Читать книгу Feierabend hab ich, wenn ich tot bin - Markus Väth - Страница 6

Vorwort

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Das Telefon klingelt. Am anderen Ende eine Stimme, zögernd: »Sie sind mir empfohlen worden. Ich glaube, ich habe Burnout. Ich pack’s nicht mehr. Können wir einen Termin vereinbaren?«

So oder ähnlich beginnt meist die Kontaktaufnahme mit mir als Psychologe und Coach. Auf meiner braunen Ledercouch – ein bisschen Klischee muss sein – sitzen sie dann: Geschäftsführer, Consultants, Abteilungsleiter, Spezialisten. Aber auch »ganz normale« Arbeitnehmer, Programmierer, Sachbearbeiter, Lehrer, Mitarbeiter gemeinnütziger Organisationen. Sie alle eint die selbst gestellte Diagnose Burnout. Man hat gelesen, gegoogelt, und der Nachbar habe das Problem ja auch.

Bei manchen stimmt die Selbsteinschätzung sogar: Sie haben sich aufgrund von persönlichen Umständen, Erfahrungen und Denkmustern tatsächlich in einen Burnout verstrickt. Löst man die individuellen Probleme, bessert sich bei diesen Menschen auch die Burnout-Symptomatik.

Nicht Sie haben ein Problem. Ihre Firma hat eins!

Immer häufiger muss ich nach eingehender Betrachtung des Falles und der Persönlichkeit des Klienten jedoch sagen: »Nicht Sie haben ein Problem. Ihre Firma hat eins!« Wie bei einer Kette, deren schwächstes Glied reißt, kann man das Glied – in diesem Fall den Mitarbeiter – reparieren oder austauschen. Das ist der Status quo in der heutigen Burnout-Behandlung. Oder man sorgt dafür, dass weniger Gewicht an der Kette zieht. Das wäre die intelligentere und langfristigere Lösung.

Mittlerweile versuche ich, diesen strukturellen Burnout gemeinsam mit den Firmen an der Wurzel zu packen. Das kann funktionieren, wenn der unter Burnout Leidende zum Management gehört und gewillt ist, entsprechende Veränderungen im Unternehmen herbeizuführen. Bei »normalen« Angestellten stößt man naturgemäß schnell an Grenzen. Der Betroffene hat in der Regel keine Gestaltungsmacht in seiner Firma. Er kann keine Geschäftsprozesse verändern, keinen Wertewandel initiieren, keine Informations- und Trainingsmaßnahmen einleiten.

In solchen Situationen verarzte ich den Klienten so gut wie möglich. Trotzdem bleibt dies letztlich Symptombekämpfung. Es ist wie in den sozialpsychiatrischen Tagesstätten: Die Berater können sich ein Bein ausreißen; abends gehen die Kids wieder nach Hause zu ihren Drogenfreunden und ihrer kaputten Familie und nichts ändert sich. Ein für alle Beteiligten frustrierendes, ressourcenfressendes und unproduktives Phänomen. Daher wird es Zeit, mithilfe einer öffentlichen Debatte den individuellen vom strukturellen Burnout zu trennen und beide wirksam anzugehen.

Burnout ist ein Massenphänomen – und ein Massenmarkt.

Burnout ist ein Massenphänomen – und ein Massenmarkt. Ärzte registrieren landauf, landab eine Zunahme von psychischen Störungen, Depressionen und Burnout. Die Umfrage eines großen deutschen Karriereportals ergab, dass sich über 50 Prozent aller Fach- und Führungskräfte in Deutschland permanent überfordert fühlen. In der Presse werden Ursachen und Therapien diskutiert. Eine ganze Industrie aus spezialisierten Ärzten, Therapeuten, Coachs und Programmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement ist erblüht.

Für den Einzelnen ist Burnout ein sehr persönliches Thema, das verbunden ist mit Leid – und dem Eingeständnis von Schwäche. Nicht umsonst kostet es Betroffene oft große Überwindung, sich bei Beratungsstellen, Kliniken, Therapeuten oder Coachs zu melden – und sich damit einzugestehen, dass es tatsächlich Dinge gibt, die größer sind als man selbst. Die man nicht mehr managen kann. Die einen wegreißen wie eine Springflut.

