Читать книгу Klima Killer - Markus Palic - Страница 11
VOR SIEBZEHN MONATEN
Оглавление»Das klappt niemals«, sagte Tina Engler zu ihrem Geschäftsführerkollegen Volker Renz und beäugte ihn mitleidvoll. Beide standen im Flur des Berliner Büros von Actis e. V., in dem die deutsche Sektion der weltweit agierenden Umweltschutzorganisation ihren Sitz hatte.
Engler erinnerte mit ihren gewellten dunklen Haaren, dem ovalen Gesicht und den großen hellen Augen an die junge Ingrid Bergmann. Sie trug einen enganliegenden Hosenanzug, der ihre makellose Figur betonte. An den Ohrläppchen baumelten übergroße Ohrringe aus dickem Golddraht, die eine verschlungene Acht darstellten. Das Zeichen für Unendlichkeit. Sie verantwortete in der Sektion das Ressort »Marketing«.
Renz verkörperte den Vollblutprofi für Kommunikation und leitete das Ressort »Öffentlichkeitsarbeit«. Im tadellos sitzenden Anzug hätte der gutaussehende, stets verschmitzt lächelnde Enddreißiger auch Vorstandsvorsitzender eines Dax-Unternehmens sein können.
»Wieso nicht? Warum traust du mir das nicht zu?«, fragte Renz gereizt.
»Weil die so etwas schon zigmal abgeschmettert haben, die stecken doch alle unter einer Decke. Du wirst es erleben«, erwiderte sie.
»Ich finde, es ist in jedem Fall einen neuen Versuch wert. Die öffentliche Meinung hat sich in den letzten Jahren geändert. Die Deutschen werden immer umweltbewusster. Bionahrung, Bioklamotten, Energiesparen, spritsparende Autos, Elektroautos, alles im Trend. Das kann die Richter nicht unbeeinflusst lassen. Ich werde es auf jeden Fall noch einmal versuchen.«
»Versteh mich nicht falsch«, lenkte sie ein, »ich unterstütze dich, wo immer ich kann. Ich glaube nur nicht, dass die in Karlsruhe jemals umfallen.«
»Was meinst du mit umfallen? Das sind doch keine Politiker, die sich kaufen lassen. Oder glaubst du das etwa?« Renz runzelte die Stirn.
»Lass uns doch lieber militanter werden, damit die Bevölkerung endlich aufwacht«, provozierte Engler, ohne auf seine Frage einzugehen.
»Das bringt nur Ärger. Noch nie ist die Bevölkerung aufgewacht, wenn eine Gruppe militant wurde. Gleichgültig, für welche edlen Ziele sie kämpfte. Dafür gibt es dutzende von Beispielen aus der Vergangenheit. Du kannst gefühltes Unrecht nicht mit objektivem Unrecht bekämpfen. Wir müssen es so versuchen, müssen sie mit den eigenen Waffen schlagen«, desillusionierte Renz sie.
Nach einer kurzen Pause, in der sie sich nachdenklich ansahen, dann in Renz’ Büro schlenderten und sich am ovalen Besprechungstisch in Replikas von Charles-Eames-Chairs hineinfallen ließen, fuhr er fort.
»Ich habe mich mit den Emissionszahlen von Treibhausgasen in den letzten Jahren ausführlich beschäftigt«, sagte er bedächtig und wippte mit seiner Lehne nach hinten.
»Das Umweltministerium veröffentlicht sie jährlich auf’s Neue, mit überschäumendem Enthusiasmus.«
»Ja und?«, fragte sie.
»Nix und. Oberflächlich betrachtet sieht es gut aus. Der Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen ging in Deutschland von 1,2 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten im Referenzjahr 1990 auf etwas über 900 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr zurück. Diese Statistik kennst du sicher. Möchtest du einen Kaffee?« Renz deutete auf das andere Ende des Besprechungstisches, auf dem eine Pumpkanne aus Edelstahl und einige bunte Tassen standen.
»Ja gerne. Das ist ein gutes Viertel weniger, was willst du also?«, fragte sie lakonisch, nachdem sie den Anteil von Kohlendioxid überschlagen hatte.
