Читать книгу Das geschenkte Mädchen - Martin Arz - Страница 7

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01 Damit hatte er nicht gerechnet. Gewiss, man konnte ihm alles Mögliche vorwerfen – Habgier, Gerissenheit, Besserwisserei zum Beispiel. All das hätte ihm sogar noch geschmeichelt. Aber eins hatte er sich noch nie vorhalten lassen müssen: Naivität. Nein, naiv war Sönke Westphal noch nie gewesen. Der allerletzte Funken Naivität, den er einmal in sich gehabt haben mochte, war spätestens bei seiner Rückkehr aus Kamerun erloschen. Dachte Westphal jedenfalls bis zu diesem Augenblick, in dem er langsam verblutete.

Er hätte damit rechnen müssen, verdammt noch mal. Vielleicht schon damals, als die junge Frau in seinen Laden gekommen war und ihm das Foto gezeigt hatte, das seine Habgier hatte aufflammen lassen. Leider hatte die junge Frau nichts als das Foto, also war seine Habgier schnell wieder erloschen. Doch als dann vor ein paar Wochen der Mann mit genau dem auf dem Foto abgebildeten Objekt zu ihm gekommen war, war Westphals Habgier geradezu explodiert, und er hatte alle Vorsicht über Bord geworfen.

Das hatte er nun davon.

Es war naiv von ihm gewesen, so hoch zu pokern. Er hätte wissen müssen, mit wem er sich einließ. Stattdessen hatte er sich in den letzten Tagen an dem klirrend kalten Januarwetter erfreut, seinen Stuhl an das Schaufenster gerückt, damit ihn die Strahlen der Wintersonne an der Nase kitzeln konnten, und hatte in Gedanken das viele Geld gezählt, das ihm so sicher schien. Er hatte sich großartig gefühlt, wie ein kleiner König, wie man sich halt so fühlte, wenn mal eben so ein paar Millionen ins Haus standen. Wenn dann ein junges Mädchen in seinen Laden gekommen war, um eines dieser Pseudo-Nkisis zu erstehen, hatte er aus lauter Übermut ein wenig geflirtet – zumindest, wenn es hübsch war. Aber waren nicht alle Mädchen hübsch, die bei ihm etwas kauften? Und es waren immer junge Mädchen, die scharf auf die Pseudo-Nkisis waren, jene im allgemeinen Sprachgebrauch als »Nagelfetisch« bezeichneten kleinen afrikanischen Holzfiguren, die Westphal von einem Großhändler in Belgien zu einem Spottpreis bezog und für das Zigfache verhökerte. Die Ware war gut, sauber gearbeitet, mit rostigen Nägeln bestückt (laut Vertrag mind. 13, max. 16 Stück) und sogar mit einem Hauch künstlicher Patina überzogen. Trotzdem Plunder und eigentlich weit unter seiner Würde. Er verkaufte die Dinger für neununddreißig Euro, und die jungen, hübschen, flirtbereiten Mädchen, die auf alles Afrikanische standen, weil Ethnoramsch momentan so hip war, gaben gern ihr Geld dafür aus.

Geld, auf das er im Moment noch angewiesen war. Denn die jungen Dinger hatten kaum ein Auge für die echten Schätze, die er in seiner Galerie für afrikanische Kunst anbot. Wertvolle Kultobjekte aus allen Regionen Afrikas, die er als Koryphäe für afrikanische Plastiken mit Kennerblick zusammengetragen hatte, um sie an Sammler zu verkaufen. Natürlich hatte er einen festen Stamm von sehr betuchten Sammlern, gelegentlich kamen sogar Kustoden von Völkerkundemuseen aus ganz Europa zu ihm, wenn er ein besonders rares Stück im Angebot hatte, er wurde von Auktionshäusern um Gutachten gebeten, doch es reichte einfach nie, um den Lebensstandard zu erreichen, den sich Westphal immer erträumt hatte.

