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Schwarzverschleiert

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Schwarze Fülle. Die Masse ist schwarz. Vernichtet die Ruhe, das Gefühl des Alleinseins. Eine schwarze, laute Walze. Smog aus Lärm, aus Enge, aus Rücksichtslosigkeit. Schwarze Dichte. Ohne Lücken, ohne Zwischenräume, ohne Licht. Überwältigend, überrollend, plattmachend, nivellierend. Dumpf, dröhnend, pochend, eskalierend. Ohne Pause schwarz. Ohne Pause kompakt. Ohne Pause einengend. Luft nehmend, drückend, schwer. Schwarz pressende Kraft von außen. Schwarze Gewalt der drückenden Masse. Unaufhaltsam, voranschreitend, sich selbst verstärkend. Schwarz gefülltes Schwarz.

Schwarz. Er fühlt schwarz. Ein wohliges, tiefes Schwarz. Es ist nicht beängstigend oder böse. Es ist einfach da, ein Zustand, ein vages Versprechen, eine Hülle. Neutral. Es ist hell und weich, warm und kuschelig. Es ist absorbierend, ein Sog, ein leichter zwar, aber doch ein spürbarer Sog.

Je weiter er laufen muss, desto weniger kann er das Schwarz genießen. Desto mehr muss er tun, um den seligen schwarzen Zustand zu erreichen, desto kürzer wird die Spanne der Erholung, des Freiheitsgefühls, desto größer wird der innere Schmerz des vorübergehenden Verlusts des Schwarzen. Desto sehnsüchtiger schaut er dem nächsten Lauf entgegen. Desto zwanghafter wird das Verlangen zu laufen. Desto größer die Freude, wenn sich das idealisierte Schwarz einstellt. Desto größer das Verlustgefühl, wenn die Realität das Ideal verpasst. Desto mehr läuft er gegen sich selbst.

Wie aufsteigender Nebel legt sich ein schwarzer Schleier über die Seele. Zart und transparent überdeckt er alles was darunter liegt, verändert es und filtert das Licht. Er übertönt alle Nuancen und Feinheiten und entfärbt die Welt. Er dämpft Geräusche, die eintöniger werden, leiser, teilweise abgehackt und verschluckt. Bewegungen werden verlangsamt, eckiger, kantiger. Der Himmel ist nicht mehr blau. Der Himmel ist steingrau. Farblos, nicht wie Stahlgrau, das farbig eine Hoffnung trägt, die Biegsamkeit und Flexibilität des Stahls in sich trägt. Das Steingrau ist hoffnungslos starr.

Ein aufsteigendes Schwarz, die Dämmerung verheißend als Vorbote der Nacht, der Finsternis. In seiner Materialität zunächst unbefristet, ohne Ahnung einer dahinterliegenden anderen Möglichkeit. Dunkel zwar, aber noch nicht intensiv, noch nicht durchgetönt, alles durchdringend. Unter Umständen wieder verschwindend. Vielleicht nur temporär, vielleicht sich wieder verziehend. Und doch im Aufsteigen begriffen. Das Schwarz schleicht sich von außen in sein Inneres. Noch kaum merklich, von ihm nicht beachtet. Er kompensiert das aufsteigende Schwarz mit exzessiverem Laufen. Mit Erhöhung des Leistungsdrucks, mit kompromissloserem Zeitmanagement. Er setzt sich ambitionierte Ziele. Die Freude wird Gleichgültigkeit, das Aufregende weicht dem Gewöhnlichen. Er läuft weiterhin gerne, aber seine emotionale Isolation auf der Laufstrecke, auf der Arbeit, in der Gesellschaft wächst. Dünstet aus seinen Poren. Die Farben werden grauer, rücken in die Ferne. Ihm fallen zunehmend die anderen Menschen auf, die zu Hindernissen auf seiner Laufstrecke mutieren. War es früher in erster Linie motivierend in die Dämmerung, ins Dunkel hineinzulaufen, so läuft er nun später, wenn das Dunkel schon da ist. Das Schwarz sich schützend zwischen ihn und andere legt. Die Laufstrecke etwas leerer wird. Die Reize aus der Umgebung weniger werden. Das gibt ihm Sicherheit, weil es planbarer ist, weil er für andere weniger sichtbar ist, er sich der Kontrolle besser entziehen kann. Seine Gedanken werden schwärzer, eine schwarze Nebelwand lässt die Umgebung verblassen und zwingt ihn sich nur in seiner näheren Umgebung zu orientieren, sich zunehmend mit dem Nahen zu beschäftigen, den Horizont aus den Augen zu verlieren.

Mit langen Läufen kann er den schwarzen Schleier noch durchlöchern, transparenter machen, fast entfernen, temporär die Farben wieder bunt sehen, den Spaß am Laufen spüren. Ist er früher vier, fünf Brücken weit gelaufen, so läuft er jetzt sieben, acht Brücken weit. Darauf ist er stolz, jede neue Brücke ein größerer Gewinn. Brücken sind sein Maß. Das Maß seiner Reichweite, seiner Fitness. Seiner Willensstärke. Das Maß seiner Verbindung zur Isar. Der höhere Zeitaufwand erscheint nicht relevant, das Beschneiden anderer Aktivitäten sinnvoll. Das Schwarz nimmt ihm auch die Freiheit weniger Brücken weit zu laufen als beim letzten Mal. Das wäre eine Niederlage, würde den schwarzen Schleier wieder senken, verdichten. Das Laufen ist jetzt eine feste Routine, er weiß um den positiven Effekt. Er bemerkt durchaus, dass sich seine Grundhaltung im Tagesgeschehen mehr und mehr eintrübt, dass er abends erschöpfter ist als früher. Umso froher ist er, dass er ein wirksames Mittel dagegen kennt. Er reflektiert seinen Zustand, sein Verhalten, versteht, dass er handeln muss. Gegen das eintrübende Schwarz, gegen sich selbst. Und läuft.

Das Laufen wird selbst zu einem schwarzen Schleier, der andere Reaktionen, andere Handlungen verdeckt, unterbindet, verhindert. Ihn immer enger umhüllt, seine Entscheidungen beeinflusst, ihm die Sicht in die Ferne, nach draußen versperrt. Die Zeit zu laufen stiehlt er von anderen Freizeitaktivitäten, schläft kürzer. Um die Arbeitszeit zu erhalten. Das Laufen gibt ihm das Gefühl mehr Energie für die Arbeit zu haben, gibt ihm die Möglichkeit die Arbeitszeit auf Kosten der Freizeit zu verlängern. Um länger zu laufen, um mehr Energie zu haben. Um das Schwarz heraufzubeschwören, um das Schwarz aufzuhellen. Er läuft immer noch für sich selbst, aber er läuft nun auch gegen sich selbst. Ganz selbstverständlich. Immer weiter in die dichter werdende schwarze Nebelwand. Die Gefahr eines Unwetters erkennend und ignorierend. Weniger reflektierend. Zunehmend blind werdend. Sich selbst ausbeutend. Er läuft.

SCHWARZ

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