Читать книгу Beschützerin des Hauses (Neuauflage) - Marlene Klaus - Страница 12

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Das letzte Haus in den Wiesen der Stöcket vor der steinernen Brücke, die über den Kraichbach führte, war das des Schmieds Urban Eisinger. Barbara hielt einen Augenblick inne, bevor sie dorthin abbog. Jetzt, am späten Nachmittag, hatte es endlich aufgehört zu regnen. Von Westen her klarte es auf, der Himmel Richtung Speyer leuchtete in einem trägen, kupfernen Rot, durchzogen von schwarzen Schlieren.

Sie dachte daran, dass man Friedgard und ihr eine Liebschaft nachsagte. Das war ungeheuerlich! Nie wäre ihr etwas Derartiges in den Sinn gekommen. Sie kannte ihn seit er ein Knabe war, ein hübscher blonder Junge, der ihr auf moosigen Pfaden im Wald aufgeweckt und lernwillig nachhopste wie ein kleiner beschützender Zwerg. Später, wenn Friedgard in den Ferien oder an den Feiertagen heimkehrte, hatte er noch immer den Weg zu ihr gefunden. Doch dann hatte das aufgehört, denn sie war frisch verheiratet, hatte eine kleine Tochter, und er kam ohnehin in jenes Alter, in welchem ihm anderes wichtiger war.

Sie wandte sich entschlossen Eisingers Anwesen zu. Aber Friedgard ging ihr nicht aus dem Kopf. Als er schließlich nach Hockenheim zurückkehrte, hatte er seine Besuche bei ihr wieder aufgenommen, wenn er sie auch nicht mehr in den Wald begleitete wie einst. Sie sah ihn vor sich, schmuck wie ein junger Mann nur sein konnte. Er schaffte es, sie aus ihrem Kummer um den Verlust von Leonhard und Elisabeth zu reißen mit seiner goldenen Lockenfülle, dem schönen Gesicht und seiner heiteren, unbekümmerten Art. Für sie war er wie Sonnenschein. Ja, das war er. Er wärmte sie und holte sie für Augenblicke aus ihrer Betrübnis, die seit damals nicht weichen wollte. Es war ein guter Grund, ihn zu lieben, wenn es denn überhaupt eines Grundes bedurfte. Sie waren sich zugeneigt und woher das rührte, war müßig, zu ergründen.

Sie erreichte die hohe Mauer, die Eisingers Hof umschloss, und näherte sich dem offenen Hoftor. Sie hörte die tiefe Stimme des Schmieds sagen: »Wenn Euch der Preis nicht passt, so lasst Eure Sachen künftig bei einem anderen fertigen!«

Offenbar ein Streitgespräch. Keinesfalls wollte sie Zeugin dessen werden. Doch dazu war es zu spät. Sie trat in dem Augenblick in den Hof, da Agnes Zahn, den Rücken ihr zugewandt, aufgebracht entgegnete: »Sechs Gulden für ein einfaches Stück Handwerk? Ihr lasst Euch Euren Schweiß wahrlich etwas kosten!«

Eisinger, ein großer Mann mit einem quadratisch-kantigen Gesicht und kleinen wachen Augen, hielt das Streitobjekt in seiner Rechten, wies mit der Linken auf seine Arbeit und entgegnete: »Ihr wolltet einen so ausgefallenen Dolch, den mit Eurem Wappen verzierten Griff. Das ist aufwendig. Nun feilscht nicht. Er kostet, was er kostet«, sagte er bestimmt und abschließend und bedeutete Barbara mit einem Nicken, dass er sofort für sie bereit wäre.

Agnes fuhr herum. Als sie Barbara gewahrte, wandelte sich die Wut in ihrem Gesicht zu Abscheu. Sogleich kehrte die junge Frau ihr wieder den Rücken zu, zurrte am Beutel an ihrem Gürtel und begann, die Münzen herauszuzählen.

Barbara schalt sich innerlich. Hätte sie nicht warten können bis die streitbare Kundschaft ihrer Wege gegangen war? Agnes’ Rücken war anzusehen, was in ihr vorging. Es war, als flirre und zittere die Luft um sie herum. Sie ließ die Münzen in die ausgestreckte Hand des Schmieds fallen und sagte: »Nun, Herr Eisinger, bittet Euren Schutzpatron heute um Fürsorge. Am Georgstag haben die Hexen die größte Gewalt!« Bösartige Häme lag in ihrer Stimme. Sie nahm ihren Dolch und schritt erhobenen Hauptes vom Hof, würdigte Barbara keines weiteren Blickes.

Barbara spürte ihrerseits Wut auf dieses dumme Mädchen. Und etwas, das sich nach Scham und Schuld anfühlte, was sie sofort beiseite drängte. Es lag nicht an mir, und wenn du es hundert Mal denkst, dachte sie und merkte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten. Da kam Eisinger ihr auch schon entgegen. »Eure Sichel, Heilmännin?«

Sie folgte ihm ins Innere der Werkstatt, wo es warm war und Gestank von glühendem Eisen in der Luft lag. Eisinger machte eine Handbewegung in Richtung Hoftor und sagte: »So war sie und so ist sie. Macht Euch keine Gedanken.«

Agnes wusste nicht, wohin mit ihrer Wut. Sie presste die Lippen aufeinander und schlug die Fersen gegen den Steinblock, auf dem sie hockte. Ausgerechnet der noch einmal zu begegnen! Als ob einmal am Tag nicht reichen würde! Mistweib!

