Читать книгу Gute und Böse Nachtgeschichten - Markus Walther - Страница 26
ОглавлениеFlugmanöver
Tobias freute sich wie ein Schneekönig. Aufregung färbte seine Wangen rosa. Denn wer hätte in unserer fantasielosen Welt mit so etwas gerechnet? Im Mittelalter, zur Zeit der Drachen, Ritter, Hexen und Zauberer, da hätte so etwas niemanden überrascht, aber doch nicht in einer billigen Mietwohnung im Einundzwanzigsten Jahrhundert. Und doch: Eine Elfe, nicht größer als einer seiner Daumen und mit weißen Schmetterlingsflügeln ausgestattet, war ihm hier erschienen. Sie hatte ihm erklärt, dass er einen Wunsch freihatte. Sie riet ihm, er solle weise entscheiden, denn einmal ausgesprochen gäbe es kein Zurück und der Wunsch würde sich umgehend erfüllen.
Also dachte er nach. Das war nicht so einfach, denn das Fabelwesen schwirrte unablässig um ihn herum und das Denken gehörte auch so nicht zu seinen Stärken. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Die Elfe flog zur Zimmerdecke und ließ sich dann in einem gewagten Sturzflug dem Boden entgegen fallen. Wenige Millimeter über dem Boden fingen ihre Flügel sie ab und trugen sie in die Nähe des Fensters. So vertrieb sie sich die Wartezeit.
Wünschen … Was sollte er sich wünschen? Etwas Persönliches? Ein besseres Aussehen würde seinem dicklichen Körper mit dem ovalen Kopf sicher guttun. Oder sollte er sich etwas Größeres wünschen? Den Weltfrieden?
Ein beeindruckender Looping brachte die Elfe zurück vor seine Nasenspitze. Sie hielt kurz inne, kicherte und flog dann gedehnte Kreise um die Zimmerlampe. Wo war er noch gleich? Ach ja, ein Wunsch. Geld soll ja bekanntlich nicht glücklich machen, aber gegen ein oder zwei Milliönchen hätte sein chronisch überzogenes Konto sicher nichts einzuwenden.
Sie legte einen Zickzackkurs zum alten, abgenutzten Sessel hin. Dann ging es wieder Richtung Fenster. Er war ein großer Elvisfan. Wie gerne wäre er ihm doch mal begegnet. Sollte er dafür diesen Wunsch verschwenden?
Summmm, sie flog dicht an seinem rechten Ohr vorbei, hinaus aus seinem Blickfeld. Bevor sie ihn durch weitere Kunststückchen ablenken konnte, schloss er die Augen. So und nun erstmal setzen. Ihm würde dann sicher etwas Gescheites einfallen.
Ein leises Knirschen, so als zertrete jemand eine Haselnuss, schreckte ihn hoch. Entsetzt starrte er auf die Sitzfläche des Sessels und WÜNSCHTE sich, er hätte vorher nachgeschaut, wohin er sich setzte. Aber dieser Wunsch konnte ihm nicht erfüllt werden, denn das Letzte, was die Elfe wohl gesehen hatte, war der riesige Schatten seines Hinterns.