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Sonntagabend Asphaltfresser
Оглавление»Ich weiß das Datum noch so gut wie meinen Geburtstag. Am 16. Februar 1987 eröffneten wir das erste integrale Herzzentrum in Europa: ein Meilenstein in meinem Leben. Wenn ich noch ein zweites Mal Geburtstag hatte, dann am Tag, als ich in meinen Sattelschlepper umstieg. Am 1. Mai 2003 bin ich Meilenfresser geworden.«
Markus Studer
Eine Fahrt vom Mittelmeer an die Nordsee ist kaum ein Ereignis, aber wenn vor dem Fenster ein Leben vorbeizieht, oder zwei, kann man doch einen Blick darauf werfen, besonders aus der höheren Warte eines Sattelschlepperfahrers. Das Geschirr, wie Markus Studer in nostalgischer Fuhrhalterseligkeit sagt, wartet an einem späten Sonntagabend im April in Lugano-Manno auf uns: hinter Maschendraht, zwischen weitläufigen Lagerhäusern und Siloanlagen im Dunkel des Neumonds. Nichts bewegt sich, auch nicht in der nahen BP-Tankstelle, nichts ist zu hören, es sei denn hie und da das einsame Zirpen früher Grillen. So sehen die Orte aus, an denen in Krimis Morde passieren.
»Markus Studer, Internationale Transporte« steht quer über dem Kühlergrill, Schneeweiß auf Blutrot. Der Chromstahl des Aufliegers ist auf Hochglanz poliert, das ist selbst im Dunkeln erkennbar. Markus sagt: »Unter uns Truckern sagt man sich du.« Ich bin gerührt, dass er mich gleich mit in seinen Kreis aufnimmt, und sage, auch ich heiße Markus. Schön. Dann schreitet er auf seinen Mercedes zu wie auf eine Geliebte, die er kurz zuvor verlassen hat und die wiederzusehen er kaum erwarten kann. Noch aus dem Schwung der Bewegung heraus tritt er mit dem Fuß gegen einen der Reifen, geht von Rad zu Rad, und weiter von Detail zu Detail, auf allen vier Seiten: »Man weiß nie, ob noch alles dran ist. Die Heckleuchten, die Spiegel. Der Reifen sah etwas platt aus von Weitem, aber es scheint nichts geklaut worden zu sein, alles okay.«
Weil er am Freitag noch im französischen Zentralmassiv unterwegs gewesen und dann abends um zehn an den Schweizer Ruhezeitbestimmungen hängen geblieben war, wie Unkraut in einem Rechen, musste Markus am Samstag per Bahn von Lugano heim nach Zürich fahren. Jetzt drückt er auf den elektronischen Schlüsselhalter. Die Geliebte, die nun mich neben ihm zu dulden hat, begrüßt uns mit einem Klicken und einem Blinzeln der geröteten Augen ihrer Blinklichtanlage. Augenblicklich ist das riesige, ruhende Wesen hellwach und heißt uns mit offenen Türen willkommen. Der Fußboden der Kabine liegt etwa auf Augenhöhe, und der Weg von draußen nach drinnen führt über eine senkrechte fünfsprossige Leiter. Der Türgriff liegt nur wenige Zentimeter über der Türschwelle, die liegt allerdings so hoch über dem Rad, dass ich mich zum Öffnen strecken muss wie ein Kind an der Haustür. Ich suche an der senkrechten Treppe Halt für Hände und Füße, irgendwie kriege ich im Dunkeln den Schlafsack aus der Tasche, schlüpfe aus den Hosen und hinein in die Pritsche, die mir so eng vorkommt wie ein Schuh.