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DER ERSTE ARBEITSTAG

Heute ist mein erster richtiger Arbeitstag. Für die Versorgung von Notfällen gibt es hier zwei OP-Säle, die extra dafür reserviert sind. Sie heißen ›Akut-Säle‹. Hier kommen nur Notfälle rein, alles, was geplant operiert werden soll, heißt ›elektiv‹ und braucht einen Termin, um in den einzelnen Abteilungen zugewiesenen OP-Kapazitäten operiert zu werden. Das Konzept von extra für Notfälle freigehaltenen Sälen ist mir neu.

»Wie macht ihr das denn in Deutschland mit den Notfällen?«

»Wir schieben die irgendwie dazwischen oder machen sie im Nachtdienst, je nachdem, wie dringend sie sind.«

»Das ist interessant, wie kann man einen elektiven Tag planen und dann unvorhersehbare Notfälle mitbehandeln?«

Das deutsche Vorgehen stößt hier auf völliges Unverständnis. Vom Prinzip her leuchtet mir das mit den Akut-Sälen auch ein. In der Praxis erweist es sich dann doch wieder als so schwierig wie bei uns, und beide Systeme haben ihre Macken. Bei uns schiebt der OP-Manager die Operationen und Patienten hin und her – wie Steine auf einem Mühlebrett, sodass durch die mehr oder weniger gute Organisation jeder Saal bis zum Anschlag ausgenutzt wird. Die Notfälle werden untergebracht, und was übrig bleibt, wird in der Nacht operiert. Bei uns maximale Auslastung. Hier so viel Planwirtschaft wie möglich. Um einen breiten Einblick in das System und in die einzelnen Abteilungen zu erhalten, teilt mich Sally in den Akut-Saal ein. Zusammen mit Kirstin Cunningham, einer kleinen, zierlichen und erfahrenen Fachärztin. Sie züchtet nebenbei Hühner. Vielleicht hilft ihr das dabei, den Überblick zu bewahren, wenn es hoch hergeht. Hier sind deutlich mehr Personen im Saal und zu beaufsichtigen als bei mir zu Hause. Es ist fünf nach neun als der Akut-Saal-Manager in den Frühstücksraum reinstürmt und uns zuruft: »Rupturiertes BAA, jetzt!«.

›BAA‹ bedeutet Bauch-Aorten-Aneurysma. Und ›rupturiert‹ bedeutet gerissen. Die Aorta ist die größte Schlagader im Körper, die sich direkt vom Herzen weg durch Brust und Bauchraum zieht. Von ihr zweigen die Arterien nach links und rechts ab, die die verschiedenen Organe mit Blut versorgen. Ein Aneurysma ist eine Aussackung eines Gefäßes. Ähnlich wie wenn Sie einen Fahrradschlauch zu fest aufblasen, kommt plötzlich an einer Seite eine Beule heraus. Und diese Beule der größten Arterie im Körper hat jetzt ein Loch. Je nachdem wie groß das Loch ist, verblutet man innerlich innerhalb von Minuten oder Stunden. Der Schmerz dabei ist vernichtend. Wenn das Loch oder der Riss ›gedeckt‹, also etwas eingedämmt von umliegenden Organen ist, hat man mehr Zeit. Wenn man die Aorta mit einem EVAR Stent versorgen kann, haben die Patienten gute Chancen. Ein Stent ist ein Drahtgeflecht, das man über die Leiste in die Arterie einführt und mit einem Ballon aufbläst, sodass sich das Loch verschließt. Stents werden am Herzen eingesetzt, um den Durchmesser der Herzkranzgefäße zu vergrößern. In der Aorta meistens, um ein Aneurysma auszuschalten. Wenn das Loch so verschlossen werden kann, ist das gut.

Wenn im Notfall die Operation ›offen‹, also mit langem Bauchschnitt gemacht werden muss, liegt die Wahrscheinlichkeit zu sterben bei etwa 30 Prozent. Das ist so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, bei einer Runde Schnick, Schnack, Schnuck zu gewinnen.

In unserem Fall muss offen operiert werden, und der Patient wird noch mit seiner eigenen Kleidung in den OP gefahren. Er ist sehr bleich, was bedeutet, er hat schon viel Blut verloren. Doch er kann noch sprechen, was heißt, er hat noch einen Blutdruck. Die Kleidung wird in Windeseile aufgeschnitten und das Monitoring – Blutdruckmanschette, EKG-Elektroden und Pulsoxymeter – angebracht.

Ich frage Kirstin, was ich tun kann oder soll. Zu Hause versorge ich solche Patienten allein, hier weiß ich nicht, wo die Medikamente und Utensilien sind. Sie sagt mir, dass ich ein Medikament verdünnen soll. Ich weiß weder, wo das Medikament ist, noch welche Dosierung sie von mir als Standarddosierung will. Der Anästhesie-Technician, also der Anästhesiepfleger, hilft mir bei den einfachsten Dingen. Ich komme mir sehr blöd und wenig hilfreich vor. Ungefähr so, als stünde ich vor einer Tür, auf der ›Ziehen‹ steht, und ich drücke.

Wir leiten die Narkose zusammen ein, und es wird eine Blutschlacht. Der eigentlich sehr gute Gefäßchirurg hat Probleme, das Gefäß abzuklemmen, damit die Blutung zum Stillstand kommt. Die Aorta reißt immer wieder ein, und das Blut spritzt teilweise bis an die OP-Leuchten. Das ist selten. Wir haben am anderen Ende zu kämpfen, um das Blut, das unten herausspritzt oben wieder in den Patienten zu transfundieren. Am Ende hat der Patient 42 Blutkonserven und andere Blutprodukte bekommen und überlebt. Trotz Anfangsschwierigkeiten haben wir ihn gemeinsam retten können. Der Patient hat nicht nur die OP überlebt, sondern Wochen später das Krankenhaus auf seinen eigenen Beinen verlassen. Auch das ist selten.

Als ich aus völlig verschwitzt aus dem Saal komme, kommt Sally den Gang entlang: »Na, da hast du dich ja selbst gut eingearbeitet! Danach, glaube ich, brauchst du vom Akut-Saal nicht mehr viel zu sehen. Morgen kommst du in den Kreißsaal.«

Als ich nach Hause komme, fragt meine Frau, wie es war.

»Blutig«, sage ich, »und bei dir?«

»Ich wäre beinahe verhaftet worden.«

Na, das fängt ja gut an.

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