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Reisen

„Reisen bildet. Es erweitert den Horizont. Es macht dich reich oder arm, aber auf jeden Fall weise. Du erkennst Dinge über dich, die du nie für möglich gehalten hättest. Und manchmal bringt es dich auch um.“

- aus den Memoiren des Entdeckers Rudegar von Vulast

Die Nacht verlief ereignislos. Während die Männer sichtlich ausgeruht ihr Tagwerk begannen, fühlte sich Dalewina steif und zerschlagen. Die mit Träumen beladene Nacht hatte ihr wenig Ruhe und noch weniger Erholung gebracht, doch wenigstens hellten die Strahlen der Sonne ihre Schwermut ein wenig auf und gaben ihr genug Kraft, um ihre wahren Gefühle vor den anderen verbergen zu können, denn noch war sie nicht bereit, alles mit diesen für sie immer noch Fremden zu teilen, was ihr Herz bewegte.

Da Dalewinas Blätterkleid zu empfindlich und ungeeignet für eine tage- oder wochenlange Wanderschaft war, lieh Felusion ihr etwas von seiner Reisekleidung. Sobald sie die nächste größere Ansiedlung erreichten, wäre es einfach, etwas Besseres und Kleidsameres für die junge Hochelfe zu finden, aber bis dahin war sie zufrieden und dankbar für die einfache Kluft aus einer derben braunen Leinenhose und einer feineren, grünen Bluse. Es waren keine vertrauten Stoffe, doch zumindest erinnerten sie die Farben an den heimatlichen Wald. Wenigstens waren ihre Schuhe trotz des weichen Leders, aus dem sie bestanden, dank des Handwerksgeschicks ihrer Sippe durchaus für die bevorstehende Aufgabe geeignet.

Nach einem einfachen Frühstück brachen die neuen Gefährten auf. Nur wenige Schritte von ihrem Lagerplatz entfernt lag der Waldrand, an dem sich eine gepflasterte Straße entlang zog. Auf diese Straße lenkten die Gefährten ihre Schritte und schritten zügig aus. Wie auf eine unausgesprochene Übereinkunft hin gingen die beiden Elfen voraus, die Magier folgten ihnen in einigen Schritt Entfernung, leise und angeregt diskutierend.

Dalewina nahm von ihrer Umgebung kaum etwas wahr. In Gedanken war sie noch immer bei den rätselhaften Ereignissen der letzten Stunden und versuchte, den Verlust ihres Liebsten zu verarbeiten. Das Gefühl absoluter Entschlossenheit, das sie nach ihrem zweiten Erwachen gespürt hatte, ließ sich bereits jetzt nicht mehr so leicht heraufbeschwören. Sie fragte sich, ob es in Zukunft immer schwerer werden würde, sich auf diese Entschlossenheit zu besinnen.

Doch sie wusste mit absoluter Klarheit, dass sie für Feodalis Rettung alles geben würde, sogar ihr Leben. Es war kein Gefühl von Selbstüberschätzung oder Hochmut, das ihr diese Klarheit gab. Sie sah sich nicht als Heldin, fühlte sich nicht wie die Recken in all den großen Liedern und Geschichten, nicht tapfer oder vom Schicksal auserkoren, um Großes zu tun. Sie liebte ihn einfach und musste ihn wieder in ihre Arme schließen, das allein war ihr Antrieb und das Fundament ihrer Entschlossenheit. Und damit war sie den Sagenhelden viel ähnlicher, als sie es selbst für möglich hielt.

Felusion, der neben ihr ging, spürte die grüblerische Stimmung der Hochelfe. Er beschloss, sich zunächst mit Abwarten und Beobachten zufriedenzugeben. Die Zeit zum Reden würde bald kommen.

Schließlich war Dalewina bei ihren Überlegungen an einem toten Punkt angelangt. Sie wusste so wenig über diese Welt und hatte keine Vorstellung davon, wohin sie sich jetzt wenden sollte. Mit einem Male fiel ihr auf, dass sie nicht einmal wusste, wohin sie ihren neuen Freunden gerade folgte. Bestürzt über ihre Lethargie und ein wenig verlegen machte sie eine entsprechende Bemerkung.

„Ich hatte mich schon gefragt, wann du das bemerken würdest. Du bist unvorsichtig, Schwester. So arglos, wie du uns gefolgt bist, hätten wir dich auf dem Sklavenmarkt von Blalukh verkaufen können, bevor du Verdacht geschöpft hättest, wenn wir nicht so nette Zeitgenossen wären.“

Felusions Gesicht verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. Es wirkte so, als würde er versuchen, dieses merkwürdige schiefe Halblächeln, das Julian bei jeder Gelegenheit zur Schau stellte, zu kopieren. Es gelang ihm nicht sonderlich gut, vielleicht weil das warme Sonnenlicht auf seiner weißen Seidenbluse so gar nicht zu dem Bild des verhinderten Sklavenhändlers passte.

Obwohl Dalewina wusste, dass Felusion ihr nicht wirklich einen Vorwurf gemacht hatte, fühlte sie eine Notwendigkeit, sich zu verteidigen. „Ich täusche mich nur selten in jemandem. Bei euch habe ich gleich gespürt, dass ich nicht in Gefahr bin. Die beiden Menschen waren viel zu neugierig und hilfsbereit, um an irgendetwas für mich Gefährliches zu denken. Und dann warst da ja auch noch du.“ Damit war nach ihrer Meinung das Thema erledigt, doch Felusion war mit ihr noch nicht fertig.

„Wie ich bereits sagte, du bist unvorsichtig. Du überträgst Regeln, die in deinem Wald Gültigkeit hatten, auf diese fremde Welt. Die Menschen sind wahre Meister darin, Dinge vorzutäuschen und ihre wahren Absichten zu verbergen. Unsere Philosophie, unsere Lebensweise, ja selbst unsere Art zu denken, all dies können sie für ihre Zwecke einsetzen und uns manipulieren, wenn wir nicht auf der Hut sind. Darians und Julians Hilfsbereitschaft und Neugier hätte ein Deckmantel für etwas sehr viel Schlimmeres sein können. Auch die Gegenwart eines Vertreters unseres Volkes ist kein Grund zur Sorglosigkeit. Ich habe Elfen beider Rassen gesehen, die kaum noch etwas Elfisches an sich hatten. Sie hatten die Unarten der Menschen angenommen, die Jagd nach dem Gold und dem persönlichen Vorteil hielt sie in eisernem Griff. Sie waren alle iriflaya, gefährlich und hielten sich nicht an die alten Regeln.“

Felusion machte eine Pause und ließ seine Worte auf Dalewina wirken. Es war ihr anzusehen, dass seine Ausführungen sie nachdenklich gemacht hatten. Waren die Menschen wirklich so gefährlich? Konnte ihre Welt aufrechte Elfen wirklich in Schatten ihrer früheren Ideale verwandeln? Diese Fragen standen deutlich sichtbar in ihren Augen. Dennoch hatte man sie gelehrt, sich auf ihre Instinkte zu verlassen und die hatten ihr keine Gefahr gemeldet. Vielleicht waren ja auch die Sinne der Grauelfen nicht mehr so scharf wie die ihrer Vettern in den Wäldern? Dalewina beschloss, sich Felusions warnende Worte zu Herzen zu nehmen, aber weiterhin ihren eigenen Sinnen und Instinkten zu vertrauen. Schließlich hatte sie in ihren jungen Jahren bereits einige Male beweisen können, dass sie sich auf sich selbst und ihre Fähigkeiten verlassen konnte.

