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Neue Freunde

„Viele Menschen nennen sich Unsere Freunde, doch die wahren Freunde nennt Uns stets nur das unergründliche Schicksal.“

- Peralec XXI., Kaiser von Célethion, zu seinen Kindern

Als Dalewina aus ihrer zweiten Ohnmacht erwachte, war wesentlich weniger Zeit vergangen als beim ersten Mal. Sie fühlte ein Schwindelgefühl in ihrem Kopf, als sie schwerfällig versuchte, sich aufzurichten.

Sie blickte erneut zum Himmel empor. Die Sterne waren am Firmament weiter gewandert, aber sie waren immer noch da. Wegen des gegenüber ihrer Heimat veränderten Blickwinkels auf die Sterne konnte sie unmöglich sagen, wie lange sie beim ersten Mal bewusstlos gewesen war. Es mochten Stunden oder sogar mehr als ein Tag gewesen sein, nichts deutete darauf hin, dass sie noch am Abend des gleichen Tages erwacht war – ihr knurrender Magen sagte sogar eher das Gegenteil. Ihre kindliche Hoffnung, sie hätte nur einen seltsamen Traum gehabt und würde gleich daraus erwachen, hatte sich also nicht erfüllt.

Mit einem schmerzhaften Brennen machte sich Leere in ihr bemerkbar, genau an jener Stelle, die bis vor wenigen Stunden Dalewinas schönste Erinnerungen beherbergt hatte. Feodali und alles, was er ihr bedeutet hatte, war wie ein Juwel in ihren Gedanken gewesen, und sein gewaltsames Verschwinden hatte eine tiefe Lücke in ihre Seele gerissen.

Einer Eingebung folgend sah sich die unglückliche Elfe nach dem Eichhörnchen um, das sie bei ihrem ersten Erwachen gesehen hatte, doch das kleine Wesen war von ihrem Verhalten offenbar zutiefst enttäuscht gewesen und hatte sich davongemacht. Das Eichhörnchen war Dalewinas Seelentier und so fühlte sie sich schlecht bei dem Gedanken, eines dieser kleinen, freundlichen Wesen vertrieben zu haben. Es half nichts, sie musste sich der unveränderlichen Wahrheit stellen: Sie war in einem fremden Wald, und sie war völlig allein.

Mühsam stand sie auf und betrachtete ihre Umgebung genauer. Sie war von dem geheimnisvollen Tor in einem Mischwald ausgesetzt worden. Gewaltige Eichen standen nicht weit von Fichten, Lerchen und Buchen, Farne und Moos bedeckten den Teil des Waldbodens, den die Bäume nicht mit ihren Blättern und Nadeln zugedeckt hatten. Die Geräusche verschiedener nachtaktiver Tiere drangen an Dalewinas Ohr: eine kleine Maus raschelte durch das Laub, einige ihrer fliegenden Verwandten durchstreiften die Luft auf der Jagd nach Insekten und ein Dachs schnaufte ein bisschen weiter entfernt durch das Unterholz.

Für ein menschliches Auge und Ohr wäre dies ein ganz normaler Wald, wenn es einen Menschen gegeben hätte, der in tiefster Nacht durch das Gehölz gestrichen wäre. Doch alle götterfürchtigen Menschen blieben zu dieser Stunde in ihren Häusern oder in einer der zahllosen dorianischen Tavernen, sofern sie nicht Fathûr, dem Gott der Nacht, des Schicksals und der Zeit dienten und seines Segens gewiss waren. Es gab also keinen Menschen, der Dalewina hätte bestätigen können, dass es an diesem Wald nichts auszusetzen gab, sah man einmal von dem Umstand ab, dass es Nacht war.

Doch die Augen der Elfen sehen anders als Menschenaugen, ihre Ohren hören anders, ihre Seelen sind nicht so abgestumpft für die Stimmung der sie umgebenden Natur, und so vermisste Dalewina einige entscheidende Noten in dem nächtlichen Konzert.

Nirgends erhoben sich die Stimmen der alten Bäume, nirgends sang das Wildgras ein fröhliches Lied, nirgends spielte der Wind seine feine Melodie auf den Ästen und Blättern, nirgends berichtete das feine Mondlicht, das durch das Blätterdach drang, von all den Wundern, die es auf seiner Reise gesehen hatte.

Dalewina fühlte sich, als lausche sie einem Sänger, dem seine Stimme nicht mehr gehorchte und dem sein früher so makelloses Spiel fürchterlich missriet. Es dauerte eine Weile, bis sie erkannte, dass sie von diesem seltsamen Zustand in den Reiseberichten ihres Vaters gehört hatte und erinnerte sich daran, was diese merkwürdige Disharmonie bedeutete: Dies war einmal ein Wald gewesen, in dem Elfen gelebt hatten, Hochelfen so wie sie. Doch die Elfen waren nicht mehr hier und der Wald trauerte um sie. Eine silbrige Träne stahl sich aus ihrem linken Auge. Sie wusste, dass dieser Wald einen wichtigen Teil seines Zaubers für immer verloren hatte.

Sie beschloss, nun endlich zu handeln, ihre Lage zu verbessern und nicht zuzulassen, dass die Traurigkeit, die von ihr Besitz ergriffen hatte, ihrer Herr werden konnte. Das Vorbild Feylarions vor Augen machte sie sich daran, den ersten Schritt in ihr eigenes Abenteuer zu wagen.

