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4. Der Anteil an Volksdeutschen

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Seit Bestehen der Waffen-SS befand sich unter den Soldaten ein stetig steigender Anteil an Volksdeutschen. Das waren die Angehörigen deutschsprachiger Minderheiten, die außerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs in seiner Ausdehnung von April 1938 lebten. Für die Verbände der Waffen-SS spielten vor allem Männer aus der Tschechoslowakei, aus Polen, Jugoslawien, Rumänien, Ungarn und aus verschiedenen Regionen der Sowjetunion eine größere Rolle. Bis Kriegsende stellten die Volkdeutschen mit 310 000 Männern rund ein Drittel des Personals der Waffen-SS. Darunter waren allein 190 000 Rumänien- und Ungarndeutsche, was einem Gesamtanteil von 20 Prozent des Personalbestands entspricht.38 Der hohe Anteil entsprach keineswegs nur einem politisch-ideologischen Programm der SS, möglichst viele Auslandsdeutsche in der Waffen-SS zu vereinen. Vielmehr drückte sich in deren massenhafter Rekrutierung auch ein Dilemma aus, da für den ständig forcierten Ausbau von SS-Verbänden ein Potential an Rekruten benötigt wurde, welches innerhalb der Reichsgrenzen durch die von der Wehrmacht erzwungenen Rekrutierungsbeschränkungen schlicht nicht zu erreichen war.

Bereits kurz nach Einsatzbeginn machten sich Totenkopfstandarten im besetzten Polen auf eigene Faust auf die Suche nach neuen Rekruten. In Lodsch startete die 1. SS-Schwadron Ende Oktober 1939 in Stadtvierteln mit hohem volksdeutschen Bevölkerungsanteil Werbungsaktionen.39 Im November 1939 fanden Freiwilligenwerbungen außerdem in Kriegsgefangenenlagern unter ehemaligen polnischen Soldaten statt. Die Totenkopfstandarten übernahmen außerdem umfangreiches Personal aus den volksdeutschen Selbstschutzverbänden, die ab Dezember 1939 aufgelöst wurden.40 Nach zahlreichen Werbungen des rastlosen Berger institutionalisierte Himmler mit der Erklärung einer allgemeinen „Volksdeutschen Wehrpflicht“ im August 1942 das Rekrutierungswesen für die volksdeutschen SS-Soldaten.41 Eine Auswertung der Vernehmungsprotokolle der 1. SS-Brigade ergibt hinsichtlich der Volksdeutschen ein differenziertes Bild.42


Tabelle 5: Anzahl und Herkunft der Volksdeutschen unter den Mannschaften der 1. SS-Brigade

Dem Anteil von gut einem Drittel Volksdeutscher der sich bei der Brigade Ende 1942 andeutet, kamen andere SS-Einheiten allerdings schon bedeutend früher nahe. Die 1. SS-Reiterstandarte wies schon Ende März 1940 einen Bestand von insgesamt 485 Volksdeutschen auf. Bei einer Gesamtstärke von 1784 Unterführern und Männern bedeutete das einen Anteil von immerhin 27 Prozent.43 Eine genauere Aufschlüsselung belegt allerdings die sehr unterschiedliche Verteilung der Volksdeutschen auf die einzelnen Reiterschwadronen. Während in der 1. Schwadron einhundert Volksdeutsche dienten und die 3., 4. und 8. Schwadron einen ungefähren Mittelwert von etwa vierzig volksdeutschen Männern aufwies, wurden in der 7. Schwadron nur fünfzehn und in der 11. Schwadron gar nur ein Volksdeutscher gezählt.44 Der Anteil bei der 5. Schwadron des 2. Reiterregiments betrug im September 1941 23,6 Prozent. Im darauffolgenden Sommer, nachdem das Regiment in der Folge monatelanger Fronteinsätze in Polen aufgefrischt worden war, hatte er sich mehr als verdoppelt und lag nun bei genau 60 Prozent.45

