Читать книгу Klima Killer - Markus Palic - Страница 14
KONSORTIUM
ОглавлениеIn der Hamburger Zentrale der Mineralölgesellschaft WELL Deutschland herrschte, ebenso wie in vielen anderen Chefbüros von Unternehmen, die mit dem Verkauf von fossilen Energieträgern ihr Geld verdienten, Nervosität und Ratlosigkeit. WELL stand schließlich für GUT, also für gute Erdölprodukte. Das hatte eine lange Tradition.
Den Verantwortlichen in den Führungsetagen wurde nun mehr und mehr bewusst, welche katastrophalen Folgen ein positiver Richterspruch in Karlsruhe für die Zukunft ihrer Unternehmen hätte. Die Annahme der Beschwerde verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Auf Twitter und Co. explosionsartig. Die meisten Medien triumphierten nach dem Motto: Endlich passiert da was. Endlich geht es den Ölmultis an den Kragen. Die Stimmen der Klima-Skeptiker, die man nach Kräften unterstützt hatte, verloren offenbar an Wirkung. Allein die Bezeichnung »Leugner«, wie sie in der Presse zunehmend diffamiert wurden, signalisierte allerhöchstes Ungemach.
Mit Sorgenfalten auf der Stirn malten sich die Öl- und Erdgasmanager der multinationalen Konzerne aus, welche Signalwirkung eine Bestätigung der Verfassungsbeschwerde über die Grenzen Deutschlands hinaus haben würde. Wenn Deutschland mal wieder als Musterknabe voranginge, kämen andere Länder sicher bald hinterher.
Mit großem Eifer rechneten die Spezialisten der Unternehmen aus, wie sehr die Belegschaften schrumpfen müssten, wenn in ihrem Sektor die im Pariser Abkommen angepeilte CO2-Reduktion gesetzlich vorgeschrieben würde. Und bei Nichterreichen der Senkungsziele drohten dann womöglich ruinöse Sanktionen. Eine CO2-Steuer, wie sie jüngst im Klimapaket der Bundesregierung angepeilt wurde, wäre da noch das kleinere Übel. Die könnte man einpreisen. Aber eine Begrenzung, eine Quote oder womöglich ein Stopp, das wäre eine Katastrophe. Das konnte man auf keinen Fall zulassen.
Allein in der Mineralölindustrie wären zigtausende Mitarbeiter davon betroffen. Hochrechnungen mit drohenden Massenentlassungen schüchterten bisher immer noch ein. Politik und Bevölkerung. Diese Keule hatte stets gewirkt. Aber, würde sie es diesmal auch?
Nur die Stromerzeugung, auf deren Konto mehr als ein Drittel der Emissionen in Deutschland ging, träfe es noch härter. Die Kohleförderer und -verstromer waren in der Vergangenheit aber immer wieder auf die Füße gefallen. So war es bei der Steinkohle und so würde es sicher auch bei der Braunkohle sein. Immer hochpolitisch. Wenn es zu dem vieldiskutierten Kohleausstieg käme, würde man den Unternehmen das Geld aus Berlin vorn und hinten reinstecken. Und den Strukturwandel in den betroffenen Regionen wahrscheinlich mit zig Milliarden fördern. Die Mineralölbranche dagegen musste sich immer selbst helfen. Das würde sich nie ändern.
Ohne miteinander zu sprechen, hatten nun alle in der Branche das dringende Bedürfnis in dieser Angelegenheit enger zusammenzuarbeiten, um das Schlimmste abzuwenden. Die Gefahr einte die sonst gegeneinander kämpfenden Konkurrenten. Die Lobbyarbeit in den Parlamenten und in Regierungskreisen, die sie schon seit Jahrzehnten gemeinsam betrieben, hatte immer sehr gut funktioniert. Dort waren sie vereint, ohne sich gegenseitig in die Karten schauen zu lassen. Das war gut so. Deshalb blieb die Gesetzgebung bisher auch so unverbindlich. Aber Karlsruhe war eine andere Nummer. Unkalkulierbar. Die galten als unbestechlich. Dort gab es keine Lobbyisten. Bisher jedenfalls.
»Vielleicht wäre das ein Ansatzpunkt, den man neben der verstärkten Lobbyarbeit in Berlin weiterspinnen müsste. Sozusagen ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln«, sagte der WELL-Geschäftsführer Theodor Zenker und lehnte sich in seinen gepolsterten Chefsessel zurück. Der promovierte Chemiker, Anfang fünfzig, meist in einem gutsitzenden Zweireiher, hatte den Chefsessel erst vor wenigen Monaten erklommen. Weit gereist hatte er das Unternehmen in der ganzen Welt vertreten. Überall Eindrücke gesammelt. Das sollte sich jetzt auszahlen. Den politischen Trend zur Verringerung der Treibhausgase hatte er verinnerlicht, und zu seinem Amtsantritt auch als Ziel für die Arbeit in seiner Ölgesellschaft propagiert. Allerdings hatte er keine Antwort auf die Frage, die er sich selbst immer wieder stellte: Wie sollte das zusammen gehen? Das prosperierende Geschäft mit fossiler Energie und die Reduktion von Treibhausgasen. Nichts war widersprüchlicher. Nichts verrückter. Im tiefsten Inneren überwog schließlich die existentielle Einsicht: Wess’ Brot ich ess’, dess’ Lied ich sing.
