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Das Klopfen klang frisch und beherzt.

Barbara war im Begriff, zu ihrer Mutter in den Garten hinaus zu gehen. Sie stellte die Schale mit dem Saatgut zurück auf den Küchentisch und ging die Tür aufmachen.

Vor ihr stand der Königsmann, dem sie vor zwei Tagen begegnet war. Ehrerbietig zog er den Hut mit den weißen Federn darauf. »Ich komme ungelegen?«, fragte er höflich.

Barbara starrte ihn an.

»Verzeiht, wenn ich störe. Ich brauche einige Rezepturen aus Eurer heilkundigen Hand.« Seine schwarzen Augen blickten freundlich. Und Barbara bemerkte erneut, dass sie am unteren Lidrand schwarz geschminkt waren. Wollte er grimmig wirken? Wie die Osmanen, die sie auf Flugschriften gesehen hatte, mit ihren Krummsäbeln, den gewickelten Tüchern auf dem Kopf und ihren stechenden, schwarz umränderten Augen? Nur dass er nicht besonders grimmig aussah. Eher … kühn.

Der Mann räusperte sich und ergänzte: »Man hat Euch mir empfohlen.«

Er hielt den Hut in der Rechten und drehte mit der Linken daran. Dunkelbraunes Haar wellte sich locker einen fingerbreit über sein kantiges Kinn. Er lächelte bestätigend und dies Lächeln glitt über sein Gesicht, fächerte seitlich seiner Augen Fältchen auf, leicht wie die fein gefiederten Blättchen des Dill. Das sah so aufrichtig aus, auf eine Art so ebenmäßig und freundlich, dass sie einen Schritt zur Seite trat und ihn in die Küche ließ.

Der Mann blieb inmitten des Raumes stehen und erklärte: »Mein Name ist Winfried Kühn. Ich komme aus Reilingen.«

Jetzt kam sie ganz durcheinander. Hatte sie das Wort zuvor laut ausgesprochen? Der Fremde blickte um sich. Bemerkte die Tonschale auf dem Tisch mit den Säckchen Saatgut darin, die Bündel getrockneter Kräuter, die über dem Herd und entlang der Wand sowohl an Nägeln als auch an schmalen Ästen hingen.

»Ich werde bald eine Reise unternehmen und brauche Arzneien für unterwegs.«

Etwas an der Art, wie er den Hut auf dem Tisch ablegte und nebenbei durch die Federn strich, berührte sie plötzlich. Es war eine beiläufig zärtliche Geste und sofort hatte sie Leonhard vor Augen, der ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht schob. Es tat noch immer weh.

Schreihals stratzte durch die halb offene Hintertür herein, gefolgt von Katharina.

»Wo bleibst du denn mit dem Saatgut?«, fragte ihre Mutter und sah im selben Augenblick den Besucher. Der neigte grüßend den Kopf.

Sie musterte ihn. Als sie bei seinen dunkelbraunen Rindslederstiefeln angekommen war, gab sie mit einem zustimmenden Nicken kund, dass sie seine Erscheinung für gut befand.

»Ich will Heilkräuter kaufen«, erklärte er ihr.

»Was braucht Ihr?«, fragte Barbara.

»Gib mir mal die Schale«, sagte Katharina und wies auf die Tonschale.

Sie reichte ihrer Mutter das Gefäß.

»Denk dran, die Trinkschläuche zu füllen«, sagte Katharina.

»Ich komme ungelegen? Ihr wollt aufbrechen?«

»Aussaattag.« Katharina schmunzelte. »Gerste, Hafer … Aber wir haben keine Eile. Sucht Eure Kräuter nur in Ruhe zusammen. Komm Schreihals, wir geh’n den Karren beladen.« Katharina verschwand in den Garten. Schreihals stiefelte mit steif erhobenem Schwanz hinterher.

»Was wollt Ihr mitnehmen auf Eure Reise?«, fragte Barbara.

»Ich hoffte, Ihr könntet mir raten, was ich brauche. Stiche, Schürfwunden … was einem unterwegs gemeinhin so nützlich sein kann.«

»Reist Ihr weit?«

»Unsere Einheit bildet einen Teil des Geleits des Kurfürsten nach Dillenburg.«

»So«, machte sie nur, und erinnerte sich, dass Friedgard genau dies erzählt hatte. Sie trat vor den Herd und wählte aus den darüber hängenden Kräuterbündeln eines aus. Sie spürte seinen Blick im Rücken. »Gundelrebe bei Magengrimmen und Durchfall«, sagte sie, während sie sich zu ihm umwandte. Sie zeigte nach drüben zum Wandbord, ging hinüber und ergänzte: »Weidenrinde gegen Kopfweh. Längere Ritte schlagen manchen aufs Haupt. Ihr könnt es genau so mitnehmen, ich habe noch Vorrat.« Sie reichte ihm das Glasgefäß. »Ihr wisst, dass man die Rinden erst eine Weile kochen muss, bevor man’s trinkt?«

