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(a) Bestehen einer generellen Compliance-Pflicht?

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Zunächst ist bei Unterlassen von Maßnahmen des Risikomanagements an Strafbarkeitsrisiken im Hinblick auf den Untreuetatbestand zu denken, wenn das Unternehmen aufgrund rechtswidriger Praktiken seiner Mitarbeiter Bußgeld- oder Schadensersatzforderungen ausgesetzt ist.[156] Anknüpfungspunkt ist die Treubruchsvariante nach § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB: Sofern aufgrund rechtswidriger Mitarbeiterpraktiken Bußgeld- oder Schadensersatzforderungen gegenüber dem Unternehmen geltend gemacht und realisiert werden, entstehen diese kraft Gesetzes und nicht – wie es die Missbrauchsvariante verlangt –[157] als Folge eines Rechtsgeschäfts. Der Treubruchstatbestand kann dabei nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen verwirklicht werden; eines Rückgriffs auf § 13 Abs. 1 StGB bedarf es nicht, da der Treuepflichtige in jedem Falle Garant ist.[158]

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Obwohl der Vorstand einer AG oder die Geschäftsführung einer GmbH im Grundsatz eine Vermögensbetreuungspflicht im Hinblick auf das Vermögen der Gesellschaft innehaben,[159] bestehen gleichwohl Bedenken, das Unterlassen von Compliance-Maßnahmen automatisch als Verletzung dieser Treuepflicht anzusehen. Da die dem Treunehmer obliegende Verpflichtung zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen in § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB selbst nicht inhaltlich konturiert wird, wäre für ihre inhaltliche Skizzierung akzessorisch an außerhalb des Strafrechts angesiedelte Rechtsmaterien anzuknüpfen.[160] Jenseits von Spezialnormen existiert jedoch keine generelle Verpflichtung zur Einrichtung von Compliance (siehe auch Rn. 640 ff.).[161] Sie resultiert insbesondere nicht aus § 91 Abs. 2 AktG,[162] der Ausstrahlungswirkung auf die GmbH entfaltet.[163] Danach hat die Unternehmensleitung geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Die Vorschrift ist nicht auf das Außenverhältnis der Gesellschaft gerichtet, sondern installiert einen im Unternehmensinteresse liegenden und das Innenverhältnis von Unternehmensleitung und Gesellschaft betreffenden Selbstregulierungsmechanismus, der der Leitung deutlich größere Freiräume in der Ausübung dieser Funktion belässt. Dem entspricht es, wenn die Vorschrift einhellig als Ausprägung der allgemeinen Leitungsaufgabe des Vorstands einer AG (§ 76 AktG) oder der Geschäftsführung einer GmbH (§ 35 GmbHG) verstanden wird.[164]

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Daher lässt sich aus der Norm allenfalls eine weniger weit reichende Verpflichtung ableiten, die darauf gerichtet ist, den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh zu erkennen und zu beseitigen. Hiervon wird freilich erst bei konkreten Insolvenzrisiken die Rede sein können,[165] weshalb diese Ausprägung des Risikomanagements erst relativ spät einsetzt. Die Verletzung der von § 91 Abs. 2 AktG statuierten Fortbestandssicherungspflicht kann dann allerdings grundsätzlich eine untreuerelevante Pflichtverletzung darstellen, weil solche Maßnahmen dazu dienen, wirtschaftlich nachteilige Folgen für das Unternehmen zu unterbinden.[166] Ergreifen Vorstand und Geschäftsführung diesbezüglich keinerlei Maßnahmen und nehmen ihre Unternehmensleitungsaufgabe nicht wahr, liegt hierin ein untreuerelevanter Pflichtverstoß, da das Ob der Erfüllung dieser Pflicht – wie der Wortlaut des § 91 Abs. 2 AktG zeigt („hat“) – nicht zur Disposition der Unternehmensleitung steht.

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Werden nur unzureichende Maßnahmen ergriffen, lässt sich nicht ohne Weiteres ein untreuerelevanter Pflichtverstoß annehmen. Insoweit kommt der Wertung der in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG statuierten Business Judgement Rule maßgebliche Bedeutung zu.[167] Eine gesellschaftsrechtlich rechtswidrige Ermessensausübung scheidet demnach aus, wenn die Unternehmensleitung bei der getroffenen Auswahl an Fortbestandssicherungsmaßnahmen vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen und zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Selbst wenn man im konkreten Fall von einem Verstoß gegen die Business Judgement Rule ausginge, könnte hieraus noch immer nicht zwingend auf einen untreuerelevanten Pflichtverstoß geschlossen werden, da insoweit das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung relevant wird.[168] Will man dieses Kriterium nicht darauf reduzieren, ein Überschreiten des unternehmerischen Entscheidungs- und Handlungsspielraums anzuzeigen,[169] muss eine spezifisch strafrechtliche „Höhenmarke“ des Unrechts erreicht werden.[170] Gravierend wäre die Pflichtverletzung nur bei evidenter Überschreitung des unternehmerischen Beurteilungs- und Ermessensspielraums in der Auswahl der zu treffenden Maßnahmen. Hiervon kann jedoch erst ausgegangen werden, wenn die getroffenen Maßnahmen derart unzureichend wären, dass sie auch unter Rücksicht auf die insoweit zu konzedierenden Freiheitsgrade nicht mehr als ex ante im Interesse des Unternehmens liegend gedacht werden könnten.[171]

Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung

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