Als Kind der Wälder war es für Dalewina natürlich ein leichtes, auch in tiefster Nacht sicher einen Weg zu finden. Doch wohin sollte sie sich wenden? Sie wusste ja nicht, in welcher Richtung sie andere Lebewesen finden würde, die ihr bei der Suche nach Feodali helfen konnten. Dass sie sich auf die Suche nach ihrem Geliebten machen würde, stand für Dalewina so fest wie ein Baum auf der Erde. Sie hätte nicht einen Augenblick daran verschwendet, lediglich nur einen Weg nach Hause suchen zu wollen, auch wenn ein leises Heimweh sie bereits jetzt heimsuchte. Nein, wenn überhaupt, dann würde sie mit Feodali zurückkehren. Doch wohin nun zuerst?

Ratlos drehte sich die junge Elfe im Kreis, doch die stummen Bäume dieses Waldes gaben ihr keinen Rat. Müde ließ sie die Arme sinken. Dabei stieß ihre rechte Hand auf etwas Hartes in ihrer Tasche. Verwundert holte sie den Gegenstand hervor; es war der Feueropal, den Feodali ihr geschenkt hatte. Heißer Schmerz wallte bei seinem Anblick in ihr auf und für einen winzigen Augenblick musste sie gegen den Drang ankämpfen, den Stein mit aller Kraft fortzuwerfen. Doch er war alles, was ihr von ihrem Liebsten geblieben war, und so rang sie diesen unvernünftigen Impuls nieder.

„Und was hat uns seine ganze Zauberkraft geholfen, Liebster? Nichts hat er getan, um dich zu halten, dabei sollte er uns doch für immer zusammenbinden.“ Dalewina machte ihrem Kummer laut Luft, auch wenn außer einer Maus im nahen Laub niemand ihre Worte vernehmen konnte. Der Stein glitzerte unschuldig im Mond- und Sternenlicht.

„All die schönen Geschichten, die Pläne, die wir hatten und alles, was mir bleibt ist ein Stein mit Menschenmagie. Wenn ich doch nur...“ Die letzten Worte blieben ihr im Halse stecken. Menschenmagie! Was hatte Feodali noch über den Stein erzählt? Er sollte in der Lage sein, jeden aufzuspüren, der ihn lange genug getragen hatte! Also auch Feodali! Wieso hatte sie nicht schon früher daran gedacht?

Für einen Augenblick fühlte sie Zorn auf sich selbst in ihr aufsteigen, dem in kurzen Abständen zuerst Hoffnung und dann Ernüchterung folgten. Gut, sie besaß vielleicht ein Mittel, um Feodali zu finden, doch wie benutzte man es? Forschend blicke sie auf den Stein in ihrer Handfläche, der selbst im fahlen Mondlicht noch schwach von innen leuchtete.

„Vielleicht hilft es ja, wenn ich ganz fest an ihn denke“, machte Dalewina sich Mut. Ihr fiel ein leichtes Zittern in ihrer Stimme auf. Ganz konnte sie ihre Furcht vor menschlicher Magie nicht unterdrücken.

„Eine schöne Abenteurerin bin ich! Habe Angst vor einem kleinen Stein, der vielleicht meine einzige Hoffnung ist“, schimpfte sie. „Und ich spreche schon laut mit mir selbst wie ein Kind, das die Angst vor der Nacht nur durch den Klang seiner Stimme vertreiben kann!“ Sie nahm all ihren Mut zusammen, was im Moment allerdings nicht allzu viel war, und fixierte den Stein mit einem unverwandten Blick.

Doch so sehr sie sich auch auf den Stein konzentrierte, das vertraute Kribbeln, das sie mit ihrer elfischen Magie in Verbindung brachte, stellte sich nicht ein. Angestrengt versuchte sie, sich an die Erzählungen ihres Vaters zu erinnern.

„Die Menschen wirken Magie anders als wir“, hatte Feylarion einmal zu erklären versucht. „Wir spüren die Strömungen des Lebens, das Atmen, das Pulsieren, das alles umgibt, und wir versenken uns in diesen Strom des Lebens, ohne darüber nachzudenken, denn wir haben ein drittes, inneres Auge, das uns mit natürlicher Sicherheit den Weg weist. Wir schwimmen im viraya, und es reagiert auf unsere dringendsten Wünsche, wenn wir die magischen Worte sprechen. Doch die Menschen haben dieses Auge nicht. Sie schaffen sich etwas Vergleichbares durch ihre Gesten, ihre Formeln, versuchen in Worte, Zeichen und Zahlen zu pressen, was sich doch auf diese Art niemals ganz erfassen lässt. Und sie sind überraschend erfolgreich damit.“

Feodali hatte gesagt, dass er seinen Vater mit dem Opal finden könnte, wenn er sich auf ihn konzentrierte. Sie hatte sich auch auf Feodali konzentriert, doch sie hatte es mit ihrem Herzen getan, hatte jenen Feodali vor ihrem inneren Auge gehabt, der nur für eine Elfe sichtbar war. Doch wenn die Menschen anders sahen, dann konnte dieses Bild den menschlichen Zauber vielleicht auch nicht auslösen.

Erneut konzentrierte sich Dalewina auf den Stein, doch dieses Mal dachte sie an den Feodali, wie ihn jedermann mit seinen gewöhnlichen Sinnen sehen konnte. Sie dachte an sein Gesicht, seine Stimme, seine Bewegungen, an den Duft seiner Haare, wenn sie gemeinsam im Gras lagen.

