Читать книгу Klima Killer - Markus Palic - Страница 12

VOR SECHZEHN MONATEN

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»Das könnte zu einem heißen Eisen werden«, sinnierte die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Karlsruher Bundesverfassungsgericht in Gesellschaft ihrer drei Kollegen, nachdem sie den Inhalt der Verfassungsbeschwerde ausführlich studiert und das Wesentliche herausgearbeitet hatte. Sie reichte ihnen Kopien. Alle vier waren Erich Berger, einem der Richter des ersten Senats am Bundesverfassungsgericht, zugeordnet. Der Geschäftsverteilung nach fiel ihm unter anderem der Bereich »Umweltrecht« zu.

Anne Winter war eine rational denkende Juristin, die beide juristischen Examina vor Kurzen mit Bravour bestanden hatte und danach mit einem Thema zum Völkerrecht promoviert wurde. Die blonde Enddreißigerin war die Vorzeige- und Quotenfrau des Quartetts, das Berger beriet.

Das männliche Trio bestand aus einem erfahrenen Kollegen, der kurz vor seiner Pensionierung stand, und zwei jüngeren Juristen, die wegen ihrer Aufenthalte an unterschiedlichen juristischen Lehrstühlen für Staatsrecht und anschließenden Tätigkeiten an mehreren Gerichten als ausgewiesene Experten für die Themen galten, die Berger als Berichterstatter vertrat. Wer zum höchsten deutschen Gericht abgeordnet wurde und sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter seinen Wert bewies, hatte danach in der ganzen Republik in den Justizverwaltungen glänzende Aufstiegschancen. Dass ein Jurist als wissenschaftlicher Mitarbeiter sein Berufsleben in dieser Institution beendet, war dagegen eine große Ausnahme.

Die vier saßen in schöner Regelmäßigkeit zwanglos im kleinen, lichtdurchfluteten Aufenthaltsraum des Gerichtsgebäudes an einem der wenigen Tische und diskutierten die eingereichten Verfassungsbeschwerden. An diesem Tag schien endlich wieder die Sonne, und Sommergefühle erwachten. Die Magnolien-Blüten waren längst verblüht und die Blätter lagen verstreut auf dem kurzgeschnittenen Parkrasen. In den zahllosen Blumenrabatten, die den Schlossgarten durchzogen, konkurrierten nun die Sommerblumen um die Wette.

Der Job der wissenschaftlichen Mitarbeiter bestand darin, zu beurteilen, ob die eingereichten Beschwerden zulässig waren oder nicht, bevor sie die Anträge mit ihren Stellungnahmen den zuständigen Verfassungsrichtern zur Entscheidung vorlegten. Unzulässige und offensichtlich unbegründete Beschwerden waren sehr beliebt, weil nach deren Ablehnung keine Arbeit mehr damit verbunden war. Und das betraf mehr als 97 Prozent der eingereichten Beschwerden. Auch wenn einer abgelehnten Entscheidung ein umfangreiches Votum vorausging, so zog sie keine weitere Bearbeitung mehr nach sich. Das erleichterte die Arbeit enorm. Aus den Augen, aus dem Sinn. Eine nicht zur Entscheidung angenommene Beschwerde hatte keine Chance, in der einen oder anderen Weise beschieden zu werden. Beschwerdeführer, deren Existenz von einer abgelehnten Beschwerde bedroht war, hatten nur noch die Möglichkeit aus dem Geltungsbereich des Deutschen Grundgesetzes auszuwandern. Das Bundesverfassungsgericht traf hier die letzte Entscheidung. Weitere Instanzen: Fehlanzeige.

Das Quartett traf stets eine Vorauswahl und empfahl dem Verfassungsrichter, dem es zuarbeitete, sie nach Prüfung der Anträge zur Entscheidung anzunehmen oder, wenn sie keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung hatten, abzuweisen. Die endgültigen Entscheidungen über die Annahme trafen die Richter in Kammern. Eine Kammer bestand aus drei Verfassungsrichtern. Die acht Richter eines Senats verteilten sich auf drei Kammern. Ein Richter fungierte gleichzeitig in zwei Kammern. Bei wichtigen Fragen entschied der gesamte Senat per Mehrheitsbeschluss. Bei einem Patt galt die Beschwerde als abgewiesen.

»Wie kommst du darauf?«, fragte der ältere Kollege. Winter hob das Schriftstück seitlich, mit der Vorderseite zu den drei Kollegen hoch und führte die Kugelschreiberspitze mit einem Seitenblick an der Textpassage entlang, die den Kern der Beschwerde enthielt. Sie las die Passage vor. Der Text endete mit einer Aufforderung.