„Du hast noch nicht einmal jetzt, nach meinen Warnungen, gefragt, wohin wir eigentlich gehen“, nahm Felusion das Gespräch schließlich wieder auf. Dalewina schreckte aus ihren Überlegungen auf.

„Ja, du hast Recht. Du darfst nicht glauben, dass ich deinen wohlmeinenden Ratschlägen keine Beachtung schenke oder mich nicht für die Belange meiner Gefährten interessiere“, beeilte sie sich ihm zu versichern. „Aber ich fühle mich im Moment wie ein Neugeborenes, das man ins eiskalte Wasser geworfen hat, damit es schwimmen lernt.“ Felusion nickte mitfühlend, sah sie aber weiter mit einem wartenden Ausdruck in den Augen an.

Es dauerte noch einige Augenblicke, bis Dalewina begriff, dass er noch immer auf ihre Frage wartete. Er benimmt sich fast wie ein Lehrer, dachte sie bei sich. Dann werde ich ihm die Freude eben machen. Vielleicht wird in nicht allzu ferner Zukunft er derjenige sein, der von mir etwas lernen kann.

Laut fragte sie: „Wohin geht denn nun eure Reise?“ Felusion schien zufrieden zu sein, dass sie endlich die Neugier an den Tag legte, die er von ihr in ihrer Situation erwartete. Neugier mochte zu unangenehmen Situationen führen, doch sie war ein unverzichtbarer Antrieb, um an lebenswichtige Informationen zu kommen. Je schneller seine Waldschwester dies begriff, umso besser für sie. Schließlich setzte er das Gespräch fort.

„Unsere grobe Marschrichtung ist der Weg nach Ancorah, der Hauptstadt des größten Menschenreiches.“ Dalewina nickte. Sie hatte von Ancorah gehört. „Allerdings sind unsere Beweggründe verschieden. Darian und ich sind dort in zehn Tagen mit einigen Freunden verabredet, mit denen zusammen wir vor einigen Wochen einige aufregende Erlebnisse durchgestanden haben. Nun wollen wir uns wiedersehen und schauen, ob sich für einige tatendurstige Abenteurer in der Hauptstadt nicht irgendetwas Interessantes findet. Darian ist Absolvent der berühmten Magierschule von Artheslân. Julian ebenfalls. Dort habe ich beide kennengelernt.“

Ein nachdenklicher Ausdruck trat auf Felusions Gesicht. Dalewina konnte förmlich spüren, wie er an etwas lange Zurückliegendes dachte und überlegte, ob er sie einweihen sollte. Sie drängte ihn nicht, wusste sie doch aus ihrer jüngsten Erfahrung, dass es schwer war, über bestimmte Dinge zu sprechen.

Stattdessen blickte sie über die Schulter zu ihren beiden anderen Weggefährten. Die beiden Magier boten einen beeindruckenden Anblick: Beide waren von stattlicher Größe, die durch ihre in der Sonne schimmernden Roben noch betont wurde; der in Grau gekleidete Darian war stabil und fröhlich, der in dunklem Blau gewandete Julian schlank und ernsthaft – unterschiedlich, innen wie außen, wie es zwei Menschen nur sein können, doch mit der gleichen Würde umgeben, die zu ihrem Stand gehörte. Sie waren immer noch in ihre Diskussion vertieft. Dalewina dachte, dass sie sich glücklich schätzen konnte, dass zwei so gelehrte Geister für sie auf der Suche nach Antworten waren. Langsam richtete sie den Blick wieder nach vorn und auf ihren Weg in die ungewisse Zukunft.

Thanio di Lamarca schwitzte. Nicht, weil es besonders warm gewesen wäre, denn die Wärme war er aus seiner Heimat Virthaband, dem südlichsten Herzogtum Célethions, gewöhnt. Nein, der virthanische Kaufmann schwitzte vor Sorge um sein Hab und Gut.

Zum wahrscheinlich hundertsten Mal seit dem Aufbruch seiner kleinen Handelskogge aus Nordal, der nördlichsten Hafenstadt des Kaiserreichs, hatte er sich die Frage gestellt, ob die Gegenwart eines Norhirrim mehr Fluch oder mehr Segen darstellte. Sicher, die Norhirrim waren die besten Seeleute Dorimars und galten als zuverlässig und loyal, auch wenn sie unter einem Kapitän segelten, der nicht zu ihrem Volk gehörte. Von daher konnte sich jeder Schiffseigner glücklich schätzen, der einen oder mehrere von ihnen an Bord hatte. Doch sobald sie Land betraten, was sich zu dieser Jahreszeit bei einer Fahrt von Norden nach Süden kaum vermeiden ließ, war das eine ganz andere Sache.

Sie tranken gern und viel, wie alle Seeleute, und sie schlugen sich gern, ebenfalls wie fast alle Seeleute, aber da sie für gewöhnlich gut ein bis zwei Köpfe größer und doppelt so stark waren, wie die meisten anderen Seeleute des Kaiserreichs, hatten solche Landgänge oft ärgerliche Folgen. Für die Gegner der Norhirrim bei Kneipenschlägereien und für den Kapitän, weil er sie nach der unvermeidlichen Verhaftung auslösen musste. Den Norhirrim selbst kam das alles meist wie ein großer Spaß vor, denn ihnen passierte selten wirklich etwas Schlimmes bei solchen Exkursionen.

Außerdem gingen sie aufgrund ihrer gewaltigen Körperkräfte mit einer Leichtigkeit (man könnte auch sagen Leichtfertigkeit) mit den kostbarsten und zerbrechlichsten Waren um, die jedem Kaufmann den Angstschweiß heraus treiben musste. Und genau in dieser Lage befand sich Thanio di Lamarca jetzt.

Der Grund für die Schweißausbrüche des rundlichen kleinen Kaufmanns kam gerade mit zwei Kisten voller Tongeschirr – eine unter jedem Arm, wobei jede sonst gerade so eben noch von einem seiner übrigen Leute allein getragen werden konnte – die Planke herunter.

Der Mann war ein Riese von über zwei Metern, muskelbepackt von Kopf bis Fuß, mit freiem, sonnengebräuntem Oberkörper und mit mehreren Messern und Beilen bewaffnet. Dies, der lange blonde Schnauzbart und die dicken, langen Zöpfe verliehen ihm genau das Aussehen, das die meisten Bewohner des Kaiserreichs an wilde, plündernde Barbarenhorden denken ließ. Das gutmütige Funkeln in den himmelblauen Augen übersahen die meisten, denn um dieses sehen zu können, hätte man sich dem Hünen gefährlich weit nähern müssen.

Das Geschirr, das er schleppte, war an sich nicht sonderlich bemerkenswert, aber da es aus den Ländern jenseits der Nordgrenze Célethions stammte, hatte es für die richtige Klientel genau den richtigen Hauch von wilder Exotik, die den Preis ausmachte. Dementsprechend verständlich war das leise Wimmern des Kaufmanns, als der Hüne die Kisten nachlässig auf die Kaimauer fallen ließ.

