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Prolog

Es war Nacht. Matt schien das Mondlicht vom dunklen Firmament, von zahllosen Sternen begleitet. Im Zentrum des Himmelsgewölbes dominierten die derzeit sichtbaren Sternbilder der Célesten den nächtlichen Himmel. Während das Sternbild der Krone, das dem Götterfürsten Solthûr geweiht war, sich schon dem Horizont näherte und bald nicht mehr zu sehen sein würde, waren Banner und Schale, Zeichen der Götter Ethana und Athmos, noch mitten im Kampf um den höchsten Platz am Himmel, den der Götterfürst nun schon seit einigen Wochen geräumt hatte. Die Bilder der drei übrigen Célesten würden erst in einigen Monaten wieder am Himmel auftauchen. Doch auch die Götter zollen der Zeit Tribut, und so würde es nur noch einen Tag dauern, bis die Schale das Banner vertrieben haben und der Monat Athmos beginnen würde.

Vom hellen Licht des Mondes und der Sterne erleuchtet, lag dichter, warmer Nebel über dem Wald wie ein Gespinst aus Licht. Es war nicht einer dieser unfreundlichen, grauen, kalten und beängstigenden Nebel, wie er in den Städten der Menschen hin und wieder anzutreffen war, sondern ein freundlicher Begleiter des nächtlichen Wanderers, eine dünne, aber dennoch angenehm warme Decke aus winzigen Wassertropfen. Ein Besucher aus anderen Teilen des Kontinents Dorimar – oder sogar aus anderen Teilen der Welt Mandril, dessen größte Landmasse Dorimar war, – hätte sich über den Nebel sicherlich gewundert, doch für die Bewohner dieses Waldes war er ein vertrautes Phänomen, ein freundlicher alter Bekannter. Sie wären auch sehr erstaunt gewesen, wenn ein Besucher eine Bemerkung darüber verloren hätte, wie anders dieser Nebel war, wie wenig er mit dem klammen Unwohlsein gemeinsam hatte, das der Besucher sonst mit einem abendlichen Nebel verband, denn sie kannten es nicht anders. Die Nebel eines Waldes, in dem Feen, Dryaden und Elfen lebten, waren immer freundlich.

Eine angenehme, fast vollkommene Stille lag über diesem Teil des Waldes. Es war weit nach Mitternacht, und die Insekten und Frösche hatten ihr nächtliches Konzert längst beendet. Die Nachtvögel hatten Beute gemacht und lagen satt und zufrieden in ihren Nestern, und für die Frühaufsteher unter den Waldtieren war es noch nicht die rechte Zeit. Nur ein alter Rotfuchs strich noch träge durch den Wald. Er hatte erst kürzlich sein Nachtmahl beendet und durchstreifte nun noch einmal sein Revier. Er war ein Veteran von beachtlichem Alter, sein ehemals glänzend rotes Fell hatte schon mehr als nur einen Graustich angenommen, war aber dennoch voll und kräftig wie das eines Jungtieres (worauf der alte Fuchs auch mächtig stolz war). Eine lange Narbe über dem linken Auge zeigte, dass er auch schon so manchen Kampf gegen Rivalen um Revier oder ein Weibchen hinter sich hatte, und er trug die Narbe wie einen Orden.

Plötzlich verhielt der alte Fuchs mitten im Schritt. Ein seltsamer Duft wurde von einer schwachen Brise heran geweht, ein Duft, der ihm so noch nicht untergekommen war. Er beschloss, der Sache nachzugehen. Langsam schlich er durch das niedrige Gebüsch, die Farne und die großen Bodenpflanzen, vorbei an großen Pilzkolonien, über duftendes Nachtscheinmoos, das seine winzigen zarten Blüten dem nächtlichen Betrachter darbot. Auch einige weitere Nachtgewächse zeigten ihre Pracht, aber der alte Fuchs hatte kein Auge für die kleinen und großen Wunder, die einen Fremden für Stunden in ihren Bann geschlagen hätten. Er wich scheinbar willkürlich einigen Bäumen aus, nahm Umwege in Kauf, um ihnen nicht zu nahe zu kommen. Dryaden mochten nette Wesen sein, aber eine von ihnen um diese Zeit wecken wollte der Fuchs dann doch nicht. Schließlich näherte er sich einer kleinen Lichtung nahe des Waldrandes, von der aus auch ein Wildpfad aus dem Wald herausführte.

