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Strategien und Massnahmen

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Ein Blick in die neuere Geschichte zeigt, dass diverse Landeskirchen gegenüber den Veränderungen in der Glaubenslandschaft nicht passiv geblieben sind.38 Auch im Appenzellerland gab es Weichenstellungen, welche die Kirche für die Zukunft fit machen wollen. Ein Schwerpunkt war die Schaffung einer neuen Kirchenverfassung, die am 1. Januar 2001 in Kraft trat.39 Dabei stand eine Frage im Mittelpunkt: «Wie soll die Kirche von Morgen aussehen?»40

Eine Teilantwort auf diese Frage ist in der Präambel zu finden, die als Vision für die Zukunft dient. Die Landeskirche soll als Weggemeinschaft verstanden werden. Unter diesem Begriff «Weggemeinschaft» wird eine Vielzahl verschiedener Gemeinschaften, Gruppen, Gruppierungen, Organisationen und Zusammenkünfte verstanden, die es in den Ortsgemeinden und in der Landeskirche gibt. Der Sonntagsgottesdienst bildet eine Weggemeinschaft unter anderen gleichwertigen Gemeinschaften. Nach dieser Betrachtungsweise wird die Kirche von ihrer Basis, von den Gruppen her definiert, in denen das kirchliche Leben stattfindet.

Offenere Kirchgemeindegrenzen sind in diesem Zusammenhang die logische Folgerung. Kirchgemeinden sind primär Personengemeinden und können in unserer mobilen Gesellschaft nicht in geographischen Grenzen festgehalten werden. Entsprechend sollen einzelne Gemeindemitglieder die Möglichkeit haben, sich einer anderen Kirchgemeinde anzuschliessen. Mit der Einführung der freien Wahl der Kirchgemeinde in der neuen Kirchenverfassung wurde das Territorialprinzip aufgehoben.41 Seit dem Jahr 2002 haben 123 Mitglieder von der Möglichkeit eines Wechsels Gebrauch gemacht.

Ein weiteres Anliegen war die Schaffung von klareren (Macht-)Verhältnissen zwischen der Kirchenvorsteherschaft (KIVO) und den Pfarrpersonen. Wie es damals hiess: «Das Verhältnis zwischen KIVO und Pfarrerinnen oder Pfarrern soll unter Beachtung der Gewaltentrennung jenes eines Arbeitgebers und eines Arbeitnehmers sein.»42 Dieses Anliegen wurde im neuen Kirchengesetz berücksichtigt. Dabei wurde die KIVO deutlich gestärkt, aber auf Kosten des Mitspracherechtes der Kirchgemeinde. Die Kirchgemeinde bestimmt zwar – gemäss der heutigen Kirchenverfassung – die Anstellung der Pfarrpersonen, hingegen hat sie gemäss Kirchenordnung bei einer allfälligen Kündigung einer gewählten Pfarrperson keine Einflussmöglichkeiten mehr. Diese Sachlage ist nach demokratischem Verständnis zumindest als problematisch einzustufen.43

Mit einer Anstellung der Pfarrpersonen durch die KIVO mit einem Dienstvertrag, der beiderseitig kündbar ist, sollten unangenehme Entlassungsverfahren vermieden und eine Gleichstellung aller Angestellten erzielt werden. Die Einrichtung einer Ombudsstelle, um Differenzen zu bereinigen, sowie einer Rekurskommission, um gegen Entscheide verschiedener kirchlicher Gremien Rekurs einzulegen, sollte die Kirche befähigen, konfliktfähiger zu werden, um schliesslich auch versöhnungsfähiger zu sein. Dabei ist aber eine wichtige Errungenschaft und Eigenheit der reformierten Leitungskultur in den lokalen Gemeinden geopfert worden: die Kooperation zwischen Theologen und Nicht-Theologen, die völlig gleichberechtigt sind.44

