Читать книгу PUZZLE - Mord am Kanal - Martin Berthold Heinrich Diebma - Страница 8

5 Diva

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Tim hatte auch in dieser Nacht wieder eher unerfreuliche Begegnungen. Anfangs ging's ihm noch gut. Er aß mit Charlotte und ihrer Mutter, die auf wundersame Wei­se ihr jugendliches Aussehen von dem Foto wiedererlangt hatte, zu Mittag wie in ei­ner heilen Familie. Dass sein eigener Va­ter mit am Tisch saß, verblüffte ihn überra­schend wenig. Beim Nachtisch kam Tim versehentlich auf Regina zu spre­chen. Er wollte die erfreuliche Mitteilung machen, dass er sie gesehen habe, lebend. Im Nu verfinsterte sich Vera Wil­helmsens Miene. Eine schaurige Meta­morphose ließ ihren Körper zucken wie in einem Gruselfilm. Verwandelt in die Alte vom Sonntagnachm­ittag, sah sie ihn jämmerlich und vorwurfsvoll zugleich an und fragte: »Regina! Wo ist ei­gentlich Regina? Sie haben sie zuletzt gesehen. Was haben Sie mit Regina ge­macht?«

»Du hast einen schweren Fehler begangen«, rügte sein Va­ter mit ernster Miene. Tim verteidigte sich, er sei unschul­dig. Doch die Worte kamen ihm nur schwer von den Lip­pen. Vergeblich rang er um die richtige Formulierung. Un­erbittlich sahen ihn die Alte und sein Vater an. Aber sein Vater war plötzlich gar nicht mehr sein Vater, son­dern ein Polizist, den Tim nie zuvor gesehen hatte. Zu allem Über­fluss ergriff auch noch Charlotte Partei gegen ihn, was ihn furchtbar kränkte. »Ich werde sie suchen gehen!«, versuch­te Tim sie schließlich zu beschwichtigen, aber dazu kam es nicht mehr, weil Tim bei diesen Worten erwachte. Wo war nur sein sonniges Gemüt ge­blieben?

Am Montagabend nach der Arbeit zog Tim eine Zwischen­bilanz: Die Leichenteile waren so gut wie einwandfrei iden­tifiziert, Regina so gut wie sicher tot, und er hatte so gut wie keine Spur. Der einzige brauchbare Hinweis, über den er noch verfügte, war der Anhänger. Der Anhänger! Den hatte er ja ganz vergessen Charlotte zu zei­gen. Dabei hatte er ihn doch in seiner Hosentasche dabeigehabt. Tim konnte das Ver­sehen gut verschmerzen, hatte er doch nun einen unverfänglichen Grund, um Char­lotte binnen kurzem einen erneuten Besuch abzustatten, was ihm, um es vorsichtig zu formulieren, nicht gerade ungelegen kam. Am Mittwochabend betrat er zum zweiten Mal das weiße Landhaus. Charlotte empfing ihn mit derselben Freundlich­keit und servierte wieder einen heißen Tee. Das passte gut, denn es war plötzlich sehr kalt geworden. »Na, wie stehen die Nachforschungen, Herr Detektiv?«, erkun­digte sie sich mit einem Lächeln, das ihre wunderbar weißen Zähne blitzen ließ, als er im Wohnzimmer Platz genommen hatte.

»Ich habe beim letzten Mal etwas Wichtiges vergessen«, kam Tim gleich zur Sache und brachte wie ein Zauberer aus seinem Zylinder den goldenen Kettenanhänger zum Vor­schein. »Hast du das Ding hier schon mal gesehen?«, fragte er, nachdem er ihn auf den Wohnzimmertisch gelegt hatte. Charlotte staunte nicht schlecht. Sie nahm das Schmuck­stück in die Hand, sah es sich von allen Seiten genau an und schüttelte schließlich zu Tims großer Enttäuschung den Kopf.

