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Inzwischen schüttete es wie aus Eimern. Zum Glück hatte Barbara es nicht weit von Baumanns Wohnung zu ihrem eigenen Haus. Der Lehrer wohnte zur Miete in der Gemeindegasse und die lag um die Ecke vom Heidelberger Weg. Barbara hastete auf das kleine Lehmfachwerkhaus am Ende der Gasse zu. Es war einfach, das Dach mit Holzschindeln gedeckt. Es war ihr Elternhaus, hier wohnte sie seit dem Unglück vor fünf Jahren. Vor zwei Jahren hatte Mutter ihr das Haus übereignet und sich selbst lebenslanges Wohnrecht eingeräumt.

Sie stieß die Eingangstür auf. Dämmrige Wärme und Geruch nach getrockneten Kräutern, Hirsebrei und ausgelassenem Speck füllte die Küche.

»Na!«, grüßte Katharina.

Ihre Mutter saß auf ihrem angestammten Platz auf der Bank.

Ihr gegenüber am Tisch lehnte Friedgard behaglich im Stuhl, hatte Schreihals auf dem Schoß und kraulte sie unterm Kinn, das diese weit vorstreckte.

»Ach hier steckst du!«, sagte Barbara anstelle eines Grußes.

Friedgard lächelte sie an. »Ich habe mich zum Mittagessen eingeladen«, sagte er fröhlich.

»Erzähl schon!«, drängte Katharina und hob ihren Zinnbecher in Barbaras Richtung. Barbara roch das Bier darin. Würzig und streng. Ihre Mutter braute es seit alters her und scherte sich nicht um Anordnungen. Entsprechend schmeckte es.

»Sie haben dich gesucht!«, sagte Barbara zu Friedgard.

»Mich? Weshalb?«

Barbara hängte den nassen Umhang an einen Nagel neben der Hintertür.

»Weil du aufschreiben solltest, was Baumann zu sagen hätte, falls er zu Bewusstsein kommt. Aber er kam nicht zu Bewusstsein.«

Mit einem Satz sprang Friedgard auf, Schreihals landete unsanft auf dem Lehmboden und guckte verwirrt. »Der Verletzte ist Hartmann?«

Sie nickte und setzte sich auf die Bank unter dem hinteren Fenster. Sie zerrte sich die nassen Schuhe von den Füßen. Ihre Wollsocken waren ebenfalls feucht. Sie zog sie aus, schlug das linke Bein übers Knie, knetete den Fuß und berichtete, was geschehen war.

Während sie erzählte, lief Friedgard auf und ab.

»Und er ist noch immer nicht bei Bewusstsein?«, fragte Friedgard, nachdem sie geendet hatte.

Barbara schüttelte den Kopf. »Ein Segen für ihn, Meister Bastian musste ihn nähen. Johanniskrauttinktur, Nussöl und Honig hatte ich dabei. Wir haben ihm einen Verband angelegt und Bader Bastian sorgte mit einem opiumgetränkten Schwamm zudem dafür, dass er schläft. Wenn er erwacht, wird ihm der Schädel brummen wie ein Bienenstock.«

»Ich muss zu ihm!«

»Geh am Abend zu ihm. Ich gebe dir einen Kräutersud für ihn mit und Eier. Du kannst einen Krug Roten bei deinem Vater abzapfen. Flöße ihm ein Gemisch daraus ein.«

»Was denkst du, Tochter?«

Barbara sah Katharina kurz an, äugte dann auf das Brot. Sie spürte ihrer Mutter und Friedgards Blicke auf sich.

Friedgard setzte sich wieder. Für einen Augenblick ließ sie sich von seiner Schönheit verzaubern, die großen, rehbraunen Augen, die gerade Nase, seine Pfirsichhaut, die er von seiner Mutter geerbt hatte, und die bei ihm genauso wenig welken würde wie bei ihr. Seine Haare hatten das Goldgelb von Johanniskrautblüten, er trug sie länger, als derzeit Mode war. Für einen Augenblick war sie versucht, ihm durch die Sonnenlocken zu wuscheln wie sie es so oft getan hatte, als er noch ein Knabe war. Sie tat es nicht. Er war sechsundzwanzig und kein Knabe mehr.

