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Er kommt zu Opa, Mutter, Kind

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Ich hatte ein ganz mieses Gefühl!

Animation eines Katers

Woran konnte das nur liegen? Hatte ich mich erkältet? Was Falsches gegessen? Ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt? Eine Alarmglocke ging in meinem Kopf. Nein, falsch! Korrektur: Es war keine Alarmglocke. Es war eine normale Glocke. Und sie ging nicht in meinem Kopf... aber ihre Auswirkungen dort waren trotzdem verheerend!

Teil 1: Aufwachen

Ein Kater war ein wenig so wie ein Urlaub im Club Robinson. Es gab feste Zeiten, verschiedene Freizeitaktivitäten, die einem angeboten wurden, die man aber meistens wenn sie kamen auch mitmachen musste. Die Animateure waren da sehr beharrlich. Und es war nicht so, dass man die Wahl hätte.

So gegen 6 Uhr 28 war Weckung. Das gehörte einfach dazu. Man war ja in Katerland, und da wurde schon etwas von einem gefordert. Von vielen hatte ich gehört, dass sie nach dem Saufen bis in die späten Nachmittagsstunden schliefen. Bei mir war das anders. Ich hatte da offensichtlich einen anderen Reiseveranstalter. Und der weckte mich zur frühstmöglichen Zeit.

Aber ich mochte keine Animateure. Diese zwangs-fröhlichen Gestalten, die einen zu „lustigen“ Dingen zwingen wollten, die selbst die Amerikaner im Krieg nicht anwenden würden. Ich hielt die Augen geschlossen. Ignorierte die Tatsache, dass ich wach war und dass ein stressiger Animateur ein volles Tagesprogramm für mich vorbereitet hatte. Das funktionierte inzwischen ganz gut. Irgendwann dämmerte ich dahin und der Animateur zog sich zurück. Das war ganz angenehm. Denn verkaterte Tage haben die Angewohnheit, sich mit schleichender Langsamkeit hinzuziehen. Und da war es gut, wenn man nicht schon um halb sieben damit anfing.

Teil 2: Trockenheit

Wenn man wach ist, stellt man oft fest, dass der Mund trocken ist. Was kann man da tun? Wie kann man dieses Spiel gewinnen? Aufstehen, in die Küche wanken, ein wenig Wasser trinken – und das immer in der Gefahr, dass das ohne Umleitung zu Teil 5 des Tagesprogramms führen kann? Oder versucht man lieber, das Spiel zu ignorieren und weiterzuschlafen, so lange es noch geht? Langsam döste ich wieder ein...

Teil 3: Wiederaufwachen

Das geht natürlich nur für eine bestimmte Zeit gut. So etwa bis neun. Dann ist alles verloren. Dann nützt auch das beharrlichste Ignorieren nichts mehr. Dann kam der Animateur zurück und brachte seine Freunde mit. Und ein quälender Tag begann.

Das Tagesprogramm war von Urlaub zu Urlaub unterschiedlich. Je nachdem, wozu der Animateur gerade in der Stimmung war. Es gab eine Bandbreite an Aktivitäten. Einige waren Pflicht, andere hingen von der Tagesform ab. Und, wie man sich vorbereitet hatte. Doping war z.B. möglich. Eine Kopfschmerztablette vor dem Schlafengehen konnte den Animateuren einen Strich durch einen Teil ihres Programms machen. Doch auch das funktionierte nicht immer.

Ich hatte also das zweite Aufwachen hinter mir und nun würde es ohne Frühstück direkt zur ersten Unterhaltungsstation in diesem besonderen Urlaub gehen...

Teil 4: Speichelfluss

Meist war die erste Übung der Speichelfluss. Hier war Konzentration gefragt. Ein Geduldsspiel, bei dem der Spieler gegen sich selbst antrat. Und das jede Menge Aufmerksamkeit erforderte.

Es begann oft ohne rechte Vorwarnung. Und ehe man sich’s versah war man plötzlich mitten im Spiel. Man lag da, versuchte einzuschlafen, auch wenn man wusste, dass einen der Animateur nicht lassen würde... und dann ging es plötzlich los. Speichel. Jede Menge Speichel. Er floss. In den Mund. Der Mund füllte sich rasend schnell.

Was tun?

Wer schon einmal dieses Spiel gespielt hat, kennt die Antwort.

Atmen!

Und ganz schnell schlucken.

Aber vorsichtig! Denn nur der kleinste Fehler konnte unangenehme Folgen haben.

Man lag also da und atmete und schluckte und konzentrierte sich. Schlafen war keine Option, man musste ganz genau aufpassen. Und der Speichel rann einem in den Mund, als wäre er das Schmelzwasser eines Gletschers, der aus den Tiefen des Gehirns abtropfte. Atmen, schlucken, atmen, schlucken, konzentrieren.

