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Ein Dämon!

Oswin Gäßler stand wie vom Donner gerührt und starrte hinüber zur Weide. Ihm stockte der Atem. Äste, die in der Finsternis aussahen wie ein Haupt voll in Unordnung geratener Zöpfe. Die Fratze darin schnitt ihm Gesichter.

Gebannt starrte er auf die Schreckgestalt. Welch unheimliches Pfeifen, zum Henker!

Gäßler stemmte sich gegen den Wind, die Beine fest auf dem Grund gespreizt, drückte den Wanst nach vorn, kippte den gesamten Leib mit großer Gebärde nach hinten, als befestige er ihn an einem unsichtbaren Pflock. Die Hellebarde umklammerte er, als könne sie ihm Halt geben. Er setzte die Laterne ab und fasste nach dem Augspross des Rothirschs, den er als schützendes Amulett bei sich trug. Pfannenstiels Weib hatte ihm eigens ein Leinensäckchen in den Umhang genäht, damit er ihn darin verwahren konnte. Er berührte den rauen, gekrümmten Talisman, der ihm zudem helfen sollte, des nachts besser zu sehen. Aber gerade war er alles andere als scharf darauf, das Fratzengesicht so deutlich zu sehen. Schweiß brach ihm aus. Wind heulte. Und das Pfeifen. Sollte er nicht etwas unternehmen? Es war seine Aufgabe, die Dorfbewohner zu schützen. Doch die Gebärden der hässlichen Missgestalt lähmten ihn. Er rührte sich nicht. Hielt den Atem an. Setzte auf die Wirkkraft des Augsprosses.

Da verschwand die Wirrsal, begann, sich aufzulösen. Schwer atmete er aus.

»Zum Henker«, presste er hervor. »Ein Zerrbild.« Er nahm die Laterne wieder auf. Murmelte: »Nur die Weide, nur die Weide! Steht dort seit Menschengedenken.«

Erleichterung mischte sich unter die Angst. Aber seine Knie fühlten sich weich an. Er wandte sich der Schwopschen Mühle zu. Der Kraichbach plätscherte in der Dunkelheit. In der Mühle war noch alles still. Ein Luftstoß fuhr ihm in den Bart und lupfte ihn. Gäßler neigte den Kopf und strich das spinnwebflusige Gekitzel aus dem Gesicht. Er hob dadurch die Laterne mit an, die Kerze in ihrem Glasgehäuse flackerte, er selbst kam aus dem Gleichgewicht. Er umklammerte die Hellebarde mit Entschlossenheit, schwankte, brachte sich umständlich wieder ins Lot. Er spürte auch die Kälte wieder. Als hielte der Januar das Land noch immer in eisigen Klauen. Als sei’s nicht April. Das ging gewiss nicht mit rechten Dingen zu. Was man so hörte, waren’s Unholde, die für dieses widernatürliche Wetter verantwortlich waren. Sicher hatten die ihm auch den Dämon geschickt.

Gäßler langte vor der Mühle an. Er rammte die Hellebarde mit Wucht ins Erdreich neben sich, schluckte den Biergeschmack hinunter, spreizte die Beine fest auf dem Grund und blies schließlich fünfmal ins Horn. Mit dunklem Knurren hob er an:

»Hört ihr Leut und lasst euch sagen,

unsere Uhr hat fünf geschlagen.

Müller steh auf, bring’s Mühlrad zum Lauf!«

Gäßler wartete, bis aus dem steinernen Wohnhaus neben der Mühle schwächliches Flackern drang. Dann machte er kehrt und stapfte zurück zur Holzbrücke, über die er gekommen war. Noch einmal sah er zurück zu den Gärten. Schemen von Weide und Gestrüpp. Nichts sonst. Die Schimäre war verblasst, die Erinnerung an die Schmach nicht. Er setzte über die Brücke, folgte der Mühlgass, die leicht anstieg und sich gabelte. Der linke Arm führte in einem Schlenker zum Rathaus, von wo er seinen Rundgang begonnen hatte. Die Häuser, die sich dort Seite an Seite schmiegten, lagen noch im Dunkel. Gäßler wankte weiter, aber am liebsten hätte er sich wieder zurück in die warme Stube im Rathaus verfügt. Stattdessen folgte er dem rechten Zweig der Mühlgass hinauf zur Dorfstraß nach Reilingen. Es war der Weg, den er immer nahm, in Schlangenlinien torkelte er die Gasse hinauf.

Gäßler meinte von sich, dass er trotz Leibesfülle behutsam zu gehen vermochte wie eine Katze. Er folgte seiner Pflicht lautlos. Lärm machte er nur vorschriftsmäßig zur vollen Stunde. Hätte er gewusst, dass man seine Anmut eher mit jener von Offenlochs Ochse verglich, er hätte dem Verleumder einen Krug an den Kopf geworfen. Einen leeren, versteht sich. Bier zu verschwenden kam einer Sünde gleich.

So erreichte er die eng beieinander stehenden Holz- und Lehmfachwerkhäuser auf der Dorfstraß nach Reilingen, ging bis zum Ortsausgang. Alles ruhig. Um sich von dem Schrecken abzulenken, der ihm noch immer in den Knochen saß, stellte sich Gäßler die Betriebsamkeit vor, die am heutigen Georgstag herrschen würde. Die Hirten bezogen die Sommerweiden; möglich, es kam die ein oder andere Magd durch den Ort, wenn sie ihren Herrn wechselte. Auch sonst war allerhand Volk unterwegs. Hockenheims Grenzlage nahe des Rheins hinüber ins altgläubige Speyer sorgte für regen Verkehr. Der alte Ost-West Handelsweg von Heidelberg nach Speyer machte es zur wichtigen Zollstation. Durchreisende Händler und Kaufleute belebten der Wirte Geschäfte, sogar papistische Pilger zogen durch.