»Und?«, machte er und schürzte die Lippen.

»Er wird es überstehen«, sagte sie.

»Was noch?«, fragte Katharina, die, das merkte Barbara deutlich, zu Recht vermutete, dass da noch mehr war.

Schreihals maunzte, und als Friedgard nicht darauf einging, schlüpfte sie unter dem Tisch hindurch und nahm ihren Platz neben Katharina auf der Bank ein.

»Nun gut.« Barbara fuhr sich mit dem Handrücken unter der Nase lang. »Ich frage mich, warum Johannes Zahn es für nötig erachtet, höchstpersönlich nach dem Verletzten zu sehen. Kaum dass der Bader und ich ihn in seiner Wohnung zu behandeln begannen, trampelt er herein wie ein wildgewordener Ochse und will ihn befragen. Befragen! Einen Bewusstlosen. Er glaubte nicht, was Meister Bastian ihm sagte: dass nämlich Baumann vorerst nichts von sich gibt. Und er tobte, weil er dich nicht finden konnte.«

Sie sah Friedgard in die Augen. »Wo warst du eigentlich? Deine Schreibstube leer, im gesamten Rathaus keine Spur von dir.«

»Hast du uns was verschwiegen, Junge? Wird aber auch Zeit!«, grinste Katharina. »Wer ist sie?«

Friedgard wurde rot.

»Das wird deiner Verehrerin aber gar nicht gefallen. Agnes war auch draußen und ganz versessen darauf, dich beizuholen«, ging Barbara auf die Anspielung ihrer Mutter ein.

Friedgard stöhnte auf und raufte sich in gespielter Verzweiflung die Locken. »Genug der schrecklichen Nachrichten!«

Barbara schmunzelte und Katharina schob den Bierkrug näher zu Friedgard hin. »Hier Junge, stärke dich!«

Barbara bemerkte erst jetzt, dass auch vor Friedgard einer der beiden fein ziselierten Zinnbecher stand, die ihrer Mutter gehörten, und welche diese ebenso hütete, wie sie selbst ihre zwei mit Emaile umzierten Glashumpen. Kein anderer Besucher erhielt diese Ehre.

»Nicht dass sie nicht ansehnlich wäre. Aber da ist etwas in ihrer Art … Sie scheint stets von einem Ärgernis zu beben, etwas verbrennt sie innerlich. Diese Unruhe, die von ihr ausgeht … nein, das kann ich nicht gebrauchen.« Er seufzte.

Katharina hob den Becher an die Lippen, nahm einen gehörigen Schluck. »Liebestolle Weiber sind net anders als liebestolle Mannsbilder: unberechenbar und verblendet. Nimm dich in Acht!«, warnte sie schließlich.

Sie schwiegen. Barbara wusste wohl um Agnes’ Vernarrtheit in Friedgard. Sie nahm sie nicht ernst. Sie räusperte sich. »Was bleibt, ist mein Gefühl, dass Zahn etwas mit des Lehrers Unfall zu tun hat. Du bist Baumanns Freund, Friedgard, gibt es etwas, das die beiden miteinander zu schaffen haben?«

Verblüfft sah Friedgard sie an. »Nein. Was sollte das sein?«

»Zahn schien bei Baumann etwas zu suchen.« Sie zögerte. »Er fragte ›Wieso hier?‹.«

Nachdenklich schüttelte Friedgard den Kopf.

»Wo war Baumann gestern?«, fragte Katharina geradewegs.

Friedgard zauderte.

»Ohne Antwort kein Mittagessen!«, sagte Katharina in gespielt strengem Ton.

Da lachte Friedgard und auch Barbara musste schmunzeln.