Der Stein lag kalt in Dalewinas Hand. Nichts hatte sich getan, nur das ferne Funkeln, das sie vorher schon beobachtet hatte, lag immer noch in ihm. Ich habe mir etwas vorgemacht, gestand sie sich mit gesenktem Kopf ein und schickte sich an, den Stein in ihre Tasche zurückzustecken. Ich wette, dass dieses Ding nicht einmal irgendjemanden finden könnte, geschweige denn eine bestimmte Person, dachte sie enttäuscht.

Plötzlich fühlte sie Wärme in ihrer geschlossenen Hand. Schnell öffnete sie ihre Faust. Ein kleiner, spitzer Freudenschrei entrang sich ihrer Kehle, als sie auf den Stein blickte.

Langsam, wie der Herzschlag eines alten Mannes, pulsierte ein Licht im Innern des Opals! Dalewina wusste zwar nicht, was das zu bedeuten hatte, aber es war ein erstes Lebenszeichen der Magie, von der Feodali gesprochen hatte. Und wenn so viel davon stimmte, mochte auch der Rest wahr sein! Doch wie sollte sie jetzt weitermachen?

Unschlüssig drehte sich die junge Elfe im Kreis. Menschliche Magie war so ziemlich das einzige, über das die Reisegeschichten ihres Vaters nicht viel erzählten und außer diesen Geschichten hatte sie kaum einen Zugang zur Menschenwelt. Ein Flackern im Pulsieren des Opals ließ sie wieder auf ihre Handfläche schauen. Die Anzahl der geheimnisvollen Pulsschläge hatte sich deutlich erhöht! „Was treibst du jetzt wieder für ein Spiel mit mir“, verlangte sie von dem Stein zu wissen. Doch dieser lag unschuldig blinkend in ihrer Hand und verriet nichts.

Sie drehte sich wieder ein Stück um sich selbst, einer Eingebung folgend. Der Pulsschlag verlangsamte sich. Dalewina spürte, wie ihr eigenes Herz schneller zu schlagen begann. Sollte der Stein ihr etwa eine Richtung anzeigen können? Sie drehte sich zurück und das Blinken des Opals beschleunigte sich wieder. „Es funktioniert!“ rief sie begeistert. Neue Hoffnung keimte in ihr auf.

Langsam drehte sie sich weiter, versuchte herauszufinden, wo der Schlag ihres steinernen Führers am schnellsten zu sein schien. Schließlich sagte ihr eine innere Stimme, dass sie die richtige Richtung bestimmt hatte. „Intuition ist eine der größten Gaben unseres Volkes. Folge deiner inneren Stimme mit Vertrauen, dann wird sie dich weise geleiten.“ Leise hallte die Stimme von Feylarion Buchenherz in den Gedanken der einsamen Elfe wieder. Nun denn, Vater, wollen wir sehen, ob du recht hattest, dachte sie und machte sich auf, dem Weg zu folgen, den das Flackern des Opals ihr wies.

Es war ein fremder Wald, durch den Dalewina nun allein und unbewaffnet irrte, aber es war auch kein unfreundlicher Wald. Kein Baum stellte ihr mit seinen Wurzeln ein Bein, kein Gestrüpp versperrte ihren Weg, keine nächtlichen Besucher kreuzten ihren Pfad. So schnell sie gehen konnte, ohne das Pulsieren des Opals aus dem schnellsten Rhythmus kommen zu lassen, folgte sie dem Weg in die Nacht hinein.

So fixiert war sie auf das Leuchten, dass es fast ihr ganzes Denken einnahm und sie beinahe den zweiten Lichtschimmer übersehen hätte, als er sich von ferne in ihr Sichtfeld schob. Überrascht blickte sie auf. Es war Feuerschein, der da aus etwa einer Meile Entfernung zwischen den Ästen der Bäume zu ihr durchdrang. Sie sah sich um und befand, dass sie schon nahe dem Waldrand sein musste, wenn sie ein Feuer aus dieser Entfernung sehen konnte, denn bei dichterem Wuchs der Bäume wäre das nicht möglich gewesen. Ihr erster Impuls drängte sie, dem Licht entgegenzueilen, doch dann riet ihre innere Stimme ihr zur Vorsicht.

Schließlich wusste sie nicht, wer dort an dem Feuer saß, es konnten ebenso Menschen wie Orks sein, freundliche Wesen ebenso wie zwielichtiges Gesindel. Da ihre innere Stimme sie bisher so gut geführt hatte, beschloss Dalewina, auch jetzt auf sie zu hören und sich an dieses Feuer heranzuschleichen.

Wenn ein Elf schleicht, dann ist das etwa so, als würde ein Stummer schweigen: auch bei ihrer normalen Gangart kann ein Mensch sie schon kaum hören, doch wenn sie sich darauf konzentrieren, ihre Gegenwart zu verbergen, dann sind sie selbst für die scharfen Sinne vieler Tiere nahezu unauffindbar. Dalewina, die trotz ihrer misslichen Lage ein wenig stolz darauf war, wie gut sie ihre Probleme bisher in den Griff bekommen hatte, war geübt im Schleichen und hätte wohl alle bis auf die erfahrensten Waldläufer vor Neid erblassen lassen, hätten diese sie beobachten können. Kein Zweig knackte, kein Blatt raschelte, ja selbst die Luft um sie herum schien durch ihr Vorbeiziehen kaum bewegt zu werden.