Sie stierte auf die Backsteinmauer der Zehntscheuer, ohne das zweigeschossige Doppelgebäude wirklich wahrzunehmen. Sie war versucht, den Dolch hervorzuziehen und focht einen Kampf mit sich, der ihr den Magen zusammenzog. Nein, jetzt ging es nicht. Elli konnte jeden Augenblick kommen. Das halbe Dutzend behauener Steinblöcke am nördlichen Ende der eingefriedeten Fläche vor der Scheuer war ihr Treffpunkt. Von ihrem Sitzplatz aus hatte sie sowohl die Längsseite der Zehntscheuer als auch das Ende des Zugangspfades im Blick. Ein Steinwurf von ihrem Platz entfernt murmelte der Kraichbach leise vor sich hin. Agnes mochte den Platz. Er war übersichtlich. Geordnete Begrenzung, die Schutz bot vor Durcheinander. Karren voll Roggen, Hafer, Welschkorn, Erbsen und Rüben fuhren an den Zehnttagen hier vor, doch an Nachmittagen wie dem heutigen gab es für niemanden einen Grund, sich an diesem Ort aufzuhalten.

Agnes’ Blick heftete sich auf den Zugangspfad. Hoffentlich kam Elli bald! Da sie bei Herwarts arbeitete, wusste sie vielleicht, was mit Friedgard war.

Friedgard. Ihr schöner Engel. Sie wusste, wie Engel aussahen. Als Kind hatte sie welche gesehen, in dem kostbaren Buch ihrer Mutter über die Heiligen. Heimlich hatten sie zusammen die Bilder betrachtet, weil man derlei Bücher nicht mehr besitzen durfte, denn der Katechismus sagte, Heilige zu verehren verstoße gegen das Gebot Gottes, es sei abergläubisch und schlimm wie zauberische Dämonenanrufung. Aber die Heiligen waren erhoben zu Gott, und Engel umschwebten sie und den Allmächtigen auf seinem Himmelsthron. Ihre Locken strahlten so hell, dass Agnes ganz entflammt davon war. Nie hatte sie Haar derart Licht aussenden sehen. Bis sie Friedgards sah. Goldgewellt fiel es ihm auf die Schultern wie eine Vielzahl leuchtender Engelszungen. Ein Engel war er, vom Himmel gefallen geradewegs in ihr Dorf. Damals. So zart und so wunderschön. Wie konnte sie ihn nicht lieben? Vom ersten Augenblick an, da sie ihn sah! Sie hatten einander über die Fluren gejagt und sie hatte ihm die Locken aus den Augen gestrichen, wenn er ihr sein vor Aufregung und Spielfreude gerötetes Gesicht zuwandte. »Ach mein Engel«, seufzte sie leise. »Warum erklärst du dich mir nicht?« Die Sehnsucht nach ihm brachte sie fast um den Verstand. Nichts wollte sie so sehr, als mit ihm zu sein. Außer vielleicht, dass Mutter noch lebte. Der Gedanke an Mutter rief ihr wieder die Heilmännin ins Gedächtnis und sie fühlte den Grimm auf dieses Weib in sich brodeln, als gäre dort in einem Kessel giftiges Gebräu, wie es auf den Flugschriften zu sehen war, die ihr Vater zuweilen im Abtritt vergaß.

Ein Geräusch, Bewegung am Pfad. Elli. Endlich. Sie hastete heran mit ihrem vornübergebeugten Gang, die Schultern tief herunter gezogen, um die Brüste, prall wie Kuheuter, zu verbergen. Was ihr nie gelang.

»Wird aber auch Zeit! Wo bleibst du so lange?«, murrte Agnes.

Elli ließ sich auf den Steinblock neben ihr fallen und atmete geräuschvoll aus. »AchGottachGott Agnes, du weißt, wie schwer’s ist, mich aus’m Haus zu stehlen! Kaum von Herwarts da, muss ich in die Schankstube!«

Sie konnte es nicht leiden, wenn Elli ihr widersprach.

»Soll ich dich jetzt bemitleiden? Ist doch nur ein Katzensprung von eurer stinkenden Schenke hierher!«

Die Schildwirtschaft Zum Zoller, geführt von Ellis Vater, lag neben dem westlichen Zollhaus, gegenüber vom unteren Freihof.

»Nun sag schon, wo ist Friedgard?!«

»Weiß ich’s?«

»Sie suchen ihn den ganzen Tag!«

»Und?«

Dumme dumme Elli! Nie würde die das begreifen, nie! Das Kribbeln in ihrer Magengrube war nicht auszuhalten. »War er zum Mittagsmahl zu Hause?«

Elli zuckte nur die Schultern.

Agnes war versucht, diese Kuh zu packen und zu schütteln. Sie bezähmte sich und rieb sich stattdessen über die engen weißen Ärmel ihrer Schaube.

