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Raubkatzen sind für den Wanderer in der Wildnis nicht gefährlich, das hatte ich bereits geschrieben. Ich sollte aber hinzufügen, daß sie einem sehr wohl gefährlich werden können, wenn sie angeschossen sind und sich in die Enge getrieben fühlen. So wie der Panther, der mich plötzlich wild fauchend ansprang und mir mit seiner mächtigen Pranke einen bösen Schlag gegen die rechte Brust versetzte. Ich hatte mich gerade auf einen umgestürzten Baumstamm setzen wollen, um die Sonne zu genießen, denn der Wald wurde lichter und kündigte schon den Übergang vom Urwald zur Graslandschaft an. Leider hatte sich der Panther ausgerechnet hinter diesen Baumstamm vor den Gewehrsalven unseres Expeditionsleiters geflüchtet. Jener hatte sich schon vor ein paar Stunden von unserem Trupp gelöst, um mit zweien seiner Wute-Krieger das Raubtier zu jagen. Wir Zurückgebliebenen stapften unseren Weg weiter, hörten gelegentlich in der Ferne Schüsse und als wir dann eine Rast einlegten, passierte das Unglück.

Ich sah nur einen schwarzen Schatten, der auf mich zustürzte, roch den Atem des Todes, als die Bestie ihr Maul mit den messerscharfen Fangzähnen aufriß, spürte einen reißenden Schmerz auf meiner linken Brust und verlor dann kurz das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, lag das Tier von Wute-Speeren durchbohrt neben mir. Die beiden Missionsbrüder knieten an meiner Seite. Mein Boy Robert drängte sie beiseite. »Alles in Ordnung, Massa?« fragte er besorgt.

»Schon gut«, antwortete ich schwach. »Mir ist nichts passiert.« Dann packte mich Wut. »Wo ist dieser Sonntagsjäger?« schrie ich. »Ich bringe ihn eigenhändig um!« Ich wollte mich aufrichten, doch der stechende Schmerz in meiner Brust ließ mich zurücksinken.

»Schsch, Massa«, beruhigte mich mein Boy. »Sie sind schwer verletzt. Der Massa Führer ist noch nicht zurück. Ich werde mich jetzt um Ihre Wunde kümmern.« Es bereitete mir ein wohliges Gefühl, daß es jemanden in dieser Wildnis gab, der so besorgt um mein Wohlergehen war. Unserem Trupp blieb nichts anderes übrig, als an dieser Stelle das Nachtlager aufzuschlagen. Mein Boy Robert zerstampfte verschiedene Blätter, etwas Rinde und ein paar Wurzeln in einem Topf zu Brei. Dann spuckte er zweimal kräftig hinein, goß noch ein paar Tropfen Palmöl dazu und ging mit dem Topf nach draußen. Nach ein paar Minuten kehrte er zurück und begann meine Wunde zu säubern. Die Krallen der Bestie hatten mich schwer gezeichnet. Mein Boy wollte die selbstgebraute Paste auftragen.

»Robert!« Ich packte seine Hand. »Was ist das, was du mir da auf die Wunde schmieren willst? Was hast du draußen noch reingetan?«

»Das will der Massa gar nicht wissen«, entgegnete Robert bestimmt. »Das ist ein altes Mittel gegen böse Wunden. Es hat schon vielen geholfen.« Er trug die Paste auf. Was hätte ich tun sollen? Weitab vom Krankenhaus von Duala blieb mir keine andere Möglichkeit, als auf die Naturmedizin eines Primitiven zu vertrauen. Kaum war er fertig, betrat der ältere der beiden Missionsbrüder mein Zelt, Alois Kottbauer.

»Herr Frese«, sagte er und trat näher. »Ich habe da was für Sie, was Ihnen zumindest die Schmerzen erträglicher macht.« Er reichte mir eine Schachtel mit Opiumpastillen. Dankbar schluckte ich zwei. Mir fiel wieder ein, daß ich auch etwas Kokainpulver im Reisegepäck hatte. »Werden Sie nun nach Duala zurückkehren?«, fragte mich Kottbauer.