So schnell wie es ihr bei dieser vorsichtigen Fortbewegungsart möglich war, näherte sie sich dem unbekannten Lager gegen die Windrichtung, nur für den Fall, dass es dort drüben Tiere gab, die darauf trainiert waren, Näherkommende ihren Herren zu melden. Für einen kurzen Augenblick überlegte sie, ob Feylarion wohl stolz auf die besonnene Handlungsweise seiner Tochter gewesen wäre, doch dann schob sie diesen Gedanken beiseite.

Erst, als sie sich dem Feuer bis auf wenige Meter genähert hatte und schon fast die Gestalten am Feuer ausmachen konnte, hörte sie die Musik. Langsam, leise und schwermütig wehten leise die Klänge einer Harfe zu ihr herüber. Es war kein Lied, das ihr bekannt vorkam, doch es bewegte etwas in ihr, wie eine ferne, halb vergessene Erinnerung.

Sie bewegte sich schneller, denn sie fühlte, dass ihr von jemandem, der ein solches Lied spielte, keine Gefahr drohen konnte. Vorsichtig schob sie einen Zweig zur Seite, der ihr die Sicht auf den Lagerplatz nahm.

In der Mitte einer winzigen Lichtung in der Nähe des Waldrandes brannte ein kleines Feuer. Es musste schon eine Weile brennen, denn die Flammen leckten nur noch träge an einigen wenigen und größtenteils schon verbrannten Holzscheiten. Langsam züngelten die Flammen an dem Stoff entlang, der ihnen das Leben gegeben hatte und auch wieder nehmen würde. Fast schien es so, als hätten auch sie ihr Werk verlangsamt, um der Musik zu lauschen, welche die kleine Lichtung auszufüllen schien.

Dalewinas erster Blick fiel auf einen schlanken Mann mit dunkelblonden, schulterlangen Haaren, der ihr fast direkt gegenüber saß, jedoch nicht in ihre Richtung blickte. Er war in leichte Reisekluft gekleidet, ein paar Schuhe aus feinstem Leder schützten seine Füße, ein Kurzbogen lag an seiner Seite und ein Dolch steckte in seinem schmalen Gürtel. Seine Augen schimmerten seltsam im Schein des Feuers, wie aus flüssigem Saphir schienen sie zu sein. Dalewinas Herz setzte für einen Schlag aus. Elfenaugen!

Wie um ihren Verdacht und heimlichen Wunsch zu bestätigen, strich der Fremde in diesem Moment sein Haar in einer unbewussten Geste zurück und enthüllte für einen kurzen Augenblick die spitz zulaufenden Ohrmuscheln, die für ihr Volk so charakteristisch waren.

Er schien ein wenig kräftiger gebaut zu sein als die Männer ihrer Sippe, und auch die Kleidung war für einen Hochelfen ungewöhnlich schlicht und funktionell, bestand aber nicht allein aus Grün- und Erdtönen, wie sie in ihrer Sippe dominierten. Seine Hose war aus leuchtend blauem Leinenstoff und sein Hemd aus weißer Seide. Elfenseide schien es aber nicht zu sein. In jedem Wald würde er bei Tage weithin sichtbar sein, weswegen die Hochelfen solche Farben außer zu Festen mieden. Er musste ein Angehöriger des Volkes der Grauelfen sein, das sich vor Jahrtausenden vom Hauptstamm der Hochelfen abgespalten und im Laufe der Zeit eine Vielzahl anderer Gebräuche fernab der heimatlichen Wälder angenommen hatte.

Eine Bewegung neben dem fremden Elfen lenkte Dalewinas Aufmerksamkeit ab. Ihre Neugier erwachte schlagartig, denn dort saß der erste Mensch, den Dalewina in ihrem Leben zu Gesicht bekam. So viele Geschichten hatte sie gehört, dass ihr an der Zugehörigkeit des jungen Mannes zu diesem Volk kein Zweifel kam. Er war etwa einen halben Kopf größer als der Elf und damit fast einen ganzen Kopf größer als sie selbst, schätzte Dalewina. Er war recht stämmig, ohne jedoch wirklich dick zu wirken, woran jedoch vielleicht auch seine Kleidung Anteil hatte.

Eine Robe aus einem sanft glänzenden grauen Stoff hüllte den jungen Menschen bis zu den Füßen ein, die in bequemen Wanderstiefeln steckten. Am Saum der Ärmel sowie um den Hals zogen sich schmale Streifen weißen Stoffes, auf denen in regelmäßigen Abständen verschlungene Symbole in warmen Goldtönen aufgestickt waren. Obwohl sie keine Schneiderin war, erkannte Dalewina sofort, dass dies eine hervorragende Arbeit war und den jungen Mann wohl ein kleines Vermögen gekostet hatte. Erstaunlich, bedachte man das Alter des Menschen und den Hang seiner Rasse, ihre Reichtümer anzuhäufen statt sie für das Schöne zu verwenden. Aber vielleicht war das auch nur ein elfisches Vorurteil und traf nicht auf alle Menschen zu.