Aber seit der Mann mit dem Objekt seiner Begierde kurz vor Weihnachten in seinen Laden gekommen war, schien das alles für Westphal Makulatur. Ihm war durchaus die Komik der Tatsache bewusst, dass es ausgerechnet die Ndjamele waren, die für seinen Wohlstand sorgen würden. Er hatte sich köstlich über diesen Treppenwitz des Lebens amüsiert, während er mit nagelfetischkaufenden Girlies flirtete und in seinen Träumen im Reichtum schwelgte.

Zu früh gefreut, dachte er sich bitter, während er beide Hände gegen seinen Bauch drückte, um das herausspritzende Blut zurückzuhalten. Der Mann mit dem Stilett hatte nur eine kurze, beinahe flüchtige Handbewegung gemacht. Die Klinge war in Westphals Unterleib gedrungen und ebenso schnell wieder herausgezogen worden, als tunke man ein Buttermesser in einen Topf weicher Margarine. Von wegen Sammler! Westphal hatte sich schon gewundert, als die beiden Männer seinen Laden betreten hatten, denn sie sahen gar nicht nach wohlhabenden Kunstinteressierten aus, auch wenn sie in teures Tuch gehüllt waren und sich gewählt auszudrücken wussten. Aber bei den jungen Leuten konnte man ja nie wissen. Vermutlich, so hatte Westphal gedacht, irgendwelche Berufserben oder Börsenyuppies, die mal ein paar Zigtausend für was Exotisches ausgeben wollten. Telefonisch hatten sie sich als Sammler ausgegeben, die am Erwerb einer sitzenden Ife-Figur aus Kupfer interessiert waren. Ein absolutes Museumsstück, schwer beschädigt zwar, aber zweifelsfrei frühes vierzehntes Jahrhundert. Eine Kostbarkeit, die Westphal für einen Spottpreis den ahnungslosen Erben eines jüngst verstorbenen Sammlers abgeluchst hatte. Eine Preziose, die es gerechtfertigt hatte, dass Westphal seinen Laden zugemacht und den Besuch ins Hinterzimmer gebeten hatte, wo er die Statue zur Begutachtung schon auf einem mit schwarzem Samt bedeckten kleinen Tisch hindekoriert hatte.

»Darf ich?«, hatte der kleinere der beiden Männer noch höflich gefragt, bevor er die Figur vorsichtig in seine Hände genommen und mit einem staunenden Zögern über das Gewicht der Plastik hochgehoben hatte – um sie besser betrachten zu können, wie Westphal zunächst noch gedacht hatte. Komisch, auch das hatte Westphal noch gedacht, dass die Herren ihre Handschuhe nicht ausziehen, andererseits auch klar, denn bei der Eiseskälte draußen … Doch der Mann hatte die Figur nur deshalb hochgehoben, um sie Westphal besser auf den Schädel schlagen zu können. Dann war alles sehr schnell gegangen. Westphal hatte gar keine Zeit gehabt, die Sternchen zu zählen, die vor seinen Augen irrlichterten. Die Männer hatten ihm auch nicht gegönnt, bewusstlos zu werden, sondern sofort klargemacht, in wessen Auftrag sie kamen, und warum man leider in Zukunft keinerlei Wert mehr auf die Geschäftsbeziehung zu ihm legen würde. Genauer gesagt, dass niemand mehr in Zukunft mit Westphal eine Geschäftsbeziehung haben werde. Sie hatten dabei leise und wohlakzentuiert gesprochen, ganz anders als die Typen, die in Fernsehkrimis immer die Drecksarbeit erledigten. Besonders der große jüngere Mann, der so schnell und urplötzlich seine Worte mit dem Stiletteinsatz unterstrich. Der kleinere hatte immer noch die Ife-Figur in den Händen, drehte und wendete sie, stets ein Glimmen der Bewunderung in den Augen.