Doch was sollte er tun? Er war der Eigner des Schiffs, aber nicht der Kapitän, und nur der genoss aufgrund seiner seemännischen Erfahrung und dem geheimen Zusammenhalt zwischen Seeleuten des gleichen Schiffes den Respekt und den Gehorsam des blonden Riesen. Für Thanio blieb nur die Rolle des reichen Pfeffersacks, dem man gutmütig auf die Schulter klopfte, wenn er während der Reise etwas sagte, aber den man ansonsten ignorierte. Da ein solches gutmütiges Schulterklopfen ihm beinahe das Rückgrat gebrochen hätte, und man einen Norhirrim auch sonst besser nicht über seine Manieren belehrte, ließ er den Mann gewähren.

Das schweißgetränkte Unbehagen ihres Brötchengebers erheiterte die Mannschaft sicherlich sehr, dessen war er sich bewusst. Aber er konnte sie auch nicht dafür maßregeln, ohne seine eigene Machtlosigkeit dem Norhirrim gegenüber zu offenbaren. Also beobachtete und schwitzte er weiter, während der Hüne scheinbar ohne Anstrengung – und ohne besondere Sorgfalt – weitere Teile der Ladung von Bord holte.

Als er über die schwankende Planke zurück auf das wartende Schiff ging und dem schwitzenden Kaufmann den Rücken kehrte, erschien ein breites Grinsen auf den Zügen des riesigen Mannes, das sich zu einem grollenden Lachen steigerte, als er unter Deck seinen gleichfalls beifällig feixenden Mannschaftskameraden begegnete. Der Riese warf den Kopf in den Nacken und lachte, dass sich die gewaltigen Brustmuskeln spannten und Bart und Zöpfe vor Heiterkeit bebten.

„Der alte Pfeffersack kriegt gleich einen Hitzschlag“, lachte Dimio, der Schiffsjunge. „Was für ein Auftritt, Ragnar“, fügte ein anderer Seemann hinzu. „Uns hätte er für so etwas bestimmt einsperren lassen.“ „Oder die Heuer gekürzt“, rief ein anderer. „Oder die Rumration“, grölte ein Dritter. Bald waren alle in einem lauten Durcheinander verstrickt und die Pflicht des Ausladens vergessen.

Doch das änderte sich abrupt, als einer der Männer mitten im Satz plötzlich verstummte und sich seine Augen weiteten. Von dem Verhalten ihres Kameraden überrascht, folgten die anderen seinem Blick und verstummten ebenfalls, als sie die Gestalt im Laderaumaufgang erblickten. Der alte, dürre Mann mit dem weißen Haarkranz auf dem braungebrannten Schädel, den stahlgrauen Augen im wettergegerbten Gesicht und der schlichten, aber tadellos sitzenden Uniform eines Soldaten der Kaiserlichen Marine sagte kein Wort, doch sein stechender Blick hielt jedem einzelnen der Männer eine stumme Strafpredigt.

Rasch sammelten die Männer Frachtstücke auf, die in ihrer Nähe lagen und zwängten sich eilig an dem Alten vorbei. Manche stumm, andere mit einer gemurmelten Bemerkung. Als die Reihe an dem Schiffsjungen war, hielt ihn die raue, leise Stimme des Alten auf.

„Der Pfeffersack, wie du dich auszudrücken beliebtest, ist immer ein gerechter und zeitweilig sogar großzügiger Mann gewesen. Sein Geld hält dich am Leben, wie uns alle. Wir müssen hart für ihn arbeiten, aber dafür liegen wir abends nicht in der Gosse mit billigem Fusel und noch billigeren Frauen oder müssen für unser Überleben stehlen. Denk daran, wenn du wieder Scherze über die Hand machst, die dich füttert. Und jetzt pack dich!“

Als Dimio den Aufgang hinauf eilte, waren der dürre Alte und der massige Hüne allein. Doch es war nicht der Alte, dem dies Unbehagen bereitete. Der Riese sah verlegen zu Boden und scharrte mit den Füßen. Er hatte keine Schritte gehört, doch mit einem Mal schob sich die blaue Uniform mit den goldenen, blankpolierten Knöpfen und den glänzenden schwarzen Stiefeln in sein Blickfeld. „Sieh mich an, Ragnar Sigurdson“, forderte die knarrende Stimme. Der Riese musste sich sichtbar zusammennehmen, um dem Befehl gehorchen zu können.

Ein Beobachter hätte sich sicherlich über diese Konfrontation amüsiert. Der blonde, muskelbepackte Hüne, schwer bewaffnet, sicherlich 50 Jahre jünger, fast zwei Köpfe größer und wahrscheinlich in der Lage, dem dürren, unbewaffneten alten Mann vor ihm mit einer Hand das Genick zu brechen, stand da wie ein Schuljunge, den eine Tracht Prügel für einen dummen Streich erwartete. Und so fühlte er sich auch.

Eine für Ragnar Sigurdson nicht enden wollende Minute wand er sich innerlich vor dem Blick der stechenden grauen Augen, bevor der Alte ihn erlöste.

„Ich weiß, was du von Kaufleuten hältst, Junge. Dasselbe habe ich auch gedacht, als ich nach meinem Ausscheiden bei der Kaiserlichen Marine keine andere Anstellung finden konnte als bei den ‚Pfeffersäcken’. Ich habe einigen Herren gedient, und eins habe ich zu meiner tiefen Beschämung gelernt: Die meisten sind weit weniger reich, sorgenfrei und dekadent wie ich dachte. Dieses Schiff? Es gehört Herrn di Lamarca, aber er hat sich zehn Jahre lang jeden Heller vom Mund abgespart, um es bezahlen zu können. Die Ladung? Gehört ihm auch, aber jedes Stück, das zu spät seinen Empfänger erreicht, nicht verkauft werden kann oder“, hier traf den Hünen ein weiterer scharfer Blick, „durch dumme Späße beschädigt wird, trifft direkt seinen Geldbeutel, auf den nicht nur wir alle, sondern auch seine Frau und drei Kinder angewiesen sind.“

Während dieser Worte war der blonde Riese immer mehr in sich zusammengesackt, bis er fast so klein zu sein schien wie sein Gegenüber. Er hatte den Blick wieder gesenkt, doch als der Alte ihn fest an der Schulter packte, sah er wieder auf.

„Du hast das Herz am rechten Fleck und ich kann dich gut leiden, Junge. Aber du musst lernen zu erkennen, wer so einen derben Scherz verdient hat und wer nicht. Die anderen blicken zu dir auf, nicht nur, weil du so ein riesiger Kerl bist, sondern wegen des Seefahrerblutes, das in den Adern deines Volkes rinnt. Ehre dieses Erbe. Möge Athmos mit dir sein!“ Damit drehte der Alte sich um und verließ den Laderaum. „Mit euch auch“, hörte er den Riesen noch flüstern, was ein kurzes Lächeln auf seine faltigen Züge zauberte.

Das Lob und der Segen des alten Seebären bedeuteten dem Norhirrim viel. Sein Volk respektierte niemanden, der sich nicht vor Athmos und den wilden Elementen, über die der strenge Gott gebot, behaupten konnte. Die Jahrzehnte auf See, die Unwetter und Schlachten, die der alte Mann gesehen und überstanden hatte, verlangten Ragnar tiefen Respekt ab. Er hatte gesehen, wie der alte Mann den Wind roch, die Launen der See fühlte und den Zug der Sterne las, wie es kein Norhirrim hätte besser machen können. Entschlossen warf er seine Zöpfe über die nackte Schulter, packte einige Ladungsstücke und machte sich auf, sein Verhalten von gerade eben auszumerzen.

