Читать книгу Halb Fiction - Martin Cordemann - Страница 4

Nehmt Abschied, denn der Tod ist nah

Оглавление

Ein beschissener Tag begann. Der Wecker klingelte nicht. Wozu auch? Ich war Freiberufler. Und es lief nicht eben berauschend. Euphemistisch formuliert. Machten wir uns nichts vor: Es lief beschissen! Und das schon seit einiger Zeit. Da kriegt ein Wecker nicht viel zu tun. Denn man musste ja nicht früh raus. Hatte keine Termine. War nicht darauf angewiesen, dringend eine Bahn zu bekommen, die einen von Haus a nach Stadt b zu Arbeitsplatz c brachte. Und das auch noch rechtzeitig. Ohne Verspätung. Mit der Bahn. Ja sicher!

Der Wecker schlief seinen gerechten Schlaf. Er ließ mich in Ruhe und ich ihn. So war das okay. Wir konnten beide damit leben. Ich drehte mich auf die Seite und warf einen Blick auf die Uhr.

8:07 strahlte mir in freudigem Rot entgegen. Viel zu früh für meinen Geschmack.

Nun fragt man sich wahrscheinlich, warum ich um diese Zeit wach war, wenn ich ja eh nicht aufzustehen brauchte? Weil ich gestern zu viel getrunken hatte und der Drang sich zu übergeben mich hatte wach werden lassen? Weil neben mir ein geiles junges Ding lag, das es dringend noch mal brauchte, bevor es zur Arbeit musste? Weil ich für mein Leben gern früh aufstand?

Nichts davon traf zu. Nein, es war völlig anders. Seit ich meinen Wecker nicht mehr behelligen musste, hatte sich Kollege Schicksal etwas Neues einfallen lassen, um mir früh morgens auf den Sack zu gehen: In den letzten Wochen wurde im Haus gearbeitet. Es war ein großes Haus. Mit vielen Möglichkeiten zum Arbeiten. Und arbeiten hieß nicht arbeiten, sondern schlicht und ergreifend: bohren! Mit einem Bohrer! Laut und durchdringend!

Interessanterweise bohrten die Leute meist nur zwischen 8 und 9 Uhr. Eigentlich auch nur so lange, bis ich aufgestanden war, weil ich eh nicht mehr einschlafen konnte. Dann schienen sie zu wissen, dass sie ihre Pflicht und Schuldigkeit getan hatten und widmeten sich der stillen Einzelarbeit.

Mich nervte das natürlich. Und genau genommen sollten die Arbeiten eigentlich schon seit Wochen fertig sein. Wir hatten alle einen Zettel bekommen. Darauf stand, wann die Bohrer uns besuchen würden. Und es gab einen Aushang, an dem die Termine für das ganze Haus bekannt gegeben wurden. Die Termine waren aber längst abgelaufen. Also warum zum Teufel bohrten diese Kerle noch?

Ich wusste es nicht und hievte mich aus dem Bett. Keine 10 Minuten später verstummte das Bohren. War ja klar!

Der Tag plätscherte ereignislos vorbei, so wie der davor und der danach. Das Leben zeigte sich von seiner langweiligsten Seite. Aber wenigstens kam keine Absage. Und ich hatte immerhin vor ein paar Monaten ein Manuskript an einen Verlag geschickt. Konnte schon fast ein halbes Jahr her sein. Das war eigentlich deren übliche Zeit, um das Bündel Seiten von einem Stapel im Keller zu nehmen, einen Vordruck dazu zu legen, der besagte, dass man das ganze nicht ins Verlagsprogramm quetschen konnte, aber Kopf hoch, das würde nicht heißen, dass sie es scheiße fänden, denn dafür hätten sie es ja erstmal lesen müssen, aber genau genommen fanden sie’s eigentlich doch scheiße, und zwar einzig und allein aus dem Grund, dass man es ihnen geschickt hatte, und machten wir uns mal nichts vor, wer es wirklich nötig hatte, wie all die talentlosen Pfeifen von denen sie täglich stapelweise Mist bekamen, ihnen etwas unaufgefordert zuzuschicken, der war doch eh nur eine arme Sau und wer auch nur halbwegs glaubte, er hätte auf diese Weise eine Chance, jemals veröffentlicht zu werden, der konnte einem doch nur leid tun, also packten sie den Vordruck zu dem ungelesenen Manuskript, steckten es in einen Umschlag und waren kein Stück dankbar dafür, dass ich eine dieser armen Säue war, die ihnen ihren überaus komplizierten und anspruchsvollen Job sicherten.

Wahrscheinlich würde es nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Mit der Absage!

Nicht mit dem Erfolg.

Denn, das musste man diesen stinkigen Kerlen in den Kellern der Verlagshäuser lassen: Unrecht hatten sie mit ihrer Meinung nicht. Es war hoffnungslos. Und etwas anderes anzunehmen war... ein verzweifelter Versuch, an eine Hoffnung zu glauben, die es nicht gab.

Dafür hatte ich zu viele Absagen.

Zu viele vorformulierte Schreiben.

Zu viele leere Worte.

Ich wusste, dass das alles nichts brachte. Da konnte ich genau so gut mit einem Manuskript in der Tasche herumlaufen, in der Hoffnung, erschossen oder überfahren oder von einem entlaufenen Elefanten zertrampelt zu werden, auf dass man dann mein Werk bei meinem toten Körper entdecken und ich posthum berühmt werden würde. Genau genommen war das sogar wahrscheinlicher!