»Bitte«, keuchte Westphal und löste eine Hand von seinem Bauch, weil er das Blut, das von der Platzwunde am Kopf in sein linkes Auge rann, wegwischen wollte. Da das Blut aber sofort stärker aus seinem Bauch schoss und dabei dem Stilettmann auf die hochglanzpolierten Schuhe tropfte, was der mit einem verärgerten Seufzer zur Kenntnis nahm, kniff Westphal lieber sein Auge zu und presste die Hand wieder auf den Bauch. »Nehmen Sie die Figur. Nehmen Sie sie! Ich schenke Sie Ihnen, sie ist mehr Geld wert, als Ihnen Ihre Auftraggeber zahlen! Nehmen Sie sie und gehen Sie, bitte!«

»Aber Herr Doktor«, sagte der Stilettmann mit süffisantem Lächeln. »Wollen Sie uns etwa bestechen?«

Doktor Sönke Westphal – auf seinen Titel hatte er stets enormen Wert gelegt, hatte er ihn sich doch hart mit einem schrecklichen Jahr der Feldforschung bei den Ndjamele erarbeitet, jenem wenig erforschten kleinen Volk im mittleren Hochland Kameruns. Nach einem Jahr der Entbehrungen, des Hausens in einem ehemaligen Ziegenstall (mehr hatten ihm die Dorfältesten nicht zugestanden) und der Demütigungen, denn die Ndjamele sahen in ihm eine Art Kuriosum, einen Freak, der ihnen zur Belustigung diente – ja, tatsächlich hatte sich Sönke Westphal damals der Eindruck aufgedrängt, dass man ihn erforschte und nicht umgekehrt –, war Westphal mit der festen Überzeugung zurückgekehrt, dass diese Primitivlinge es eigentlich gar nicht verdient hatten, durch seine Arbeit Einzug in die Wissenschaft zu halten. Dabei hatte er sich so bemüht, den Eingeborenen nicht mit der Arroganz des besserwissenden Europäers gegenüberzutreten. Gewiss, die Ndjamele waren längst oberflächlich christianisiert und in die Strukturen der modernen Welt eingegliedert, doch dass ein Weißer freiwillig in einem Ziegenstall hauste, ihnen in die Kochtöpfe guckte, ihnen im stümperhaften Französisch Löcher in den Bauch fragte, zu Dingen, die für sie ganz selbstverständlich waren und keinerlei Erklärung bedurften, und dass dieser Weiße bei ihren Festen auch noch wie ein aufgescheuchtes Huhn mit Fotoapparat und Tonbandgerät herumlief, das war für sie eindeutig das Verhalten eines geistig Minderbemittelten. So hatten sie ihn auch behandelt.

Nun klang das »Doktor«, dieser mühsam erlittene Titel, aus dem Mund des Mörders wie blanker Hohn.

»Nennen Sie es, wie Sie es wollen«, stöhnte Westphal. Allmählich schwanden ihm die Kräfte. Ich verblute, wenn ich nicht schnell zu einem Arzt komme, dachte er, also verpisst euch endlich, ich habe meine Lektion gelernt. »Nur, lassen Sie mich bitte endlich in Ruhe. Bitte!«

»Winseln steht Ihnen nicht«, antwortete der Stilettmann ungerührt. Dann wandte er sich an seinen Kompagnon. »Gefällt Ihnen die Figur wirklich?«

»Sehr!«, erwiderte der Kleine. »Sehen Sie die feinen Ziselierungen hier an den Beinen. Das soll wohl ein Hosenmuster darstellen. Und schauen Sie mal, wie fein und realistisch die Gesichtszüge gearbeitet sind. Man möchte nicht meinen, dass es sich dabei um eine afrikanische Plastik handelt, die sonst doch eher einen extrem expressiven Charakter haben.«

Sie siezen sich! Mein Gott, da stehen zwei brutale Mörder und reden sich mit Sie an, dachte Westphal. Ich verblute und die beiden Bestien siezen sich, diskutieren über die unbestreitbare Qualität einer Ife-Figur und das auch noch in politisch korrekter Ausdrucksweise. Hilfe! »Hilfe!«, röchelte er laut.