Der Nebel war auf dieser Lichtung besonders dicht, und da er das Licht der Sterne und des Mondes widerspiegelte, verminderte er die Sicht beträchtlich. Der Fuchs wagte sich nicht gerne aus dem schützenden Unterholz auf offene Lichtungen, schon gar nicht so nahe am Waldrand, wo der Zauber des Waldes langsam schwächer wurde und den Gesetzen der Ebene wich, die ihn umgab. Dennoch konnte er seine Neugier kaum bezwingen, denn der Duft, dem er hierhin gefolgt war, war gar zu ungewöhnlich. Genauer gesagt war es ein Duftgemisch, ein Gemenge aus zwei ihm vertrauten Düften, dem er in seinem erlebnisreichen Leben noch nicht begegnet war.

Er spürte mehr als das er es wirklich wahrnehmen konnte, dass die Quelle dieses merkwürdigen Duftes sich bewegte, auf ihn zu oder an ihm vorbeikommen würde. Zufrieden damit, dass seine Neugier bald gestillt werden würde, legte der alte Fuchs sich im Schutz eines kleinen Haselstrauchs nieder. Hier würde ihn so schnell niemand entdecken, er aber konnte die ganze Lichtung überblicken, alles hören und im Notfall schnell ins Unterholz des tieferen Waldes verschwinden. Ja, ein idealer Platz.

Er musste nicht lange warten, bis drei Zweibeiner die Lichtung betraten, eine ein kleines Stück vor den beiden anderen gehend. Der Fuchs erfasste schnell, dass seine alte Nase ihn nicht getäuscht hatte und er tatsächlich die ungewöhnliche Gruppe vor sich sah, die sie ihm angekündigt hatte. Das versprach, interessant zu werden. Der alte Fuchs streckte die Vorderpfoten aus, bettete seinen Kopf darauf und versank in einer gründlichen Betrachtung der Szene, die sich da vor ihm abspielte.

Die beiden etwas weiter hinten gehenden Zweibeiner waren Hochelfen, ein Mann und eine Frau. Beide hatten den typischen schlanken Wuchs ihrer Rasse, lange, blauschwarze Haare und goldene Augen. Enganliegende Gewänder aus Elfenseide schmiegten sich an die wohlgestalteten Körper der beiden Elfen, in dunklen Braun- und lebhaften Grüntönen gehalten.

Die Frau trug ein Kleid, das ihre Oberschenkel bis zur Hälfte bedeckte und dort in bunten Fransen endete. Der Bauchteil war mit einigen Ornamenten bestickt, die ein verwirrendes, schillerndes Mosaik in den verschiedensten Grün-, Blau- und Silberschattierungen bildeten. Das tief ausgeschnittene, aber im Gegensatz zu den Kleidern an menschlichen Adelshöfen dennoch bescheidene und unaufdringlich wirkende Dekolleté war lediglich von einem schmalen Band aus Silberfäden umrahmt. Die Haare hatte sie zu einem hüftlangen Zopf geflochten, in den einige Blütenranken eingewirkt waren. Kein Schmuck zierte die Elfe und sie hatte ihn auch nicht nötig.

Ihr Begleiter trug eine knöchellange, schmucklose Hose aus grüner Seide und ein gleichfarbiges Hemd, welches die gleiche verwirrende Ornamentik aufwies wie das der Frau. Dazu einen einfachen, dünnen Ledergürtel, in dem ein Dolch und eine zierliche Beinflöte steckten. Die schulterlangen Haare fielen dem Elf offen auf den Rücken herab, kaum gebändigt von dem schmalen Silberstirnreif, den er angelegt hatte. Die Füße der beiden Elfen steckten in weichen Ledermokassins, die mit getrockneten Waldfrüchten verziert waren. Beide bewegten sich mit der unnachahmlichen Grazie und Würde ihres Volkes, einen feierlichen Gesichtsausdruck auf ihren Gesichtern, so wie auch der nicht alltägliche Schmuck ihrer Gewänder auf einen solchen Anlass hindeutete.