Der Königsmann nahm das Glas entgegen und nickte. Er hielt es auf Brusthöhe und das Braun des Glases verschmolz mit dem Haselbraun seines wildledernen Wamses, das er über dem weißleinenen Hemd trug. Seine linke Hand zupfte an den Bändeln, die das Leinentüchlein obenauf festhielten. Schließlich fragte er: »Habt Ihr auch etwas gegen Hautjucken?«

»Sauerampfer findet Ihr sicher unterwegs. Den nehmt Ihr frisch.«

»Ich brauch’s weniger für die Reise denn für meinen Sohn«, sagte der Königsmann. »Mein Jüngster kratzt sich seit dem Winter oft.«

»Wenns nicht die Nesselsucht ist, mag er einfach eine empfindliche Haut haben. Wie alt ist er?«

»Zehn.«

»In dem Alter sind sie empfindlich. Sie wachsen. Euer Weib soll ihm Hautwaschungen mit Sauerampfer machen.«

Etwas an ihrer Antwort veränderte ihn. Der Königsmann blickte vom Gefäß in seiner Hand zu ihr und wieder auf das Gläschen. Ein Augenblick des Schweigens, bevor er ihr wieder ins Gesicht sah und erwiderte: »Das macht meine Schwester bereits. Ich … meine Frau lebt nicht mehr.«

»Oh«, machte Barbara. »Tut mir leid, ich wusste nicht …« Sie fuhr sich mit dem Handrücken unter der Nase lang.

»Konntet Ihr ja nicht wissen.«

Er holte Luft und lächelte sie an. Die Fächerfältchen seitlich seiner Augen kräuselten sich. »Der Gartenvorrat des Sauerampfers ist aufgebraucht, noch ist es zu früh im Jahr. Könnt Ihr zu etwas anderem raten?«

»Besorgt Ölbaumblätter beim Apotheker. Zerstoßt sie fein und bereitet ihm Umschläge.«

Der Königsmann nickte, blickte sie weiterhin unverwandt an. Dieser klare Blick verunsicherte sie. Wer blickte schon so frei heraus? Sie stemmte die Arme in die Seite. Eine Geste, die besagte »Sonst noch was?«. Er bemerkte es, wog das Glas in der Hand und fragte: »Geht es dem Verletzten von neulich besser?«

Hühnergackern drang von draußen herein und eine Amsel tönte plötzlich laut ihre Frühjahrsbotschaft in die Luft. Barbara sah zum Fenster, dann wieder ihn an, verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte: »Er kommt zu Kräften.«

»Das hat er sicher Euch zu danken. Kein Wunder, dass man Euch empfahl.«

Wieder dieses Wort. Sie glaubte nicht, dass man sie empfahl. Sie war ein Kräuterweib wie auch die Mine in Reilingen oder die graue Suse in Lußheim drüben. Im Gegensatz zu jenen allerdings mit einem Makel. Neugier war es doch, was einen zu ihr trieb. Nicht empfehlen. Wie sah eine aus, die Schuld trug am Tod von Mann und Kind? Sie war es leid. Sie spürte, wie alles in ihr durcheinanderwallte, Scham, Schuld, Trauer und Wut und … Hilflosigkeit. Sie wusste nicht, wohin sie blicken sollte, um sich nichts anmerken zu lassen. Denn tief verborgen in ihr gab es einen Raum des Schmerzes, dessen Tür sie stets gut verschlossen hielt. Doch der hier mit seinem schwarzen Blick, der näherte sich dieser Tür und drohte, sie aufzureißen, wenn er nicht aufhörte, sie so anzusehen. Sie schaffte es, eine gleichmütige Miene aufzusetzen. »So?«, machte sie.

Und warum nahm er nicht seine Kräuter und ging? Sie spürte seinen Blick auf sich, doch sie erwiderte ihn nicht. Sah zum Fenster hinaus und in das hellgrüne Gewirr im Haselbaum. Dort hockte die Amsel und sang unverdrossen.

»Nun …«, machte sie unbestimmt, »in Reilingen gibt es auch ein Kräuterweib.«

Wieder dieser freimütige Blick aus schwarzen Augen. Wohlwollen darin. Und Wärme. Sie sah weg und starrte auf die Kräuter neben des Königsmannes Hut auf dem Tisch.

»Ich war ohnehin in Hockenheim, da lag es nahe …«, sagte er leichthin und machte eine unbestimmte Geste mit der Hand, die darin endete, dass er das Glas auf dem Tisch abstellte.

Da kam ihr ein anderer Gedanke. »Kanntet Ihr den Verletzten?«, hörte sie sich fragen.

»Nein«, sagte der Königsmann überrascht. »Weshalb fragt Ihr?«

Barbara wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Es war eine Eingebung gewesen, sie hatte keine Ahnung wieso sie das gefragt hatte. Vielleicht, weil der Lehrer nebenher für Leute schrieb, die das nicht konnten und die ihn dafür bezahlten, einen Brief oder ein Schriftstück zu verfassen. Ansonsten jedoch war es unwahrscheinlich, dass Baumann Verbindung zu den Königsleuten hatte, niemand hatte viel mit ihnen zu tun. Die Königsleute waren ein althergebrachter Stand von Bauernkriegern, eine eingefleischte Sippe, ihr Zusammenhalt war wohlbekannt. Sie genossen Vorrechte bezüglich der Steuern und Abgaben, waren von landesherrlichen Steuern, die jeder Untertan leisten musste, befreit. Die einzige Steuer, die sie zahlen mussten, wurde von der gesamten Gemeinschaft eines Haufens, der zu einem bestimmen Haus gehörte, getragen.

