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VI. Befähigung zum Massenmord. Der weltanschauliche Unterricht der Waffen-SS

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Da die vorigen Kapitel Belege für ein hohes Maß an ideologischer Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus unter den Angehörigen der Truppen des Kommandostabes geliefert haben, schließt sich die Frage an, ob die Männer zusätzlich zu persönlichen Einstellungen im Rahmen der Ausbildung eine entsprechende Indoktrinierung erfuhren. Möglichkeiten dazu bot die weltanschauliche Erziehung, ein Unterrichtsfach, das alle Männer in der Waffen-SS absolvierten.1 Dem Anspruch nach sollte die Schulung sie mit dem Kern der nationalsozialistischen Ideologie vertraut machen und sie befähigen, nicht nur auf dem Schlachtfeld zu bestehen, sondern im Sinne eines „politischen Soldatentums“ in allen Lebensbereichen ein Garant für die Durchsetzung der nationalsozialistischen Ziele zu sein.2 Generell, so wurde von Himmler und den für Schulungsfragen zuständigen SS-Führern ständig betont, sollte bei der weltanschaulichen Erziehung keinesfalls nur stur der Lehrstoff vermittelt werden. Bereits im Oktober 1934 kleidete Richard Walther Darré, der Chef des Rasse- und Siedlungshauptamtes, die Zielvorstellung in einer Weisung an seine Schulungsleiter in die Formel: „Die SS-Männer sollen nicht vom Nationalsozialismus ‚wissen‘, sondern ihn ‚leben‘.“3

Welche große Bedeutung Himmler der weltanschaulichen Schulung einräumte, veranschaulicht seine Position zu Hitlers Erlaß vom August 1938. Er akzeptierte ausdrücklich den vorgesehenen Oberbefehl der Wehrmacht über die Verfügungstruppe, bestand aber darauf, daß die SS in weltanschaulichen Fragen autonom blieb und über sich nur den „Führer“ anerkannte. Die eigenständige ideologische Position der Verfügungstruppe gegenüber der Wehrmacht blieb damit gesichert. Wer dieses Prinzip in Frage stellte, mußte mit Ärger rechnen. So handelte sich ein Abteilungsleiter im SS-Führungshauptamt noch im März 1944 einen strengen Verweis Himmlers ein, weil er sich für eine Herabstufung der weltanschaulichen Erziehung im Bewertungssystem der SS-Junkerschulen ausgesprochen hatte.4 Die Zuständigkeit für die weltanschauliche Schulung wurde Anfang 1936 dem Rasse- und Siedlungshauptamt übertragen. Dort wurde für die Organisation des Unterrichts eine spezielle Abteilung, das SS-Schulungsamt, eingerichtet, welches Mitte 1938 vom SS-Hauptamt unter August Heißmeyer übernommen wurde. Zentrales Medium des Unterrichts innerhalb der SS und der späteren Waffen-SS waren die sogenannten SS-Leithefte, die von Mitarbeitern des Schulungsamtes mehrmals jährlich erarbeitet und an die Schulungsoffiziere herausgegeben wurden. Daneben stellte das Schulungsamt weitere Materialien zusammen, die die inhaltliche Grundlage des Unterrichts der SS bildeten.

Während Bestrebungen für eine ernsthafte Einbeziehung der ideologischen Schulung in den Ausbildungskanon sowohl bei der Ordnungspolizei als auch bei der Sicherheitspolizei erst im Laufe des Jahres 1937 einsetzten, fand ein planmäßiger Unterricht innerhalb beider Zweige der bewaffneten SS bereits deutlich früher statt.5 Theodor Eicke, der Herr über die Konzentrationslager und Chef der SS-Wachverbände, bilanzierte in einem Brief an Himmler im August 1936 den Aufbau seiner Totenkopfverbände. Nach Eicke bestünde die Truppe aus den „rassisch besten Deutschen im Alter von 17 bis 19 Jahren“, die „begeistert“ aus der Hitlerjugend gekommen seien. Anschließend hob er hervor, die weltanschauliche Schulung bei den KZ-Wachmannschaften würde „intensiv betrieben und fachmännisch geleitet“.6 Bei der SS-Leibstandarte „Adolf Hitler“ arbeiteten bereits im Frühjahr 1934 sogenannte Schulungsleiter, die sowohl für die ideologische Instruierung der Führer als auch für die Organisierung regelmäßiger Unterrichtsstunden für die Mannschaften verantwortlich waren.7 Mit dem Aufschwung der Waffen-SS während des Krieges blieb die institutionelle Zuständigkeit des SS-Hauptamtes für die ideologische Schulung weiterbestehen. Im Kommandoamt der Waffen-SS, dem späteren SS-Führungshauptamt, wurde mit der Abteilung VI (Ausbildung) eine Stelle eingerichtet, die die im SS-Hauptamt erarbeitete inhaltliche Ausrichtung des weltanschaulichen Unterrichts für die Waffen-SS umzusetzen hatte. Die Abteilung konnte den Ausbildungsauftrag durchaus im Rahmen eigener organisatorischer Vorstellungen realisieren; trotzdem war in diesem Verhältnis ein dauerhafter Kompetenzkonflikt zwischen beiden Hauptämtern angelegt, der mit der Übernahme des SS-Hauptamtes durch Gottlob Berger im August 1940 noch an Intensität gewann.8