Die vordere Gestalt verhielt etwa in der Mitte der Lichtung. Der alte Fuchs hätte beim Anblick der Gestalt nicht ihren Geruch wahrnehmen brauchen, um zu wissen, dass er einen Menschen vor sich hatte. Obwohl die Gestalt sich auf einen langen, glatten Stab stützte und den Oberkörper wie unter einer großen Last vornübergebeugt hatte, war sie dennoch ein klein wenig größer als die beiden Elfen dahinter, die ebenfalls anhielten. Der junge Mann war in eine bodenlange, nachtblaue Robe gekleidet, auf deren Saum an Armen und Beinen sowie am Kragen silberne Symbole gestickt waren.

Magier, raunten dem Fuchs all seine Sinne zu.

Das schwarze Haar war kurz geschnitten und berührte den Kragen der Robe nicht; von den Schläfen des jungen Mannes zogen sich schlohweiße Haare wie ein Stirnreif bis über die Ohren, was nicht zu seinem jugendlichen Äußeren passen wollte. Auch der Gesichtsausdruck hatte nichts von der Unbekümmertheit der Jugend, welche die meisten Menschen in seinem Alter sonst auszeichnet. Der Hauch eines melancholischen Lächelns umspielte die Lippen, die gerade, unauffällige Nase war gebläht, sog fast gierig den Duft des abendlichen Waldes ein, als gelte es, den Geruch auf alle Zeiten festzuhalten. Feine Augenbrauen wölbten sich über den Augen, die mit einem Ausdruck von Trauer und Schmerz in die Welt sahen, der mehr als tausend Worte über die Vergangenheit des jungen Magiers erzählte. Schwarze Augen. So dunkel, dass das Licht der Sterne in ihnen wirkte, wie silberne Flecken auf schwarzem Samt.

Ein geheimnisvolles, charismatisches Gesicht, befand der stille Beobachter unter seinem Haselbusch. Dazu schlanker, drahtiger Wuchs und offenbar ein scharfer Geist, wenn er es bis zum Magus gebracht hatte. Die Menschenweibchen werden hinter dir her sein, wie eine Eule hinter der Maus, dachte der alte Fuchs mit einem gedanklichen Grinsen, aber ich wette, du schwebst so sehr in anderen Welten, dass du es nicht einmal merkst - bis es zu spät ist und eine dich für sich beansprucht!

Eine ganze Weile blieb der Magier so in Gedanken verloren stehen, seine elfischen Begleiter respektierten die stille Zwiesprache, die der Mensch offenbar mit sich selbst hielt. Schließlich drehte er sich zu ihnen um. Lange Zeit blickten sich die drei in die Augen, bis sich endlich ein Lächeln, wie der erste Sonnenstrahl des neuen Tages, auf das Gesicht der Elfe schlich. Der gedankenvolle Ausdruck auf dem Gesicht des Menschen schmolz unter dem Eindruck dieses Lächelns, und schließlich lächelten sich alle drei an, geheime Gedanken und vergangene Erlebnisse miteinander in diesem Lächeln teilend.

„So ist also letztendlich der Tag gekommen, vor dem ich mich schon so lange fürchte“, begann der Mensch mit der Unterhaltung. „Dies ist der Tag, an dem ein neues Leben für dich beginnt“, antwortete der Elf. „Ein Neubeginn ist immer mit etwas Angst verbunden, aber euch Menschen fällt er so viel leichter als uns Elfen. Deshalb, weil du ein Mensch bist, wirst du diesen Neubeginn wagen und dein neues Leben meistern.“

„Du warst doch bisher so stark“, warf die Elfenfrau ein, „ich glaube ganz fest daran, dass du es schaffen wirst.“

Ein liebevoller Ausdruck erschien auf den Zügen des jungen Mannes. „Ihr beide habt immer zu mir gehalten, zu Anfang, als ihr mich fandet, halbtot und mehr als nur ein wenig wahnsinnig vor Angst, ein seelisches Wrack. Auch danach, als der Rat eurer Sippe mich davonjagen wollte wie ein wildes Tier, und erst recht, als ihr meiner Seele geholfen habt, langsam wieder zu heilen. Ich werde euch und das, was ihr für mich getan habt, niemals vergessen.“ Die beiden Elfen nahmen die Worte ihres Freundes mit einem feierlichen Nicken entgegen.