Wenn man erfolgreich war, gewann man das Spiel. Die Ströme versiegten und man konnte sich wieder etwas entspannen.

War man aber nicht erfolgreich, hatte das meist unangenehme Folgen. Dann waren Geschwindigkeit und Geschicklichkeit gefragt. Denn der Speichelfluss war eigentlich das Aufwärmtraining zum 5. Teil des Programms und verlor man das Spiel, begann automatisch das nächste, das sich über lange Strecken des Tages hinziehen konnte...

Teil 5: Kotzen

Es gibt verschiedene Vorboten dafür, dass diese Freizeitaktivität auf dem Programm steht. Einer davon ist der Speichelfluss. Wenn man in diesem Spiel versagt, hat man nur noch wenig Zeit zu reagieren. Meistens muss man so schnell es geht aufspringen, eine Hand vor den Mund pressen während sich dieser mit Mageninhalt füllt und so schnell es geht aufs Klo rennen, um sich am besten in den richtigen Ausguss zu übergeben. Es ist ein Geschicklichkeitsspiel, das gerade in dieser Phase vom Spieler verlangt, dass er sich mit seiner Umgebung gut auskennt und rasch auf Würgereize reagieren kann.

Der Vorteil bei diesem Spiel ist, dass man sich nach der ersten Runde meist ein wenig besser fühlt.

Der Nachteil besteht allerdings darin, dass es meist nicht bei einer Runde bleibt.

Zielsicherheit ist gefragt, wenn man über der Schüssel hängt. Oder wenn man gerade hereingestürmt kommt, weil man soeben beim Speichelfluss ausgeschieden ist.

Die erste Welle dieser Übung ist meist sehr gehaltvoll. Sie strömt mit ungeahnter Kraft hervor und hinterlässt einen schlechten Nachgeschmack. Alle folgenden Wellen sind weniger kraftvoll und kommen nicht mehr an Qualität und Quantität der Eröffnungsflut heran. Oftmals muss man gegen Ende des Spieles sogar stark herumwürgen und selbst diese Versuche fördern nur mehr die geschmacklich fragwürdige Magensäure hervor. Doch auch ein fehlender Inhalt bedeutet für den Animateur noch lange nicht, dass das Spiel schon zu ende ist!

Hinweis für Anfänger: Kotzen, Übergeben, Spucken, Speien, Göbeln hat dieser Tage, außer bei Bulimikern, keinen allzu hohen Stellenwert. Und es hinterlässt im Mund keinen allzu angenehmen Geschmack. Deshalb empfiehlt es sich, nach Beendigung einer Spielrunde in dieser Kategorie den Mund mit Wasser auszuspülen, oder noch besser, sich gleich die Zähne zu putzen. Dies kann allerdings auch ungewollt zu einer neuen Spielrunde führen...

Teil 6: Wachliegen

Diese Übung kann sich an Teil 4 anschließen, wenn dieser erfolgreich abgeschlossen wurde, oder sie kann sich mit Teil 5 abwechseln in dem ständigen Versuch, eines der beiden Spiele zu gewinnen... wobei man zwangsläufig kläglich scheitert. Ziel des Spiels ist es, wieder einzuschlafen, was jedoch völlig aussichtslos ist. Also liegt man da und tut so, als würde man es schaffen, einschlafen zu können. Das beeindruckt den Animateur aber wenig und so besteht die gesamte Beschäftigung darin, wach zu liegen. Wahrscheinlich nutzen die Animateure diese Zeit, um essen zu gehen... oder sich einen anzusaufen?!

Teil 7: Kopfschmerzen

Kopfschmerzen gehören eigentlich zum Pflichtprogramm, werden aber manchmal aus verschiedenen Gründen von der Reiseleitung weggelassen. Die Einnahme von Kopfschmerztabletten vor dem Zubettgehen oder nach dem Kotzen kann hier einen starken Einfluss auf die Art ausüben, in der diese Disziplin durchgeführt wird. In besonderen Fällen treten die Kopfschmerzen auch ohne weiteres Zutun einfach nicht auf. Es wurde nie geklärt, warum das so ist.

Teil 8: Dahindämmern

Damit verbringt man den Rest des Tages. Wenn man es geschafft hat, sich von dem wach liegen zu trennen und den weiten Weg vom Bett zur Couch vor dem Fernseher übersteht, ohne dass man verpflichtet wird, eine Runde Speichelfluss oder Kotzen zu spielen, lässt man sich dort nieder und dämmert dahin. Die ersten zwei Stunden sind dabei noch keine Hilfsmittel erlaubt. Dann zeigt der Animateur ein Einsehen und man kann sich aufsetzen und den Fernseher einschalten. Je nachdem, wen man dort sieht, kann es spontan zu einer Runde Kotzen kommen, aber für gewöhnlich hängt man den Rest des Tages dort herum und ist zu keinerlei anderer Aktivität fähig. Es sei denn, man hat nicht den Luxus, seinen Urlaub im Club Kater zu machen, sondern ist mit einem Freund verabredet, um ein IKEA-Regal aufzubauen...