Nein, dachte sie, das Gespräch auf den Verletzten zu bringen, war naheliegend. Man sprach über ein solches Geschehen. Zudem waren sie und der Königsmann sich dort begegnet. Andererseits: Was, wenn auch er herausfinden wollte, ob Baumann etwas zu ihr gesagt hatte? Wenn Zahn ihn geschickt hatte? Hatte Zahn Verbindung zu den Königsleuten?

»Es wird eine Untersuchung geben«, sagte sie und musterte den Fremden mit neuen Augen.

»Er ist überfallen worden?«

»So sieht es aus.«

»Kann er etwas zur Aufklärung beitragen?«

Sie zuckte die Schultern. Es konnte durchaus die Wahrheit sein, dass der Königsmann den Lehrer nicht kannte. Und dennoch konnte er auf Zahns Weisung bei ihr sein. Und der Kräuterkauf nur ein Vorwand. Sie rief sich in Erinnerung, was Baumann ihr gestern erzählt hatte, als sie seinen Verband wechselte: Er war in Heidelberg gewesen, um Bücher zu kaufen. Er hatte ihr gegenüber nicht einmal erwähnt, dass er den Umweg über St. Leon gemacht hatte. Solch vertrauliche Dinge besprach er nicht mit ihr und dass sie es wusste, behielt sie für sich. Womöglich hätte er es nicht gut gefunden, zu hören, dass Friedgard sein Geheimnis weitererzählt hatte. Alles, was sie auf ihre Fragen hin von ihm erfahren hatte, war, dass er meinte, überfallen worden zu sein.

»Ich bin kein Schöffe«, sagte sie achselzuckend.

Der Königsmann nickte. »Die Untersuchung wird es an den Tag bringen. Zunächst einmal muss der junge Mann genesen, und das scheint er dank Eurer Künste zu tun.«

Er besah das Allerlei auf dem Tisch, schien unschlüssig. Als sein nachtschwarzer Blick sie wieder traf, war er klar und entschlossen. Er sagte: »Ich wollte Euch noch etwas fragen.«

Sie wartete.

»In einigen Tagen ist Walpurgis. Endlich wieder ein Fest. Und Tanz. Würdet Ihr mich begleiten?«

»Was?« Sie war so überrascht … nein, damit hatte sie nun wahrlich nicht gerechnet. Kein Dorf der Kurpfalz würde es sich nehmen lassen, zum Tanz aufzuspielen, nachdem das Tanzen so viele Jahre verboten gewesen war. Aber selbst daran teilzunehmen, das war ihr nicht in den Sinn gekommen.

Der Königsmann bemerkte ihre Zurückhaltung. »Wo Ihr wollt. Auch in Reilingen wird auf dem Dorfplatz getanzt. Oder in Speyer.«

»Speyer?«

Er nickte. »Ich meine nur, falls Ihr nicht in Hockenheim …«

Er beendete den Satz nicht, machte eine vage Bewegung gen Westen, wo die Domstadt lag. Aber sie hatte es gehört. Und er wusste, dass sie es gehört hatte. In Hockenheim wurde über sie geredet und sie würde hier nicht unbeschwert vor aller Augen tanzen wollen. Sie hätte ihn anschreien mögen. Dass sie in ihrem trostvollen Wald sein wollte an diesem Tag, dass sie in Ruhe gelassen werden wollte und seine Rücksichtnahme nicht brauchte.

»Ich …«, begann sie stattdessen mit kratziger Stimme, räusperte sich und sagte: »Danke für das Angebot. Ich lehne ab.« Kühl klang das. Geradezu eisig. Sie hörte es selbst.

»Sicher?«, fragte er.

Sie neigte den Kopf, sah zu Boden.

»Es würde mir Freude machen und es wäre mir eine Ehre, Euch einen schönen Abend zu bereiten.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe zu tun.«

Er nahm ihre Ablehnung gefasst. Eine Frage, eine Antwort, er anerkannte ihre Entscheidung. Doch war sein Bedauern spürbar und er fasste es in den richtigen Ton, als er hinzufügte: »Schade.«

Barbara, froh, dass er nicht weiter in sie drang, nickte und sah ihn an. Er erwiderte ihren Blick. Sie las aufrichtiges Bedauern darin.

»Ich danke Euch, dass Ihr mir behilflich wart«, sagte er abschließend. »Nun möchte ich Euch nicht länger aufhalten, Ihr seid im Aufbruch begriffen. Was schulde ich Euch?«

Sie nannte ihm den Preis. Er zählte die Münzen auf den Tisch, packte seine Habseligkeiten. »Gott zum Gruß, Heilmännin.« Mit diesen Worten setzte er sich den Hut auf und ging.

Beschützerin des Hauses (Neuauflage)

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