»Wozu?« entgegnete ich. »Wieder fünfzehn Tage durch den Dschungel? Wenn ich die Rückreise überleben sollte, kann ich genausogut weiter Richtung Jokó ziehen. Nein, wir müssen nach Jokó.«

»Sie müssen gar nichts. Wir können auch ohne Sie weiterziehen. Warum wollen Sie unbedingt nach Jokó?«

»Ich will sogar noch weiter«, erklärte ich und spürte, wie die Schmerzen allmählich nachließen. »Unser Ziel ist Sanseri-Tibati!«

Kottbauer pfiff durch die Zähne. »Sanseri, die neue Hauptstadt der Tibati. Da haben Sie sich aber etwas vorgenommen. Man hört so einiges über den Emir, nein, ich wollte mir ja angewöhnen, den einheimischen Ausdruck zu verwenden, also den Lamido von Tibati. Vor allem nicht viel Freundliches.« Kottbauer spielte darauf an, daß die Fulbe ihre Könige, die gleichzeitig geistliche Oberhäupter sind, nicht Emir, sondern Lamido nennen.

»Gerede.« Ich winkte ab. »Sanseri und der Lamido von Tibati sind mein Ziel, und das will ich so schnell wie möglich erreichen.«

»Wozu diese unchristliche Eile?« Kottbauer gab nicht auf, mich zur Rückkehr nach Duala zu bewegen. Er schwärmte mir vor, welches Elysium der modernen Medizin mich im Krankenhaus von Duala erwarten würde. »Kurieren Sie sich dort aus, und nächstes Jahr können Sie dann gemütlich nach Sanseri.«

»Nächstes Jahr, mein guter Kottbauer, ist es zu spät«, sagte ich, während ich merkte, daß das Opium seine Wirkung tat. Ich begann angenehm leicht zu schweben. Gott segne die moderne Medizin und ihre Medikamente. »Sie wissen vielleicht nicht, daß sich ein Handelsagent von Gaillard & Fils, einem großen französischen Handelshaus, auch auf dem Weg nach Tibati befindet. Wir wissen mit absoluter Sicherheit, daß er mit einer Expedition den Kongofluß hinaufgefahren ist und nun versucht, vom Landesinneren aus nach Sanseri-Tibati vorzustoßen. Hören Sie!« Ich versuchte mich aufzurichten, doch mein Kopf schwamm immer mehr und ich fiel auf mein Lager zurück. »Wir müssen vor dem Franzmann mit dem Lamido von Tibati handelseinig werden. Nicht auszudenken, wenn er uns zuvorkommt!«

»Oha!« Kottbauer zwirbelte seinen aschblonden Schnurrbart. »Da haben wir wohl ein Wettrennen durch die Wildnis vor uns.«

»Wir haben es nicht vor uns, wir stecken mittendrin.«

Da meine Kräfte nicht mehr für einen Fußmarsch ausreichten, mußte ich fortan in einer Hängematte, die meine Leute aus Bast hergestellt hatten und die an einer Bambusstange befestigt war, getragen werden. Das Schwanken meines Transportgeräts machte mich erst völlig seekrank, doch allmählich gewöhnte ich mich daran, denn es war noch das geringste Übel, mit dem ich zu kämpfen hatte. Fieber und Krämpfe schüttelten mich, nur die Schmerzen waren dank des Opiums und des Kokains halbwegs erträglich.

Unser teuer erworbener Expeditionsführer hatte es offenbar vorgezogen, im Dschungel verlorenzugehen. Er blieb mit den beiden Wute-Kriegern verschwunden. Nun war ich der Expeditionsleiter wider meinen Willen. Wir zogen durch das Hochland. In meinem Dämmerzustand nahm ich wenig wahr. Es ging bergauf und bergab. Wir wateten durch Flüsse und kleine Sümpfe, kamen in größere und kleinere Dörfer, wo wir von den Eingeborenen Lebensmittel kauften und Führer für die nächste Wegstrecke warben. Haine mit Bananen, Kakao, Öl- oder Weinpalmen zogen an uns vorbei. Tabakfelder, Mais und Hirse – selbst gebeutelt von Fieberanfällen konnte ich die unglaubliche Fruchtbarkeit des Landes wahrnehmen. Was für ein Jammer, daß ich nicht überall mit den Häuptlingen über Handelsbeziehungen verhandeln konnte. Und dann immer wieder schier endlose Flächen mit meterhohem Elefanten- oder Schilfgras, in denen nur mattrot- oder gelbblühende Indigopflanzen farbige Akzente setzten. Natürlich hatte ich längst bemerkt, daß wir nicht in Richtung Balinga zogen. Die Negerstadt mußte weiter südlich liegen, doch unsere Wute-Krieger meinten, sie würden eine Strecke kennen, die uns auch ohne den Umweg nach Balinga auf eine Karawanenstraße bringen würde.

