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Ein Luftangriff

Mutters Lippen bewegten sich tonlos, während ihre Hände den Rosenkranz abtasteten. Die Sirenen heulten nicht mehr. Gedämpft durch das dicke Mauerwerk konnte man das unheimliche Dröhnen der herannahenden britischen Flugzeuge hören. Gleich würde das Pfeifen ihrer Bomben die Luft erfüllen und Lisbeth würde bei jeder Explosion in Marias Armen zusammenzucken. Maria hatte selbst Angst. Der Krieg, der bei jedem Luftalarm in ihrem Kopf ausbrach, war das Schlimmste. Nicht das, was tatsächlich um sie herum passierte, sondern was alles passieren könnte, während sie in diesem Keller warteten, ängstigte sie.

Die Flak empfing die ersten Maschinen. Und die Lichter, die wie die Kerzen eines Weihnachtsbaums aussahen, fielen wahrscheinlich gerade wieder dem Boden entgegen. Gleich würde es losgehen.

Die Glühbirne an der Decke zitterte leicht, als irgendwo – vielleicht zwei Straßen weiter – die erste Bombe explodierte. Der zweite Knall war lauter und verdammt nah. Lisbeth schrie, als die Glühbirne platzte.

„Ruhig“, flüsterte Maria und strich ihrer Schwester, wie bei einem scheuen Pferd, beruhigend durch das Haar. Sie spürte den Mörtelstaub, der von der Decke herunterrieselte, zwischen den Fingern. Das Haus war zu alt, um den ständigen Erschütterungen standzuhalten. Hoffentlich hielten die Mauern heute noch.

Wieder surrte es über ihren Köpfen; lauter und lauter. Es schien sich eine Ewigkeit zu strecken und Maria wusste, dass das Geschoss ihr Haus treffen würde. Sie drückte den Kopf ihrer Schwester in ihren Schoß und beugte sich schützend darüber. Dann kam der Knall, und die Welt drohte unterzugehen.

Irgendwann war der Angriff vorbei. Stille überfiel die Stadt. Lisbeth wimmerte, als ihre Mutter ein Streichholz entzündete. Das winzige Licht wanderte zu einer Kerze, die widerwillig den Keller erhellte. Oben, im Parterre, knarrte etwas und fiel dann polternd in sich zusammen.

„Wir sind getroffen worden“, stellte Lisbeth fest. Ihre Stimme zitterte. Mutter nickte nur und stand langsam auf. Sie klopfte sich sorgsam den Staub ab und blickte lange zur Kellertür. Maria erkannte die Sorgen in ihren Augen und sie hatte die gleiche Befürchtung. Wenn sie die Treppe emporstiegen, um die Tür zu öffnen, was würden sie dann dort vorfinden? Wieder verselbstständigten sich ihre Gedanken. Feuer könnte ihnen entgegenschlagen. Oder auch die Trümmer ihres Heims. Was war, wenn sie verschüttet waren?

Mutter stieg langsam Stufe für Stufe hoch, legte die Hand auf den Türknauf und drückte vorsichtig. Maria hielt die Luft an. Die Tür öffnete sich und gab die dahinterliegende Schwärze preis. Keine Flammen, kein Schutt. Die Mädchen stiegen hoch, folgten ihrer Mutter. Der Hausflur war noch da und auch die angrenzenden Zimmer.

Das Haus stand noch. Maria wollte in diesem Moment ihre Mutter glücklich in die Arme schließen; doch Mutter machte einen Schritt zum Fenster, hob vorsichtig die Verdunklung an und spähte hinaus auf die Straße.

„Maria, geh und hol die Schaufel. Ich will nebenan bei Schröders nach dem Rechten sehen. Ich kann ihr Haus nicht mehr sehen.“

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