»Der Baumann musste genäht werden«, wechselte Elli aufgeregt zum Tagesgespräch. »Der war bis Mittag nicht bei sich, aber überleben wird er’s, sagen sie.«

»Weiß ich!«, fauchte Agnes. »Mein Vater hat den Gäßler kommen lassen und ihn zur Sau gemacht, weil er nicht richtig achtgegeben und den Baumann nicht gefunden hat.«

»Pah! Das Fass auf zwei Beinen. Der gibt sich in der Schankstube wieder mal die Kanne. Ich ekle mich vor dem mit seinem zerfransten Bart, der aussieht wie toter Fuchs.«

Agnes mochte Gäßler ebenfalls nicht. Keine zwei Stunden zuvor hatte er bei ihnen in der Stube gestanden, gerade als sie mit dem Mittagsmahl fertig waren. Verschlafen und nach Bier stinkend hatte er ihres Vaters Zorn über sich ergehen lassen müssen. Geschah ihm recht! Ihr Vater hatte sie hinausgescheucht, aber sie war draußen vor der Tür stehen geblieben in der Hoffnung, etwas über Friedgard zu hören.

Wenn sich ihr Vater nur dazu verstehen wollte, mit Friedgards Vater zu sprechen. Sie hatte schon einige Male Andeutungen gemacht, aber ihr Vater ging einfach nicht darauf ein. Er mochte Heinrich Herwart nicht. Sie wusste nicht, wie sie es anstellen sollte, die beiden wegen Heiratsverhandlungen an einen Tisch zu bekommen. Ein weiteres Kümmernis neben jenem, dass Friedgard sich ihr gegenüber so zögerlich verhielt. Er grüßte, er plauderte mit ihr, wenn sie sich nach dem Kirchgang trafen, aber sonst?

»Der Überfall auf Baumann ist das Gespräch, kannst dir ja denken!«, erklärte Elli und guckte wichtig. »Der Gäßler sagt …« Sie sprach nicht weiter. Tat so, als müsse sie an ihrer fleckigen Schürze etwas richten.

Agnes ärgerte sich darüber. Elli wollte, dass sie fragte. Aber das würde sie nicht. »Sag’s mir oder lass es!«, schnaubte sie.

Elli nahm’s ihr krumm. Sie zog eine beleidigte Schnute und zuckte die Schultern. »Wenn du nicht wissen willst, was er über die Heilmännin sagt«, meinte sie schnippisch.

Die Heilmännin? Was hatte die schon wieder damit zu tun? Agnes suchte in ihrer Erinnerung nach dem, was Gäßler und ihr Vater geredet hatten. Gäßler beteuerte, der Lehrer habe noch nicht da gelegen, als er auf seiner letzten Runde am Ortsausgang nach Reilingen längs gekommen sei. Wie bemüht er gewesen war, zu zeigen, dass er sich keiner Nachlässigkeit schuldig gemacht hatte! Pah! Dieser Holzkopf. Ihr Vater hatte Gäßler befohlen, zukünftig die Augen besser aufzusperren und ihm alles zu berichten, was ihm zu Ohren käme. Und die Finger von zu viel Bier zu lassen. Was noch? Dass er die Schöffen informieren musste. Durch Baumanns Verletzung ging man von einem Überfall aus, auch wenn der Lehrer bis zum Mittag noch nichts zum Hergang hatte äußern können, da er noch immer nicht recht bei Bewusstsein war. All das hatte sie gehört, und sie war gespannt, was Baumann aussagen mochte, wenn er zu sich kam. Als ihres Vaters Weib nach ihr rief, musste sie das Lauschen aufgeben und in der Küche mithelfen. Sie hörte nur noch, wie sich Gäßlers Stimme veränderte und er ungewohnt selbstsicher etwas erklärte, das sie nicht mehr verstand.

Elli machte Anstalten, aufzustehen. »Hab mir die Zeit jetzt sowieso gestohlen und wenn ich keine Abreibung will, sollt ich besser heim.«

Der Trotz in Ellis Stimme war Agnes unerträglich. Sie biss sich auf die Unterlippe und kickte die Fersen gegen den Stein. Was auch immer die Heilmännin damit zu schaffen hatte – sie würde es herausbekommen, auch ohne Elli. Sollte sie doch gehen.

Elli war aufgestanden und starrte auf sie herab. Agnes spürte den Blick auf sich obwohl sie nicht aufsah. Der Drang, nach dem Dolch zu greifen, riss an ihr, zusammen mit jenem, Elli zu schlagen.

»Agnes?«

Elli setzte sich wieder.

»Komm, jetzt schau nicht so böse. Ich mein’s ja nicht so. Agnes?«

Agnes hörte das ängstliche Zittern in Ellis Stimme und Befriedigung durchrieselte sie. Noch immer sah sie sie nicht an. Ein Bild kam in ihr auf. In ihrer Vorstellung zog sie den Dolch, hantierte damit vor Ellis schreckgeweiteten Augen, ritzte sie, ein wenig hier, dann dort … und Elli flehte sie an, damit aufzuhören, nie wieder wolle sie ihr widersprechen, immer ihr zu Willen sein, wenn sie nur aufhörte. Aber sie würde nicht aufhören!