Also warum machte ich es trotzdem? Aus Langeweile? Aus Gewohnheit? Aus... Hoffnung? Ich wusste es nicht. Ich hatte den Draht dazu verloren. Es war... ziemlich irrational. Ich hatte mir nie viel Gedanken darüber gemacht. Warum ich es noch tat. Aber... vielleicht war es wie mit dem im Lotto gewinnen. Wenn man nicht spielte, hatte man keine Chance dazu. Nur: wenn man spielte, erhöhte man seine Chancen auch nicht gerade signifikant!

Ich tat es also... weil ich es tat. Und das... eigentlich war das ziemlich traurig, wenn man mal darüber nachdachte. Jedes mal... jedes mal, wenn ich mich an den Rechner setzte und an einem meiner Bücher arbeitete... All das war vertane Zeit. Ich steckte meine Zeit in etwas, von dem ich wusste, dass es nichts bringen würde. Dass niemand außer mir sich damit auseinandersetzen würde. Gut, außer dem Typen im Keller, den es ärgerte, dass er das blöde Manuskript von Stapel a nach Stapel b tragen musste. Aber das war es auch schon. Und dafür betrieb ich einen viel zu großen Aufwand. Ich opferte hunderte von Stunden, nur damit sich ein Kerl im Keller über mich aufregte. Das hätte ich doch auch viel einfacher erreichen können. Dafür brauchte ich doch nur leere Blätter zu einem Manuskript zu heften. Oder altes Zeitungspapier.

Aber nein, ich saß tagelang am Rechner, feilte hier und da, dachte mir Plots aus, ließ mich von der Handlung treiben, ging in dieser von mir geschaffenen Welt auf... für nichts. Das war... traurig. Sehr traurig!

Aber was konnte ich machen? Das ganze aufgeben? Es auf sich beruhen lassen? Einen vernünftigen Beruf lernen? Eigentlich wäre das keine schlechte Idee gewesen. Im Nachhinein. Aber machten wir uns nichts vor, dafür war ich inzwischen zu alt. Und das in einem Land, in dem die Arbeitslosenzahlen durch die Decke gingen. Wenn ich mich früher dafür entschieden hätte...

Ich denke, das ist mein Hauptproblem: Ambitionen! So einfach ist das. Die Ambition, zu denken, ich wäre als Schreiberling gut genug, um davon leben zu können. Um veröffentlicht zu werden. Ich hätte das Zeug zu einem guten Schriftsteller. Ohne diese Ambitionen... was hätte ich da für ein ruhiges Leben haben können. Für ein unfrustriertes Leben! Hätte ich heute die Wahl zwischen dem was ich jetzt mache und einem langweiligen Bürojob ohne Verantwortung aber mit festen Arbeitszeiten... ich würde mich für den Bürojob entscheiden. Wenn ich zurückgehen könnte in der Zeit und eine Bankleere machen, ich würde es tun.

Aber da waren meine Ambitionen. Diese verschissenen Ambitionen. Die mir diese falschen Ideen eingeredet haben. Und niemand hat sie mir ausgeredet. Oder habe ich das nur verdrängt? In dem Alter hört man ja auch nicht auf andere Leute. Jedenfalls trieben mich diese Gedanken, möglicherweise ein guter Schriftsteller sein zu können, in ein Leben voller Frust und Enttäuschung. Das Studium abgebrochen, die falschen Freunde kennen gelernt, in die Werbung abgerutscht, dafür reicht mein „Talent“ immerhin noch, aber trotzdem mit den Ambitionen, eines Tages ein echter Schriftsteller zu sein... und das, obwohl man seine Manuskripte noch immer an die gesichtslosen Kerle im Keller schickt, die Herren der Stapel?

Offensichtlich kann man eine Menge verdrängen. Die Realität einfach ausschalten. Ignorieren. Sie nicht weiter wahrnehmen. Auch wenn man weiß dass die Windmühlen vor einem gewinnen werden.

Ich seufzte und schaltete den Fernseher aus. Es waren nur noch 7 Stunden bis zum nächsten Bohren. Und bis zum nächsten ereignislosen Tag. Das Leben war toll. Leider hatte ich keins!

Alkohol war eine Lösung.

Nein, natürlich war Alkohol keine Lösung. Außer, man musste einen Mord wie einen Autounfall unter Alkoholeinfluss aussehen lassen. Dann war es natürlich eine. Aber das war eine Situation, mit der man als Normalsterblicher relativ selten zu tun hatte. Nichtsdestotrotz half Alkohol. Zum Beispiel beim Vergessen. Oder Verdrängen. Man konnte ein wenig Abstand gewinnen von seinem eigenen trostlosen Schicksal. Das Problem war: ich wurde langsam zu alt. Selbst einen Kater steckte ich nicht mehr so leicht weg wie früher. Und selbst da hatte ich sie schon nie so leicht weggesteckt wie das jetzt klingt. Mit anderen Worten: Exzessives Saufen ließ mich anschließend ziemlich leiden. Und wenn man eh schon scheiße drauf ist, weil das Leben nicht ganz so läuft, wie man es sich bei der Befreiung aus der Schulsklaverei Anfang 20 gewünscht hat, dann ist ein ausgewachsener Kater das, was man am wenigsten braucht. Also gibt es andere Dinge, über die man mit der Zeit nachzudenken beginnt. Über die man sich intensive Gedanken macht. Die man langsam austüftelt. Bei denen man den besten, einfachsten, leichtesten Weg sucht. Selbstmord!

+ + +

Die Schuhe waren hin.

Konnte ich wegschmeißen.

Und der Teppich blutete voll.

Warum hatten die Leute kein Linoleum mehr?

Oder Fliesen?

Nein, es musste ja edelster Teppich sein.

Sogar im Bad!

Vollkommen bescheuert!

Ich sah mich um und überlegte, was ich tun konnte.

Halb Fiction

Подняться наверх