Gäßler machte kehrt. Nach einigen Schritten bog er rechts zum Dorfgrabenweg ab. Auch diese Gasse machte eine Biegung. Hier standen die Häuser nicht so eng beieinander. Zwischen manchen lagen freie Grundstücke, strauchbewachsen und dunkel. Gäßler blieb stehen und ließ seinen Ruf ertönen. Diesmal mit dem Zusatz:

»Die Nacht erlischt, heraus zur Tages Pflicht!«

Der Dorfgrabenweg ging in die Gemeindegasse über, rechter Hand, gegenüber vom Herwartschen Steinhaus, ragten auf dem Hausplatz der halben Hube die Grundpfeiler eines Neubaus in die Nacht. Hofmann, der Eigner, ließ ein Haus errichten. Gäßler durchschritt die Gasse. Bevor sie in den Heidelberger Weg mündete, säumte sie linkerhand den Dorfplatz. Er blieb stehen und auch hier vernahmen die erwachenden Bürger und Bauern, die Handwerker und Tagelöhner den Weckruf des Nachtwächters. Dann bog er rechts ab in den Heidelberger Weg, der am Zollhaus vorbei aus dem Dorf hinaus führte, schnurgerade nach Osten.

Gäßler hielt am Durchgang des brusthohen Dorfzaunes inne und äugte in die Nacht. Dort draußen lagen die Fluren und die Allmende, die in der Ferne begrenzt wurden vom Saum des Hardtwaldes. Da stockte ihm der Atem erneut. Es kam eine Gestalt herangeschritten. Scham und Angst durchfuhren ihn: Saß er wieder einer Täuschung auf, die ihm Gestalten vorgaukelte, wo es keine gab? Er beugte sich nach vorn, hielt die Laterne am ausgestreckten Arm auf Augenhöhe vor sich und spähte in die Nacht. Die Hellebarde umklammerte er mit festem Griff. Er kniff die Augen zusammen, das Kerzenlicht blendete. Er stellte die Laterne ab, um nach dem Augspross zu fassen, kippte hernach in gewohnter Weise den Leib mit großer Gebärde nach hinten und machte ihn auf gespreizten Beinen standfest. Dergestalt seiner Erscheinung den nötigen Respekt und obrigkeitliche Würde verleihend, sowie sich selbst den erforderlichen Mut durch das Berühren des Talismans, rüstete er sich für den Ruf »Wer da? Gebt Antwort, Kerl!«, als er die näherkommende Gestalt am Gang erkannte.

So wie sie ging keine. Sie schritt gemächlich einher, setzte mit Bedacht einen Fuß vor den anderen. Bei jedem Schritt wogte ihr der Arsch, dass sich Gäßler erinnert fühlte an das Schaukeln eines Kahns auf einem ruhigen See. Auch wenn man das Weib, wie jetzt, von vorne sah, wies das Pendeln auf das Prachtstück hin, zum Henker aber auch. »Die Heilmännin, die Krauthex«, murmelte er halblaut.

Und er sah sie im Geiste vor sich, sah die Rundungen ihres Leibs, das schmale Gesicht, noch immer schön, obwohl sie nicht mehr jung war. Weich, man mochte sich in sie betten – zum Henker, was ging ihm da durchs Hirn!

»Barbara Heilmann«, brummte er leise und machte kehrt. Als er an ihrem Haus vorüberkam, dem letzten am Heidelberger Weg vor dem Dorfzaun, schoss ihm ein Gedanke ins Hirn: Er hatte sie nicht hinaus gehen sehen. Wo ihm doch nichts auskam in der Nacht! Wahrscheinlich ist sie grad zum Schornstein raus wie all die Teufelsbuhlen, dachte er. Der Kiefer klappte ihm herunter. Er suchte zu fassen, was er da eben gedacht hatte. Holla! Anders konnte das gar nicht sein. Er hätte sie sonst doch sehen müssen. Und wer bleibt schon draußen in der Nacht, wo all das Gelichter vorkriecht, das Teufelszeug umgeht? Nur die, denen das nichts anhaben kann!

Überrascht vom eigenen Scharfsinn und verdutzt darüber, dass er das noch nicht früher erkannt hatte, fühlte er Stolz in sich aufkeimen. Was, wenn er recht hätte? Was, wenn sie wirklich mit dem Leibhaftigen im Bund war?

Als drücke ihm jemand die Spitze seiner Hellebarde ins Hinterteil, hastete Gäßler los und suchte seinen Rundgang eilends zu beenden. Er haspelte in der Dorfstraß nach Mannheim seine Sprüche nur noch nachlässig herunter. Rauschte zurück gen Ortsmitte, dass sich sein dunkler Wollumhang hinter ihm blähte wie die Schwingen eines dicken, fremdartigen Vogels.

Erhitzt und außer Atem in die Stube im Rathaus zurück. Er würde die Sache im Auge behalten. Mehr als das. Er würde sie dem Zentgrafen melden. Nicht vorstellbar, dass der dem keine Beachtung schenkte.

Beschützerin des Hauses (Neuauflage)

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