Einige Stunden später war das Schiff ausgeladen und die Miene des dicken Kaufmanns hatte sich merklich entspannt. Nach dem Vorfall mit dem Norhirrim hatten plötzlich dieser selbst und auch alle anderen Mannschaftsmitglieder viel eifriger und sorgfältiger als zuvor angepackt. Dies hatte ihn zunächst sehr erstaunt, doch als der alte Mann in der blauen Uniform auf dem Deck erschienen war und die Männer immer wieder verstohlene Blicke in dessen Richtung warfen, hatte er den Grund für den Sinneswandel erkannt.

Thanio di Lamarca war kein Dummkopf und erkannte eine Gelegenheit, wenn sie sich bot. Er trat zu dem Alten. „Gute Arbeit, von der ganzen Mannschaft, meint ihr nicht auch?“ Der Alte, gerade mit dem Anzünden einer Pfeife beschäftigt, die genauso alt und knorrig wirkte wie er selbst, nickte stumm.

Der Kaufmann zog einen kleinen Geldbeutel hervor. „Sorgt dafür, dass die Männer heute Abend etwas zu feiern haben. Und dann würde ich mich freuen, wenn ihr zum Abendmahl mein Gast wärt.“ Der Alte nahm das Geld mit einem anerkennenden Lächeln. „Es ist mir eine Ehre. Ich komme gern.“

Während sein Herr das Schiff verließ, sah ihm der alte Mann zufrieden hinterher. Die Mannschaft würde nach dem Zwischenfall im Laderaum zunächst beschämt sein, aber dann umso ausgelassener feiern – und bei der nächsten Reise viel williger und besser arbeiten. Er ist schon schlau, der Dicke, dachte der Alte bei sich, er weiß, wie man eine Situation zum eigenen Vorteil nutzt. Gleichzeitig war er froh, dass seine Worte gegenüber Dimio und Ragnar sich so schnell bewahrheitet hatten. Treue zahlte sich halt doch aus. „Servitus est honor est vita“, murmelte der Alte das Credo der Kaiserlichen Marine: „Dienst ist Ehre ist Leben!“

„Ragnar“, rief er dann lauter und warf dem Riesen den Geldbeutel zu. „Sorg dafür, dass die Mannschaft einen schönen Abend hat und dass sie weiß, dass sie unserem Brötchengeber dafür zu Dank verpflichtet ist!“ Dann machte er sich auf in seine Kabine, um sich für das Abendmahl umzuziehen. Ein breites Lächeln stahl sich auf sein strenges Gesicht, als er die freudige, laut gegrölte Antwort des Norhirrim hörte: „Aye, Käpt’n!“


Das laute Wiehern eines Pferdes und das Läuten der Zollglocke rissen den Grenzer aus seinem Mittagsschlummer. Leicht taumelnd vor Müdigkeit und aufgrund der Auswirkungen des Weines, den er bereits zum Mittag getrunken hatte, rappelte er sich von dem knarrenden Stuhl auf, der seine beachtliche Masse während des abrupt beendeten Schläfchens getragen hatte. Er hatte seine besten Tage, sowohl an Jahren als auch an körperlichem Zustand, schon eine Weile hinter sich und war deshalb nicht besonders unglücklich gewesen, als man ihn auf den langweiligsten Grenzposten des ganzen Kaiserreiches versetzt hatte. Hier, an der Südostgrenze des Reiches zu den unabhängigen Fürstentümern Crôl und Blalukh, kamen früh am Morgen die Händler vorbei, um zum Mittagsmarkt ihre Waren anpreisen zu können, und spät am Abend kehrten sie in ihre jeweilige Heimat zurück. Dazwischen regte sich an fünf von sieben Tagen praktisch nichts.

Doch gerade heute, wo er sich ein besonders reichhaltiges Mittagsmahl und einen guten Tropfen dazu gegönnt hatte, musste noch jemand vorbeikommen und Durchlass durch den Grenzzaun verlangen. Dabei hätte es den Grenzer nicht im Traum gestört, wenn ein Reisender während seiner Mittagsruhe den Schlagbaum selbst gehoben und hinter sich wieder gesenkt hätte. Abgesehen davon kam es oft genug vor, dass weniger gesetzestreue Reisende den Weg durch den nahe gelegenen Sumpf oder das Vorgebirge nahmen, um die Sicherheit und die Bequemlichkeit der gut ausgebauten Straße mit dem Grenzposten gegen den weniger angenehmen, aber dafür zollfreien Weg zu tauschen. Die Grenzwacht hatte einfach nicht genug Männer, um dafür zu sorgen, dass der Kaiser den Wegezoll erhielt, der ihm gebührte.

Die Glocke läutete erneut und mit jedem Schlag sank die Laune des dicken Grenzers weiter ab. Fluchend wischte er sich einige Essensreste aus dem grauen, ungepflegten Bart, stülpte sich seinen Grenzerhelm über, rückte Wams und Schwertgehänge zurecht und stolperte aus seiner Hütte in die Mittagssonne. Er blinzelte; da die Straße an dieser Stelle genau in nordsüdlicher Richtung verlief, stand die Sonne zu dieser Zeit genau auf seine Tür und blendete ihn, so dass er den Reiter nicht genau erkennen konnte. „Was wollt ihr“, knurrte er die vor ihm zu Pferd sitzende Gestalt unfreundlich an. Sein Verhalten hatte ihm schon so manchen Tadel und schließlich diese Versetzung eingebracht, aber da er ein kaiserlicher Beamter und als solcher weitgehend vor Repressalien sicher war – abgesehen von Strafversetzungen, aber er war ja schon am Ende der Welt – sah der Grenzer keinen Grund, seinen Unmut zu verbergen.

„Da dies eine Grenze ist und ich die Zollglocke geläutet habe, will ich vermutlich, dass ihr den Schlagbaum öffnet“, drang die Antwort des Reiters in die weingetränkten Gedanken des Grenzers. Es war eine kühle, hochmütige Stimme. Eine Frauenstimme. Das war genau das, was der Grenzer brauchte – ein verwöhntes Adelsflittchen, das nicht arbeiten brauchte, deshalb Zeit für einen Ausritt über die Grenze hatte und aufgrund ihres Standes zudem von der Zollpflicht befreit war. Dass auch seine Tätigkeit nicht von jedermann als Arbeit angesehen wurde, störte den Grenzer wenig in seinem vermeintlich gerechten Zorn.

„Und da ich der Grenzer bin, will ich vermutlich, dass ihr den Zoll bezahlt“, äffte er den Tonfall seines Gegenübers nach. Wenn es ein Adelsflittchen war, wie er vermutete, würde sie sich jetzt gleich empören und er hatte wenigstens etwas Genugtuung für die Störung zu erwarten. Doch die einzige Reaktion bestand in einem Rascheln, als die Frau in ihre Geldbörse griff, dann flogen einige Kupferstücke durch die Luft und dem Mann vor die Füße. „Das sollte reichen für den Zoll und einen guten Schluck Wasser gegen euren Kater“, kam die Antwort der Reiterin mit mehr als nur einer kleinen Spur Verachtung in der Stimme.