»Da steht zwar Regina drauf«, sagte sie wieder mit diesen Skepsis verratenden ge­senkten Brauen, »aber du kennst das ja: Nicht überall ist das drin, was draufsteht. Der stammt bestimmt nicht von ihr, ist auch gar nicht ihr Stil gewesen, so was. Wo­her hast du das?«

»Das Ding stammt aus der skelettierten Hand deiner Schwester. Sie hielt es wohl um­klammert, als sie starb, und es wurde mit dem Arm begraben.« Tim machte eine Pau­se, um nachzudenken. »Hm, das passt mir nun gar nicht ins Konzept. Ich dachte, es könnte vielleicht eine Spur sein, eine Spur zu demjenigen, der, aus welchem Grund auch im­mer, den Arm deiner Schwester, ähm –«

»Du meinst, zu ihrem Mörder«, sagte sie kaltschnäuzig. »Nennen wir die Dinge ru­hig beim Namen.«

»Oder ihrer Mörderin.«

»Oder ihren Mördern.«

»Ja. Und du bist dir ganz sicher, das Teil noch nie gesehen zu haben?«

»Ich kann mich wirklich nicht daran erinnern.«

»Deine Mutter?«

»Sie schläft. Ich möchte sie jetzt nicht wecken. Aber ich kann dir versichern: Wenn das Ding jemals in diesem Haus aufgetaucht wäre, wüsste ich darüber genauso gut Bescheid wie Mama. Glaub mir.«

Tim glaubte ihr – obwohl er ein sehr kritischer und pedanti­scher Mensch war, je­mand, der alles genauestens unter die Lupe nahm, ehe er mit Hilfe seines messer­scharfen Verstan­des seine Schlüsse zog. Gab es auch nur den geringsten Grund, Charlotte nicht zu vertrauen?

»Wenn das Ding dem Mörder gehörte, wie du hoffst, ist das ja auch kein Wunder, wenn ich es nicht kenne, oder?«

»Es sei denn –«, dachte Tim laut. Doch dann wechselte er rasch das Thema: »Was war Regina für ein Mensch? Habt ihr euch gut verstanden?«

»Oh ja«, versicherte Charlotte. »Regina war etwas Beson­deres. Sie stürmte ins Leben wie ein junges, ungestümes Fohlen. Alles interessierte sie. Sie liebte es, Eindrücke zu sammeln, Sinnes­eindrücke jeder Art. Alles Mögliche schrieb sie auf, was sie innerlich berührt hatte: der Anblick einer schönen Kathedrale, ein Rapsfeld im Frühling, ein Gemälde von Canaletto, eine Mücke beim Blutsaugen oder ein hoffnungslos betteln­der Penner in der Großstadt. Jede Erfahrung, ob gut oder böse, hatte für sie ihren Wert, der ihr Leben bereicherte wie ein Schatz, den es nicht zu verlieren galt. Sogar ihr Handbruch, erinnere ich mich, war für sie so ein Erlebnis, das sie in gewisser Hin­sicht als bereichernd empfand. In der Schule – sie war zwei Schuljahre über mir – ge­hörte sie in jedem Fach zu den Top Ten ihrer Klasse. Sie schrieb zwar nicht am lau­fenden Band Einsen, aber da sie alles irgendwie faszinierte, fiel ihr auch zu jedem Fach was ein, und sei es auch nur eine kluge Frage. Sie hat einfach zu jedem Thema ihren Senf dazu­gegeben, und das gab in jedem Fall 'ne gute mündliche Note. Das war dann schon die halbe Miete für ein gutes Zeugnis. Dass sie keine abgehobene Überfliegerin oder Intelligenzbestie war, machte sie dabei nur umso sym­pathischer. Alle mochten sie. Es fiel schwer, ihrem Charme nicht zu erliegen.«

»Auch den Jungs?«

»Ach, ihre zahllosen Verehrer! Das fand sie natürlich höl­lisch interessant, und es schmeichelte ihr. Ich glaube, es juckte sie ein bisschen in den Fingern, damit zu spie­len, ihre Ausstrahlung wie eine Hand in den Löwenkäfig zu ste­cken und zu sehen, was passiert. Sie empfand wohl eine ge­wisse Macht. Schließlich war sie kein hässli­ches Entlein. Du hast sie auf dem Foto gesehen.«

»War sie wirklich nicht«, erwiderte Tim sachlich. Du aber auch nicht, dachte er.