»Also gut«, begann er. »Er wollte in St. Leon bei einer Familie vorstellig werden, an die ihn sein einstiger Mentor aus Heidelberg empfahl. Er …« Friedgard stockte und sah sie abwechselnd an. »Ach was soll’s. Hartmann möchte sich verheiraten und sucht ein geeignetes Mädchen. Auf Vermittlung seines einstigen Mentors hin hat er mit der Familie in St. Leon Verbindung aufgenommen. Sie haben eine Tochter, der Vater ist ebenfalls Lehrer …«

Katharina lachte schnarrend. »Der Gute wandelt auf Freiersfüßen!«

»So weit ist es ja noch nicht«, beschwichtigte Friedgard. »Es sollte der erste Besuch sein.«

»Na!«, machte Katharina und gönnte sich einen weiteren Schluck aus ihrem Becher.

»Aber er wollte eigentlich gestern Abend zurück sein. Jetzt, da die Arbeit draußen wieder anfängt, kommen zwar nicht mehr so viele Schüler zu ihm, doch einige der Jüngeren wären sicher angetrabt.«

Der junge Lehrer hielt in seiner Wohnstube Schule ab, und tatsächlich hatten Barbara und Bader Bastian mehre Jungen und Mädchen fortschicken müssen, die am Morgen zum Unterricht gekommen waren.

»Vielleicht liefen die Gespräche vielversprechend und er blieb über Nacht?« Katharina grinste vieldeutig.

Friedgard zuckte die Schultern. »Möglich«, meinte er, doch so lahm, wie er es sagte, schien er das für unwahrscheinlich zu halten.

Barbara stand auf, ging zum Herd hinüber und äugte in den Topf mit Hirsebrei. »Das erklärt alles nicht, was Zahn damit zu schaffen hat.«

»Hartmann war in Heidelberg. Er hatte Bücher beim Buchhändler bestellt. Von Heidelberg wollte er am Nachmittag nach St. Leon. Er mietete von Zahn ein Pferd.«

Barbara nickte abwesend und ging zum Wandbord hinüber. Sie griff nach den Tonschalen. Einen Augenblick starrte sie auf die irdenen Salbtöpfe, die glasierten Tiegel und die drei Medizinfläschchen aus grünem Waldglas, als müsse sie sich besinnen, was diese Gefäße dort zu suchen hatten. Sie wandte den Kopf und sah Friedgard über die Schulter hinweg an, den Arm mit den Schalen in der Luft. »Zahn schien etwas zu suchen, was dein Freund bei sich haben müsste. Und der Eifer, mit welchem er die Untersuchung betreibt, ist auffällig.«

»Das mag noch andere Gründe haben«, bemerkte Friedgard.

Barbara stellte die Schalen auf dem Tisch ab und sah ihn erwartungsvoll an.

»Na?«, machte Katharina, als er nicht sprach.

»Die vielen Unwetter«, hob Friedgard schließlich an. »Die Hexensekte, die dafür verantwortlich sei … er will, dass Untersuchungen gemacht werden, damit die endlich aufhören!« Er seufzte, es klang missbilligend.

»Zahn weiß, dass das Gerede über die Hexensekte Unfug ist. Was glaubt er, in Heidelberg ausrichten zu können? Der Oberrat wird ihn auslachen, das muss ihm doch klar sein!«

»Ich fürchte nicht«, entgegnete Friedgard. »Durch die Sache mit Herrnsheim ist auch der Oberrat sehr darauf bedacht, die Anschuldigungen zu entkräften. Er muss alles tun, um Vorwürfe, die Kurpfalz decke das Treiben der Unholde in ihrem Territorium, zu widerlegen. Es wird vermehrt Untersuchungen geben. Es sind Schreiben aus Heidelberg gekommen, die diese Sache betreffen.«

Barbara hatte den Vorfall vom Februar noch in lebhafter Erinnerung. Rasch hatte die Runde gemacht, dass bei der Hinrichtung einiger Hexen zu Herrnsheim, einem Flecken, der zur Dalbergischen Herrschaft nordwestlich von Worms gehörte, der Dalbergische Gerichtsschreiber öffentlich erklärt hatte, es werde alles nicht helfen und guttun, wenn die Obrigkeit zu Herrnsheim allein das Übel strafe, das Beste tue und hinwegbrenne, wenn es andere Obrigkeiten nicht auch endlich angingen und angriffen. Das war ein deutlicher Hieb gegen die Kurpfalz gewesen, die natürlich in aller Schärfe gegen solche Reden protestiert hatte, die den Eindruck erwecken mussten, man vernachlässige obrigkeitliche Pflichten und lasse Verbrechen ungestraft.

