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Er kommt zu uns ganz wunderbar

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Selbstmord ist mit einigen Problemen verbunden. Eins davon ist Verantwortung. Es ist bei Selbstmord weniger das, was man sich selbst antut, als vielmehr das Leid, das man anderen damit zufügt. Die Eltern und Freunde finden so etwas oft nicht so toll. Fragen sich, was sie falsch gemacht haben, obwohl sie überhaupt nichts dafür können. Sie haben nichts falsch gemacht und auch keine „Schuld“ daran. Naja, jedenfalls in meinem Fall. Oft genug ist es einfach das Leben, das einen dazu treibt, nicht sie. Sie können nichts dafür.

Und trotzdem sind sie es, die am meisten darunter leiden. Das ist ein Punkt, den man dabei nie außer Acht lassen darf. Denn auch Freunde und Bekannte stürzt man unter Umständen in tiefe Trauer. Nur, weil sie nicht nachvollziehen können, dass man mit diesem Leben nichts anfangen kann. Dass man keinen Bock mehr darauf hat. Dass man lieber aussteigen möchte, anstatt sich Tag für Tag durch diesen Mist zu quälen.

Genau genommen... ist das auch etwas egoistisch. Nicht nur von meiner Seite aus. Auch von deren! Denn immerhin sind sie es ja, die nicht einsehen wollen, dass man selbst den Weg beschreitet, der für einen besser ist oder von dem man glaubt, dass es ein Ausweg wäre. Wenn sie dann darüber trauern ist das purer Egoismus, dass sie „einen Freund verloren haben“, dass man „sie alleine gelassen hat“, dass „sie mit diesem Schicksalsschlag fertig werden müssen“. Immer nur sie und was sie empfinden. Niemand denkt an den armen Selbstmörder, der das ganze ja wahrscheinlich nicht ganz ohne Grund gemacht hat. Könnte man jedenfalls so sehen. Es gibt immer zwei Seiten. Vielleicht sollte man sich auch mal diese vor Augen halten?!

Der andere wichtige Punkt ist aber das „Wie?“! Welchen Weg soll man nehmen? Wie soll man Selbstmord begehen. Auch hier spielt wieder die Verantwortung mit hinein. Sich vor einen Zug zu schmeißen ist einfach völlig verantwortungslos. Denn damit beendet man nicht nur sein eigenes Leben, sondern versaut auch das eines anderen. Und das kann ja wohl nicht der Sinn der Sache sein.

Wenn man von irgendwelchen Polizisten mit aufgeschlitzten Pulsadern in der Badewanne gefunden wird, dann ist das schon was anderes. Okay, denen macht das auch keinen Spaß und die finden das auch scheiße, aber die sind wenigstens für sowas ausgebildet... oder sollten es zumindest sein. Aber es ist nicht der Job eines Lokomotivführers, Selbstmörder zu überfahren! Das kann bestenfalls zu einem Hobby werden, aber auch das ist eher unwahrscheinlich. Und abgesehen davon stell ich mir das ganze auch ziemlich unangenehm vor. Auch vom Standpunkt des Selbstmörders.

Bleibt also die Frage, wie man diese Sache halbwegs schmerzfrei und so wenig unangenehm wie möglich geregelt kriegen kann. Und das ist eben der Punkt, wo es anfängt, schwierig zu werden.

Die schönsten Wege, sich umzubringen

Von einer Brücke springen... Tja, das hab ich noch nie so richtig verstanden. Das muss mehr was für Nichtschwimmer sein. Denn wenn man schwimmen kann, was hat man dann davon? Man landet im Wasser und fängt wahrscheinlich aus Instinkt an zu schwimmen. Oder wird man durch den Aufschlag betäubt und geht deshalb sofort unter? Ich weiß es nicht.

Alternativ kann man auch von einem Haus springen... Hier empfiehlt sich natürlich ein Hochhaus, da es, man kann es Anfängern nicht oft genug sagen, die Höhe ist, die in diesem Fall den Erfolg ausmacht. Die Höhe von der man springt, nicht allein die des Hauses. Wenn man im höchsten Haus der Welt nur aus dem ersten Stock springt bringt das auch nichts. Es klingt jetzt blöd, das zu erwähnen, aber da draußen gibt es genug Idioten, denen man manche Dinge nicht deutlich genug erklären kann! Aber... ich stelle mir auch das nicht so angenehm vor. Die ganze Sache ist außerdem mit mehreren Haken verbunden:

 die Überwindung beim Absprung,

 die Flugdauer bis man unten ist,

 die sicher schmerzhafte Landung.

