Читать книгу Verrissmeinnicht - Das Buch zum Film - Martin Cordemann - Страница 6
„Weniger führt zu mehr“
ОглавлениеWarum Restriktionen gut für die Kreativität sein können
Es war der große Philosoph Renny Harlin, der einmal sagte: „More is more!“ Nein, war nur Spaß. Wobei, gesagt hat er es, aber Philosoph ist dann doch vielleicht ein bisschen hoch gegriffen. Ein bisschen sehr hoch gegriffen. Aber es geht hier nicht um Mr. Harlin und seine Filme, sondern es geht um die Frage: Macht Geld glücklich?
Nein, um die Frage geht es auch nicht. Und „glücklich“ vielleicht nicht, aber ich nehme an, Koks und Nutten lassen einen über das eine oder andere hinwegsehen. Aber da sind wir wieder bei der Philosophie. Oder Pornographie. Egal, eins wie das andere.
In meiner Überschrift stelle ich die gewagte These auf, dass sich Grenzen gut auf ein kreatives Produkt auswirken. Man kann es auch anders sagen: Leute, die behaupten, ein Film wäre schlecht, „weil die kein Geld hatten“ sind mit Vollidioten noch recht wohlwollend umschrieben. Oder sagen wir es höflich: Diese Schwätzer haben keine Ahnung.
Man kann sagen, es gibt Ausnahmen. Aber man kann auch sagen: Wenn ich keine Kohle habe, mache ich keinen Science Fiction Film, der 10.000 Spezialeffekte erfordert! Oder eine gigantische Seeschlacht, die realistisch aussehen soll, wenn mir aber nur mein aufblasbarer Swimmingpool im Garten zur Verfügung steht. Dass ein Film wirklich beschissen wird, könnte in vielen Fällen auch daran liegen, dass er einfach EIN SCHEISS SCHLECHTES BUCH HAT! Aber das ist nur eine Theorie!
Einschränkungen erweitern
Was wie ein Widerspruch in sich wirkt, könnte lediglich ein Widerspruch in mir sein. Oder, um es so zu formulieren: Ich könnte Unrecht haben!
Hab ich aber nicht!
Also warum sollen Einschränkungen, warum sollen Restriktionen, Begrenzungen, sich positiv auf ein Werk auswirken?
Müssen Sie das wirklich fragen?
Ganz ehrlich?
Haben Sie sich das noch nicht selbst beantworten können?
Ganz einfach: Wenn man eine Begrenzung hat, sei es, dass einem zu wenig Geld zur Verfügung steht, sei es, dass einem die Zensur einen Strich durch die Rechnung machen will, dann muss man dieses Problem wie lösen?
Na?
Richtig!
KREATIV!
Begrenzungen zwingen einen dazu, neue Wege zu finden und zu gehen. Man muss etwas entwickeln, seinen Kopf einsetzen, um diese Probleme zu lösen, um diese Beschränkungen zu umgehen.
Beispiel George W.
Gemeint ist Lucas, nicht Bush. Ja, ich weiß, der hat eigentlich kein W., aber da das für das Böse steht, passt es bei ihm doch auch ganz gut. Egal, weiter im Text.
Als Lucas seine ersten „Star Wars“ Filme gemacht hatte, musste er seine eigene Produktionsgesellschaft für Spezialeffekte gründen, weil die Studios so etwas nicht mehr hatten. Und diese Effekt-Leute mussten sich Wege einfallen lassen, wie man die Raumschiffe das machen lassen konnte, was das Drehbuch und der Regisseur von ihnen verlangten. Man hat Geräusche aufgenommen, um sie als die Töne von Schiffen und Waffen verwenden zu können. Es mussten Lösungen gefunden werden, kreative Lösungen.
Und wie war das, als er seine neuen Prequels gemacht hat? Ach ja, Computerzeugs. Und Geld. Wenn man jede Menge Kohle in so ein Projekt pumpt, dann löst das die meisten Probleme. Kauft man eben noch n Rechner, um die Effekte ausrechnen zu lassen. Gut, das sieht dann alles wie synthetische Scheiße aus, aber das Problem ist gelöst.
Ich will beileibe nicht sagen, dass man bei einem solchen Projekt nicht ohne Geld auskommt und natürlich ist es schön, wenn man eine Menge davon zur Verfügung hat, aber wenn davon nicht erstmal etwas in eine vernünftige Grundlage fließt (das Drehbuch!), dann ist der Rest doch auch egal, oder?
Der Hai der Ringe
Peter Jackson hat mit der „Herr der Ringe“ Trilogie das gemacht, was die Prequels von „Star Wars“ hätten sein sollen – und wie sie hätten sein sollen: Eine mit Liebe und dem Blick fürs Detail erzählte, interessante Geschichte. Jackson löst nicht alle Probleme mit dem Computer, hier wird noch gebaut, gebastelt, Kostüme hergestellt, Massenszenen gefilmt – und nicht alles ohne menschliches Zutun im Computer berechnet. Man merkt den Filmen an, dass hier jemand Spaß an der Sache hatte, dass es ihm ein Anliegen war… und nicht, dass sein Anliegen Kohle scheffeln war.
Aber was macht man, wenn die Puppe nicht funktioniert? Oder „der weiße Hai“? Oder das „Alien“? Ein schlechter Regisseur würde es trotzdem die ganze Zeit einsetzen, auch wenn es hinterher beschissen aussieht. Aber ein guter Regisseur findet einen Weg, diese Probleme im wahrsten Sinne des Wortes zu umgehen. Was der Grund ist, warum der Hai nur so selten auftaucht – und das Alien auch. Hätte man den Zuschauer die ganze Zeit mit einer schlechten Puppe zugepflastert, wäre der jeweilige Film nur albern und lächerlich geworden. Durch die – erzwungene – sparsame Nutzung davon, schaffen es beide Regisseure (Steven Spielberg, Ridley Scott) jedoch, extrem spannende Filme zu produzieren, wobei besonders bei „Alien“ ein großer Teil der Spannung daher kommt, dass man das Alien nie ganz zu sehen bekommt, das aber unbedingt möchte. Ein großartiges Ergebnis, das aus einer ärgerlichen Beschränkung erwachsen ist.
Schweinfeld
Ein anderes Beispiel, wie Kreativität siegt, ist überraschenderweise „Seinfeld“. (Jerry, nicht Evan… der aber bestimmt auch interessantes Filmmaterial anbieten kann). Ich selbst bin kein so großer Fan der Serie, aber in einer Staffel berichten sie darüber, wie sie mit der Zensur umgegangen sind. Sie konnten oder durften im Fernsehen nicht den Begriff „masturbieren“ verwenden, also mussten sie Wege finden, das zu umgehen („Master of my domain“), womit sie dann in der ganzen Folge spielerisch umgegangen sind. Das zeigt, dass selbst so beschissene Einschränkungen wie die Zensur durchaus zu kreativen Höchstleistungen führen können.
Ähnlich muss es für das Kabarett oder „subversive Autoren“ in jedem Polizeistaat oder jeder Diktatur sein. Denn wenn man nicht alles sagen darf, aber trotzdem eine Kritik anbringen möchte, dann muss man sich auch da eben einen Weg überlegen, das zu tun, ohne anschließend direkt von der STASI abgeholt zu werden.
Wenn es also auch wirklich schön ist, alle seine Probleme mit Geld lösen zu können, so schränkt das, wie wir gesehen haben, die Kreativität doch wahrscheinlich eher ein. Schade, dass das so wenige Leute begreifen!