Der junge Mann hatte gerade ein Wort mit seinem elfischen Begleiter gewechselt und blickte nun wieder in seine ursprüngliche Blickrichtung, wobei er vergeblich versuchte, sich eine widerborstige Haarsträhne aus dem Gesicht zu wischen. Dalewina musste unwillkürlich schmunzeln, als sie das Haar des Mannes betrachtete. Es war von einem hellen Nussbraun, lockig, voll und ungezähmt (oder unzähmbar?). Das Haar rahmte seinen Träger ein wie eine Fellmütze, stand nach einigen Seiten weit vom Kopf ab und verlieh dem Mann ein gutmütiges, wenn auch leicht verwildertes Aussehen.

Dieser Eindruck wurde noch von dem rundlichen Gesicht und den großen Augen verstärkt, die mit einer seltsamen Mischung aus Neugier, Staunen und Wissen zugleich in die Welt sahen. Die Hände hatte der junge Mann in den Schoß gelegt, offenbar gab er den Kampf mit seiner Haartracht, die Dalewina ein wenig an das Fell der wilden Bergschafe erinnerte, nicht zum ersten Mal verloren. Entspannt lagen die Hände mit den Handflächen nach oben wie in einer Meditationshaltung auf seinen Knien, während auch er der sphärischen Musik lauschte, die sie immer noch alle umschmeichelte. An der linken Hand blitzte ein Ring im Feuerschein. Dalewina konnte ihn nur kurz genau erkennen, doch sie erkannte ein Zeichen, das mit den Symbolen auf der Robe verwandt war, allerdings ungleich kunstfertiger zu sein schien.

So fasziniert sie auch von dem Anblick „ihres“ ersten Menschen war, so sehr trieb sie die Neugier dazu, den Blick schließlich auf die dritte Person der kleinen Gruppe zu werfen. Ihre Neugier wurde nicht enttäuscht, als sie auf den Harfner blickte, dessen Klänge sie so seltsam berührt hatten.

Auch er war ein Mensch, was allein sie schon ein wenig überraschte. Halb hatte sie erwartet, einen weiteren Elfen anzutreffen, wahrscheinlich hatte die außerordentliche Kunstfertigkeit des Harfenspiels sie zu dieser Hoffnung verleitet. Der Mann war sicherlich der größte der hier versammelten Gruppe, bestimmt noch eine ganze Handspanne größer als der andere Mensch. Im Gegensatz zu diesem war er jedoch nicht dicklich, sondern eher drahtig, aber noch nicht dünn zu nennen. Das Gesicht und die dunklen, fast schwarzen Haare des Mannes waren recht unauffällig, wenn auch angenehm und gleichmäßig, so auch die schmale, gerade Nase. Doch es waren ganz andere Dinge, die Dalewina sofort an diesem Mann faszinierten.

Die Augen des Mannes waren schwarz. Wie in dunklem Wasser spiegelten sich die Flammen des Lagerfeuers in diesen Augen, tief, unergründlich und gleichzeitig auch unnahbar. Diese geheimnisvollen Augen - hatte Feodali nicht gesagt, dass schwarze Augen bei Menschen recht selten wären? - lagen in einem Gesicht, dessen Alter Dalewina nur schwer zu schätzen vermochte. Es sah nicht wesentlich älter aus als sein menschlicher Begleiter, aber sie war sich ihrer Schätzung alles andere als sicher.

Eine besondere Ernsthaftigkeit und Würde verlieh dem Mann seine Kleidung. Er war ebenfalls in eine weit herabfallende Robe gekleidet, die auch vom Schnitt und Stil her der des anderen Menschen ähnelte. Diese Robe jedoch war von tief dunkelblauer, fast schwarzer Farbe und mit silbernen Symbolen bestickt, so dass Dalewina fast den Eindruck hatte, der Mann hätte einen Teil des Nachthimmels um seinen Körper gewickelt. In seinen Händen schließlich hielt er die Harfe, der er diese fremd-vertrauten Klänge entlockte.

Sie war geschwungen wie ein Hufeisen, eine dritte Stange, an der die hauchzarten Saiten befestigt waren, verband die nach außen zeigenden Enden der Harfe. Beide Enden waren mit kunstvollen Schnitzereien verziert. Auf dem einen prangte herrlich und stolz der Kopf eines Einhorns, auf dem anderen düster und geheimnisvoll der Kopf eines Drachen. Ruhig und entspannt glitten die Hände des Harfners über die Saiten seines Instruments und brachten gerade in diesem Moment sein trauriges Lied zu einem gefühlvollen Ausklang.

Einen Moment herrschte völlige Stille auf der Lichtung, bis sich der Elf schließlich räusperte und das Wort ergriff. „Wirklich beachtlich für einen Menschen. Ja, wirklich beachtlich. Umso mehr freut es mich, dass du dieses feine Spiel nicht unterbrochen hast, Schwester!“ Mit diesen Worten wandte der Elf den Kopf und blickte direkt auf den Busch, hinter dem Dalewina sich verborgen hatte. Sie hatte den Elf gut verstanden, auch wenn er sich der menschlichen Sprache bedient hatte, schließlich hatte sie diese lange genug gelernt.

Die Begleiter des Elfen reagierten nach einem kurzen Augenblick der Verblüffung sehr unterschiedlich auf die Bemerkung ihres Gefährten. Der junge Mann in der grauen Robe sprang mit weit aufgerissenen Augen auf, ergriff einen fast anderthalb Meter hohen Holzstab, der neben ihm auf dem Boden gelegen hatte, und deutete mit der rechten Hand ruckartig in ihre grobe Richtung. Der Harfner rückte lediglich einige Schritte von dem Gebüsch ab und sah interessiert zu ihr herüber.