Da spürte sie Blut auf den Lippen, ein süßer, metallener Geschmack, und Ellis Hand, die sich vorsichtig auf ihren Arm legte. Sie sah auf.

»Agnes!« Elli wollte unbedarft klingen, aber Agnes hörte ihre Furcht. Das befriedigte sie.

»Hast dir auf die Lippe gebissen. Hier – wisch’s ab.« Sie reichte ihr ihren Schürzenzipfel.

Agnes wischte Ellis Hand beiseite und leckte mit der Zunge über die Unterlippe. Dann zog sie ein Gesicht, dass Elli erleichtert auflachte. »Erschreckst mich immer so! Jetzt hör aber zu, ich muss mich wirklich eilen.«

»Rede halt.« Und sie zog den Dolch aus der Scheide an ihrem Gürtel und hielt ihn Elli unter die Nase. Die zuckte davor zurück und war erneut verunsichert. Agnes lächelte, als sie den Dolch mit einer gekonnten Bewegung aus dem Handgelenk heraus in die Luft warf, der Dolch sich drehte und sie ihn nicht am Griff, sondern an der Schneide wieder auffing.

Elli schlug beide Hände vor den Mund. »AchGottachGott Agnes!«

Sie hielt ihr den Griff hin, langsam begriff Elli. »Ach, das ist er? Du hast ihn machen lassen?« Vorsichtig fuhr sie mit dem Finger das U nach, das die rot-silber unterteilten Büffelhörner bildeten, die oberhalb des Wappenschildes aus roten und grünen Federbüschen erwuchsen. Innerhalb des U’s ragte eine kleine grüne Tanne empor und auch diese berührte Elli voll Ehrfurcht.

Agnes war stolz auf das Zahnsche Familienwappen, das ihr Urgroßvater Balthasar Zahn, der ebenfalls Zentgraf gewesen war, anlässlich der Geburt seines Sohnes, des Vaters ihres Vaters, im Jahre 1500 hatte anfertigen lassen. Niemand sonst in Hockenheim besaß ein Familienwappen! Es zierte als Stickerei des Vaters besten Umhang, es zierte einen Wandteppich, der im Vorraum ihres Hauses, des oberen Freihofs, hing.

Und jetzt zierte es den Griff ihres neuen Dolches! Sie steckte ihn zurück in die Scheide. Dann leckte sie die Blutströpfchen ab, die sie sich beim Fangen der scharfen Schneide zugezogen hatte, und lächelte Elli an.

»Schön geworden!«, beeilte diese sich zu sagen. »Und der alte?«

Agnes zuckte die Schultern. »Was ist jetzt mit der Heilmännin?« Sie fühlte sich besser. Vielleicht, so überlegte sie, konnte sie später vorgeben, um Baumann besorgt zu sein und mit etwas Suppe oder Wein zu ihm gehen? Möglicherweise traf sie Friedgard dort oder hörte etwas von ihm. Der Einfall gefiel ihr.

»Rede endlich!«

Elli wollte ihre Macht auskosten, soviel war klar. Sie schwieg. Agnes hatte genug von diesem wichtigtuerischen Gehabe. Sie sprang auf. »Ich kitzle dich gleich mit meinem Dolch!«, fauchte sie.

Elli, verunsichert, sprang ebenfalls auf. Ihre dummen Kuhaugen schimmerten feucht. Das konnte sie nun gar nicht brauchen. »Ich mach doch nur Spaß«, lenkte Agnes ein.

»Bei dir weiß man das nie«, murmelte Elli.

»Was ist jetzt mit der Heilmännin?«

Elli schniefte, dann sagte sie in versöhnlichem Ton: »Der Gäßler sagt, die fährt nachts zum Schornstein hinaus und treibt’s im Wald mit dem Teufel.«

»Das will der gesehen haben?«

Elli nickte.

»Wieso sagt er das nicht meinem Vater?«

»Hat er, sagt er, behauptet, die Sache mit Baumann wäre nicht geheuer, man müsste untersuchen, ob die nicht was damit zu schaffen hat.«

»Nicht geheuer?« Ob Gäßler doch etwas gesehen hatte? Mist, warum hatte sie nicht zu Ende gelauscht! Was sagte Elli da? Die Heilmännin? »Was soll die Heilmännin damit zu schaffen haben? Die hat ihn doch verbunden am Morgen. Und zum Bader geschleppt.«

Agnes setzte sich und Elli tat es ihr nach.

»Ja, aber …« Elli wurde sichtlich unbehaglich. Sie legte den Kopf schief und kratzte sich. An der Art wie sie guckte, erkannte Agnes, dass Elli eben erst aufging, dass das, was sie ihr zur Unterhaltung und Versöhnung erzählen wollte, möglicherweise eher dazu angetan war, ihren Zorn erneut auf sich zu ziehen. Sie konnte Ellis Unsicherheit fast riechen. Und der Geruch machte sie gierig.

»Rede!«, befahl sie, was ihr einen Blick von Elli eintrug, der ihre Vermutung bestätigte. Elli hatte Angst vor einem weiteren Wutausbruch. Soll sie haben, dachte Agnes, betrachtete betont gelangweilt ihre Handinnenfläche.