Burnout bedeutet: Ich kann nicht mehr! Ich schaffe nicht, wovon ich glaube, dass ich es schaffen sollte. Der Zusammenbruch im Burnout ist die Kapitulation vor dem »Höher, schneller, weiter«-Zerrbild unserer Zeit. Und vor den eigenen, zu hoch gesteckten Ansprüchen. Die Niederlage trifft den Dahingerafften ins Mark, zielt auf den Kern des modernen Selbstverständnisses: Praesto, ergo sum. Ich leiste, also bin ich.

Umso wichtiger ist es, sowohl die Ursachen von Burnout als auch wirksame Schritte zu benennen, die ihm vorbeugen beziehungsweise ihn eindämmen. Und genau hier läuft einiges verkehrt. Wir haben uns auf Burnout als Problem des Einzelnen eingeschossen. »Herr Müller war schon immer so perfektionistisch«, heißt es dann. Von »Burnout-Persönlichkeiten« ist die Rede, die sich wiederum selbst managen sollen: mit Seminaren zu Zeitmanagement, Stressmanagement, E-Mail-Management, Die-nächste-Mode-kommt-bestimmt-Management. Die Katze beißt sich in den Schwanz, während die Burnout-Industrie von Umsatzhoch zu Umsatzhoch springt.

Die Wahrheit ist: Für den Einzelnen gibt es oft nichts zu managen. Weil Burnout in vielen Fällen nicht allein sein Problem ist. Der tatsächliche Burnout Einzelner ist nur das Ende einer Kette von Fehlentwicklungen, blinden Flecken in Unternehmen und gesellschaftlichen Tabus, die nicht mehr hinterfragt werden: das inhumane Prinzip Multitasking, falsch verstandenes Zeitmanagement, fehlende Medien- und Kommunikationskompetenz bei Mitarbeitern und Führungskräften, die Entgrenzung des Arbeitslebens und eine damit verbundene Auflösung von Rollenmustern, überforderte, schlecht ausgebildete Chefs und ein unverbindlicher, komplex-diffuser Umgang mit Werten in unserer Gesellschaft im Allgemeinen und in Unternehmen im Besonderen.

Die Prävention von Burnout fängt bei jedem Einzelnen als Privatperson an und hört bei Führungskräften auf. Unternehmen bedeutet Führen. Auch Chefs und Manager haben ihren Anteil am kollektiven Burnout. Sie sitzen an den Schlüsselstellen der möglichen Veränderung und sind doch meist selbst Getriebene und damit Teil des Problems. Nicht aus bösem Willen, sondern systembedingt. Es geht um eine Überwindung des eigenen Schattens, um die Veränderung einer Tretmühle, die sie als Manager selbst mitgestaltet haben.

Das alles verlangt neben einer umfassenden Aufklärung einen persönlichen Leidensdruck, Mut und die Gelegenheit, selbst aktiv zu werden. Andernfalls bleibt die Bekämpfung von Burnout ein Symptom-Ringelpiez, der die unterliegenden organisatorischen und strukturellen Bedingungen in Unternehmen nicht wahrnimmt, geschweige denn wirksam bekämpft. Show für die Galerie.

Das werden wir uns so bald nicht mehr leisten können. Nicht nur die Humanität verlangt, dem Burnout endlich wirksam entgegenzutreten. Auch der demografische Faktor sorgt dafür, dass wir Arbeitsausfälle durch Burnout noch empfindlicher spüren werden. Im Sinne von Ethik und Ökonomie müssen wir daher die wahren Ursachen von Burnout diskutieren und angehen – auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und individueller Ebene.

Dies bedeutet eine Verlagerung der Diskussion weg von der Bringschuld des Einzelnen und seiner individuellen Therapie. Burnout geht alle an: Führungskräfte und Unternehmenslenker, die Auswege aus der »Weiter so«-Mentalität suchen. Politiker, die in der öffentlichen Debatte neue Impulse setzen wollen. Wissenschaftler, die den strukturellen Aspekt von Burnout weiter erschließen möchten. Und nicht zuletzt den »ganz normalen« Arbeitnehmer, der müde und erschöpft nach neuen Wegen und Möglichkeiten sucht, damit er nicht mehr sagen muss: »Feierabend hab’ ich, wenn ich tot bin.«

P.S.

Alle Personennamen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Die in Einzelfällen geschilderten Problemstellungen beruhen auf tatsächlichen Geschehnissen, sind jedoch generalisiert und verfremdet worden.

Feierabend hab ich, wenn ich tot bin

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