Die Augen des Grenzers traten vor Zorn ein Stück aus ihren Höhlen und sein Gesicht, oftmals wegen seiner Fettleibigkeit schon rot genug, nahm einen noch dunkleren Farbton an. Das Frauenzimmer war offenbar kein Adelsflittchen, denn die bezahlten nie nur um ihn zu demütigen, egal wie sehr sie auch sonst auf einen Grenzer herabblicken mochten. Auch ein Mitglied der Priesterschaft kam kaum in Frage, denn zu denen passte so ein Verhalten nicht. Alle anderen aber hatten einem kaiserlichen Beamten nicht mit Hochmut und Herablassung zu begegnen und ihn schon gar nicht aufzufordern, des Kaisers Zoll von der staubigen Straße aufzuklauben! Er ignorierte die Münzen und schnaufte um den Schlagbaum herum, um aus der direkten Sonne herauszukommen und die unverschämte Reiterin endlich gut erkennen zu können.

„Wie kannst du es wagen, so mit einem kaiserlichen Beamten zu sprechen, unverschämtes Weib!“ donnerte er auf dem Weg um den Schlagbaum, selbst die höfliche Anrede vergessend. „Wer bist du, dass du meinst, die Regeln gelten nicht für dich? Wir sind weit fort von Ancorah, aber hier bin ich der Vertreter des Gesetzes und ich verdiene Resp... urg!“

Während sich der Grenzer in Rage redete und mit gesenktem Kopf um die Absperrung herum watschelte, war die Reiterin nach den ersten wütenden Worten leise vom Pferd geglitten und hatte sich dem nach Alkohol und Essen stinkenden Mann breitbeinig in den Weg gestellt. Als er gerade ihren Respekt einfordern wollte, schnellte ihre mit einem schweren Kettenhandschuh bewehrte Rechte vor und umklammerte seine Kehle.

Die Augen des Mannes traten noch weiter hervor. Der Griff der Unbekannten war wie ein Schraubstock. Seine Arme waren zu kurz, um sie direkt zu erreichen, und zu schwach, um ihren Griff zu brechen. Ihr abfälliges Schnauben zwang ihn, sie direkt anzusehen.

Der Blick blauer Augen bohrte sich in die angstgeweiteten Augen des Grenzers. Die Fremde war mit einem knielangen Kettenhemd gerüstet, auch die Handschuhe und Beinlinge waren mit Kettengliedern verstärkt. Ein schwerer Reitersäbel hing an ihrer Seite und auf dem Brustteil ihrer Rüstung prangte ein Wappenschild mit einem stilisierten Schwert in einem Feuerkranz.

Der Mann stöhnte. Von allen denkbaren Frauen hatte er ausgerechnet eine Amazone beleidigt! Die Kriegerinnen aus der Burg Ethaband kamen nicht oft über so abgelegene Wege ins Kaiserreich, doch einige hatten seinen Posten bereits passiert – und er hatte stets darauf geachtet, die Elitekämpferinnen, die sich gleichzeitig als eine Art Priesterorden der Kriegsgöttin Ethana verstanden, mit ausgesuchter Höflichkeit zu behandeln. Was mit denen passierte, die den falschen Ton anschlugen, erfuhr er nun gerade am eigenen Leib.

„Respekt?“ fragte die Amazone. „Respekt verdient die Person, nicht das Amt. Ich zahle den Zoll aus Respekt vor Seiner Kaiserlichen Hoheit und nicht, weil er durch die Gnade der Götter als der geboren wurde, der er ist. Du weißt doch sicherlich, dass Ethaband und seine Kriegerinnen vom Zoll befreit sind?“ Die Stimme der Amazone troff vor Abneigung.

Der Grenzer wurde sich jedes überflüssigen Gramms Fett an seinem Körper, jedes schlecht sitzenden oder dreckigen Teils seiner Uniform und seiner schlechten Manieren peinlich bewusst. Er wusste auch, dass die Kriegerinnen von Ethaband nach dem strengsten Codex aller Anhänger der Göttin lebten und das er praktisch all das darstellte, was sie verachteten: Nachlässigkeit, Faulheit und Anmaßung.

Die Amazone selbst war nicht unbedingt so, wie man Ihresgleichen in Geschichten oder auf Gemälden darstellte; keine leicht bekleidete Schönheit mit riesigem Schwert, sondern eher von unauffälligem, schlichten Aussehen, auch wenn ihr Helm das meiste verbarg, gewöhnlich gekleidet bis auf das Wappen von Ethaband, doch sie war ihm in vermutlich jeder Hinsicht weit überlegen.

Als das Gesicht des Grenzers sich ins purpurne zu verfärben begann, stieß die Kriegerin ihn von sich. Röchelnd kauerte er auf dem Boden und massierte seinen Hals. „Ich… ich habe euch nicht erkannt, ich bitte um Verzeihung“, krächzte er. „Ah, und wenn ich dies hier“, sie schlug mit der Rechten auf den Wappenschild auf ihrer Brust, „nicht tragen würde, würdest du mich dann auch so höflich behandelt haben?“ fragte sie schneidend. Der Grenzer zuckte zusammen.

„Also nein“, beantwortete sie ihre Frage selbst. „Du solltest jeden, der hier Durchlass begehrt und so ehrlich ist, den Zoll bezahlen zu wollen, auch wenn der Zöllner seinen Rausch ausschläft, mit Hochachtung begegnen, und wenn es eine arme Bauersfrau wäre!“

Die Worte der Amazone führten dazu, dass die Röte der Atemnot durch die Röte der Scham auf dem Gesicht des Grenzers ersetzt wurde. Die Worte der Fremden trafen ihn härter, als er es für möglich gehalten hätte. Er war nicht immer faul, dick und gleichgültig gewesen. Früher hatte er an Werte geglaubt, sie vertreten und auch den einen oder anderen Hieb dafür kassiert, aber er war stolz darauf und ehrenhaft gewesen. Wann war ihm das verloren gegangen? Wann hatte er beschlossen, dass sein Leben verpfuscht war und es sich nicht lohnte, für gewisse Werte länger den Kopf hinzuhalten? Es musste wohl etwas dran sein an dem Gerücht, dass der Geist Ethanas zu einem kleinen Stück in jeder Amazone wohnte, wenn eine kurze Moralpredigt sein lange schlummerndes Gewissen wecken konnte.

„Ich werde eure Worte beherzigen“, murmelte er. Und zu seinem eigenen Erstaunen fühlte er, dass er es ernst meinte. Die Amazone musste es wohl auch gespürt haben, denn ihre nächsten Worte waren frei von Hohn und Abscheu. „Ethana gewährt jedem eine zweite Gelegenheit, der darum kämpft“, sagte sie leise. „Vergeude sie nicht. Ich bin Selvanna von Ethaband, und ich werde für deine Seele beten.“ Dann stieg sie wieder auf ihr Pferd – einen voll gerüsteten Kriegshengst, wie der Grenzer jetzt bemerkte – und mit einem kurzen Kommando sprangen Ross und Reiterin über den Schlagbaum hinweg.