»Aber bei so was«, fuhr Charlotte fort, »wenn Gefühle in Aufruhr geraten, kann auch eine Queen wie Regina vom Thron gestürzt werden. Ich meine die Gefühle der Jungs, mit denen sie Umgang hatte. Davor schützen einen keine Käfigstäbe. Ich weiß nicht, ob sie sich der Gefahr richtig bewusst war, vielleicht übertreibe ich auch. Über Jungs hat sie mit mir gar nicht viel gesprochen. Ich war damals für das Thema noch zu klein und ... unerfahren. Jedenfalls hat sie keinen von denen so richtig rangelassen an sich. Den meisten hat sie irgendwann den Laufpass gegeben. Wenn einer auf sie stand, ich meine, richtig scharf war, machte er garantiert 'ne Bauchlandung. Vor al­lem, wenn er auf ein erotisches Abenteuer aus war. Wahrscheinlich, so schätze ich sie ein, verstand sie das erst mal gar nicht oder fand es voreilig, und dann zog sie die Reißleine. Sie hatte es ja nicht nötig, Typen bei Laune zu halten. Gar nichts hatte sie nötig, wenn es um Jungs ging. Wenn sie ausging, in Discos und so, zog sie sich zwar nicht gerade jungfräulich an, und wie sie sich so gab, hätte man es nicht erraten können, aber was sie eigentlich wollte, war: reden, sich austauschen über interessante Erfahrungen aus der bunten, weiten Welt, ge­meinsame Interessen entdecken wie vergrabene Schätze, gemeinsam staunen, in die Ferne schweifen, in Träumen schwelgen und auf Wolken dahinschweben. Das schwebte ihr von einer Freundschaft vor. Und sonst spielte sich nichts ab.«

»Eine Romantikerin.«

»Natürlich eine Romantikerin, eine hemmungslose! Wie sollte ihr früher Sex da nicht vorkommen wie gemeiner Verrat, wie eine Taktlosigkeit, Unflätigkeit, Rüpelhaftig­keit ...«

»Die klassische Unschuld vom Lande, hm?«

»Also, das wäre ein bisschen viel gesagt. Dazu passt nicht ihr Sinn für Macht und Spiel. Bestimmt entdeckte sie das Erotische so nach und nach. Ich glaube, es reizte sie schon, es kitzelte sie. Nur rangelassen hat sie, soweit ich weiß, kei­nen.«

»Aber sie hat dir ja nicht alles erzählt.«

»Umso weniger, je älter sie wurde. Bis sie verschwand.«

»Ihre letzten Wochen sind demnach von einer Art Geheim­nis umwölkt?«

»Möglich. Es gab in ihrem letzten Jahr vor dem ... vor dem Ende jedenfalls eine ganze Reihe von Jungs, mit denen sie vor der Schule rumknutschte oder die gelegentlich bei uns zu Gast waren. Offiziell geht's bei so was bekanntlich um gemeinsames Ler­nen für Klausuren, Haus­aufgaben­machen und so. Aber die meisten von den Typen waren mittelmäßig­e Pickel­gesichter, die mit Geschichten nervten, die keinen Men­schen auf der Welt interessierten, und denen Regina jeglichen Schneid abkaufte. Kei­ner hatte ihr For­mat. Keiner war, fand ich damals, ihrer so richtig würdig. Keiner passte zu ihr. Entweder hatte sie keinen Geschmack oder unwahr­scheinliches Pech. Das war mein Eindruck, der Eindruck einer Fünfzehnjährigen, muss man wohl ein­schränkend hinzu­fügen, die es übrigens reichlich ungebühr­lich fand, dass ihre Schwester sich so kurz nach dem Tod ihres Vaters in solche Affären stürzte. Aber vielleicht war das eben ihre Art, damit fertig­zuwerden, eine Art Über­sprungshandlung. Und vielleicht fehlte mir ganz einfach der Draht zu diesen Dingen. Jedenfalls wunderte ich mich, wie sie auf diese Typen reinfallen konnte. Wahr­scheinlich woll­te sie nur wieder ihre Erfahrungen machen.«

»Vielleicht war eine von diesen Erfahrungen tödlich?«

»Die Pickelgesichter waren 'n bisschen blöd und vielleicht auch 'n bisschen übergeil, aber das waren keine Killerty­pen!«

