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Kommt überraschend in der Nacht

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Letztens gab es mal einen Grund zur Freude. Die Nachricht, dass man auch mit 32 an Darmkrebs sterben kann. Wenn man nicht frühzeitig untersucht wird und was dagegen tut. Ich war seit meiner Entlassung aus der Bundeswehr vor mehr als 10 Jahren nicht mehr beim Arzt. Das gibt einem doch Grund zur Hoffnung. Denn es ist genau das, worauf alle Leute warten, die keinen Bock mehr zu leben haben, aber auch keinen Selbstmord begehen wollen.

Gut, für alle anderen klingt das jetzt natürlich wieder krank und gemein und herzlos... aber so ist das halt. Es gibt eben Menschen, die nicht so sehr an ihrem Leben hängen. Und das sind garantiert die, die es ohne größere Krankheiten bis ins hohe Alter schaffen, während diejenigen, die unbedingt leben wollen und Spaß daran haben durch irgendeinen Mist wie Darmkrebs oder sowas dahingerafft werden. Das Leben ist halt nicht gerecht. Für keine der beiden Seiten!

Auch das ist ziemlich traurig. Diese intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Selbstmord. Diese Beschäftigung mit dem freiwilligen Dahinscheiden aus dem Leben. Und dem Suchen nach Möglichkeiten dafür. Denn wenn man mal darüber nachdachte, konnte ich mich doch gar nicht beklagen. Trotz allem Wirtschaftsabschwung und so ging es uns in Deutschland doch noch immer verteufelt gut, verglichen mit irgendwelchen Ländern unterhalb der Armutsgrenze in Afrika. Gut, die hatten das bessere Wetter, aber lassen wir das mal beiseite. Ich hatte keine Krankheit, die mich an das Bett, eine Beatmungsmaschine oder sonst einen Mist fesselte. Ich benötigte nicht jeden Tag einen Pfleger, der mich aufs Klo brachte und mir die Bettpfanne leerte. Ich hatte noch nicht einmal Schulden, die mich dazu trieben, Sexfilme meiner minderjährigen Kinder ins Internet zu stellen. Also eigentlich konnte ich mich nicht beklagen. Manche Leute hätten wahrscheinlich gejauchzt und gesungen, wenn sie in meiner Lage gewesen wären. Und trotzdem... irgendwie gab mir das alles nicht so viel. Irgendwie fehlte für mich der Spaß, weiterzumachen. Es fehlte die rechte Motivation.

Ansonsten plätscherten die Tage mal mehr mal weniger ereignislos dahin. Ich schrieb, aß, trank, schlief, sah Fernsehen. Eine der schlimmsten Sachen, wenn man nicht viel zu tun hat, ist nachmittags den Fernseher einzuschalten. Man zappte von einer Richtershow in die nächste und fragte sich, ob es tatsächlich irgendjemanden gab, der das für bahre Münze nahm? Die Juristen mochten ja echt sein, aber die Rechtsstreitenden waren die unterste Schublade von Laiendarstellern, die man wahrscheinlich in wenig langen und wenig teuren Genexperimenten gezüchtet hatte. Und schaltete man eine Stunde später wieder ein, waren aus den Richtershows die Beratershows geworden, aber die Laiendarsteller stammten aus demselben Genpool. Wenn sich Bekloppte im Fernsehen als Idioten outeten war das ja durchaus in Ordnung, dafür waren Talkshows ja da. Aber wenn es talentlose Laien waren, fehlte da doch jeglicher Reiz.

Ich checkte meine Mails. Nichts. Kein Job. Kein Auftrag. Kein Geld in Aussicht. Andere boten ihren Körper für Geld feil. Ich tat das mit meinem Geist. Oder mit meinem Talent, wenn man es so bezeichnen wollte. Ich hatte über vieles geschrieben. Autos, Fertighäuser, Tanzschulen, Handcremes, Kopfschmerzmittel und Pilze. Die, die man auf der Haut oder in der Vagina hatte, nicht die zum Essen. Ich war sowas wie ein Experte für Vaginalmykose, also Scheidenpilze. War immer ein gutes Thema auf Partys. Aber das schönste war, über die Pilze zu schreiben. Im Sommer. Zu Hause. Vor dem Rechner. Nur mit Shorts bekleidet. Man saß da und schrieb und schrieb... und irgendwann juckte es einen überall. Faszinierend.