»So glaubt man inzwischen auch in Heidelberg, Menschen machten die Unwetter? Niemals!« Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich etwas an der Haltung ihres Landesherren und seiner Berater ändern sollte. Seit sie denken konnte, verurteilte man in der Kurpfalz das Gerede um die Möglichkeit des Unwettermachens. Das würde gegen die Allmacht Gottes sprechen. Mensch und Tier konnte man schaden, aber niemandem war es möglich, ein Unwetter heraufzubeschwören. Diese Glaubenssätze hatte man ihr gründlich mit dem Katechismus eingetrichtert. Und obwohl sie der calvinistischen Lehre nicht zugetan war, glaubte sie doch fest an diesen Grundsatz. Und dass der Zentgraf Untersuchungen in dieser Sache anstellen wollte? Nun, wenn Heidelberg das vorgab, würde Zahn sich danach richten müssen. Was aber hatte das mit dem verletzten Lehrer zu tun? Glaubte Zahn ernsthaft, Baumann wäre von Hexen angegriffen worden? Das war doch Unsinn!

»Ich dürfte darüber gar nicht mit Euch reden.«

»Du hast nichts gesagt«, erwiderte Katharina mit Unschuldsmiene.

»Seltsam aber, dass ich zum zweiten Mal an diesem Tag von Herrnsheim höre«, sagte Barbara nachdenklich. »Deine Mutter sprach auch davon heute Morgen. Allerdings auf sehr unschöne Art.«

»Na!«, machte Katharina verächtlich.

Friedgard schaute verlegen drein. »Meine Mutter ist Euch nicht hold«, bekannte er schließlich.

»Das ist nett ausgedrückt!«

Friedgard schürzte die Lippen. Was sah er herzzerreißend ratlos aus! Barbara unterdrückte erneut den Drang, ihm durchs Haar zu wuscheln. Er war jetzt ein Amtmann, dem Achtung gebührte, auch wenn er für sie immer der Junge bleiben würde, den sie einst ins Herz geschlossen hatte. Sie ging hinüber zum Herd, nahm den Topf herunter und trug ihn zum Tisch. Friedgard beeilte sich, die Löffel aus der Lade zu holen, etwas, das er seit seiner Knabenzeit tat, und wofür er sich auch jetzt nicht zu alt oder zu fein war, auch wenn es weder seinem Geschlecht noch seinem Stand angemessen war.

»Muss noch Grünzeug rein«, meinte Katharina, als Barbara den Topf auf dem Tisch abstellte. Ächzend erhob sie sich, um im Garten einige der frühen Kräuter zu holen.

Friedgard verteilte die Löffel und sagte mit gesenktem Kopf: »Es war ja früher schon so. Dass ich mit Euch im Wald umherzog, gefiel ihr nicht. Und als Ihr mir an jenem verhängnisvollen Abend noch dazu das Leben rettetet, ich denke, das hat sie nie verwunden. Dabei müsste sie Euch dankbar sein. Und nun bin ich ein angesehener Amtmann seiner kurfürstlichen Gnaden und Ihr …« Er unterbrach sich selbst, sah sie an und hob die Hände in einer Geste, die ihr sagen sollte, dass ihm der Standesunterschied gleich war. »Ich erzähle ihr nicht, dass ich zu Euch gehe«, schloss er.