Auf anderen Ebenen des kirchlichen Lebens ist die typisch presbyterianisch-synodale Kirchenstruktur noch intakt. Im fünfköpfigen Kirchenrat wirken zwei Pfarrpersonen mit. Und in der Synode sind die Theologinnen und Theologen nach wie vor gut vertreten. Gemäss Hirzel war die Synode 1990 durch folgende Berufsgattungen vertreten: «17 Pfarrer, 10 Hausfrauen, 9 Lehrer, 7 Beamte, 6 Vertreter technischer Berufe, 3 Kaufleute, 2 Handwerker, 2 Sekretärinnen, sowie je 1 Arzt, Buchhalter, Landwirt, Sozialarbeiter, Textilkaufmann und Wirt.»45 Heute setzt sich die Synode wie folgt zusammen: 12 Pfarrpersonen, 5 Ingenieure, 5 Kaufleute, 4 Hausfrauen, 4 Lehrpersonen, 4 Pflegefachfrauen, 2 Fachpersonen Religionsunterricht, 2 Heimleiter, 2 Sekretärinnen, sowie je 1 Atemtherapeutin, Bäuerin, Heilpädagogin, Hotelfachfrau, Kindergärtnerin, Messmerin, Supervisorin und je 1 Augenarzt, Detailshandelsangestellter, Finanzberater, Postbeamter, Sozialarbeiter und Qualitätsmanager.

Die Orientierung der appenzellischen Landeskirche an Modellen und Methoden des modernen Managements46 hat auch weitere Veränderungen mit sich gebracht. Auf der Homepage der Landeskirche47 ist eine Reihe wichtiger Unterlagen zum Herunterladen bereit, die zur Professionalisierung der Kirchgemeindeleitung beitragen sollen: Beispielsweise ist neben einem Dokument für die Bemessung von Pfarrstellen, einer Mustervorlage für Anstellungsverträge oder einem Formular für Mitarbeitergespräche auch das landeskirchliche Leitbild zu finden, welches Ende 2003 entstanden ist. Darin werden Vision, Auftrag und Werte der Landeskirche kurz und prägnant umschrieben. Seither sind da und dort einzelne Kirchgemeinden gefolgt. Sie haben eigene Leitbilder entworfen, in denen sie ihre eigene Identität und Ausrichtung verdeutlichen.

Der allgemeine gesellschaftliche Trend zur Professionalisierung ist auch in der appenzellischen Kirche angekommen. Es gibt eine Reihe von Fachstellen, die unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. Speziell im Unterrichtswesen hat die Professionalisierung deutliche Spuren hinterlassen. Mit dem Lehrplan für den kirchlichen Unterricht aus dem Jahr 2006 wird lediglich ein Minimum an Religionsunterricht für Kinder festgelegt und den Kirchgemeinden vorgeschrieben. Offen ist, wie die Kirchgemeinden den Unterricht gestalten, ob konfessionell getrennt oder ökumenisch. In einzelnen Kirchgemeinden findet der Unterricht als Ergänzung zu der von Freiwilligen gestalteten Sonntagsschule statt. In anderen Gemeinden hat der Unterricht die Sonntagsschule abgelöst.

Seit langem ist die Ökumene in den beiden appenzellischen Halbkantonen ein wichtiges Anliegen. Im Sommer 2002 fand der erstmals durchgeführte ökumenische Appenzeller Kirchentag statt, und zwar im innerrhodischen Hauptort: «Insgesamt nahmen 2000 bis 3000 Personen an den insgesamt über 80 Veranstaltungen teil. Diese standen unter dem Motto ‹Mer machet uuf› und machten den Kirchentag zu einem Fest der Begegnung, der Besinnung und der Spiritualität.»48

Eine deutliche Stärkung der ökumenischen Beziehungen erfolgte am 19. Januar 2008, als eine Vertretung der Evangelisch-reformierten Landeskirche beider Appenzell zusammen mit neun weiteren Kirchen und Gemeinschaften im St. Galler Dom die Charta Oecumenica (CO) unterzeichnete. Die CO ist ein europäisches Grund­lagenpapier, das eine verbindliche Zusammenarbeit vorsieht, und kann als wichtiges Dokument der europäischen Kirchen im Hinblick auf ihr Selbstverständnis sowie ihre Aufgaben und Ziele gelesen werden.49 Sie beinhaltet eine Reihe konkreter Selbstverpflichtungen in der Zusammenarbeit. Ausgehend von der gemeinsamen Berufung zur Einheit, fordert sie speziell zum beharrlichen Bemühen um das gemeinsame Verständnis der Heilsbotschaft Jesu Christi im Evangelium auf, zum gemeinsamen Bekenntnis und Handeln sowie zur interkulturellen Versöhnungsarbeit. Die CO spricht damit Kernaufgaben der lokalen Kirchgemeinden an. Sie ist eine Einladung für die Christinnen und Christen vor Ort, aufeinander zuzugehen, füreinander zu beten und miteinander zum Segen für das gemeinsame Leben zu werden.