Viele Leute scheinen anzunehmen, Werbung wäre ja sowas von kreativ. Kann sein. Aber was heißt denn dann bitte „kreativ“? Mit originell und neu kann das nicht viel zu tun haben. Denn originelle Sachen sind immer schlecht. Der Verbraucher will ja nicht überfordert werden. Oder soll nicht. Denken sich die Werbefuzzis. Und vielleicht haben sie ja auch Recht. Deshalb darf man alles machen... so lange es konventionell genug ist.

Ich kannte Leute aus der Branche, die zu einem Meeting, wo ein neues Mailing gestaltet werden sollte, mit den Mailings kamen, die sie oder ihr Gatte in der letzten Zeit zugeschickt bekommen hatten. Mailings sind das, was der normale Mensch als diese nervige Werbung bezeichnete, die man „morgen in Ihrem Briefkasten“ hat, wie es im Fernsehen so vollmundig angekündigt wurde, als würde sich irgendjemand darüber freuen. Wenn sich ein Unternehmen es leisten konnte, gab es zu dem nervigen Brief auch noch ein kleines Werbegeschenk. Damit der Brieföffner nicht gleich völlig sauer war. Ging es also darum, sich zu überlegen, was man in eine solche nervige Werbung hineinlegen konnte, kam dieser Jemand nicht mit neuen Ideen und es ging auch nicht wirklich darum, welche zu entwickeln, sondern nur darum, zu sehen, was von den Sachen, die ihr Mann so bekommen hatte, sich für unser Mailing eignen könnte. Vorausgesetzt, es war billig genug. So in etwa lief Werbung ab.

Eine andere Sache, die echte Kreativität forderte, waren die Headlines, die Schlagzeilen, die großen Überschriften – denn den Text darunter las sowieso keiner. Für diese Headlines gab es ein paar Wünsche, die zwar je nach Kunden leicht variierten, aber prinzipiell auf das gleiche hinauslaufen: die Headline sollte ansprechend aber nicht plump, witzig aber nicht zu lustig, intelligent aber nicht zu abgehoben, Aufmerksamkeit erweckend, pfiffig, anspruchsvoll aber nicht überfordernd, verkaufend aber nicht aufdringlich, auf den Punkt gebracht aber nicht platt, kurz aber bündig sein. Und nur drei Wörter lang!

Kein Wunder, dass es so wenig gute Werbung gab. Obwohl es dafür mehrere Gründe gibt. Eine ganze Reihe von Gründen sogar. Es ist das Zusammenspiel von verschiedenen – fatalen – Faktoren, die dazu führen dass die Werbung oft langweilig, unoriginell und altbacken daherkommt. Es liegt nicht allein am schlechten Texter. Obwohl das auch zuweilen vorkommen kann.

Für gewöhnlich funktioniert das ganze so: Man wird auf einen Job „gebrieft“, d.h. man erfährt, was man zu tun hat. Nehmen wir eine Anzeige. Oder... gehen wir noch einen Schritt weiter zurück...

Da ist der Kunde. Das Unternehmen. Die Firma. Die Stelle, die Werbung will. Die erwähnte Anzeige. Also sagt der Kunde der Agentur Bescheid, am besten mündlich am Telefon. Da spricht er mit dem Kundenberater. Der Kundenberater gibt dann dem Texter seine Interpretation des Gesprächs mit dem Kunden wieder, vorzugsweise in Form eines schriftlichen Briefings, in dem dann die wichtigen Punkte stehen. Oft genug aber auch nur mündlich, wobei nicht selten die Hälfte der Information a) falsch wiedergegeben, b) vergessen oder c) beides wird. Der Texter setzt sich dann mit dieser hervorragenden Arbeitsgrundlage hin und schreibt ein paar Überschriften zur Auswahl und den Fließtext, den eh keiner liest. Diese Tatsache hindert allerdings niemanden, weder den Kundenberater noch den Kunden selbst, daran so lange rum zu ändern, bis aus einem gut lesbaren Text reiner Mist geworden ist, aber das nur am Rande.