»Es geht die Rede … achGottachGott, du weißt, die Heilmännin ist nicht ganz sauber, man munkelt schon lange … und der Baumann ist der beste Freund vom Friedgard …«

»Du machst mich krank, Elli, sag mir was los ist!«, unterbrach Agnes sie ungeduldig. Zu viel Angst war auch nichts. Da traute Elli sich kaum, das Maul aufzumachen.

Elli erhob die Hände vor der Brust. »Die Leute meinen, die hätte den Baumann selber zusammengeschlagen. Aus Eifersucht. Dass der Friedgard nicht so viel Zeit mit dem zubringt. Damit sie ihn für sich hat.«

»Für sich?« Aber kaum hatte Agnes dies ausgesprochen, dämmerte ihr, was Elli damit sagen wollte. Mit einem Satz sprang sie auf.

»Was?! Eifersüchtig, weil die beiden Männer oft beieinander hocken?« Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. »Sie soll Baumann niedergeschlagen haben, damit Friedgard mehr Zeit mit ihr verbringt?« Fast hätte sie laut aufgelacht.

Elli zog in Erwartung eines Schlages den Kopf ein. Es kostete Agnes all ihre Willenskraft, nicht tatsächlich zuzuschlagen.

Die Heilmännin! Immer und immer wieder die! Erst hockte Friedgard schon als Knabe bei ihr. Und kaum war er aus Heidelberg zurück – ohnehin eine Zeit, in der es dunkel geworden war in ihrem Leben –, trieb er sich wieder bei diesem Nachtschad herum. Was sollte sie, Agnes, da sagen? Sie bekam ihn doch noch weniger zu Gesicht! Und nun sollte die Heilmännin, … sie konnte es nicht einmal denken, so übel wurde ihr davon! Sie stapfte mit dem Fuß auf. Und erst als sie das Blut schmeckte, merkte sie, dass sie sich die Unterlippe noch einmal aufgebissen hatte.

»Ach Agnes, geh, ich wollt’s ja nicht sagen. Aber die Leute reden schon länger …« Sie erhob sich ebenfalls und machte eine hilflose Geste. »Und es wundert mich, dass du’s noch nicht gehört hast.«

Ellis Gesichtsausdruck wechselte von verzweifelt zu ängstlich, als Agnes sie ansah. Sie wich einen Schritt zurück. Aber Agnes war gar nicht imstande, sich zu bewegen. Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Unterlippe, um das Blut abzuwischen und starrte Elli an. Alle wussten es, nur sie nicht? Es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein!

»Aber wenn’s wahr ist, dann bloß, weil sie ihn verhext hat, sagen die Leute«, fügte Elli an.

»Verhext«, murmelte Agnes benommen.

Elli nickte. Dann kam sie wie eine fürsorgliche Mutter heran, wischte ihr mit dem Schürzenzipfel das restliche Blut vom Mund und führte sie sanft am Arm zurück zum Steinblock.

»Pass auf«, sagte sie. »Wir machen den Zauber rückgängig. Du brauchst einen Liebestrank. Wendel, der Knecht vom unteren Freihof, sagt, die Wahrsagerin von Wiesental hätte einem Bauer in Gondelsheim sein störrisches Hausweib wieder gefügig gemacht und dann noch dazu seine Kuh geheilt, die zwei Wochen lang saure Milch gegeben hat.« Sie hielt inne und musterte Agnes aufmerksam. »Der Wendel kennt das Weib. Der sagt dir, wo du sie treffen kannst.« Elli legte den Kopf schief und wagte ein kleines Lächeln. »Du lässt dir einen Liebeszauber geben und dein Friedgard frisst dir aus der Hand!«

Agnes hörte kaum, was Elli sagte. Der Drang, nach dem Dolch zu greifen, war übermächtig. Gedanken wirbelten ihr im Kopf herum. Barbara Heilmann, dieser Name stand für alles, was ihr Kummer bereitete. Es musste endlich ein Ende haben damit, dass dieses Weib ihr Leben zerstörte! Was sagte Elli? Hexerei? Wie dumm sie gewesen war! Wie anders sollte dieser Nachtschad es schaffen, Friedgard dermaßen an sich zu binden, wenn nicht mit Hexerei. Wie hatte sie nur so blind sein können! Hexerei war ein Fall für die Zent. Und ihr Vater war der Zentgraf. Neben dem Schultheiß der mächtigste Mann im Ort. Da musste sich doch etwas machen lassen. Plötzlich kam ihr ein neuer Gedanke: War dieses Gerede nicht eher ein Segen? Die Heilmännin stand ohnehin im Geschrei. Wenn es möglich wäre, ihr die Sache mit Baumann anzulasten … und wenn ihr Vater sie wegen Hexerei drankriegte … wäre sie diese Plage los. Und wenn er damit Erfolg vor der Zent hätte, würde Friedgard endlich begreifen!