Lange blieb der Grenzer wie benommen auf der staubigen Straße liegen, bevor er sich aufrappelte, die Münzen einsammelte und zurück in seine Hütte ging. Als die Händler am Abend den Grenzposten passierten, merkten sie, dass sich etwas verändert hatte. Doch erst als sie schon eine Weile von dem Grenzposten fortgeritten waren, kam ihnen in den Sinn, dass der knurrige Grenzer zum ersten Mal seit Jahren sauber rasiert, die Uniform korrekt angelegt und dazu noch sein Gebaren sehr viel umgänglich gewesen war, als sie es je bei ihm erlebt hatten.


Dalewina betrachtete weiter ihre Umgebung und gab Felusion die Zeit, die er für seine Entscheidung benötigte. Die Straße, auf der sie gingen, war gepflastert und gepflegt, nach den Erzählungen Feylarions ein untrüglicher Beweis für ihre Wichtigkeit. Hinter sich konnte sie noch die Umrisse des Waldes sehen, an dessen Rand sie letzte Nacht geruht hatten. Die Gegend war eben und mit wildem Gras, Blumen und Sträuchern bewachsen, die einen weiten Blick erlaubten. In einiger Entfernung in Wegrichtung zeichneten sich die Umrisse von Hügeln ab; kein Bauwerk war zu sehen.

Die Luft war klar und noch ein wenig kühl von der Nacht, aber bereits jetzt deutete ein heißer und trockener Tag sein Kommen an. Dalewina war in ihrem Wald selten der Sonne einen ganzen Tag lang ungeschützt ausgesetzt gewesen, und selbst wenn, dann war dies aus eigenem Antrieb geschehen.

Sie stellte sich innerlich auf einen unangenehmen Wandertag ein, dachte an eine alte Meditationsübung, die dem Geist Kühle und Aufmerksamkeit erhielt. Sie war ein Teil der elfischen Überlieferungen, der unter den Menschen zu vielerlei Aberglauben geführt hatte, so etwa, dass Elfen nie schlafen, nie schwitzen oder nie außer Atem kommen würden.

Nach wenigen Minuten fühlte sie bereits den Erfolg ihrer Meditation. Sie versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was sie über die Geschichte und Ausbreitung der menschlichen Reiche wusste, um ihren Marschweg einschätzen zu können.

Ancorah war die Hauptstadt des Kaiserreichs Célethion, das vor mehr als 1100 Jahren gegründet worden war und dessen Name die Verehrung der Kaiserfamilie Peralec, die seit der Gründung in ununterbrochener Linie regierte, für die Célesten, die menschlichen Götter, ausdrückte. Soweit sie wusste, begann auch die Zeitrechnung nicht nur des Kaiserreichs, sondern auch aller anderen menschlichen Reiche mit der Gründung von Célethion. Es reichte von der West- bis zur Ostküste des Kontinents Dorimar, der auf allen Seiten von Wasser umgeben ist. Im Süden schloss es mit dem von Bergen eingesäumten Virthaband ab, der Kornkammer des Reichs. Im Norden endete es etwa 100 Meilen vor dem Coriolysgebirge, in dem auch Dalewinas Heimatwald lag, dazwischen befanden sich nur noch einige unabhängige Baronien. Sie schätzte, dass sie wenigstens 300 Meilen weit von Daheim entfernt war, eine Vorstellung, bei der sie fast ihre meditative Ruhe eingebüßt hätte.

Sie bemerkte eine Anspannung in dem neben ihr gehenden Felusion und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Offenbar war er zu einer Entscheidung gelangt.

„Ich rede nicht gerne über meine eigene Vergangenheit. Nicht, weil ich sie nicht akzeptiert hätte. Es ist vielleicht nur die Unart unserer Rasse, alles Negative zu verdrängen, statt sich damit auseinander zu setzen.“ Er machte eine kurze Pause.

„Meine Eltern wurden von Orks getötet, als ich noch sehr klein war, so wie auch die meisten anderen Mitglieder meiner Sippe. Wir lebten damals abgeschieden und zufrieden in der Wildnis, ohne Kontakt zu den Menschen oder anderen Völkern. Doch nach dem Überfall waren diese Zeiten für mich vorbei. Ich wurde von einem alten Jäger zu meinem letzten lebenden Verwandten nach Artheslân gebracht, meinem Onkel Tarferion Silberbann. Er hatte unsere Sippe vor langer Zeit verlassen und war ein berühmter Lehrer an der Magierakademie geworden. Meine Mutter war seine jüngste Schwester gewesen. Er war sehr bestürzt über das Los unserer Sippe und nahm mich freundlich bei sich auf. Von ihm lernte ich alles, was ich heute kann, auch was die Sitten und Gebräuche unseres Volkes und die Anwendung des viraya angeht. Es war kein leichtes Lernen, in einer Stadt voller Menschen und ohne Kontakt zu anderen Elfen mit Ausnahme meines vielbeschäftigten Onkels.“

In Felusions Gesicht arbeitete es, als er sich an die wenig erfreulichen Jahre seiner Kindheit zurückerinnerte. Mitfühlend legte Dalewina ihre Hand auf seinen Arm. Er bedankte sich mit einem kurzen Lächeln für ihre Anteilnahme.

„Ich hatte es eigentlich nicht sonderlich schwer. Sowohl die Bewohner Artheslâns, die durch die Akademie an allerlei Seltsames gewöhnt waren, als auch die Magier und Lehrlinge gewöhnten sich schnell an mich. Und so dauerte es auch nicht lange, bis ich einem der Studenten meines Onkels näher kam. Mein Onkel hatte die Angewohnheit, zusätzlich zum regulären Lehrplan alle besonders begabten und interessierten Studenten zu einem besonderen Kurs in Elfenmagie einzuladen. Und es konnten auch nur die Besten an diesen Kursen teilnehmen, denn alle anderen waren mit den Pflichtübungen völlig ausgelastet. Einer dieser Besten war Darian. Alles Elfische schien eine ungeheure Faszination auf ihn auszuüben und diese ungeheure Neugier wiederum faszinierte mich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir uns das erste Mal außerhalb der Akademie zu einem gemeinsamen Entdeckungszug durch das nächtliche Artheslân aufmachten. Wir wurden gute Freunde innerhalb kurzer Zeit.“

„Ja, ich habe schon bemerkt, dass Darian sich für Elfen interessiert. Aber wenn er schon so viel mit dir unternommen hat, dann frage ich mich, wieso er mich so entgeistert angesehen hat, als ich gestern aus dem Busch trat, hinter dem ich mich versteckt hatte.“

Felusion sah Dalewina mit gerunzelter Stirn von der Seite an. Dann schien er für eine Weile in sich hineinzulauschen, so als prüfte er das, was sie ihm gerade gesagt hatte, mit einem verborgenen Sinn. Dann schüttelte er mit ungläubigem Lächeln den Kopf.

„Du meinst deine Frage wirklich ernst, nicht wahr? Ich hätte nicht geglaubt, dass du so naiv bist!“ Dalewina zog einen Schmollmund. „Was habe ich denn jetzt schon wieder Falsches gesagt? Ich glaube fast, ihr vom Grauen Volk seid genauso merkwürdig wie die Menschen.“ Felusion lachte leise. „Nein, nur einer vom Grauen Volk vielleicht.“ Seine Miene nahm wieder einen ernsten Ausdruck an.