„Ich habe lange überlegt, ob ich mich irgendwie erkenntlich zeigen könnte, und schließlich habe ich etwas Angemessenes gefunden. Nein“, rief er, den zu erwartenden Protest der Elfen mit einer Geste unterbrechend, „es ist nicht so ein typisches ‚Menschengeschenk‘. Es ist etwas Besonderes!“ Mit diesen Worten griff er in die Tiefen seiner Robe und holte nach einem kurzen Moment des Suchens etwas hervor. Als er den Elfen seine Hand entgegenstreckte und langsam öffnete, lag darin ein Kleinod von ergreifender Schönheit. Ein zierliches Gespinst aus Silber, welches die vollendete Form einer Feuerlilie hatte, trat zutage. In ihrer Mitte ruhte ein daumennagelgroßer Feueropal, der selbst im schwachen Mond- und Sternenlicht warm zu leuchten schien. Mit leichten, fast zärtlichen Bewegungen strichen die beiden Elfen über das Schmuckstück.

„Mein Freund, so ein kostbares Geschenk können wir auf gar keinen Fall annehmen“, sagte der Elf nach einer Weile ergriffen.

„Doch, ihr könnt es und ihr müsst es! Denn es ist der letzte Schritt meiner Heilung, ohne das ist sie nicht vollendet.“ Die Elfen schauten ihn fragend an. „Dieser Feueropal war Teil meiner Abschlussprüfung auf der Magierakademie. Ich habe ihn mit einem Zauber belegt, dass jeder, der ihn eine Weile getragen hat, mit seiner Hilfe einen der vorherigen Träger finden kann. Ich habe ihn sehr lange getragen.“ Bei diesen Worten schweifte der Blick des Magiers für einen kurzen Moment in weite Ferne. „Wenn ihr den Stein tragt, oder eines eurer Kinder, oder wer auch immer, dann kann er oder sie mich damit finden, oder ihr einander. Oder jeden anderen, der den Stein lange genug getragen hat. Dieser Stein ist die letzte schöne Erinnerung an mein altes Leben. Ihr seid die erste schöne Erinnerung in meinem neuen Leben, deshalb sei er hiermit euer!“ Damit drückte er den Stein der Elfe in die Hand und schloss ihre Hand darum.

Ohne weitere Worte fanden die drei in einer tiefen und innigen Umarmung zusammen; der Augenblick der Trennung war gekommen. Nach einigen Herzschlägen traten sie auseinander. „Wann immer ihr meine Hilfe braucht, könnt ihr die Lilie benutzen, um mich zu finden. Was auch immer ich tun kann, um einen Teil meiner Schuld zurückzuzahlen und meine Dankbarkeit zu zeigen, werde ich tun. Selbst wenn“, hier stockte er kurz, „selbst wenn ich dafür die Domänen von Felgranach selbst betreten müsste.“ Die Elfen erwiderten nichts, aber in ihren Gesichtern stand geschrieben, wie sehr sie das ehrliche Angebot ihres menschlichen Freundes bewegte.

Für einen letzten Augenblick sahen sie sich in die Augen, dann drehte sich der junge Magier abrupt um, straffte sich und ging entschlossenen Schritts auf den Pfad zu, der aus dem Wald heraus führte. Sowohl ihm als auch den Elfen standen Tränen in den Augen, doch jetzt bewegte er sich auf eine Art und Weise, die Macht und Selbstvertrauen verhieß, mit einer Stärke, die auf der harten Schule des Lebens gründete. Wie ein einsamer Wandler in der Nacht, dachte der alte Fuchs. Er fühlte mit dem fremden Menschen, aber im Gegensatz zu den beiden Elfen sah er ihn niemals wieder...

Buchenherz

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