„Halt, halt, Darian!“ rief der Elf. „Keinen Grund, gleich den ganzen Wald in Brand zu zaubern! Es ist eine Elfe, keine Diebesbande, die dort im Gebüsch wohl dem Harfenspiel unseres Freundes gelauscht hat!“ Er wandte sich wieder zu Dalewina und sprach sie in ihrer Muttersprache an: „Nun komm aber heraus, Schwester, du bist hier nicht in Gefahr. Und ich weiß nicht, wie lange dieser unruhige kleine Magier sein Feuer noch in sich halten kann.“

In der Tat sah der Mensch ziemlich nervös und unruhig aus. Er versuchte, einige wollige Haarsträhnen wegzublinzeln, welche die unerwartete Gelegenheit genutzt hatten, um wieder in sein Gesicht zu fallen. Seine umherfliegenden Augen verrieten ferner, dass er sie noch nicht entdeckt und die Worte seines Begleiters noch nicht vollständig registriert hatte. Offenbar war ihm diese Art nächtlicher Begegnungen genauso fremd wie ihr. Dann stutzte sie. Was hatte der Grauelf gesagt? Magier? Erst jetzt drang die Bedeutung dieses Wortes in ihr Bewusstsein vor. Dieser harmlos aussehende junge Mann war ein Magier?

Dalewina war verunsichert, doch sie sah ein, dass Wahrheit in den Worten des fremden Elfen steckte, und so trat sie auf die Lichtung, die Hände offen als Zeichen ihrer friedlichen Absicht ausgestreckt. Die Augen des jüngeren Menschen weiteten sich noch ein wenig mehr, als er sie erblickte, und sein Mund öffnete sich ein ganzes Stück. Irgendwie sah er nicht sehr ehrfurchtgebietend aus für einen Magier, befand Dalewina. Nach einem Blick auf seine Haarpracht musste sie sich ein zauberndes Bergschaf vorstellen und beinahe lachen.

„Halte an dich, consavo, es muss doch nicht gleich jeder wissen, dass du noch nie eine Elfe gesehen hast!“ Die Stimme des älteren Menschen hatte einen spöttischen Klang, während er diese Worte sprach und sein rechter Mundwinkel sich zu einem leicht gehässigen Halblächeln (der andere Mundwinkel bewegte sich nicht einen Deut) hob.

Dalewina verstand zwar die Worte, warum aber der junge Mann auf diese Worte hin plötzlich im Gesicht rot anlief und den Mund mit einem hörbaren Klacken schloss, war ihr nicht ganz klar. War es etwa eine Schande, noch nie eine Elfe gesehen zu haben? Oder bedeuteten die Worte etwas ganz anderes? Sie zuckte innerlich mit den Schultern. Sie hatte wahrlich dringendere Fragen zu klären.

Der Elf lachte leise. „Na großartig, ihr hochgebildeten Sprücheklopfer! Ihr seht hier eine echte Hochelfe vor euch, und alles, was ihr tun könnt, ist, eure kleinen Wortgefechte fortzuführen! Was seid ihr Menschen doch unhöflich!“

Der Harfner deutete eine kleine Verbeugung in Dalewinas Richtung an, wobei sein Lächeln noch eine Spur spöttischer wurde. „Unser Freund, der edle Felusion Sternensang, hat natürlich recht. Wir waren sehr unhöflich. Anasálà, soliya! Jesoië Julian Thelamar!“ sprach der Mann mit leiser, tiefer und angenehmer Stimme.

Der dunkel gewandete Mann genoss die Überraschung sichtlich, die sich deutlich auf Dalewinas Gesicht zeigte, als sie unvermittelt von einem Menschen in der Sprache ihres Volkes begrüßt wurde – und zwar nahezu perfekt. Sogar der feine Unterschied in der Betonung zwischen den Worten soliya, das den einzelnen Elf bezeichnete, soliÿa, das für die elfische Sprache stand, und soliyaê, welches das gesamte Elfenvolk umfasste, war auf eine Art und Weise gelungen, die nicht auf Zufall, sondern nur auf erheblicher Erfahrung beruhen konnte. Lediglich der melodische Unterton, den menschliche Kehlen nicht nachzuahmen vermochten, fehlte.

„Ich beherrsche eure schöne Sprache leider nicht so gut, aber ich hoffe, dass ihr mich auch so verstehen könnt“, schaltete sich der andere Mensch in das Gespräch ein. „Mein Name ist Darian Gorbas. Es tut mir leid, wenn ich euch bedroht haben sollte, aber ich dachte, ich, äh, also...“ Die Verlegenheit stand jetzt noch deutlicher in Darians Zügen geschrieben.

„Ihr müsst euch nicht entschuldigen, Darian. Ich habe mich an euer Lager herangeschlichen. Mein Name ist Dalewina Buchenherz. Anasálà!“ fügte sie mit einer leichten Verbeugung zu jedem der drei Männer hinzu. Dalewina war selbst erstaunt, wie einfach ihr die Worte der Menschensprache von den Lippen kamen, und noch mehr, wie schnell sie jegliche Furcht abgelegt hatte. Das einfache Begrüßungsritual hatte ihr den Schritt in die fremde Welt erleichtert.

