Читать книгу PUZZLE - Mord am Kanal - Martin Berthold Heinrich Diebma - Страница 3
Erstes Buch: Charlotte
ОглавлениеProlog
Sie floh. Niemals zuvor hatte sie so etwas empfunden, so eine totale, umfassende, existentielle Angst. Es war die Angst vor dem Nichts, dem Ausgelöschtsein, dem Dunkel der unendlichen Nacht. Aus ihr schöpfte sie die geradezu übermenschliche Kraft, mit der es ihr gelang, sich von ihrem Peiniger loszureißen. Blindlings, richtungslos hastete sie durch das Dickicht. Eine aus ihrer Nachtruhe aufgescheuchte Krähe schwang sich mit einem ärgerlichen Krächzen in die kühle Luft empor. Zwischen den düsteren Wolken ließ sich das blasse Antlitz des Mondes sehen. In der Ferne irgendwo heulte ein Uhu. Sie hatte keine gute Stelle gewählt. Dichtes Gebüsch und die Zweige eng stehender Bäume wehrten sich gegen ihr Eindringen mit fauchenden Peitschenhieben. Fichtennadeln zerkratzten ihr Hände und Gesicht. Schließlich stolperte sie und fiel. Sie fühlte die widerliche Hand des Peinigers ihren Fußknöchel umklammern. Dann stürzte er sich auf sie, und ihr Herz schien stillzustehen. Noch einmal wehrte sie sich verzweifelt, schlug um sich, kratzte, biss. Dabei verhedderte sich ihre Hand in einem Metallband, das ihr Feind um den Hals trug. Als sie sich davon freizumachen versuchte, bekam sie etwas Festes zwischen die Finger. Aus einem Impuls heraus zerrte sie daran. Es gab nach. Sie verschloss es in ihrer Faust, als könnte darin eine letzte Rettung liegen wie von einem magischen Amulett. Dann trafen sie auf einmal überall schmerzhafte Schläge, Schläge wie von einer Keule, so hart, so grausam, eine wüste, wütende Kanonade, die ihren Widerstand zertrümmerte. Eine monströse Klinge blitzte eine Zehntelsekunde lang über ihrem geschundenen Körper im fahlen Mondlicht auf, ein rötliches Schimmern. Blut. Ihr Blut. Nein, nein, schrie sie. Oder dachte sie es nur? Konnte sie noch schreien? Jetzt erst begann ein grausam stechender Schmerz in Bauch und Brust zu wüten. So viel Schmerz ist Tod. Das spürte sie und spürte den Tod in ihre Glieder kriechen, den kalten, finsteren, den unwillkommenen Gast. War das das Ende? Ach nein, bitte nicht! Sie liebte das Leben so sehr. Sollte sie wirklich den Tag nicht wiedersehen? Sollte in einer solchen Nacht alles enden? Ach, lieber Gott, falls du dort irgendwo bist, bitte, bitte, bitte nicht!