„Nun, ich will erst noch meine Geschichte weiter erzählen. Dann werde ich auch zu den entgeisterten Blicken kommen, die Darian dir zugeworfen hat.“ Er machte eine kleine Pause. „Es war nicht nur unangenehm, fern von Unseresgleichen aufzuwachsen. Bei den Menschen, vor allem in den großen Städten, genießt ein Elf oftmals große Aufmerksamkeit. Das kann zuweilen sehr anregend sein, vor allem, wenn die Aufmerksamkeit von menschlichen Frauen ausgeht. Weniger schön allerdings ist es, wenn deren Ehemänner von dieser Aufmerksamkeit erfahren.“ Beide brachen in ein heiteres Gelächter aus, das so laut war, dass selbst die Diskussion der Magier hinter ihnen für einen Augenblick verstummte.

„Es ist seltsam, aber die Menschen fühlen sich von uns Elfen offenbar stark angezogen. Selbst die eher unscheinbaren Mitglieder unseres Volkes gelten nach menschlichen Maßstäben als äußerst wohlgestaltet und begehrenswert. Ich selbst halte mich nicht für einen außergewöhnlich schönen Mann, aber die verlangenden Blicke so mancher Frau sprachen eine deutliche Sprache. Hin und wieder habe ich diesem Werben auch nachgegeben, es war größtenteils sehr angenehm. Die körperlichen Unterschiede zwischen den Menschen und uns haben einen ganz eigenen Reiz. Nur sind die Menschen leider sehr besitzergreifend, was sich auch auf Liebesdinge erstreckt. Anfangs hat mich das sehr verwirrt, denn einige Frauen dachten, ich würde sie lieben, nur weil ich die Nacht mit ihnen verbracht hatte.“

Dalewina nickte bestätigend. Von dieser unterschiedlichen Interpretation körperlicher Freuden hatte sie auch schon gehört. Zwar hatte sie vor Feodali nie das Verlangen gehabt, sich diesem schönsten aller Räusche hinzugeben, aber es war in ihrer Sippe allgemein bekannt, dass die Menschen zwar den gleichen Genuss aus dem Liebesakt zogen wie die Elfen, sich diesen Genuss aber oft aus den unverständlichsten Gründen selbst verwehrten.

Meist waren es überflüssige, nichtssagende Gründe, eher schon Ausflüchte, wie etwa die Belanglosigkeit, dass man sich erst wenige Stunden kannte. Aber war nicht der Ausdruck in den Augen eines Wesens, der Klang seiner Stimme, die Bewegungen seiner Hände und die Züge seines Gesichts genug, um zu wissen, dass man mit diesem Wesen eine Nacht voller Sinnesfreuden und ohne Reue verbringen konnte? Die Menschen sagten nein und kleideten ihre Ablehnung in einen Mantel, den sie „Moral“ nannten, nur um diese bei vielen Gelegenheiten selbst zu missachten, sehr zum Verdruss der Diener der Liebesgöttin Virtha.

Den Elfen war eine solch selbsttrügerische Denkweise fremd, sie gingen ihren Neigungen nach, wann immer sie wollten, wo sie wollten und mit wem sie wollten, sofern sie sich nicht fest an einen Partner gebunden hatten, wie etwa Dalewinas Eltern. Dabei kam ihnen zugute, dass aus einer Liebesnacht nur dann eine Schwangerschaft entstehen konnte, wenn die Elfe es so wünscht.

„Aber was hat das jetzt mit Darians Blicken zu tun?“ drängte Dalewina auf die Beantwortung ihrer ursprünglichen Frage. „Wie ich schon sagte, auch eher unscheinbaren Elfen wie mir gilt oftmals das uneingeschränkte Interesse der menschlichen Vertreter des anderen Geschlechts. Du aber, meine liebe Schwester, bist eine Elfe von außergewöhnlicher Schönheit. Deshalb wirst du die Menschenmänner anziehen wie das Kerzenlicht die Motten – und auch Darian ist letztlich nur ein Mann.“

Dalewina, weit weniger naiv als sie Felusion glauben lassen wollte, hatte mit dieser Antwort gerechnet und im Stillen auf mädchenhafte Weise sogar darauf gehofft. Trotzdem, und obwohl sie wusste, dass Felusions Bemerkung als Feststellung und nicht als Kompliment gemeint war, konnte sie doch nicht verhindern, dass ihr eine leichte Röte auf die Wangen trat. Ihr Anblick im Spiegel gefiel ihr, aber sie hatte sich nie als Schönheit gesehen. Ihre Mutter, ja, sie war eine Schönheit, und Dalewina hatte immer bewundernd zu ihr aufgeblickt. Aber sie selbst?

Der Gedanke, dass sie für menschliche Augen etwas verkörperte, das sie zu ungläubigem Gaffen veranlasste, rief gemischte Gefühle in ihr wach. Die Dalewina in ihr, die ihren Geliebten auf die hässlichste Weise verloren hatte, war von dem Gedanken angeekelt. Das junge Mädchen, das aber auch noch in ihr wohnte, war auf unerklärliche Weise berauscht von der Vorstellung, wie sie auf Männer zu wirken schien. Was sie von ihrem möglichen Einfluss auf die Gefühlswelt des jungen Magus halten sollte, wusste sie noch nicht so recht, aber sie nahm sich vor, ihm keine trügerischen Hoffnungen zu machen – das wäre ein schlechter Lohn für seine Hilfsbereitschaft.

Felusion unterbrach ihre Gedanken. „Jedenfalls wirst du auch darauf achtgeben müssen, Dalewina.“ Es fiel ihr auf, dass er sie zum ersten Mal mit ihrem Namen anredete und nicht mit ‚Schwester‘. Seine Worte gewannen dadurch sofort an Eindringlichkeit.

„Es gibt Menschen, die sich nicht nur aufs Gaffen beschränken. Einige könnten versuchen, dich gegen deinen Willen zum Liebesakt zu zwingen. In einem solchen Moment bist du in höchster Gefahr. Versuche dann nicht, deinen Angreifer zu schonen, er würde es dir nicht danken. Wenn es dazu kommt, dann wehre dich! Wehre dich mit allem, was du hast, und wenn du dabei töten musst!“

Dalewina wurde bleich. Felusions Worte hatten ihr wieder einmal in Erinnerung gerufen, dass Abenteuer nicht nur aus angenehmen Erfahrungen und Nervenkitzel, sondern auch aus realer Gefahr bestehen konnten. Doch die Vorstellung einer Vergewaltigung, für rechtschaffene Menschen schon schier unerträglich, hat für eine Elfe noch ungleich monströsere Dimensionen, stellt sie doch die totalste Perversion der Lebensfreude dar, die allen Elfen Lebensinhalt und Erfüllung zugleich ist.

„Ich will dich nicht unnötig ängstigen, Schwester. Nur die allerwenigsten Menschen sind zu solchen Dingen fähig. Aber gerade auf diese wenigen musst du achten.“ Er brachte ein schwaches Grinsen zustande, als wollte er die düstere Wendung, die ihr Gespräch genommen hatte, vergessen machen.

Der Rest des Tages verging wie im Fluge, auch wenn die Elfen keine so ernsthaften oder bedeutungsvollen Themen mehr anschnitten wie zuvor. Auf Dalewinas Bitte hin nahm die ungewöhnliche Reisegesellschaft ihr Mittagsmahl nicht in einer der Schänken am Wegesrand, sondern unter freiem Himmel ein. Auch am Nachmittag behielten sie die bisherige Marschordnung bei; die Elfen vorneweg, die beiden Magier hinterher, beide Paare in Gespräche vertieft. Dalewina lenkte die Aufmerksamkeit ihres Begleiters schließlich wieder auf das Thema, das am Beginn ihrer Unterhaltung gestanden hatte.