„Ihr müsst einen Verwandten gehabt haben, der schon unter uns Menschen geweilt hat, nicht wahr?“ fragte der Mann, der sich als Julian Thelamar vorgestellt hatte, sie in diesem Moment. „Ja, das stimmt“, antwortete Dalewina. „Woher wisst ihr das?“

„Nun, es ist nicht ungewöhnlich, dass auch Elfen, die wenig oder gar nichts mit Menschen zu tun haben, unsere Sprache sprechen. Aber nur diejenigen eures Volkes, die sie von einem Weitgereisten erlernten, benutzen das höfliche ‚Ihr‘ statt des ‚Du‘, welches bei eurem Volk sonst üblich ist.“

Dalewina spürte eine erneute Verwirrung in sich aufsteigen. Sie blickte zu Felusion herüber. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ „Nein, nein, Schwester. Achte gar nicht auf Julian. Es ist sein größtes Vergnügen, andere Leute mit kleinen Bemerkungen aus der Ruhe zu bringen. Da du ihn noch nicht kennst, bist du natürlich ein dankbares Opfer. Aber sei beruhigt, sein Spott ist gutmütiger Art - meistens jedenfalls.“ Ein weiteres schiefes Grinsen des großen Mannes bestätigte die Worte Felusions. „Meistens“, fügte er nickend hinzu.

An dieser Stelle brach Darian erneut dazwischen. „Wenn ihr es wünscht, also ich meine, wenn es eher euren Gewohnheiten entspricht, so könnt ihr gerne auf die Förmlichkeiten verzichten, natürlich nur, wenn es euch nicht inkonvenient ist und...“

„Was mein werter consavo – so reden wir hochgebildeten Sprücheklopfer uns gern selbst untereinander an – sagen will“, unterbrach ihn Julian nun seinerseits mit einem schiefen Blick in Felusions Richtung, „ist, dass wir alle gerne mit einer so reizenden jungen Dame zum vertrauten ‚Du‘ wechseln würden.“

Der junge Magier bedachte seinen Gefährten im Anschluss an dessen Worte mit einem Blick, in dem sich erleichterte Dankbarkeit und leichter Zorn über die Bevormundung mischten. Dann nickte er bestätigend, worauf er wiederum eine dicke Locke aus dem Gesicht wischen musste. Seufzend stopfte er anschließend die Hände in die Taschen seiner grauen Robe und zuckte in stummem Selbstgespräch mit den Schultern, ohne zu merken, wie ihn die neugierigen Blicke der Elfe bei all dem verfolgten.

„Nun, gerne, warum nicht? Ich weiß auch gar nicht so recht, wozu diese sprachlichen Wendungen gut sein sollen.“ Dalewina war sehr erleichtert, diese Sache mit dem „Ihr“ und „Euer“ hatte sie nie so recht gemocht und verstanden. Sie wusste lediglich, dass diese distanzierte Höflichkeit unter den Menschen sehr üblich war, sogar unter langjährigen Freunden.

„Machen wir es uns doch wieder bequem und lassen wir uns von Dalewina erzählen, was sie an unser Feuer getrieben hat“, schlug Felusion fröhlich vor. Es war ihm anzusehen, dass er die unerwartete Gegenwart eines anderen Mitglieds seines Volkes genoss.

Umso bestürzter wurde seine Miene, als er die Reaktion Dalewinas auf seine Worte sah, denn diese hatte für den kurzen, aufregenden Moment, in dem sie das Wirken des Opals entdeckt und dann diese Fremden kennengelernt hatte, fast vergessen, welch trauriges Schicksal sie hierher geführt hatte. Nun, inmitten scheinbar freundlicher Wesen, gewärmt von den sanft tanzenden Flammen des kleinen Feuers, brachen die Schutzwälle der Entschlossenheit und der Zielstrebigkeit, die sie um ihren Schmerz gelegt hatte.

Sie fühlte ihre Lippen beben, spürte ein Brennen hinter ihren Augen und ein Zerren und Reißen in ihrem Herzen, das ihre Selbstbeherrschung hinwegfegte wie ein Blatt im Sturmwind. Kraftlos ließ sie sich auf einen freien Platz im Kreis der drei Männer sinken und begann, haltlos zu weinen.

Sowohl Felusion als auch Darian sprangen auf, um an die Seite der Elfe zu eilen, doch Julian hielt sie mit einer scharfen Handbewegung auf. „Tränen sind ein Zeichen des Schmerzes, aber auch ein Zeichen der inneren Reinigung. Lassen wir zu, dass sie sich durch ihre Trauer reinigt und warten ab, bis sie uns alles von selbst erzählt.“

Mit einem Seitenblick auf Felusion, der dem Mann in der nachtblauen Robe stumm zunickte, fügte er zu Darian gewandt hinzu: „Elfen sind Menschen emotional und sinnlich überlegen, wie unser Freund uns ja bei jeder Gelegenheit wissen lässt. Sie hören besser, sehen besser, erkennen die Natur viel bewusster als wir. Aber unsere Stumpfheit bietet uns teilweise einen Schutz, der ihnen fehlt. Deshalb sind sie oft ohnmächtig und hilflos ihren Gefühlen ausgeliefert, wo wir in der Lage sind, sie zumindest kurzzeitig zu unterdrücken und weiter zu handeln. Einem Elfen, der seinen Emotionen in solcher Weise unterliegt, muss man die Zeit geben, mit sich selbst und seinem Geist wieder eins zu werden. Mitfühlende Nähe, wie wir sie auch von weniger vertrauten Personen als Hilfe gern annehmen würden, erträgt und akzeptiert ein Elf in so einer Lage nur von jemandem, der ihm sehr nahe steht. Du kannst ihr keinen Trost spenden, auch wenn dich dein Bemühen ehrt.“

Diese Worte, erstaunlich sanft gesprochen, klangen fast wie eine Lektion, und der junge Magier nickte verständig wie ein gelehriger Schüler, dem sein Lehrer eine lange ersehnte Wahrheit verkündet hatte.