Agnes erhob sich, strich über den gelbbraunen Pelzbesatz ihrer Schaube. Der Winter dauerte noch immer an. Sie wollte, dass er aufhörte! Sie wollte mit Friedgard durch die Fluren streifen, wie sie das als Kinder getan hatten. Sie wollte den geliebten Blondschopf endlich in die Arme schließen. Und sie wusste, der Tag würde kommen.

»Will aber das Herz, Mama, wo ist das Herz?«, plärrte Johannes. Ihr vierjähriger Halbbruder hockte auf dem hohen Holzstuhl, den Ingram, der Knecht, auf Anweisung ihres Vaters hatte zimmern müssen, damit der Junge mit am Tisch sitzen konnte.

Agnes saß mit ihrer großen Familie, zu der auch die beiden Knechte und die Magd Bea gehörten, beim Nachtmahl. Aus den Zinntellern vor jedem Hausmitglied dampfte kräftige Hühnersuppe, angereichert mit Grünkern, Rüben und Petersilie.

Agnes warf nur einen flüchtigen Blick hinüber zu dem blonden, drallen Kerlchen. Sie selbst ähnelte ihrer verstorbenen Mutter, deren Augen und zarte Statur sie geerbt hatte, worüber sie glücklich war. Aber diese kleine gelbe Made in ihrem Hochstuhl war ein Abbild seiner Mutter Susanne, Vaters zweiter Frau. Die runde Nase, die braunen Äuglein und sein Hausherren-Gebaren kamen ganz auf seinen Vater, dem er nacheiferte. Kein Wunder, schleppte der ihn doch so oft es ging überall mit hin, ließ den Vierjährigen, herausgeputzt wie ein Grafensöhnchen, im Sattel vor sich hocken und erklärte ihm von dort oben stolz die Welt.

Johannes schmollte und wollte den Mund nicht aufmachen. »Will das Herz!«

Agnes hatte sofort gesehen, dass sie das Herz nicht hatte. Sie bedauerte das. Heute Abend war sie besonders in Stimmung. Genussvoll hätte sie sich die zarte Innerei vor dem greinenden Kindergesichtchen in den Mund geschoben. Es war ein Spiel in ihrer Familie: Auf wessen Teller das kleine dunkle Herz des Huhns landete, wenn ausgeschöpft wurde, der zeigte es stolz herum und war Sieger des Mahles. Sei’s drum. Sie hatte es nicht.

Bea schob schüchtern Gemüsebrocken mit dem Löffel umher, da hielt Philipp seinen Löffel hoch. Agnes sah ihn von der Seite an. Ihr Stiefbruder war schmal und schlaksig, blonder Flaum kräuselte sich an seinem Kinn. Er sah seiner Mutter Susanne zwar ähnlich, hatte aber nicht deren kugelrunde Statur. Ein schweigsamer Jüngling war er, der auch jetzt nicht viele Worte machte, sondern den Arm zu seinem Halbbruder hinstreckte, der ihm auf seinem Hochstuhl gegenübersaß. Das passte zu diesem blassen Schwächling, dass er das Herz hergab. Der konnte nicht mal ein Huhn schlachten! Dabei war es doch lustig, zu sehen, wie das dumme Tier noch ohne Kopf im Kreis herumlief wie ein aufgezogener Kreisel! Ihr Vater lachte, als Johannes begriff, was Philipps Geste bedeutete und ein Strahlen sein Gesicht überzog.

Susanne ermahnte ihn, »Danke« zu sagen und sandte ein zufriedenes Lächeln zu ihrem Mann, das den Stolz auf die Genügsamkeit und Fürsorge ihres Erstgeborenen aus erster Ehe verdeutlichte. Im Gegensatz zu ihr, Agnes, mochte Philipp seine beiden Halbbrüder, vor allem Zacharias. Bereitwillig lernte Philipp den Jüngeren an, was dieser ihm mit freudiger Gefolgschaft dankte. Ihr jedoch waren die Jungen so verhasst wie Ohrwürmer. Desgleichen Vaters zweite Frau. Agnes vermied, mehr als nötig mit ihr zu reden. Viel zu bald nach Mutters Tod hatte Vater das viel jüngere Weib angeschleppt. Agnes sah sie vor sich, wie sie damals auf den Freihof gerollt war, die unwillkommene Witwe aus Schwetzingen mit ihrem blassen Dreikäsehoch Philipp. Drall und rund wie ein gelber Strohballen, mit einer Stimme wie daraus hervorstechende Strohhalme. Vierzehn Jahre war das her, Philipp inzwischen ein Jüngling. Zwei weitere Söhne hatte Susanne dem Zentgrafen geboren: Zacharias, er war im Januar zwölf geworden und musste somit in diesem Jahr den Kuhhirten auf die Wiesen begleiten, wobei ihr Vater darauf bestand, dass er diesen Dienst auf dem väterlichen Hof versah und nicht, wie üblich, sich bei anderen verdingte. Und klein Johannes, den der Vater der Einfachheit halber nach sich selbst benannt hatte, weil es ihm zu mühsam war, ständig Namen für Kinder auszusuchen, die dann ohnehin starben. Fünf seiner Jungen hatten es nicht geschafft, das Säuglingsalter zu überleben, davon war nur eines die Frucht seiner zweiten Frau. Diese fuchsschlaue Person, die behauptete, sie würde nur Söhne gebären. Niemals nannte Agnes sie Stiefmutter, da auch darin das Wort Mutter enthalten war. Mutter gab es nur eine … Mutter nicht daran denken!