„Ich würde gerne noch mehr über die beiden Magier erfahren. In den Geschichten meines Vaters kamen sie nur als Schemen vor, auch wenn ich sicher bin, dass er zumindest einen gekannt haben muss. Er sprach immer mit einer merkwürdigen Mischung aus Achtung und Herablassung von ihnen.“

Felusion grinste. „Dein Vater ist eben ein typischer Hochelf. Ein menschlicher Magier lernt, die Anwendung der Magie als Wissenschaft und Kunst gleichzeitig zu betrachten. Sie sind alle meist furchtbar ernsthaft, hochgebildet und oftmals ein wenig herablassend, geheimnistuerisch wie unsere beiden Freunde da hinten und nicht zuletzt durch ihre große Disziplin auch sehr geschickt in der Anwendung ihrer Kraft. Dies alles macht sie in den Augen ihres Volkes zu sehr mächtigen, aber auch oftmals gescheuten Personen. In den Augen eines Elfen jedoch sind sie meist wie Kinder, die mit einem Werkzeug spielen, das eigentlich viel zu gefährlich für sie ist. An dieser Einstellung ändert sich meist auch dann nichts, wenn der Mensch im Umgang mit der Magie sehr viel besser ist als der Elf. Deinem Vater wird es ebenso gegangen sein.“

„Und wie ist es mit dir? Welchen Eindruck hast du von ihnen gewonnen in all den Jahren, die du unter ihnen gelebt hast?“

„Sie unterscheiden sich anfangs gar nicht so sehr von allen anderen Menschen. Doch die harte und strenge Ausbildung in der Akademie verändert sie. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, die Magie zu nutzen wie einen dritten Arm, es ist ein Teil unseres Erbes. Doch sie müssen durch harte Arbeit lernen, den Zugang zur Magie zu bekommen und sie zu kontrollieren. Diese Arbeit und der Stolz am Ende dieses langen Weges prägen ihren Charakter, vom jüngsten Adepten bis zum betagtesten Magister. Aber einige Züge aus dem Leben vor der Akademie behalten sie alle bei. Darian zum Beispiel ist der Sohn armer Bauersleute. Nur dem Zufall und der Fürbitte eines Arthesapriesters verdankte er es, dass er die Akademie besuchen konnte, denn seien Eltern hätten diese Ausbildung nie bezahlen können.“

Dalewina seufzte. „Ist es nicht schlimm, wie sehr das Schicksal der Menschen vom Gold abhängt? Darians Talent hätte also wirklich verschwendet werden können, nur weil seine Eltern arm sind?“

Felusion nickte. „Ja, so ist es. Er hatte wegen seiner niederen Herkunft einiges zu erleiden in den ersten Jahren. Aber nachdem die anderen sahen, welche Fähigkeiten in ihm steckten, akzeptierten sie ihn. Auch die Magister taten ihr übriges dazu, denn vor deren Augen kann nur bestehen, wer die Erwartungen erfüllt, nicht aber, wer sich auf den Namen seiner Eltern beruft. Darian aber hat nicht nur bäuerliche Wurzeln, er hat auch die Zähigkeit, die Kraft und das Durchhaltevermögen eines Bauern, der um sein täglich’ Brot kämpfen muss. Und dazu die geistigen Gaben eines Gelehrten, eine fürwahr seltene Mischung, doch er war einer der besten seines Jahrgangs.“

Unwillkürlich musste Dalewina nach diesen Worten zu dem jungen Magier zurücksehen. Er und Julian sprachen leise und konzentriert über für sie unhörbare Dinge. Als ob er ihren Blick bemerkt hatte, verhielt Darian mitten im Satz und blickte ihr in die Augen. Ein fröhliches Grinsen sprang auf sein Gesicht und ruinierte den gelehrten Eindruck, der Augenblicke zuvor noch dort geruht hatte, völlig. Auch Julian sah kurz auf und zeigte nach einem kurzen Seitenblick auf seinen Gefährten sein spöttisches Halblächeln, das Dalewina sofort das Blut ins Gesicht trieb.

Rasch wandte sich Dalewina ab, ärgerlich auf sich selbst, weil sie sich – erneut! – so leicht hatte von dem Menschen aus der Fassung bringen lassen. Sie war eine Elfe, Angehörige eines Volkes, das schon Musik, Architektur und alle anderen Künste vervollkommnet hatte, als die Menschen sich noch zur Entdeckung des Feuers beglückwünschten! Sie hätte beherrschter und überlegener sein müssen. Doch dann, gestand sie sich ein, war sie auf der anderen Seite auch nur eine junge Frau, allein in der Fremde und noch nicht von einem furchtbaren Schmerz geheilt.

Als der Abend hereinbrach, steuerten die Gefährten auf ein Wirtshaus am Wegesrand zu. Dalewina war sehr dagegen, hier einzukehren, und Felusion stand ihr bei, doch letztlich setzte sich die kühle Logik der beiden Magier durch: die Gegend war zu feucht für ein bequemes Nachtlager, es gab hier zu viel Ungeziefer und mit ihrem Reiseproviant war es nicht mehr weit her.

Das Wirtshaus machte von außen einen gepflegten, sauberen Eindruck. Hinter dem eigentlichen Hauptgebäude waren noch ein großer Stall, eine Scheune und ein Anbau zu sehen, in dem vermutlich die Gästequartiere untergebracht waren. „Zum Schlauen Fuchs“, verkündete ein Schild über der schweren Eichentür in verspielten Buchstaben.

„Ein annehmbares Etablissement mit erträglichen Gästen – in der Regel“, erklärte Julian.

Er wandte sich Dalewina zu. „Dennoch möchtest du dich bei deiner ersten Erfahrung mit diesem düsteren Ausschnitt menschlicher Kultur vielleicht nicht gleich als das zu erkennen geben, was du bist. Felusion wird schon genug Aufmerksamkeit auf sich lenken.“ Er reichte Dalewina einen leichten braunen Reitermantel mit Kapuze. „Das sollte deine Ohren verdecken und die auffällige Augenfarbe verbergen, bis wir uns ein Plätzchen abseits gesucht haben und die Leute wieder in ihre Gläser schauen. Wir werden unseren Aufenthalt in der Gaststube so kurz wie möglich gestalten, aber wir Menschen sind leider noch nicht über das Essen und Trinken erhaben.“

Dalewina ersparte sich eine bissige Antwort und nickte stattdessen nur gleichmütig und mit perfekt beherrschten Zügen, bevor sie den Mantel anzog.

Als sie die Kapuze überstreifte und spürte, wie sowohl ihre weiblichen Attribute als auch ihre typisch elfischen Augen und Ohren unter dem leichten Stoff verschwanden, fühlte sie sich fast so sicher, wie sie sich gerade gegeben hatte. Als Vorletzte – Felusion bildete den Schluss – folgte sie ihren neuen Gefährten in das Halbdunkel des Schankraums, aus dem ihnen ein geselliges Stimmengewirr, Tabakrauch und Essensgeruch entgegen schwappte.

Buchenherz

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