Außerdem hab ich mal miterlebt, wie das einer gemacht hat. Obwohl ich den Sprung verpasst habe. War aber alles trotzdem nicht so nett. Und auch damit kann man ungewollten Zuschauern einen Teil ihres Lebens so richtig versauen. Also schließt sich diese Art des Selbstmords für mich aus. Es sollte etwas möglichst schmerzfreies sein.

Ertrinken... stelle ich mir ganz furchtbar vor. Lieber nicht!

Autoabgase... Das soll wirklich eine ganz angenehme Art sein. Aber ich hab n Cabrio. Und außerdem springt die Karre gerade dann nicht an, wenn man sie mal wirklich braucht. Kann ich als Methode also definitiv von meiner Liste streichen!

Mit Vollgas gegen einen Brückenpfeiler rasen... Klingt unangenehm und schmerzhaft. Außerdem sollte man ein Auto dafür benutzen (Probleme hierbei siehe „Autoabgase“).

Rattengift... Wo bekommt man sowas? Und wie wirkt es? Geht man dabei drauf? Krepiert man daran elendig? Wie lange dauert sowas? Zu viele unbeantwortete Fragen!

Erhängen... Wie macht man das eigentlich professionell? Also so, wie es sich gehört: dass man sich dabei das Genick bricht. Denn darauf kommt es doch beim Erhängen eigentlich an! Das Ersticken dabei ist doch eher was für die Laien, bei denen das mit dem Genick nicht geklappt hat. Alles sehr knifflig. Und wo soll man das Seil anbringen?

Ersticken... Mit einer Plastiktüte über dem Kopf? Nein danke! Das schließt sich genauso aus wie Ertrinken.

Harakiri... Erfordert zu viel Übung! Immerhin lernen die das doch vorher. Die, die das beruflich machen. Oder nicht? Damit sie wissen, wo sie hin stechen müssen, damit der rituelle Selbstmord auch richtig gut aussieht. Vielleicht gibt es Volkshochschulkurse, um die Kunst des Harakiri zu lernen? Nein, das ist alles viel zu anstrengend. Dann doch lieber...

Kamikaze... Mit einem kleinen Bomber auf ein Kriegsschiff knallen. Das wär ja noch was. Aber wo kriegt man heutzutage noch diese Flugzeuge her?

Verhungern... galt noch nicht als wirkliche Selbstmordmethode und zog sich für meinen Geschmack auch zu lange hin.

Sich überfressen... klang ja ganz gut, war aber praktisch wahrscheinlich schwierig anzustellen. Sollte man aber im Gedächtnis behalten.

Einen Föhn in die Badewanne werfen... scheiterte daran, dass ich keinen Föhn besaß. Okay, dasselbe Ergebnis ließ sich auch mit jedem beliebigen anderen elektrischen Gerät erreichen, von der elektrischen Zahnbürste (bitte keine Batteriebetriebene verwenden!) über den Rasierer bis hin zum Fernseher, obgleich das sicher einiger Anstrengungen bedurfte. Prinzipiell sagte mir der Gedanke, auf diese Weise dahin zu gehen aber auch nicht zu.

Verbrennen... Sich mit Benzin übergießen und sich einen flambierten Selbstmord gönnen? Es ging doch darum, eine möglichst schmerzfreie Art zu finden und das hier gehörte ganz sicher nicht dazu. Und außerdem, bei den heutigen Spritpreisen!

Sich eine Kugel in den Kopf jagen... Ein beliebtes Motiv bei Selbstmördern. Doch es wirft eine Frage auf: Hält man sich die Kanone an den Kopf oder stopft man sie sich in den Mund? Einigen Geschichten zufolge kann die Kugel, wenn man sich die Waffe nur gegen die Schläfe drückt, abprallen, eine Rundfahrt ums Gehirn machen und wieder austreten, ohne dass man angemessen tot ist. Was dann meist auch den Nachteil hat, dass man große Teile seiner geistigen Kapazität verliert. Also die Knarre, ganz gleich ob Pistole oder Schrotflinte, schön in den Mund stecken, um den Cobain-Effekt zu erzielen. Das ganze bringt uns aber in unserem Land, in dem man selbst als Amokläufer mit Waffenschein erst ab 18 eine Waffe kaufen darf, zu der Frage, woher man die nötige Kanone kriegt!