Der Texter gibt seine „kreative“ Arbeit dann an den Kundenberater. Und zwar so schnell wie möglich, weil es dringend ist und „der Job brennt“. Deshalb ist der Kundenberater ja auch noch Freitag kurz vor Dienstschluss zum Texter gekommen (obwohl der Job bei ihm bereits seit zwei Wochen auf dem Schreibtisch liegt) und der hat dann das ganze Wochenende durchgearbeitet. Also kommt ein Wochenendloser Texter am Montag in die Agentur und gibt seine Arbeit dem Kundenberater. Der liest sie aber erst am Freitag, weil er vorher keine Zeit hat oder es doch nicht so dringend war oder er es einfach gerne hat, dass Leute am Wochenende in der Agentur sind und für ihn arbeiten. Natürlich hat er auch einige Änderungen, die selbstredend dringend sind. Bevor das Zeugs überhaupt zum Kunden gegangen ist. Also lässt der Kundenberater das einfließen, was er glaubt dass der Kunde will. Die ganze Sache wird noch ein zweimal überarbeitet und geht dann zum Kunden. Der hat, welche Überraschung, natürlich auch wieder Änderungswünsche und wenn man ganz großes Pech hat, gibt es da auch noch einen Vorstand, dem der Kunde die Sachen vorstellen muss und der wiederum Änderungsvorschläge und, was das schlimmste ist, eigene Ideen hat. Das landet dann alles irgendwann wieder auf dem Tisch des Texters und statt einer witzigen Idee wie „Wie wär’s mit ner kleinen Nummer? Unsere Leasingangebote“ kommt etwas wie „Jetzt günstig leasen“ heraus. Aber immerhin drei Worte!

Ich war lange genug im Agenturwesen tätig, um genügend Gründe dafür kennen zu lernen, wie Werbung zustande kommt. Und ich hatte in dieser Zeit über eine ganze Menge Zeugs geschrieben. Leider nie über Antidepressiva. Schade, da hätte ich gerne mal Pröbchen gehabt.

Dabei war ich derzeit noch nicht mal deprimiert. Nur gelangweilt. Sehr gelangweilt! Die Art, wo man nichts mit seiner Zeit anzufangen weiß. Wo man überlegt, wie man die fiesen Stapelträger in den Kellern der Verlagshäuser ärgern konnte. Vielleicht, mit einem richtig dicken Manuskript. 500 Seiten. Nur jede 5. bedruckt. Aber schwer. Und teuer, was das Porto anging. Gab es keine billige Methode, sie zu nerven? Mir fiel keine ein. So weit war es also schon gekommen.

Ereignislosigkeit. Langeweile. Gähnende Leere. Nichts passierte. Niemand rief mich an. Niemand mailte mir. Niemand. Nichts. Was konnte ich tun?

Ich beschloss, ein wenig zu morden. Das war immer ein ganz guter Weg, sich zu entspannen. Man suchte sich seine Opfer aus, beobachtete ein bisschen... und schlug dann zu. Ausgesprochen befriedigend. Es half einem dabei, eine Art inneres Gleichgewicht zu behalten. Und nicht völlig auszuflippen. Solange man dabei nicht übertrieb war es ja kein Problem. Man musste einfach nur das richtige Maß halten. Genau wie beim Trinken. Zu viel war einfach nicht gut. Aber ein kleines bisschen entspannte doch ungemein. Und so war es auch bei mir mit dem Töten. Ich ging darin auf. Konnte alle Aggressionen herauslassen. Mich gehen lassen. Ohne Reue. Ohne Schuldgefühle. Einfach die Leute kalt machen, die mir auf den Keks gingen. Es war so einfach, ein wenig innere Ruhe zu finden. Ich bereitete mich vor. Alles was ich brauchte war da. Es konnte losgehen. Ich traf die letzten Vorbereitungen... fuhr den Rechner hoch, öffnete das Textverarbeitungsprogramm und legte los...

+ + +

Der Teppich war natürlich weiß.

Strahlend weiß.

Da kriegte man das Blut nie wieder raus!

Keine Chance.

Ruiniert!

Vollkommen wertlos.

Und meine Schuhe?

Das gleiche Spiel.

Da konnte man schrubben und reiben, half alles nichts.

Die waren hin.

Super!

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