Ab September 1940 gab es für die gesamte Waffen-SS Bestrebungen, die auf eine umfassende Regelung und Vereinheitlichung des Stellenwerts der weltanschaulichen Erziehung abzielten. Gleichzeitig wurde auf diese Weise der bisher bestehende Dualismus zwischen militärischer Führung einerseits und den weltanschaulichen Schulungsleitern andererseits zugunsten einer einheitlichen Befehlsstruktur aufgehoben. Eine Dienstanweisung Jüttners legte fest, daß die weltanschauliche Erziehung nicht neben der militärischen Ausbildung stehen dürfe; vielmehr sei beides „zu einer geschlossenen Erziehung zu verschmelzen“. Das Ziel der Erziehung sei, so Jüttner, „der politische Soldat der Waffen-SS“.9 Dessen grundsätzlicher Anweisung kam Fegelein mit einem eigenen Befehl um einen Monat zuvor. Mit der Begründung, der Reichsführer-SS lege auf die „persönliche Einflußnahme des Einheitsführers auf den weltanschaulichen Soldaten den allergrößten Wert“, befahl er am 1. August 1940, die Schwadronsführer seiner Truppe hätten unter allen Umständen einmal wöchentlich weltanschaulichen Unterricht „mit klaren Themen“ abzuhalten. Mindestens einmal im Monat müsse laut Fegelein zudem der Schulungsleiter der Schwadron zum Unterricht hinzugezogen werden.10 Berichte der einzelnen Reiterschwadronen geben darüber Auskunft, wie unregelmäßig der weltanschauliche Unterricht bei der SS-Totenkopf-Reiterstandarte bis dahin stattgefunden hatte. Fegelein mühte sich jedoch beständig, den Mangel abzustellen.11

Mit dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 übernahm der Kommandostab Reichsführer-SS für die unterstellten Brigaden auch die Weisungskompetenz hinsichtlich der weltanschaulichen Schulung. Zwar war die grundsätzliche Zuständigkeit des SS-Hauptamtes davon nicht berührt, teilweise gab der Kommandostab aber eigene Schulungsunterlagen heraus. Der Krieg stellte die Planer des SS-Hauptamtes dann vor größere Probleme, da der Unterricht kaum mehr regelmäßig stattfinden konnte. Prompt meldete der für die Ausbildung zuständige Führer der Abteilung VI des Kommandostabes wenige Tage nach Einsatzbeginn der unterstellten Brigaden, bei den Verbänden könnten keine Schulungen mehr abgehalten werden.12 Das SS-Hauptamt verlegte daher im weiteren Kriegsverlauf einen Schwerpunkt der weltanschaulichen Erziehung kurzerhand auf die Winterzeit, in der eine mobile Kriegsführung wegen der Witterung kaum möglich war.

Mit dem für die Deutschen zunehmend katastrophalen Kriegsverlauf wurde die weltanschauliche Erziehung der Waffen-SS keineswegs zugunsten militärischer Prioritäten zurückgeschraubt. Ernst Rode, der Führungsoffizier des Kommandostabes, hob deren Bedeutung Ende Dezember 1942 ausdrücklich hervor. In einem Stabsbefehl ordnete er an: „Die weltanschauliche Erziehung der Truppe ist der militärischen Ausbildung nicht unter-, sondern nebengeordnet. Die meisten Verfehlungen und Straftaten sind nicht auf kriminelle Veranlagung, sondern auf Mangel an gefestigter innerer Haltung zurückzuführen. Im Interesse einer einheitlichen Ausrichtung der Truppe im Sinne des politischen Soldatentums ist die weltanschauliche Erziehungsarbeit ab sofort fest in die Dienstpläne einzubauen.“13 Mit einem Brief an Standartenführer Fritz Freitag, der vertretungsweise die SS-Kavalleriedivision befehligte, machte Himmler im März 1943 erneut deutlich, wie sehr ihm der Bereich am Herzen lag. Er zeigte sich nach eigenen Worten „geradezu entsetzt“ über dessen Ausbildungsrichtlinien. Anschließend maßregelte Himmler ihn in geradezu kindischer Art und drohte sogar seine Ablösung an. „Standartenführer Freitag“, schrieb er, „wir befinden uns in der SS. Sie haben keine Heeres-Division vor sich. Ich darf Sie bitten, sich an den Russen ein Beispiel zu nehmen, bei denen der Politruk seinen weltanschaulichen kommunistischen Unterricht sogar in den Gräben durchführt. Wie kommen Sie dazu, diese eigenartige Einteilung zu machen, daß also der weltanschauliche Unterricht, den Sie ausserdem für nicht durchführbar halten, kurz vor der gesundheitlichen Betreuung, unter der Sie die Befreiung der Männer von Läusen verstehen, unter Ausgestaltung der Unterkünfte kommt. Leben Sie noch im Jahre 1914? Was bei diesem eigenartigen Unterricht, so wie Sie ihn anordnen, herauskommt, kann ich mir ja vorstellen. Im besten Fall, wenn einer der von Ihnen so vortrefflich weltanschaulich erzogenen Führer das durchführt, ein allgemeines Gerede. Ich lasse nicht umsonst Unterrichtsrichtlinien herausgeben und verbitte mir, daß irgendeiner meiner Standartenführer einfach bestimmt, daß diese ausfallen. Sollten Sie dafür kein grösseres Verständnis aufbringen, so spreche ich deutlich aus, haben Sie die längste Zeit eine Division geführt.“14