»Gab's keinen, der – sagen wir mal – etwas aus dem Rah­men fiel, dessen Gefühle et­was zu sehr, wie du es nennst, in Aufruhr gerieten?«

Sie dachte nach. »Doch, aus dem Rahmen fiel schon einer. Es war nämlich ein richtig süßer dabei, ein hübscher Ben­gel. Benjamin hieß er, glaub' ich, ja, und Benni wurde er genannt.«

»Und weiter?«

»Peemöller, Benjamin Peemöller«, kam die Antwort über­raschend schnell. »Konnte aus dem Nichts die herbsten Sprüche klopfen. Der erste von ihren Freunden, den so­gar ich mochte. Aber Regina hatte auf diesem Gebiet einfach kein Glück. Ihr war so viel in die Wiege gelegt: ihr Ausse­hen, ihr wacher Geist, ihre Aufge­schlossen­heit, ihr heiter-über­schwäng­liches Wesen, ihre Empfind­samkeit ... Aber mit dem Glück ist das so eine Sache, wie gesagt, es ist eine lau­nische Diva. Jedenfalls passten die beiden so gut zusammen wie 'n Elch und 'ne Wüsten­springmaus. Sie verband nichts. Sie war rasch im Rausch der Gefühle, er spröde und vor­sichtig. Sie war warmherzig, er kühl. Sie war impulsiv, er überlegt. Sie plauderte endlos, er warf in den Sprech­pausen einen geistreichen Satz ein. Glaubst du daran, dass Gegen­sätze sich anziehen, Tim?«

»Bei Magneten schon.«

»Bei Menschen.«

»Menschen zieht alles an, wenn nur ihre Einbildung groß genug ist.«

»Mit andern Worten, du hältst das für ausgemachten Blöd­sinn, und vermutlich hast du recht damit. Als Benni irgend­wann nicht mehr kam und von ihm auch nicht mehr die Rede war, wollte ich von ihr wissen, wieso. ›Der war doch so nett‹, sagte ich. ›Ach, das verstehst du nicht‹, meinte sie nur geknickt. ›Wir hatten einfach nicht die­selben Träume!‹«

»Würdest du sagen, sie hat den Tod deines Vaters besser verkraftet als du?«

»Auf jeden Fall. Du musst wissen, Emotionen waren bei Regina wie Vulkanausbrüc­he. Von extremer Heftig­keit war folglich auch ihre Trauer über Papas Tod.« Es rührte Tim und bereitete ihm eine kleine Freude, dass sie in seiner Ge­genwart von Mama und Papa sprach, als wären es auch für ihn enge Verwandte. »Sie wurde von Wein­krämpfen nur so geschüttelt, drei Wochen lang. Und als Mama am Grab vor Schmerz zusammen­brach, fehlte nicht viel und sie wäre ebenfalls unter Tränen in die Knie ge­gangen. Geheult haben wir ja alle wie die Schlosshunde, aber bei ihr ging es dann irgendwann wieder. Siehst du, ein Vulkan­ausbruch ist kurz und heftig, und wenn er vorbei ist, dann ist erst mal Ruhe. Dann kann Schritt für Schritt wieder zur Tagesordn­ung übergegangen werden. So war es bei meiner Schwester. Bei mir war der Schmerz eher wie eine schleichende Vergiftung, die noch Generationen später erbliche Schäden verursacht. Selbst als ich dir von Papas Unfall erzählte, kamen mir ja noch die Tränen. Naja, und Mama –«

»Dann bist du also der ruhigere Typ von euch beiden.«

»Ja, ich galt immer als still und aufmerksam, aufmerksam im Sinne von freundlich«, erläuterte sie mit dem Anflug ei­nes Lächelns, der perfekten Veranschau­lichung ihrer Worte.

»Nie neidisch auf sie gewesen?«, fragte er ein wenig provo­zierend, aber ohne eine Spur von Argwohn ahnen zu lassen. Trotzdem nahm Charlotte die Bemerkung per­sönlich. Ihr Lächeln erstarb förmlich auf ihren Lippen, und ihre Ant­wort zischte durch die Luft wie ein Arm­brustpfeil: »Auf Regina? Wir verstanden uns gut. Sagte ich das nicht?«

»Man kann ja trotzdem mal ein bisschen neidisch sein«, hakte Tim nach und setzte seine Sonntagsnachmittagsunschulds­miene auf, um allen Wind wieder aus den Se­geln zu nehmen, den er unbeab­sichtigt entfacht hatte.