Teil 9: Sonstiges

Manchmal läuft es nicht so, wie sich die Animateure das vorstellen. Man muss zur Arbeit gehen, ein IKEA-Regal aufbauen oder einem Freund beim Umzug helfen. Alles, was mit körperlicher Tätigkeit zu tun hat, ist letzten Endes gar nicht so schlecht. Dabei bewegt man sich, schwitzt, tut was, hat aber keine Zeit, über den Kater nachzudenken. So hat man die Gelegenheit, den Kater wegzuschwitzen und wegzuarbeiten.

Ein kleines Problem dabei stellen aber IKEA-Anleitungen dar. Die scheinen eh nicht als Hilfe für den Kunden konzipiert zu sein, sondern eher, um ihn von einem an sich logischen Aufbau auf eine falsche Fährte zu führen. Hinweise, wo oben oder unten ist, werden zu diesem Zweck völlig weggelassen und der Aufbauer darf sich mit Spekulationen und jeder Menge Umwege herumschlagen. Das wird durch einen Kater noch weiter ausgebaut. Hat man es mit dem beduselten Kopf und jeder Menge Gewalt endlich geschafft, das blöde Regal so weit hinzubekommen, dass man nur noch die beiden letzten Teile montieren muss, stellt man fest, dass man dank der flüssigen Zusammenarbeit von Bau“anleitung“ und Kater die Ober- mit der Seitenseite verwechselt hat und das ganze statt wie gewünscht von unten nach oben nun von links nach rechts aufgebaut hat. Klingt nicht so schwierig, würde sich aber katastrophal auf die Statik auswirken, da alle durchgehenden Bretter nun sinnlos von oben nach unten gehen, während die losen Zwischenstücke, auf denen das Regal eigentlich ruhen sollte, nun die Ablagen darstellen. Also bleibt einem nichts anderes übrig, als das Teil wieder auseinander zu nehmen, während die Animateure sich am Swimming Pool einen schönen Tag machen.

Teil 10: Beispiel

Mein Reisebüro hatte für mich das Standardprogramm gebucht. Inklusive Toilettenbuffet und Kopfschmerzen. Ein ziemlich zäher Tag. Die Animateure vergnügten sich mit mir nach allen Regeln der Kunst, während ich mich mal wieder ärgerte, wie sehr ich mich hatte gehen lassen. Denn auch wenn das Saufen hin und wieder durchaus den therapeutischen Effekt des Verdrängens unterstützte, waren die anschließenden Tage doch eigentlich immer verschenkt. Also ließ ich mich auf der Couch nieder und gab mich den Qualen der Animateure hin. Und sie waren wirklich gut bei der Sache.

Ich döste vor mich hin. Versuchte mich so wenig wie möglich zu bewegen. Starrte in die Gegend. Ließ die Gedanken schweifen. Oh Mann, was hatte ich gestern alles gesoffen. War ein harter Abend gewesen. Ne ganze Menge Zeugs hatte die Strecke zwischen meinem Mund und meinem Magen befahren. In beide Richtungen. An vieles konnte ich mich gar nicht erinnern. Das war etwas, das mir seit Jahren beim Saufen passierte. Manche Teile des Abends wurden nicht gespeichert. Filmriss. Gedächtnisverlust. Erinnerungslücken.

Tagsüber dachte ich zu viel nach. Ich brauchte für gewöhnlich eine Stunde, bevor ich einschlief. Irgendwie kriegte ich mein Gehirn nie so schnell runter gefahren. Es arbeitete und arbeitete. Vielleicht nutzte es ein Besäufnis, um selber mal abzuschalten. Um nicht alles zu speichern. Um einfach mal n bisschen Zeit Ruhe zu haben. Und so gab es kaum einen Abend mit viel Alkohol, an dem nicht die eine oder andere Szene fehlte.

So war es auch diesmal. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich nach Hause gekommen war. Alles, woran ich mich noch erinnern konnte, war, dass mir irgendwann ziemlich schlecht geworden war. Und das, was Hagen gesagt hatte...

+ + +

Das Rot des Blutes verschwamm vor meinen Augen.

Ich hatte keine Schwierigkeiten, Blut zu sehen.

Auch nicht als Sani beim Bund.

Das hatte ich immer ganz gut verkraftet.

Beim Nähen eines Fingers.

Wo ein Kollege rausgehen musste.

Weil ihm schlecht geworden war.

Mir machte das nichts aus.

Kein Problem.

Jetzt war das ein wenig anders.

Jetzt war es... persönlicher!

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