… der Bundesregierung aufzugeben, Maßnahmen anzuordnen, die gewährleisten, dass der deutsche Beitrag für das im Pariser Abkommen vorgegebene Zwei-Grad-Celcius-Ziel der globalen Klimaerwärmung durch eine wirksame Reduzierung von Treibhausgasemissionen in allen emittierenden Sektoren sicher erreicht wird.

Die Beschwerde richtete sich also gegen die Bundesregierung, die angeblich nichts Wirksames zur Eindämmung von Treibhausgasemissionen unternahm, welche Ursachen des Klimawandels seien. Nach Ansicht des Beschwerdeführers Volker Renz, einem bekannten und eloquenten Mitglied der Actis-Geschäftsführung, verstieß sie gleich gegen zwei Artikel des Grundgesetzes: Artikel 2, Absatz 2 und gegen Artikel 20a in Gänze.

Artikel 2 garantiert das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Der Mitte der 90er Jahre im Zuge der Modernisierung des Grundgesetzes aufgenommene Artikel 20a verpflichtet den Staat, die natürlichen Lebensgrundlagen nicht nur für die derzeit lebenden Bundesbürgerinnen und -bürger, sondern auch in Verantwortung für künftige Generationen zu schützen.

Beides, so der Aktivist, würde ohne wirksame Gesetzgebung zur Reduzierung des Treibhausgasausstoßes nicht erreicht. Die aktuellen gesetzlichen Instrumentarien seien unzureichend und untauglich, um die körperliche Unversehrtheit vor den Folgen des drohenden Klimawandels zu schützen. Ganz zu schweigen vom Schutz der Lebensgrundlagen für künftige Generationen. Diese würden sukzessiv zerstört werden. Die in schöner Regelmäßigkeit mit einem irrsinnigen Aufwand an Menschen und Material veranstalteten Klimaschutzkonferenzen endeten mit Zielvorgaben, die ganz offensichtlich keines der Unterzeichnerländer einzuhalten gewillt sei. Zahnlose Regelwerke! Das, was vor gut einem Vierteljahrhundert mit den allerbesten Vorsätzen zum Klimaschutz in Rio begann, habe überhaupt nichts gebracht. Statt, wie dort vereinbart, zu sinken, stiegen die Treibhausgasemissionen weltweit von Jahr zu Jahr und gefährdeten die Lebensgrundlagen für Mensch und Tier.

»Du hast recht, das ist ein ziemlich heißes Eisen«, bestätigte einer der jüngeren Kollegen, nachdem er gemeinsam mit den anderen den Text überflogen hatte.

»Allerdings«, führte er weiter aus, »handelt es sich bei Artikel 20a um ein Staatsziel. Darauf lässt sich keine Beschwerde eines Bürgers stützen.«

»Das ist richtig. Die Kombination klingt aber sehr plausibel«, ergänzte Anne Winter. »Denkt ihr, die Annahme wäre dennoch gerechtfertigt?«, fragte sie in die Runde.

»Das will gut überlegt sein«, meinte der ältere Kollege.

»Der Antragsteller stützt sich auf eine Argumentation, die wir schon mehrfach diskutiert haben. Aber so plausibel habe ich sie bisher weder gehört noch gesehen«, meinte einer der Jüngeren.

»Aha, und was ist da jetzt so plausibel? Was haben wir bisher noch nicht durchschaut?«, wollte Winter wissen.

»Bislang gab es nichts zu durchschauen. Hier wird jetzt ein Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und der Gefahr für Leib und Leben der Menschen hergeleitet. Das Grundgesetz garantiert aber deren Unversehrtheit. Das hat uns bisher noch niemand so schlüssig vorgelegt. Ließe sich zweifelsfrei nachweisen, dass die Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre eine Lebensgefahr für auch nur einen Bürger der Bundesrepublik darstellt, müssten wir handeln. Zumindest wäre die Beschwerde nicht so einfach aus der Welt zu schaffen«, führte der Jüngere weiter aus.

»Zu dem Thema gibt es«, wandte der Ältere ein, »soweit ich das überblicken kann, unterschiedliche Auffassungen. Es gibt Experten, die den Hype um den Klimawandel kritisch sehen.«

»Du zählst den amerikanischen Präsidenten jetzt aber nicht zu den Experten, oder?«, lächelte der Jüngere.

»Nein, den meine ich nicht. Es gibt auch einige renommierte Wissenschaftler, die es bezweifeln. Zum Beispiel ein Nobelpreisträger für Physik, der es für Mumpitz hält.«

»Wer soll das sein?«, hakte der Jüngere nach.