»Vielleicht«, sagte sie kurz angebunden.

»Was hast du eigentlich nach dem Abitur gemacht?«, wech­selte Tim das Thema. Er suchte nach einem Weg, ihr zu si­gnalisieren, dass er keine bösartigen Absichten heg­te.

»Woher willst du wissen, dass ich Abitur habe?«

»Hab' ich mir so gedacht.«

»Dann kannst du dir den Rest bestimmt auch denken.«

»Denken und hellsehen sind bekanntlich zwei verschiedene Dinge.«

»Ich bin Juristin.«

»Na, wer hätte das gedacht!«, staunte Tim.

»Ich arbeite für eine Versicherung. Aber nur halbtags. We­gen Mama. Genau genom­men lebe ich gleich doppelt von Versicherungen.«

»Wieso?«

»Weil eine andere Versicherung damals bei Papas Tod ganz schön blechen musste. Lebens­versicherung, Schmerzensg­eld, da ist ganz schön was zusammen­gekommen. Papas Le­bensversicherung muss uns so lange eine Rente zahlen, bis die ganze Fami­lie ausgerottet ist. Aber wenn das Glück uns weiter so lacht wie bisher, kann das ja nicht mehr ewig dau­ern.« Wieder dieser bittere Sarkasmus, der einem die Kehle zu­schnüren konnte. »Ich hab' mal 'ne Sendung im Fernse­hen gesehen«, fuhr Charlotte fort, »zum Thema Pechfors­chung. Ehrlich, in England gibt es so genannte Pechfor­scher. Irgend so'n verrückter Wissen­schaftler hat die These aufgestellt, Pech sei keine Frage von Zufall, sondern von Geburt oder nenn' es meinetwegen Karma. Jedenfalls soll es bestimmte Personen geben, denen das Pech buchstäblich an den Fersen klebt. Zum Beweis hat man das Leben einer Frau untersucht, deren Familie innerhalb von ein oder zwei Jahren komplett ausgelöscht wurde, der schon zwei Häuser abge­brannt sind und bei der kein Mensch im Auto mitfah­ren möchte wegen der vielen Unfälle, deren Opfer sie ohne jede Mitschuld immer wieder wird. Ich finde das plau­sibel. Ich glaube daran, dass das Leben ungerecht ist. Und ich glaube definitiv nicht an die so genannte ausgleichende Ge­rechtigkeit.«

»Doch, die gibt es. Einmal wurde Bayern München am letzten Spieltag deutscher Meister, nachdem Werder Bre­men die ganze Saison über Tabellen­führer gewesen war. Die ganze Stadt blies Trübsal. Man hatte für den letzten Spieltag sogar schon Wimpel, Trikots und Schals herstellen lassen, auf die der Meistertitel gedruckt war – alles für die Katz'. Aber ein paar Jahre später war es genau umgekehrt. Da wurde Bayern nach souveräner Führung ebenfalls kurz vor Saisonende noch abgefangen und Bremen –«

»Fußball!«, beschwerte sich Charlotte spöttisch. »Männer!«

Tim begrub das Thema Fußball und fuhr fort: »Vielleicht trifft es am ehesten deine Theorie von der launischen Diva. Jenseits von Eden gibt es eben keine Garantie auf Glück.«

»Ja«, stimmte Charlotte zu, »das steht fest. Das Paradies ist hier nicht. Das ist weit, weit weg. Es krampft sich mir jedes Mal das Herz zusam­men, wenn ich Mama in diesem klapp­rigen, alten Schaukel­stuhl vorm Fenster sitzen und mit erlo­schenen Augen in die Ferne starren seh'. Manchmal sitzt sie stundenlang da, wippt hin und her und spricht kein einziges Wort.« Einen Moment lang schwiegen beide. Dann neigte sie sich zu ihm hinüber und bat mit einem gut gezielten Blick in seine Au­gen: »Darf ich die Stelle sehen, wo du sie gefunden hast, ich meine, ihren Arm?«

PUZZLE - Mord am Kanal

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