»Glauben Sie, dass Sie hier jemand hört?«, fragte der Stilettmann und ließ dabei seinen Blick nicht von der Gesichtspartie der Figur. »Sehen Sie nur diese Lippen«, fuhr er dann fort. »Also, ich würde an Ihrer Stelle das großzügige Angebot von Doktor Westphal annehmen und die Figur behalten.«

»Meinen Sie?«, sagte der Kleine. »Das könnte man als Diebstahl auslegen. Nein, so schwer es mir fällt, ich lasse sie hier. Da habe ich meine Prinzipien.«

Er stellte die Figur vorsichtig auf den Tisch zurück.

Höfliche Bestien, die sich siezen und Prinzipien haben, dachte Westphal und wunderte sich über seinen Galgenhumor. Gleich würde es mit ihm vorbei sein. Abgestochen wie eine Sau. Es war gar nicht so, wie er es sich immer vorgestellt hatte. Von wegen ein Film würde vor seinem inneren Auge ablaufen und ihm sein Leben im Schnelldurchlauf präsentieren, charmant moderiert von einem ätherischen Engel. Auch kein Tunnel aus Licht weit und breit. Keine Sphärenklänge, keine Himmelschöre, nichts als das Schweigen der beiden Männer und das schnelle »platsch platsch platsch«, das sein Blut machte, wenn es auf dem Linoleumboden auftraf. Aische, seine Zugehfrau – die eigentlich gar nicht Aische hieß, sondern Fetmeh, aber weil seine erste türkische Zugehfrau Aische geheißen hatte, hatte er auch deren Nachfolgerin immer so genannt, und es hatte sie nie gestört – würde sich morgen gar nicht über die Sauerei freuen.

Westphal fiel wieder die Frau ein, die ihn damals mit dem vergilbten Foto besucht hatte und seinen Rat als Fachmann wollte. So hatte der ganze Schlamassel angefangen. Er hatte ihr die Wahrheit gesagt, nachdem er sich sicher war, dass sie wirklich nur ein Foto und nichts weiter hatte. Die Frau, sie war eine rassige Schönheit, das fiel Westphal nun wieder ein, hatte ihm aufmerksam zugehört, sich ein wenig in seinem Laden umgeschaut und zielsicher eine prächtige Mutter-mit-Kind-Plastik der Ndjamele aus dem Regal genommen. Sie hatten ihn ja eigentlich nie wirklich verlassen, die Ndjamele. Denn bevor er von seiner Feldforschung zurück nach Hause gekehrt war, hatte er ihnen noch einige herrliche Figuren abgekauft, und all die Jahre immer wieder Arbeiten von ihnen bezogen, die sich gut an Sammler verkaufen ließen. Auch wenn er von den Ndjamele sonst nie etwas gehalten hatte, ihre Kunst hatte eine Qualität, die ihresgleichen suchte. Nein, hatte die rassige junge Frau damals zu ihm mit traurigem Lächeln gesagt, zweieinhalbtausend Euro, nein, das könne sie sich beim besten Willen nicht leisten. Er sah sie jetzt noch vor sich, die Frau mit ihren langen dunklen Locken, den leuchtenden braunen Augen und dem sinnlichen Mund, wie sie in ihrem leichten Sommerkleid, das ihre Figur äußerst vorteilhaft betonte, dastand und die Mutter-mit-Kind-Statue an ihren Busen drückte, als plötzlich alles ganz hell wurde. Starkes Gegenlicht umhüllte die Frau. Klasse Weib, dachte Westphal, wie macht sie den Trick mit dem Licht nur? So kommen ihre Kurven prächtig zur Geltung.

Die sinnlichen Lippen öffneten sich. »Komm«, hauchte sie verführerisch. »Komm mit mir.«

Nichts, was ich lieber täte, dachte sich Westphal, beachtete nicht mehr die Männer, die nun eine kleine Holzstatuette, die Westphal bei näherem Hinsehen sicher sehr bekannt vorgekommen wäre, in die Blutlache stellten, und trat in das Licht.

Das geschenkte Mädchen

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