Die Auswertung der Aussagen ergibt auch eindeutige Spitzen bei der Rekrutierung von Volksdeutschen. Im Juni 1940 wurden unter maßgeblicher Mithilfe des deutschen Volkstumsvertreters in Rumänien, Andreas Schmidt, insgesamt 1060 Rumäniendeutschen für die Waffen-SS angeworben und per Schiff auf der Donau nach Wien transportiert. Mindestens ein Viertel der Männer erwies sich allerdings als untauglich für die Waffen-SS.46 Nach einer ersten Grundausbildung wurden die übrigen in verschiedene SS-Verbände eingegliedert und gelangten zum Teil auch zur 8. und 10. Totenkopfstandarte. Etliche der Einheitsangehörigen sprachen in diesem Zusammenhang von der „Eintausend-Mann-Aktion“.47 Von den im Juni 1940 zu den beiden Standarten versetzten Rekruten waren allein 35 Prozent solche Volksdeutsche aus Rumänien. Das zweite große Kontingent trat zwischen März und Mai 1942 in die Waffen-SS ein und gelangte in den folgenden Wochen zur 1. SS-Brigade. Von 322 Rekruten, die in diesen drei Monaten ausgebildet und anschließend zur 1. SS-Brigade versetzt wurden, waren allein 85 Prozent Volksdeutsche. Mit einem Anteil von 67 Prozent waren dabei Rekruten aus Jugoslawien mit Abstand am stärksten vertreten. Die Rekrutierungsspitze für das Frühjahr 1942 hatte bei anderen SS-Truppen ihre Entsprechung. Auf einer von der 5. Schwadron des 1. Reiterregiments erstellten Personalliste waren insgesamt 93 Volksdeutsche aufgeführt, die hauptsächlich aus Ungarn stammten und fast ausnahmslos im April 1942 der Einheit zugeteilt worden waren.48

Der hohe Anteil an Volksdeutschen schlug sich allerdings während der ersten Jahre kaum in der unteren oder gar mittleren Befehlsebene nieder. In einer Personalliste der 2. Schwadron des 2. SS-Reiterregiments vom 31. Dezember 1941 findet sich kein einziger Volksdeutscher in den Befehlsrängen der Führer und Unterführer.49 Erst in einer Liste vom 15. Juli 1942 sind zwei sudetendeutsche Unterführer aus der ehemaligen Tschechoslowakei aufgeführt. Gleichzeitig befanden sich unter den Mannschaftsdienstgraden aber 62 Prozent Volksdeutsche, die überwiegende Mehrzahl aus Ungarn.50 Ein Grund für deren kaum vorhandene Existenz in den Unterführer- oder Führerpositionen lag in der verbreiteten Benachteiligung der Volksdeutschen. Schwierigkeiten begannen allein schon angesichts der teilweise ungenügenden Deutschkenntnisse der Rekruten. Der Chef der 3. Schwadron der 1. SS-Reiterstandarte berichtete Ende April 1940, die Kameradschaft innerhalb der Einheit würde durch bewußtes Zusammenlegen von Reichs- und Volksdeutschen gefördert, allerdings sei die Schulung sehr erschwert, da das „Allgemeinwissen der Volksdeutschen ein sehr geringes“ sei und „teils mangelhafte, teils völlige Sprachunkenntnis“ vorherrsche.51 Wegen der gleichen Problematik wurde bei der 1. Schwadron des 2. Regiments im April 1941 eine Namensliste erstellt, auf der etliche Volksdeutsche vermerkt waren, mit denen eine Verständigung schwer oder gar nicht möglich war.52 Auch in disziplinarischer oder weltanschaulicher Hinsicht scheint das Verhältnis nicht unproblematisch gewesen zu sein. Das führte zu harschen Urteilen wie in einem Bericht der 5. Schwadron der Reiterstandarte, in dem formuliert war: „Besondere Schwierigkeiten machen die volksdeutschen Männer, da sie wenig Ehrbegriff und Dienstauffassung haben.“53 Sogar in persönlichen Beurteilungen wurden Volksdeutsche von SS-Offizieren mitunter als ‚wesensverschieden‘ gekennzeichnet. So stand in einem Beurteilungsbogen über den Rekruten Walter B., er sei Volksdeutscher und „als solcher etwas schwerfällig“.54

Vielfach galten Volksdeutsche in der Waffen-SS als ‚Deutsche zweiter Klasse‘. Die Folge waren verbreitete Schikanen durch ‚Kameraden‘ und Vorgesetzte. Die Virulenz des Problems zeigte sich nicht zuletzt im April 1942, als Himmler in einem Schreiben an die Chefs des SS-Hauptamtes und des SS-Führungshauptamtes die große Bedeutung einer guten Behandlung volksdeutscher und europäischer Freiwilliger in der Waffen-SS hervorhob. Er verfügte, daß unter anderem die Offiziere der 1. SS-Brigade in speziellen Kursen auf die besonderen Aufgaben bei der Führung Volksdeutscher vorzubereiten seien und behielt sich persönlich vor, die betreffenden Stellenbesetzungen bis zur Ebene der Zugführer selbst zu entscheiden. Für die SS-Reiter sei ein entsprechendes Vorgehen hingegen nicht nötig, da, so Himmler, „die Kavalleriebrigade mit wenig Ausnahmen im besten Maße immer Verständnis für die Gewinnung dieser Männer bewiesen“ habe.55

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