Ich litt, fieberte und phantasierte, sah Elefanten, wo nur Antilopen weideten, fühlte Regen, wo nur ein Windhauch aufgekommen war, wollte mich vor der stechenden Sonne schützen, obwohl es aus Kübeln goß, dachte, Robert wolle mich ermorden, wenn er mir nur frisches Wasser zur Labung auf die Stirn träufelte. Ach mein herzensguter Boy Robert, wie sehr er mit mir litt!

Und dann sah ich plötzlich, als wir einen Bananenhain durchquerten, die feine Dame, die in einem eleganten Straßenkostüm, den Kopf mit einem englischen Strohhut bedeckt, am Wegesrand stand. Nun hat mich das Wundfieber endgültig verrückt gemacht, dachte ich bei mir und schloß die Augen für einen Moment. Du bist nicht in Bremen oder München beim Sonntagsspaziergang, rief ich mir ins Bewußtsein, mach die Augen wieder auf und sie wird weg sein. Ich öffnete die Augen, aber die Dame war noch da. Jetzt erst bemerkte ich, daß sie nur wie eine Europäerin gekleidet war, sie war eine schwarze Frau mittleren Alters. Kleid und Hut hatte sie wohl bei einem Haussa-Händler eingetauscht. Sie lächelte mich freundlich an, ihr fehlten fast alle unteren Zähne, die der oberen Zahnreihe waren spitz zugefeilt. Ich bin weder Ethnologe noch Rassekundler, doch aus ihrem langgliedrigen, schlanken Wuchs und dem recht hellen Braunton ihrer Haut schloß ich, daß sie eher zum Volk der Sudan- als der Bantuneger gehörte. Vielleicht hatten sich hier auch schon Haussa oder Fulbe mit den Ureinwohnern vermischt.

Nach langem Palaver, das unser Wute-Dolmetscher führte, stellte sich heraus, daß die Dame im nächsten Dorf das Amt des Häuptlings ausfüllte. Mir war in Afrika schon viel begegnet, aber noch nie eine Frau als Stammesoberhaupt. Das Dorf Ndjamele, das in einer sanften Hügellandschaft umringt von Feldern lag, war durch nichts befriedet oder gesichert. Es war kaum mehr als ein Häuflein von Gehöften in typischer Rundbauweise, zwischen denen muntere Kinder und Ziegen herumtollten. Eines dieser Gehöfte stand leer, es wurde uns als Nachtlager zugewiesen.

Vor langer Zeit, so erklärte uns die Frau Häuptling beim üppigen Nachtmahl, das aus Rindfleisch, Kochbananen, kräftigen Saucen mit viel Pfeffer, Hirsebrei und frischen Früchten bestand, sei dies das Gehöft ihres Bruders gewesen, wobei sie offen ließ, was »vor langer Zeit« bedeutete. Der Afrikaner besitzt bekanntlich keinerlei Zeitgefühl – was sich leider auch sehr negativ auf die Erziehung zur Pünktlichkeit niederschlägt. Also konnte »vor langer Zeit« gestern oder vor zwanzig Jahren bedeuten. Ihr Bruder sei Häuptling gewesen. Er hätte drei Frauen, neun Kinder und unzählige Rinder gehabt. Doch dann seien die Häscher des Lamido von Tibati gekommen und hätten viele Frauen und Kinder auf den Feldern oder beim Viehhüten überrascht, gefangengenommen und als Sklaven verschleppt. Auch der Häuptling, der sich heldenhaft gewehrt habe, sei versklavt worden. Daß viele Fulbe-Völker, die weite Regionen Afrikas beherrschen, seit langem regen Sklavenhandel treiben, wobei vor allem die viel dunkelhäutigeren Sudan- und Bantuneger ihre »Ware« sind, ist sattsam bekannt. Leider waren in der Vergangenheit viele europäische Händler Hauptabnehmer dieser »Ware«. Der schändliche Sklavenhandel wird hoffentlich endgültig vorbei sein, wenn die mohammedanischen Fulbe-Königreiche endlich von europäischen Mächten zur Raison gebracht werden.