Mit einer kürzlich veröffentlichten Studie der Fachhochschule St. Gallen haben die beiden Landeskirchen im Appenzellerland ihre gesellschaftlich-sozialen Leistungen erhoben. Im Schlussbericht wird festgehalten, dass die Landeskirchen einen wesentlichen Beitrag für die Gesellschaft erbringen. «Der Gegenwert der gesellschaftlich-sozialen Leistungen wird auf rund vier Millionen Franken geschätzt. Das Angebot kann in Zukunft nur durch ein noch grösseres ehrenamtliches Engagement aller Beteiligten aufrechterhalten werden»,50 heisst es in einer Pressemitteilung. Die Palette der angebotenen Dienstleistungen wird als vielfältig und zielgruppenorientiert eingestuft. Es lassen sich auch klare Schwerpunkte erkennen: «Bei den kirchlich-­sozialen Angeboten werden die meisten Dienstleistungen in den Bereichen Kinder und Jugendliche, Seniorinnen und Senioren sowie Frauen, Männer, Familien und Ehe angeboten.»51 Und es wird gleichzeitig auf die Herausforderungen der Zukunft hingewiesen, was die Neupositionierung der Kirche als Volkskirche und die Wahrnehmung als Dialogpartnerin in der Öffentlichkeit betrifft.

In den letzten Jahren sind Stimmen laut geworden, die eine Verdeutlichung des reformierten Profils verlangen. Gerade im Zusammenhang mit den guten ökumenischen Beziehungen wird es als wichtig erachtet, die eigene Identität zu schärfen. Das neue «Reformierte Gesangbuch» (RG), welches seit 1998 in allen evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz verwendet wird, ist ein reformatorisches Werk mit klar ökumenischen Zügen. Sind es doch nicht weniger als 238 Lieder, Kanons und Rufe aus der römisch-katholischen Tradition, die aufgenommen wurden.52 Das RG ist aber gleichzeitig ein reformiertes Buch, welches als «Begleiter für das ganze geistliche Leben»53 genutzt werden kann. Neben den vielen Anregungen für den Gottesdienst eignet sich das RG durch die vielen Bibeltexte, Bekenntnisse, Gebete und weitere Hinweise auch für den privaten, häuslichen Gebrauch und ist somit ein Ausdruck reformierter Spiritualität.

Mit dem Werkbuch «Reformierte Bekenntnisse»54 ist eine interkantonale Initiativgruppe in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) aktiv geworden, die eine Vernehmlassung zum reformierten Bekennen in der Schweiz 2009 lanciert hat. «Unsere gegenwärtige Bedrängnis ist das Schweigen über den Glauben, die Privatisierung des Christseins, die Unleserlichkeit dessen, wofür wir als Christinnen und Christen eintreten.»55 Mit der Vernehmlassung wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der das Profil des Reformiertseins schärfen und dem Protestantismus in der Schweiz ein Gesicht geben soll. Folgende Fragen standen zur Diskussion: Welche Funktionen können Bekenntnisse in Gegenwart und Zukunft erfüllen? Soll ein gemeinsam gesprochenes Glaubensbekenntnis in der Schweiz zur Ordnung des Gemeindegottesdienstes gehören? Welche Reaktionen löst das «Credo von Kappel» aus? Die appenzellische Kirche hat sich an der Vernehmlassung mit zwei unterschiedlichen offiziellen Stellungnahmen beteiligt. Der Kirchenrat sprach sich für die Beibehaltung der aktuellen Bekenntnisfreiheit aus. Eine Mehrheit des landeskirchlichen Pfarrkonventes unterstützte hingegen den Vorstoss des SEK, einen neuen Bekenntnistext zu entwickeln. Aus Sicht des SEK ist es deutlich, dass die Vernehmlassung die Diskussion um das Bekennen nicht abschliesst, sondern eröffnet.

Pfarrerinnen und Pfarrer der evangelisch-reformierten Landeskirche beider Appenzell

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