»Ich würde diese Fuzzis vom Ministerium am liebsten lynchen«, sagte Renz, während er zur Kaffeekanne ging und zwei Tassen füllte. Für sie schwarz, für sich mit Milch.
»Warum? Das klingt ziemlich unlogisch.«
»Da ist nichts unlogisch«, räusperte sich Renz, stellte die Tassen vor ihnen ab, setzte sich und fuhr gereizt fort.
»Zwischen dem Jahr der Wiedervereinigung und 2010 sanken die Emissionen. Das war aber nicht das Verdienst der Politiker, wie sie es gerne verkaufen! Und wenn doch, dann auf eine ganz und gar unbeabsichtigte Weise. Das verdanken wir einzig und allein dem dramatischen Zusammenbruch der Industrie in den neuen Bundesländern mit ihren ineffizienten Produktionsanlagen. Und seitdem liegt der Ausstoß bei uns Jahr für Jahr ziemlich stabil bei über 900 Millionen Tonnen. Obwohl der Anteil regenerativ erzeugter Energien ständig zunimmt.«
»Gut, bisher ist das alles nicht wirklich neu für mich.«
»Natürlich nicht. Neu ist vielleicht, dass die Senkungsziele, die sich die Bundesregierung gesetzt hat, so niemals erreicht werden.«
»Und wieso nicht?«
»Bist du so naiv oder willst du mich provozieren?«
»Tu doch mal so, als wollte ich dich provozieren«, sagte sie und lächelte ihn an.
Durch die offene Tür lugte der Kopf von Erich Hardt in Renz’ Büro. Ein Vorstandsmitglied der Organisation. Er hielt sich gerade in Berlin auf und erledigte seine Post, die sich in den Zeiten ansammelte, in denen er seinem Hauptjob als Geschäftsführer einer Firma für biologische Tiernahrung nachging. Blondgelockt, groß und sportlich mit einem Faible für klassische Musik, summte er ständig populäre Opernmelodien vor sich hin.
»Was habt ihr da Interessantes?«, warf er in die Runde, nachdem er zuvor einem Teil der Unterhaltung auf dem Flur gelauscht hatte.
»Volker will es wieder einmal versuchen«, sagte sie in Richtung Tür.
»Was will er versuchen?«
»Er will sich mal wieder beschweren.«
»Bei wem? Über was?«, wollte Hardt wissen und stand nach wenigen Schritten und mit einem neugierigen Gesichtsausdruck mitten in Volkers Büro.
»Ich bereite gerade eine Verfassungsbeschwerde gegen die Klimakiller vor«, offenbarte Renz und drehte sich energisch zu Hardt um.
»Klimakiller? Wie meinst du das?«
»Der Treibhausgasausstoß bedroht unser aller Unversehrtheit. Die Verursacher und diejenigen, die nichts dagegen tun, sind Klimakiller. Oder wie würdest du sie bezeichnen?«
»Ja, ja, das klingt plausibel, aber wo ist da der Zusammenhang zu unserer Unversehrtheit?«
»Ganz einfach. Der Ausstoß führt nachweislich zu Wetterextremen wie Hitzewellen und Starkregen. Stürme werden stärker. Langanhaltende Hitzeperioden gefährden die Trinkwasserversorgung und die Landwirtschaft. Starkregen führt vermehrt zu gefährlichen Erdrutschen und Überschwemmungen. Heftigere Stürme erhöhen das Risiko, dass mir ein Baum auf den Kopf fällt. Also gefährden sie nicht nur meine und unser aller Unversehrtheit, sondern viel schlimmer: unsere Existenz. Es gibt nur wenige Idioten, die den Zusammenhang zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen und dem Klimawandel bestreiten«, redete sich Renz in Rage.
»Ist ja gut, beruhige dich. Wir stehen auf deiner Seite und unterstützen dich.«
Hardt senkte den Kopf und rieb sich nachdenklich die Stirn. »Haben wir das nicht vor einiger Zeit schon einmal versucht?«
»Doch, klar. Aber ohne Erfolg.«
»Und jetzt denkst du, dass wir, oder besser du, Erfolg haben werden?«, fragte Hardt.