Nachdem die Familie der Frau Häuptling also dieses erschütternde Schicksal ereilt hatte, wurde sie als älteste Schwester des Häuptlings zum neuen Sippenvorstand gewählt. Auf mein verwundertes Nachfragen, ob das denn so üblich sei, bekam ich nur die Anwort, man verstehe meine Frage nicht. Die Bewohner des Dorfes, die uns alle beim Mahl umringten und eifrig mitaßen, bekräftigten einzelne Aussagen ihrer Anführerin mit lautem Gemurmel oder Geseufze. Als die Verschleppung das Thema war, fingen einige alte Weiber zu kreischen und wehklagen an. Ich gebe hier nur die Quintessenz des langen Berichts wieder, denn je später der Abend wurde, und vor allem je mehr vergorener Palmwein durch die Kehlen geflossen war, desto dramatischere Einzelheiten flossen in die Erzählung ein. Im Schein des Feuers funkelten die Augen, die bunten Gewänder der Eingeborenen flirrten, die Stimmen überschlugen sich, unser Dolmetscher kam kaum noch mit dem Übersetzen nach. Nun, so schloß die Frau Häuptling endlich ihre Rede, lebten sie nicht nur in der Furcht vor ihren Nachbarn, die bekanntlich Kannibalen seien (was unsere Wute-Männer mit beifälligem Gemurmel bestätigten), sondern auch in der Furcht vor den fernen Fulbe-Fürsten, die immer weiter in ihr Land eindringen würden. Ja, man munkelte gar, die Kannibalen-Nachbarn seien bereits von den Fulbe unterworfen worden, was diesen Wilden, die im Prinzip kaum mehr als räudige Hunde seien, aber nur recht geschehe. Frau Häuptling überlegte sogar, ob man nicht den Schutz des mächtigen Königs von Fumban erflehen solle, denn gegen diesen König aus dem sagenhaften Reich im Norden seien selbst die Fulbe machtlos. Überflüssig zu erwähnen, daß dieser Abend mit dem üblichen Tanz und Gesang ausklang.

Ich war froh, ein sauberes Lager zu haben. Die Negerhütten im Hochland, das muß an dieser Stelle gesagt sein, sind entgegen unserer allgemeinen Ansicht durchaus sauber. Die Frauen kehren und putzen täglich mehrmals. Die Hochlandneger stehen augenscheinlich auf einer höheren Zivilisationsstufe als die Wald- und Küstenbewohner. Sie begnügen sich nicht mit einfachen Lendenschurzen, sondern legen Wert auf vollständige Bekleidung, meist kunterbunte Gewänder. Ihre Weiber laufen selten so unzüchtig unbekleidet herum, wie es in Duala oder im Wald gang und gäbe ist.

Vielleicht lag es an dem reichlichen Palmwein, doch in dieser Nacht schlief ich das erste Mal wieder ruhig und wachte nicht von Fieberkrämpfen gebeutelt auf. Trotzdem war ich noch nicht stark genug, wieder auf meinen zwei Beinen sicheren Schritts Richtung Jokó zu gehen. Die Wunde verheilte zusehends. Mittlerweile wußte ich auch, was die geheimnisvolle Substanz war, die Robert außer Kräutern, Rinde und Wurzeln in die Heilpaste mischte: Urin. Ich hatte ihn einmal gesehen, wie er in den Topf pinkelte und war mir ganz sicher, daß dies keine Fieberphantasmagorie gewesen war. Doch da die Medizin ihre Wirkung nicht verfehlte, tat ich, als hätte ich nichts gesehen.

Als sich unsere kleine Karawane am nächsten Tag bei strömendem Regen in Bewegung setzte, kam die Anführerin noch einmal zu mir gelaufen und warnte mich ausdrücklich vor dem Nachbarstamm, der schon zwei Dörfer weiter hinter den Hügeln hausen würde und dessen Heißhunger auf Menschenfleisch geradezu legendär sei. Doch wie nicht anders zu erwarten, landeten wir weder zwei Dörfer weiter noch sonst irgendwo in einem Kochtopf.

Das geschenkte Mädchen

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