Barbara setzte sich und fuhr mit dem Daumennagel Ritzen in der Tischplatte nach. Wer soll es Margarete verdenken, dachte sie. Wäre nicht auch ich zornig gewesen auf ein Weib, mit dem mein Kind mehr Zeit zubringt als mit mir? Kaum dass Herwarts nach Hockenheim gezogen waren, war ihr Friedgard nicht von der Seite gewichen. Er hatte sie im Wald entdeckt und zu seiner Mentorin auserkoren. Zehn war er da gewesen, ihr sonniger Schützling, und sie eine junge Frau von einundzwanzig. Sie hatte ihm die Pflanzen erklärt, die Bäume, das Wetter. Und spätestens durch den Angriff der Wildsau auch das Verhalten der Tiere. Er war mit dem Schrecken davongekommen, sie beide waren das, doch Margarete hatte getobt. Barbara wusste: Schuldgefühle plagten Friedgards Mutter, weil sie wieder einmal nicht achtgegeben und bemerkt hatte, dass ihr Sohn sich in den Wald schlich. Auch noch mit jener Weibsperson, in deren Obhut sie ihn ohnehin nicht lassen wollte. Und die rettete ihn dann auch noch davor, von einer Bache zertrampelt zu werden.

Schließlich hatte man Friedgard zurück nach Heidelberg aufs Pädagogium geschickt. Aber dann war er vor zwei Jahren zurückgekehrt, obwohl seine Eltern nichts sehnlicher wünschten, als dass er sich in der kurfürstlichen Rechenkammer sein Auskommen sicherte, sich nach Stand verheiratete und in Heidelberg niederließ. Doch das wollte er nicht. Er hatte das Studium der Rechte abgebrochen, war mit einundzwanzig Sekretär in der Kanzlei geworden, hatte festgestellt, dass ihn sowohl das Kanzleigerangel als auch Heidelberg abstießen, und hatte sich als Gerichtsschreiber nach Hockenheim bestallen lassen. Und kaum war er zurück, der junge Skribent, hatte er die Anhänglichkeit aus Kindertagen erneuert und seine Besuche bei ihr wieder aufgenommen. Margaretes Wut war wieder aufgeflammt. Dahin ihre ehrgeizigen Träume für ihren Sohn. Wer wollte es ihr also verdenken, dass sie …

»Ich kann ihr nicht begreiflich machen, dass Ihr mir nicht die Mutter ersetzt«, unterbrach Friedgard ihre Gedanken. »Dass Ihr ihr nichts wegnehmt, denn ich bin nicht Euer Sohn.«

»Auch nicht ihr Liebhaber?«, vernahmen sie Katharinas Stimme von der Hintertür.

Barbara fuhr herum und sah ihre Mutter verdutzt an.

»Mutter, was sollte das?«

»Na«, machte Katharina und zuckte die Schultern. Sie schabte die Kräuter in den Brei und rührte ihn mit dem Messer um.

»Mutter!«

»Hab’s nie gesagt, aber’s gibt Geschwätz. Schon länger. Ich halte dagegen, aber wer glaubt schon einem alten Weib, zumal sich’s um ihre Tochter handelt.«

»Aber …!« kam es wie aus einem Munde. Barbara sah Friedgard aufgeschreckt an.

»Na, bist eine ansehnliche Wittib, kein Mann in Sicht außer diesem jungen Burschen, der im Haus ein und aus geht, da denken sich die Leute ihren Teil.«

Friedgard klappte der Kiefer runter. Auch Barbara war sprachlos. Nie war ihr etwas Derartiges zu Ohren gekommen. Aber wann sagten einem die Leute schon mal was direkt ins Gesicht?

Katharina, das Messer in der Luft, ergänzte: »Und du, junger Freund, machst keine Anstalten, dich zu verheiraten. Das Alter hast du inzwischen. Und deine sechzig Gulden im Jahr bestimmt auch. Wie viel Malter Korn dazu? Hafer? Einen halben Fuder Wein?«

»Ihr wisst aber gut Bescheid, Frau Großhans«, gab Friedgard zurück. Missgestimmt schürzte er die Lippen.

Katharina winkte nur ab. Friedgard entspannte sich wieder und zuckte die Schultern. »Sei’s drum. Wir sollten etwas dagegen unternehmen.«

»Was denn? Die Leute reden, was sie wollen. Oder willst du uns künftig nicht mehr besuchen?«

»Natürlich nicht.«

»Du must heiraten!«, meinte Katharina.

»Wen denn? Agnes etwa?« Er hielt Katharina seine Schale hin, damit sie ihm Hirsebrei auftun konnte.