»So etwas haben wir zwar noch nie gemacht, aber die Lage war auch noch nie so ernst. Sie war noch nie so bedrohlich«, sagte er zu seinen beiden engsten Mitarbeitern.
»Wie meinen Sie das?«, fragte sein Assistent. Anton Waldner saß neben dem Verantwortlichen für die Unternehmensentwicklung vor dem monströsen Schreibtisch seines Chefs in einem der bequemen Gästesessel. Beide smart, mit Buttondown-Hemden aus nachhaltiger Produktion und in dunklen Designeranzügen.
»Wir müssen uns irgendwie Zugang zum Verfassungsgericht in Karlsruhe verschaffen. Und zwar schnell!«
»Aber wieso denn?«, fragte Waldner.
»Das glaube ich jetzt nicht«, schnauzte ihn Zenker an, »Sie werden doch mitbekommen haben, dass das Verfassungsgericht über die Beschwerde von Actis zu den Treibhausgasemissionen entscheiden wird.«
»Nein, ich war letzte Woche im Urlaub, und du?«, fragte er, während er seinen Kopf zu seinem Nebensitzer drehte.
»Natürlich«, entgegnete der Unternehmensentwickler, »aber wo ist das Problem?«
»Ja, geht’s noch?«, erregte sich Zenker.
»Der eine weiß nichts davon und der andere hält es für harmlos. Wo bin ich denn hier? Ist Ihnen nicht klar, was auf dem Spiel steht? Die Autobauer spielen verrückt und wollen nur noch Elektroautos bauen. Die Neubauten brauchen kaum noch Energie. Das Bisschen erledigen sie elektrisch. Altbauten werden im großen Stil energetisch saniert. Für den kläglichen Rest wird der Anteil der Regenerativen par ordre du mufti ständig erhöht. Und jetzt auch noch das! Wenn es so weitergeht, können wir den ganzen Sprit im Boden lassen. Das sollten Sie sich klar machen.«
»Ich halte das nicht für harmlos«, verteidigte sich der Unternehmensentwickler, »ich kann mir nur nicht vorstellen, dass die Beschwerde durchkommt.«
»Bei vorstellen können wir es diesmal nicht belassen. Wir müssen es sicherstellen! Verstehen Sie, wir müssen dafür sorgen, dass die Richter die Beschwerde auf den Mond schießen. Ich habe keine Lust, den Laden hier dicht zu machen.« »Halten Sie das wirklich für möglich? Das Verfassungsgericht hat der Regierung beim Klimaschutz in ähnlichen Fällen immer einen großen Spielraum gelassen. Schließlich tut sie auch einiges.«
»Was denn?«, provozierte Zenker.
»Eine ganze Reihe von Regelungen und Gesetzen zur Luftreinhaltung und Vorgaben für Schallemissionen. Das Bundesimmissionsschutzgesetz allein ist eine Schwarte mit über 70 Paragrafen. Und sie basteln eifrig an einem ganzen Klimapaket. Dann die Euro-Normen bei Autos …« Zenker unterbrach ihn.
»Das ist alles bekannt. Offenbar führt es aber nicht zu der gewünschten Verringerung beim Ausstoß von Treibhausgasen. Die Senkungsziele, die zuletzt in Paris vereinbart wurden, lassen sich auf diese Weise mit Sicherheit nicht erreichen.« Er blickte beide nachdenklich an.
»Allein, dass sie die Beschwerde angenommen haben, könnte eine Zeitenwende signalisieren. Eine positive Entscheidung wäre fatal! Das müssen wir um jeden Preis verhindern.«
»Wie stellen Sie sich das vor?«, fragte der Assistent.
»Wie gesagt, wir müssen uns Zugang zum Verfassungsgericht verschaffen. Besser noch zu den Richtern. Wir müssen sie auf unsere Seite ziehen.«
»Wie bitte sollen wir das anstellen? Von Karlsruhe weiß ich nur, dass es irgendwo in Süddeutschland liegt.«
»Ich denke, dass wir uns dort auch gar nicht sehen lassen sollten. Das wäre vielleicht zu auffällig. Es reicht, wenn wir zur mündlichen Verhandlung aufkreuzen. Wenn es denn zu einer kommt.«
»Wie könnten die Richter dann beeinflusst werden?«, wollte der Unternehmensentwickler wissen.
»Im Süden Europas gibt es einige Organisationen, die auf so etwas spezialisiert sind. Die italienische Ölgesellschaft hat zu ihnen sicher gute Kontakte. Das werde ich ausloten.« »Sie meinen aber doch nicht die Mafia?«, fragten beide erschrocken.
»Ich würde sie nicht so bezeichnen. Es sind einfach nur Organisationen, die sich auf Einflussnahme verstehen. Mehr nicht.«