»Konntest du schon etwas herausfinden in der Sache Baumann?«, fragte Georg, der die rechte Stirnseite des Tisches innehatte. Zwischen Agnes und ihm waren zwei Plätze leer, die Tafel des Zentgrafen war groß, zuweilen saßen Gäste, einer von Susannes Brüdern aus Schwetzingen etwa oder einer der Schöffen, mit am Tisch, manchmal auch der Zentbüttel, wenn der über Land unterwegs war.

Auch bei ihrem drei Jahre älteren Bruder Georg schlug die mütterliche Seite mehr durch. Seine Haare waren von dunklerem Braun als ihre eigenen, die honigfarbene Strähne auf der rechten Seite ließen sie jedoch heller aussehen. Er war groß und kräftig, an die wuchtige Gestalt ihres Vaters kam er allerdings nicht heran. Dass er trotz seiner Größe körperlich nicht auf der Höhe wirkte, lag an seiner Behinderung. Georgs rechtes Bein war von Geburt an kürzer als das linke, was ihm in seiner Kindheit den Spitznamen Scheeger eingetragen hatte.

Agnes spitzte die Ohren. Ob sie Friedgard erwähnten? Sobald man auch nur in die Nähe seines Namens kam, pochte ihr Herz wie verrückt. Menschen, Gegebenheiten, die sie mit ihm in Verbindung brachte – kam die Rede darauf, brannte sie lichterloh, sie bekam heiße Backen und spürte jedes Mal, wie sich ihre Gesichtshaut spannte. Ob man ihn aufgetrieben hatte?

»War am Nachmittag ein weiteres Mal bei ihm«, antwortete ihr Vater und biss von seinem Brot ab. Mit vollem Mund sprach er weiter: »Da war er endlich bei Bewusstsein. Sagt, dass er sich nicht recht entsinnen könne. Er glaubt, der Gaul sei gestrauchelt. Dann schwanden ihm die Sinne.« Er schluckte das Brot hinunter. »Einen stechenden Schmerz im Nacken will er noch gespürt haben. Er denkt, er sei überfallen worden.«

Agnes’ Herz raste als wolle es ihr aus der Brust springen. Um sich zu beruhigen, kaute sie auf Grünkernen herum bis diese in ihrem Mund zu einem dicken Brei geworden waren. Sie würgte ihn hinunter und dachte daran, was Elli ihr erzählt hatte. Ob ihrem Vater dies Gerede ebenfalls zu Ohren gekommen war? Sollte sie ihn darauf aufmerksam machen, die Rede auf die Heilmännin bringen?

Ihr Vater fuhr in brummigem Ton fort: »Der junge Herwart kam gerade als ich von Baumann fortging. Dem hab ich was erzählt! Bin noch mal mit ihm hoch, damit er die Aussage des Lehrers festhält. Würth, der Pfau, hat sich natürlich nicht darum gekümmert.« Ein verächtliches Schnauben folgte dieser Feststellung, dann ergänzte er: »Der Gaul jedenfalls hat einen nicht ernst zu nehmenden Kratzer am rechten Vorderfuß. Möglich, dass er wirklich strauchelte und Baumann abwarf.«

Also war er aufgetaucht. War bei seinem Freund. Wahrscheinlich jetzt noch …

»Ergen ist ein trittsicherer Hengst«, bemerkte Georg und sandte dem Vater über den Tisch hinweg einen zweifelnden Blick. »Das hast du bedacht, als du ihn Baumann liehst.«

»Dienstag ist Gerichtstag. Baumann wird den Fall zur Rüge bringen«, sagte ihr Vater und es klang, als wolle er nicht weiter darüber reden.

Georg schien es nicht zu hören. »Wurde ihm etwas gestohlen? Dann wird’s als Diebgeschrei ohnehin auf die Zent zu schreiben sein. Keiner der Dorfschöffen wird da anderer Meinung sein.«

Vater hatte Georg die Fuhrwerksgeschäfte übertragen, die er neben dem Freihof betrieb, dennoch nahm Georg an den Rechtsangelegenheiten Anteil und besuchte so oft er konnte sowohl das Rüggericht im Ort als auch das Zentgericht in Leimen, was ohnehin eines jeden Untertanen Pflicht war. Dienstag nach Georgi war der ungebotene Gerichtstag des Dorfgerichts. Alle Fälle, die dort verhandelt werden mussten, wurden an diesem Tag gerügt. Schwerere Vergehen schrieb man auf die Zent, sie konnten im Ortsgericht oder direkt in Leimen, wo das Zentgericht tagte, vorgebracht werden.

Georg fasste sich kurz an die Nasenspitze bevor er einen weiteren Löffel Suppe in den Mund schob.