»Den Namen habe ich mir nicht gemerkt. Irgendwas mit Gifer, oder so.«

»Du meinst sicher Ivar Giaever, der hatte in den 70ern den Nobelpreis für Physik bekommen, für etwas mit Supraleitung. Keine Ahnung, was das bedeutet. Jedenfalls hatte das Thema nichts mit dem Klima zu tun. Es versteht nicht jeder Physiker von allem etwas«, meinte Winter.

»Das mag schon sein«, erwiderte der ältere Kollege, »aber die Argumentation klang, soweit ich mich erinnere, irgendwie plausibel. Die Änderung der Durchschnittstemperatur sei nicht signifikant, hatte er gemeint. Es ginge tatsächlich um etwas wie null Komma irgendwas Grad Celsius Erwärmung seit der Mitte des vorletzten Jahrhunderts. Also falsch klang das nicht.«

»Wer sagt dir, dass der nicht von Lobbyisten gekauft wurde?«, fragte der Jüngere.

»Das erinnert mich an die frühen 70er, als der Club of Rome seinen Bericht zu den Grenzen des Wachstums veröffentlichte. Mit viel Enthusiasmus und mit noch mehr Sorge haben wir den Bericht damals verschlungen. Bei ungemindert fortgesetztem Ressourcenverzehr, hieß es da, hätten wir in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts alle Ressourcen aufgebraucht. Alles von renommierten Wissenschaftlern prognostiziert. Und was ist passiert? Nix! Den Raubbau haben wir beschleunigt und leben so gut wie noch nie zuvor. Also bitte: Vorsicht! Die Ausführungen von diesem Physiker klangen jedenfalls sehr authentisch. Ich glaube nicht, dass den jemand gekauft hat. Auf YouTube habe ich mir neulich ein sehr interessantes Video dazu angesehen, das war für mich ziemlich überzeugend«, sagte der ältere Kollege und sah den jüngeren provozierend an. »Wer sagt dir, dass es bei der Gegenseite keine gekauften Lobbyisten gibt?«, setzte der Ältere nach.

»Welche Lobbyisten denn?«

»Na, die von den Umweltaktivisten bezahlt werden.«

»Was soll das jetzt?«, erregte sich der Jüngere. »Du weißt doch ganz genau, dass die Umweltaktivisten klamm sind. Sie können sich keine Lobbyisten leisten. Sie sind die Lobby!«

»Die Protagonisten des Klimawandels und die Leugner trennt eine tiefe Kluft, das habe ich auch schon recherchiert«, platzte Winter in die Diskussion.

»Leugner klingt ja immer gleich wie Holocaust-Leugner. Das ist sehr negativ besetzt. Vielleicht sollten wir uns auf Kritiker verständigen. Das ist sauberer«, warf der Ältere ein.

»Okay«, sagte Winter genervt, »es gibt offenbar zwei gegensätzliche Meinungen. Das können wir bis zur Götterdämmerung weiterdiskutieren, ohne dass etwas Vernünftiges dabei herauskommt. Ich denke, es macht keinen Sinn, hier an dem Thema, ohne den nötigen Sachverstand, weiter zu arbeiten. Die Beschwerde sollten wir zur Annahme empfehlen und uns in der mündlichen Verhandlung anhören, was wirklich Sache ist.«

Ohne Vorwarnung stand Erich Berger am Tisch, zu dem er sich lautlos hingeschlichen hatte, um seine Crew zu überraschen.

»Na, kommen Sie voran?«, fragte er mit einem fröhlichen Gesichtsausdruck.

»Wir haben die Beschwerden der letzten Tage durchgearbeitet und fanden eigentlich nur eine, bei der wir meinen, dass sie angenommen werden sollte. Die anderen sind mehr oder weniger substanzlos.«

»Gut«, sagte Berger zu Winter, »bringen Sie bitte alle gleich in mein Büro.«

Die Runde löste sich auf und Winter folgte Berger durch die gläsernen Flure in dessen Büro. Sie legte ihm den Stapel ihrer untersuchten Eingaben auf den Tisch. Obenauf lag der Fall: Verfassungsbeschwerde Renz.

»Danke, Frau Winter, gute Arbeit wie immer«, sagte Berger und nickte anerkennend, nachdem er die Akte von ihr angenommen und überflogen hatte. Im Eiltempo las er den entscheidenden Schlusssatz.

»Sie empfehlen die Beschwerde anzunehmen?«, meinte er und lächelte.

»Ja, ich denke, das müssen wir«, sagte sie.

»Gut, wir werden es morgen in der Kammer beraten.«

Klima Killer

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