»Mach’s wie dein Freund Baumann! Frag herum, wer eine Tochter hat. Du wirst doch aus deiner Zeit in Heidelberg Verbindungen haben.«

Barbara hielt Katharina ebenfalls ihre Schale hin. Sie war wie benommen davon, was man ihr und Friedgard unterstellte. Nie wäre sie auf einen solchen Gedanken gekommen.

»Frau Heilmann, wie ist es mit Euch?«, fragte Friedgard.

»Was?«

»Nun, mit Verlaub, warum ich?«

»Warum du was?«

»Eure Worte sind oft spitz und schroff. Doch Eure Erscheinung ist weich, umflort von einem warmen Rostton, angenehm wie dunkles Holz. Warum heiratet Ihr nicht wieder?«

Sie war so überrascht, dass sie den Löffel fallen ließ.

Katharina lachte ihr schnarrendes Lachen. »Gut gemacht, Junge!«

Barbara spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Sah er sie wirklich so? So … so … auf so hübsche Art? Seit Leonhards Tod hatte sie keinen einzigen Augenblick an eine Wiederheirat gedacht. Wegen Leonhard nicht und nicht mit diesem … Makel. Friedgards Worte trafen sie ins Mark. Er bemerkte es.

»Ich meine ja nur«, flüsterte er verlegen. »Auch Ihr könntet wieder … ich meine …«

»Lass gut sein, Junge!«, mischte Katharina sich ein. »Iss, bevor alles kalt wird.«

Sie löffelten schweigend.

Barbara hatte Katharina im Verdacht, extra laut zu schmatzen, um die unangenehme Stimmung zu vertreiben. Mit einem Mal musste sie schmunzeln. Sie sah zu Friedgard hin. Er erwiderte ihren Blick. Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Sie leckte ihren Löffel ab und schlug ihm damit sanft auf die Backe. »Lümmel!«, sagte sie weich. »Und nun sag uns endlich, wo du gesteckt hast den ganzen Morgen!«

Er wurde wieder rot.

»Nun? Wir hören!«, mampfte Katharina.

Friedgard legte den Löffel beiseite und rang sichtbar mit sich. Schließlich sagte er: »Ihr wisst ja von meinem Versuch, eine Geschichte zu schreiben …« Er stockte, sah Barbara an und fuhr fort: »Ich habe Euch davon erzählt, wie schwer das ist …«

Barbara wusste um den Kampf, den er mit sich ausfocht, weil er mit dem Schreiben nicht so vorankam, wie er es sich wünschte. Oder wie er dachte, wie es sich gehörte.

»Du kommst also voran und arbeitest an einer Heldengeschichte?«, fragte sie deshalb aufmunternd, auch wenn sie sich nicht wirklich etwas darunter vorstellen konnte. Natürlich kannte sie Erzählungen, natürlich gab es Menschen, die sie aufschrieben, aber eine eigene, neue Geschichte erfinden, wie Friedgard es wollte?

»Also, hinter der Schwopschen Mühle, da gibt es die Wiese mit der winzigen Hütte des Müllers, wo er alte Säcke und Tand aufbewahrt. Dort ist es ruhig, nur das Murmeln des Bachs und das Ächzen des Mühlrades. Dort fühle ich mich … ungestört eben.« Friedgard unterbrach sich. Erklärend fügte er hinzu: »Dort schreibe ich. In der Schreibstube kommt ja alle Nase lang einer gerannt. Und daheim ist stets so viel Umtrieb mit den Schwestern und so.«

»Du hast also einen Geheimplatz«, sagte Katharina und es klang zufrieden.