Ihr Vater sah nicht von seinem Teller auf, als er seltsam tonlos antwortete: »Fehlen ihm nur ’n paar Kreuzer. Sind ihm vielleicht auch beim Sturz aus der Tasche gefallen.«

Georg nickte beifällig. »Sieht also ganz nach einem Unfall aus?«

»Unfall?!«, entfuhr es Agnes. Sie gab sich Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, wie aufgewühlt sie war, als sie ergänzte: »Im Ort wird anderes geredet.«

Georg sah sie an. Bedachte sie mit einem ruhigen Blick aus seinen braunen, goldgesprenkelten Augen. Als Kinder waren sie sich näher gewesen. Nach Mutters Tod hatten sie sich voneinander entfernt. Eigentlich war ihr Bruder ihr zu sittsam. Er trank nicht übermäßig, was zwar gut war, weil er so nicht herumpolterte wie Peter, aber er besuchte den Gottesdienst aus wahrer Überzeugung, wie sie annahm, und seine wenigen, aber guten Freunde waren langweilige, tugendhafte Burschen.

»Was wird geredet?«, fragte er.

Auch die anderen sahen zu ihr her.

Ihre Arme begannen zu kribbeln. Sie schluckte, dachte an Friedgard und an das Gesicht ihres Vaters, als er ihr gesagt hatte: »Kommt nicht in Frage! Ich werd den Teufel tun und mich mit Herwart freiwillig an einen Tisch setzten! Ich finde dir schon den Richtigen. Schlag dir den Tintenkleckser aus dem Kopf.«

»Man hört, die Heilmännin könnte etwas damit zu schaffen haben«, erklärte sie schließlich.

Georg gab ein ungläubiges Lachen von sich.

»Die Heilmännin?«, kiekste Susanne verwundert.

»Was ist das für ein Gerede, Tochter?«

Agnes schluckte. Wenn sie jetzt das mit Friedgard und der Eifersucht erwähnte, würde ihr Vater laut auflachen. Er würde es ihrer Eifersucht zuschreiben. Das durfte keinesfalls sein. Wie sollte sie es anfangen?

Sie zuckte die Schultern. »Hexenwerk«, sagte sie betont gleichgültig.

»Hexenwerk?«, entfuhr es Bea erschrocken.

»Man hört so allerlei«, stimmte Peter zu. Der grobschlächtige Großknecht mit seinen Glupschaugen und dem Stiernacken grinste widerlich.

Zahn fuhr gebieterisch mit dem Arm durch die Luft. »Schluss damit!«, befahl er. »Wir werden sehen, was bei der Rüge am Dienstag herauskommt. Wenn nötig, wird eine Voruntersuchung eingeleitet.« Er schob seinen Teller von sich, um zu zeigen, dass die Angelegenheit damit beendet sei.

»Du wirst die Untersuchung gewissenhaft vornehmen wie stets. Ich bin sicher, du wirst nichts Unbedachtes tun«, zwitscherte Susanne.

Dieses Weib umgarnte den Vater mit ihrer verheißungsvollen Helle und Agnes hätte reinschlagen mögen in ihr rundes Gesicht, es blau und grün machen.

Zahn nickte nur leichthin und hieb Zacharias die Hand auf die Schulter. »Wie gefiel dir dein erster Tag als Kuhhirte, mein Sohn?«

Zacharias war darauf nicht gefasst und verschluckte sich.

»Na na!«, machte ihr Vater und klein Johannes lachte laut und voll kindlicher Schadenfreude.

Er könne noch nicht viel sagen, sei ja erst der erste Tag gewesen, gab Zacharias zurück.

Vater und er sanken in eine Unterhaltung. Susanne suchte den kleinen Johannes zum Aufessen des letzten Löffels Suppe zu bewegen, Bea begann, den Tisch abzuräumen. Peter und Ingram Plattnase, wie sie den zweiten Knecht bei sich nannte, erhoben sich ebenfalls vom Tisch.

Agnes beschloss, heute Abend nicht mehr zu Baumann zu gehen. Wenn sie es darauf anlegte, würde es ihr zwar gelingen, Vater zu überzeugen, dass sie einen Krankenbesuch machte, auch wenn er ihre Absicht, vielleicht dort Friedgard zu begegnen, durchschauen würde. Doch womöglich war Friedgard zu dieser Stunde gar nicht mehr bei seinem Freund. Und was sollte sie allein bei Baumann? Sicher begegnete sie Friedgard morgen beim sonntäglichen Gottesdienst. Nach dem Kirchgang standen die Leute noch auf einen Schwatz beisammen. Vor der Kirche, auf dem Dorfplatz, beim Friedhof. Dann könnte sie ihn ansprechen. Über den Vorfall mit Baumann sprach man ohnehin. Das war ein guter, unverfänglicher Einstieg. Ihr wurde heiß bei der Vorstellung, wie seine schönen braunen Augen auf ihr ruhen würden. Ihr Herz zog sich zusammen. Mit dieser Sehnsucht wollte sie jetzt alleine sein. Und mit ihrem Jubel. Denn auch wenn ihr Vater die Unterhaltung über Hexenwerk abgebrochen hatte, war Agnes doch sicher, dass es in seinem Kopf arbeitete. Das hatte sie an seinem nachdenklichen Gesicht gesehen. Sie hatte es geschafft. Der Anfang war gemacht.

Beschützerin des Hauses (Neuauflage)

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