Schlaftabletten... Ich weiß nicht. Das Prinzip wäre ja nicht verkehrt, dass man einschläft und nicht wieder aufwacht. Aber wenn ich das richtig verstanden habe, ist das dabei doch eher so wie bei einer Überdosis, oder? Und der gute John Belushi ist zwar an einer solchen gestorben, aber das gestaltete sich derart, dass er an seinem eigenen Erbrochenen erstickt ist. Und das ist wirklich eklig! Wer möchte denn freiwillig an seiner eigenen Kotze draufgehen? Also ich verzichte!

Pulsadern öffnen... Ich muss gestehen, das ist die Art, mit der ich derzeit liebäugele. N bisschen was trinken, dass man einen im Kahn hat. Dann in das heiße Badewasser steigen. Die Arme aufweichen. Mit etwas möglichst scharfem die Pulsadern öffnen, in der Hoffnung, dass die Mischung aus Alkohol und heißem Wasser den Schmerz etwas betäubt. Die Pulsadern öffnen... aber bitte nicht quer, wenn man es ernst meint, sondern schön längs! Wer sich quer die Adern öffnet will nur Aufmerksamkeit, will nur gerettet werden. Und wir sprechen hier doch nicht von verzweifelten Hilfeschreien, sondern von einem verzweifelten Ausweg. Die ganze Sache soll doch zu einem Ende führen und nichts anderes.

Und man kann es so gestalten, dass außer der Polizei niemand betroffen ist, keine Unbeteiligten, keine Lokführer, keine unschuldigen Passagiere. Denn das macht man nicht! Man zieht niemanden sonst mit hinein - und man reißt verdammtnochmal niemand anderen mit in den Tod, nur weil man zu der Entscheidung gekommen ist, dass man selbst nicht mehr leben will. DAS TUT MAN NICHT! Denn das macht einen nicht zum Selbstmörder, sondern schlicht zum Arschloch. Also wenn man sich dazu entschlossen hat, den letzten Weg zu gehen, einfach einen Brief an die Polizei schicken und die findet einen dann, wenn alles vorbei ist. Im eigenen Blut in der Badewanne. Das nimmt der Sache natürlich ein bisschen die Spontaneität, weil man erst noch den Brief zur Post bringen muss, aber immerhin steht man hinterher nicht als Arschloch da. Oder zumindest nicht als komplettes!

Leider kann man mit den wenigsten Leuten über dieses Thema sprechen. Die machen sich gleich Sorgen. Aber was soll man tun, wenn man für sich keine Perspektive mehr sieht? Wenn einem das Leben nicht lebenswert erscheint? Und nur weil andere Leute für so etwas kein Verständnis haben, heißt das ja nicht, dass es falsch ist.

Es ist egoistisch, keine Frage. Aber warum auch nicht? So saß ich also da, gefangen von meinen Gedanken und überlegte, wie ich am leidlosesten aus diesem Leben scheiden konnte. Das hebt die Stimmung!

Natürlich kann man sich auch im Selbstmitleid verlieren. Kann sich in eine Depri-Phase nach der anderen stürzen und Sorgentelefonen die Ohren vollquatschen. Ich telefoniere leider nicht gerne. Aber das wäre ja mal eine Idee. Bis man dich bei jedem Sorgentelefon schon an der Stimme erkennt. Bis man bei jedem Seelsorge-Callcenter seine eigene Kundennummer hat. Vielleicht arbeiten da ja nette Mädels. Mit denen könnte man sich ja mal verabreden. Also, an nem Tag, wenn man gerade nicht Selbstmord begangen hat. Frauen wollen einen doch immer verändern. Vielleicht wäre das die ideale Masche, um welche kennen zu lernen? Müsste man mal ausprobieren.