»Das weiß ich nicht, werde es aber versuchen. Es kostet nichts, und wir können nur gewinnen.« »Dir liegt viel daran, nicht wahr?«
»Sehr viel. Ich möchte, dass diese ganze arrogante Bande von Luftverpestern endlich zu Kreuze kriecht. Das möchte ich!«
»Dann mal viel Glück«, wünschte Hardt und schickte sich an, das Büro zu verlassen. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal um und schaute zu den beiden zurück.
»Sollten wir die Beschwerde nicht besser als Organisation einreichen?«
»Das geht nicht«, erwiderte Renz, »das Grundgesetz ist auf den Schutz von Jedermann abgestellt. Die Beschwerde einer Organisation könnte als unzulässig abgewiesen werden. Es wäre zu riskant.«
»Okay, dann macht das so«, sagte Hardt und verschwand aus der offenen Tür.
Renz’ Telefon läutete. Er stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und hob ab, während er sich mit einem Hohlkreuz auf die Schreibtischkante setzte.
»Renz.« Pause.
Er schaute an die Decke, als ob er dort etwas lesen könnte. Dann senkte er seinen Kopf und schaute auf seinen aktenbeladenen Schreibtisch.
»Danke, das klingt nicht gut«, sagte er nachdenklich, »zu den Details melde ich mich kommende Woche.« Danach beendete er das Gespräch und setzte sich erneut an den Besprechungstisch, nahm seine Tasse und schlürfte daran. Er sah besorgt aus.
»Hast du die Senkungsziele, zu denen sich die Bundesregierung verpflichtet hat, in deine Betrachtung einbezogen?«, knüpfte Engler an die Unterhaltung zuvor an.
»Und ob«, zischte Renz. »Ziele, die man einfach so vereinbart, ohne sie erfüllen zu wollen. Oder besser: ohne sie erfüllen zu können.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte sie und lächelte, um ihn aufzuheitern. Der Versuch misslang.
»Machen wir uns nichts vor. Sie versprechen Senkungsziele, für deren Einhaltung sie keine wirklich wirksamen Gesetze machen, damit sie auch eingehalten werden können. Das sind alles nur Fensterreden. Und fadenscheinige Ausreden, wenn die Ziele dann nicht erreicht werden.« Er verdrehte die Augen und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wie soll das auch gehen?«, fuhr er fort.
»Wie meinst du das?«
»In den vergangenen acht Jahren blieben die Emissionen mit leichten Schwankungen mehr oder weniger auf dem gleichen Niveau. Bei über 900 Millionen Tonnen! Begründung: Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum. Bis 2020 sollten sie auf 750 Millionen Tonnen sinken? Einfach so? Das sind 150 Millionen Tonnen weniger. Kannst du mir erklären, wie das ohne knallharte Maßnahmen gehen sollte?«
»Sie haben aber doch versprochen, die Klimaschutzziele von Paris einzuhalten«, wandte sie ein.
»Wenn du mich fragst, hat es mit dem ›Versprochen‹ eine andere Bewandtnis. Sie haben sich versprochen, als sie die Ziele festlegten. Das ist doch alles wischiwaschi, unverbindlich«, Renz wurde energisch, und Röte stieg in sein glattrasiertes Gesicht. »Ich möchte nicht wissen, wie viel Tonnen an Treibhausgasen mit dem alljährlichen, immer monströseren Wanderzirkus von Klimakonferenzen verballert werden. Und das, ohne auch nur einen kleinen Schritt voranzukommen«, setzte er nach.
Dann klingelte das Mobilteil des Telefons, das er, nach dem beendeten Telefonat zuvor, mitgebracht und neben sich auf den Besprechungstisch abgelegt hatte. Er hob es ans Ohr und hörte einige Augenblicke aufmerksam zu.
»Zum Teufel, nein«, schrie er in das anthrazitfarbene Gerät und beendete das Gespräch.