Dalewina nahm die Worte wahr und wusste nicht genau, ob sie sich über die Art, in der da wie über jemand Abwesenden über sie gesprochen wurde, grämen sollte. Aber als ihr bewusst wurde, dass der fremde Magier Recht mit dem hatte, was er über die Art, wie Elfen mit ihrer Trauer umgingen, sagte, erkannte sie auch, dass er sie nicht herabwürdigen wollte. Vielmehr sprach ein tiefes Verständnis und ein ebenso tiefer Respekt vor ihrer Kultur aus seinen Worten. Stumm saßen die drei Männer um die trauernde Elfe herum und erwarteten geduldig, dass sie sich wieder fasste.

Schließlich waren Dalewinas Tränen aufs Neue versiegt, und sie begann, sich ihrer neuen Lage zu stellen. Sie wollte jemanden finden und sie hatte jemanden gefunden. Einen Angehörigen eines verwandten Elfenvolkes und zwei menschliche Zauberkundige, die zudem allesamt bemüht schienen, ihr mit Rücksicht und Wohlwollen zu begegnen. Sie hätte es wirklich schlechter treffen können und sollte lieber versuchen, das Beste aus ihren neuen Möglichkeiten zu machen, als sich von Trauer lähmen zu lassen.

Dalewina straffte sich und griff in das erstaunlich tiefe und reich gefüllte Reservoir ihrer inneren Stärke und Entschlossenheit. Sofort wurde ihr ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil. „Ich habe nicht viel zu erzählen, aber was ich zu sagen habe, ist alles andere als schön. Es fällt mir schwer, daran zu denken, aber ich hoffe, es wird mit leichter fallen, wenn ich meinen Schmerz mit jemandem teile.“ Sie holte tief Luft und begann, ihre Geschichte zu erzählen.

Sie wurde nicht ein einziges Mal unterbrochen. So gefangen war sie in ihrer Erzählung und den noch frischen Erinnerungen, dass ihr die unterschiedlichen Reaktionen ihrer Zuhörer kaum auffielen.

Darian Gorbas reagierte sehr emotional. Er schien jedes Wort von ihren Lippen saugen, jedes Gefühl nachempfinden und jede einzelne der rätselhaften Begebenheiten sofort lösen zu wollen. Dabei rangen seine Hände miteinander, sofern er sie nicht geistesabwesend an seiner Robe abwischte, deren Grau dadurch an einigen Stellen noch mehr zu schimmern schien. Sogar die erneut herabfallenden Haarsträhnen ignorierte er gebannt.

Felusion Sternensangs Reaktionen waren weit weniger heftig, aber dafür umso mitfühlender, wann immer die Sprache auf ihren Verlust oder ihre Gefühle gegenüber Feodali kam, Stellen, an denen der aufmerksame Darian immer ein wenig irritiert zu sein schien. Besonders die Ankündigung einer bevorstehenden Seelenhochzeit löste bei diesen beiden Zuhörern unterschiedliche Gefühle aus.

Julian Thelamar dagegen war kaum eine Regung anzumerken. Er hatte sich in seine Robe gewickelt, in deren tiefem Blau und Silber sich der Feuerschein spiegelte, und hörte nahezu unbewegt zu. Lediglich eine seiner Augenbrauen hob sich für den Bruchteil eines Augenblicks, als Dalewina von Feodalis Abstammung und der Geschichte des Opals erzählte, ansonsten war sein Gesicht ein steinerner Ausdruck höchster Konzentration und Aufmerksamkeit, der nicht das geringste Detail entging.

So beendete Dalewina Buchenherz schließlich die Geschichte, die den Anfang ihres ersten großen Abenteuers in der Welt außerhalb ihres Waldes bilden sollte - und das Ende des ersten Tages in der Fremde. Als sie sich an jenem Abend zum Schlafen niederlegte, hoffte sie, dass sie neue Gefährten gefunden hatte und dass es das Schicksal vielleicht doch nicht gar so schlimm mit ihr meinte.

Doch diese Hoffnung spendete Dalewina wenig Trost in dieser Nacht. Um sich herum hörte sie die ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge der drei ungleichen Freunde, doch sie selbst fand lange Zeit nicht in den Schlaf. Immer wieder zog der Tag, der so wundervoll begonnen und dann eine so schreckliche Wendung genommen hatte, vor ihrem inneren Auge vorbei. Hätte ich ihn retten können? fragte sie sich. Ich habe doch getan, was ich konnte! Oder doch nicht?

So tief war sie in ihren Zweifeln und ihrem Schmerz gefangen, dass sie die Tränen nicht einmal spürte, als sie erneut zu fließen begannen. Schließlich glitt Dalewina vor lauter Erschöpfung doch noch ins Traumland ab, doch die Bilder des Tores und des grausigen, zuckenden Schlundes dahinter folgten ihr.

Buchenherz

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