Oder verschiedene Dienste austesten. Und bei jedem an einem anderen Tag Selbstmord begehen. Oder ihnen das zumindest vormachen. Und dann in der nächsten Woche wieder anrufen. Um zu hören, wie sie das so verkraftet haben. Gut, das läuft sich schnell tot und man verliert seine Glaubwürdigkeit. Aber vielleicht würde es einen auf andere Gedanken bringen. Vielleicht wär es ja ganz witzig. Vielleicht aber auch nicht. Und wie gesagt, ich telefoniere nicht gerne. Ob es auch E-Mail-Seelsorgen gibt?

Ich arbeite in der Werbung. Für viele wäre das schon ein Grund, Selbstmord zu begehen. Und vielen aus der Branche würde ich auch genau das raten. Vielleicht kämen dann mal wieder ein paar gute Kampagnen zustande. Die Wahrscheinlichkeit ist aber leider nicht sehr groß.

Seit einiger Zeit war ich selbständig. Und in letzter Zeit hatten jede Menge Firmen dicht gemacht. Der neue Markt war eingestürzt. Viele Werber saßen auf der Straße. Das Verhältnis von Jobs und Jobwilligen stand im umgekehrten Verhältnis zueinander. Und ich hatte nicht viel zu tun. Und, was noch schlimmer war, keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder sowas. Stattdessen hoffte ich, dass meine Ersparnisse reichten, bis die Auftragslage wieder besser wurde... oder ich eins meiner Bücher veröffentlicht bekam.

Da war sie also wieder. Diese kleine Hoffnung. Dieser dünne Schimmer am Horizont. Sie lächelte falsch herüber wie eine 80jährige Hure unter einer defekten Straßenlaterne, die einem weismachen wollte, sie wäre 22 und Jungfrau. Und ich... ich fiel natürlich darauf herein. Was sollte ich auch sonst machen? Ich hatte ja nicht viel zu tun.

Am liebsten schrieb ich eigentlich Krimis. Wobei ich die Aufklärung eines Mordes allerdings mehr als eine Art McGuffin nutze, um in eine Handlung hineinzukommen und die Figuren interagieren zu lassen, um Beobachtungen von Menschen und Orten einfließen zu lassen oder abgedrehte Dialoge zu schreiben. Dass es dabei um einen Krimi ging war eher nebensächlich. Machte aber auch keinen Unterschied. Jedenfalls nicht in Bezug auf eine Veröffentlichung. Da hätte ich auch Shakespeares Hamlet als prosaisches Roman-Ballett im persischen Golf mit fliegenden Äffchen schreiben können, wofür Hmfudu B’Glombo, der Literaturnobelpreisträger aus Kamerun, glatt noch den Friedensnobelpreis mit draufgelegt bekommen hätte, eine Veröffentlichung hätte es mir doch nicht eingebracht. Bestenfalls eine Therapie. Mit B’Glombo, der gerade für sein neues Buch recherchierte, während er darauf wartete, dass seinem Asylantrag stattgegeben wurde.

Das Schönste war aber neben den üblichen gesichtslosen „keinen Platz im Verlagsprogramm“ Absagen von den Männern im Keller eine persönliche Absage eines meiner Krimis von einem kleinen Verlag, der sich darauf spezialisiert hatte, Kriminalromane, in denen die Stadt des Doms die Hauptrolle spielte, zu veröffentlichen. Abgesehen davon, dass man die Pointe des Buches, dass nämlich der Erzähler und Detektiv der eigentliche Mörder war, was eigentlich eine Überraschung für den Leser und eine bewusste Abweichung von den Normen dieser Gattung darstellen sollte, als ein „Problem“ ansah, war man der Ansicht, dass die Leser des Verlags „mit dem Versuch, ‚komisch‘ zu sein, zu wenig anfangen“ konnten. Und da behauptete man im Ausland, die Deutschen hätten keinen Humor. Ich musste zugeben, das schien zu stimmen!

+ + +

Wozu brauchte man überhaupt Teppich im Badezimmer?

Das fragte ich mich, während das Blut mehr und mehr hervorquoll.

Und in den Teppich einsickerte.

Was für eine Sauerei!

Das würde die Leute, die die Leiche fanden nicht erfreuen!

Warum keine Fliesen?

Einmal durchspülen und der nächste Selbstmörder konnte es sich gemütlich machen.

Aber nein...

Und wer musste wieder darunter leiden?

Ich natürlich!

So ein Mist!

Halb Fiction

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