Barbara fiel noch etwas anderes ein. »Hab Weißmannen im Dorf gesehen. Was wollen die hier? Ist irgendetwas los?«

Friedgard nickte. »Denke, die müssen sich besprechen wegen dem Geleitzug im Mai«, verkündete er schließlich. »Einige von ihnen werden den Kurfürst nach Dillenburg begleiten. Der will, dass seine Königsleute dabei sind, wenn er zur Braut zieht. Aber …« Er hob beide Hände abwehrend hoch. »Das geschieht unter dem Siegel der Verschwiegenheit, in aller Eile und Heimlichkeit. Kurfürst Friedrich will die Untertanen nicht unnötig beschweren, wie er sagt. Alles leeres Geschwätz, wenn ihr mich fragt. Es ist Politik, nichts weiter. Wir Reformierten stehen nicht im Schutz des Religionsfriedens. Die lutherischen und katholischen Fürsten sitzen uns im Nacken, behaupten, dass man uns im Reich nicht dulden dürfe. Erinnert euch daran, wie der Kaiser im vergangenen Jahr in Aachen bestimmte, die Reformierten seien den Mitgliedern erlaubter Konfessionen nicht zuzuzählen. Ich sage euch, es geht mit dieser Hochzeit nur darum, mit den Wetterauer Grafen das calvinistische Bündnis zu stärken und die Kurpfalz zu stützen.« Friedgard kratzte den letzten Rest Brei mit dem Löffel zusammen.

»Nichts, was wir nicht auch wüssten!«, winkte Katharina ab und gab Friedgard damit zu verstehen, dass er keine Regierungsgeheimnisse ausplauderte. Womit sie Recht hatte. Der junge Friedrich wollte sich mit Prinzessin Louise Juliane vermählen, der Tochter Wilhelms von Oranien und Nichte Graf Johanns des Älteren von Nassau-Dillenburg, einem der Wetterauer Grafen. Der war ein einflussreicher Ratgeber Johann Casimirs gewesen, dem vorjährig verstorbenen Administrator und Oheim des jungen Friedrich. Allgemein bekannt. Und daher nicht verwunderlich, dass Friedrich jene Männer mitnahm, die dem Kurfürsten seit alters her treu ergeben waren. Sie hätte von sich aus drauf kommen können. Die Kriegertruppe machte was her. War ansehnlich in den weißen Hosen und Röcken. Heimlichkeit und Eile hin oder her, natürlich würde der Kurfürst nicht auf sie verzichten. Barbara dachte an den großen Königsmann mit den schwarz untermalten Augen, den hohen Wangenknochen und dem strichdünnen Oberlippenbärtchen, das von jedem Mundwinkel zu den Nasenlöchern aufstieg wie ein dreieckiges Giebelchen über einem schön geschwungenen Dach. Sie erinnerte sich an sein sparsames Kinnbärtchen und verschwieg, dass ihr hastiges Davongestolpere, als sie am Morgen Reinhardt und Gundt hinterher eilte, fast zu einem Sturz geführt hätte. Die rasche Bewegung hatte irgendwie nicht zu ihren Schritten gepasst, sie war auf ihren schlammnassen Rocksaum getreten und fast gestürzt. Vor aller Augen! Armerudernd suchte sie ihr Gleichgewicht zu halten. Da war der Königsmann schon wieder neben ihr, rief »Holla!« und hielt sie am Ellbogen. So war sie nicht gestürzt. Hatte einen Dank gemurmelt und gemerkt, wie sie heiße Wangen bekam. Und die bekam sie auch jetzt, da sie daran dachte.

»Was ist?«, sagte Friedgard und schob die leere Schale von sich.

»Was soll sein?«, entgegnete sie.

»Woher rühren Eure rosigen Wangen?«

»Schau dir deine an, du Poet! Vom heißen Brei, woher sonst!«

Friedgard lehnte sich auf dem Stuhl zurück und stöhnte satt und zufrieden. Und schon landete Schreihals auf seinem Schoß. Sie blinzelte ihn an und rollte sich umständlich zusammen. Friedgard lächelte auf das Fellbündel hinab.

Barbara wurde behaglich und warm ums Herz. Sie mochte ungewöhnlich sein, diese Freundschaft zu dem jungen Mann. Doch seit er ein Knabe war, gab es eine Verbindung zwischen ihnen, die jenseits des Erklärbaren lag. So war es einfach. Sie sah zu, wie er die Katze streichelte. Schreihals schnurrte.

Beschützerin des Hauses (Neuauflage)

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