß sie zwar nicht unwahr, aber auch nicht ganz richtig waren. Sie kannte das Wort, sie wußte, was es bedeutete, aber es hing mit jenem Ort in ihrem Gehirn zusammen, an den sie nicht gehen wollte. Nein, an den sie nicht gehen durfte, selbst wenn sie es gewollt hätte. Die Luft im Raum kam ihr zu still vor, und sie lauschte erneut nach dem Geräusch eines Sommergewitters.

Dann schien sich ein großes Gewicht auf ihre Brust zu senken. Eine riesige Hand griff nach ihrem Herz und drückte es zusammen. Sie stützte sich auf den langen Schneidetisch, die Tischkante drückte an ihren Hüftknochen, und ein langer, rotierender Tunnel tat sich vor ihren Augen auf. Fallen, fallen! Sie taumelte in die Tiefe, und alles verschwand in kreiselnder Dunkelheit.

Asharas Rückkehr

Подняться наверх