Das Festhalten der SS an dem Schulungskonzept übte in der Phase zunehmender deutscher Niederlagen und den damit einhergehenden Durchhalteparolen schließlich auch eine starke Wirkung auf die Wehrmacht aus. Mit steigender Tendenz griff das Heer seit 1943 bei der Erstellung eigener Materialien auf das Schrifttum des SS-Hauptamtes zurück, gleichzeitig häuften sich Besuche von Wehrmachtsoffizieren bei der SS-Schulungsbehörde. Auch bei eigenen Tagungen zum Thema griff die Wehrmacht zunehmend auf die „WE-Führer“ der SS als Referenten zurück. Hatte Berger im Oktober 1942 in Bezug auf die wehrgeistige Erziehung des Heeres noch deutliche Anzeichen eines „liberalistischen“ Erbes entdeckt, stellte er im April 1944 nach der Lektüre einer Heeresdienstvorschrift fest, daß der Text „den Geist des weltanschaulichen Schrifttums der SS“ wiederspiegeln würde und man sich beim Heer nun „genau denselben weltanschaulichen Idealen wie die SS“ verschrieben habe.15

Die zahlreichen überlieferten Dokumente über die Schulungsinhalte belegen die zentrale Rolle des Antisemitismus innerhalb des gesamten Unterrichtswesens. So gibt eine vom Rasse- und Siedlungshauptamt am 17. Februar 1936 an alle SS-Dienststellen verteilte Anweisung für die Organisierung der weltanschaulichen Grundschulung Auskunft über die zentralen Themen für das laufende Jahr. Jeweils acht Wochen sollten die Themen „Blut und Boden“, „Judentum, Freimaurerei, Bolschewismus“ und „Geschichte des deutschen Volkes“ behandelt werden. Aufgelockert durch Lichtbildervorträge war vorgesehen, die genannten Themen bei den SS-Sturmbannen zweimal wöchentlich für eine Dauer von jeweils 40 Minuten zu diskutieren.16

Erhalten geblieben sind sowohl die Bilder als auch die dazugehörige Textbeilage eines Lichtbildervortrags von Anfang 1936 mit dem Titel „Das Judentum, seine blutsgebundene Wesensart in Vergangenheit und Gegenwart“. Das Material war Teil der genannten Themenreihe „Judentum, Freimaurerei, Bolschewismus“. Lichtbilder und Text erlauben einen Einblick in den Grad antisemitischer Indoktrination im Rahmen der weltanschaulichen Erziehung. Schon die Bebilderung zeigt grob stereotypisiert angebliche physische Eigenschaften von Juden; dem entgegengestellt ist eine idealisierte Abbildung eines „arischen“ Deutschen. Des weiteren werden mittels Illustrationen und Photographien angebliche historische und aktuelle Vergehen der Juden gegen die Deutschen aufgezählt.17 Ergänzend zu den Lichtbildern finden im Begleittext die wichtigsten antisemitischen Stereotype Erwähnung. Stringent als Gegenbild zu den ‚arischen‘ Deutschen stilisiert, seien die Juden „größter Feind“, „Todfeind“, „Bastardvolk“, „Anmaßung“, „Bazillen“, „Bandwurm“, „Schmarotzer“, „Blutjuden“ und „Verführer“, ferner „artfremd“, „zerstörend“, „anmaßend“, „übelst“, „haßerfüllt“, „völkervernichtend“. Juden, heißt es in dem Text, seien „dunkel“, „listig-verschlagen“, „fleischig“, „verdickt“, „kleiner“, „feist“, „watschelnd“, sie „rotten aus“, „plündern aus“, versklaven“, „spotten“, „schächten Völker“, „hetzen“, „rächen“, „schlachten ab“, wollen Deutschland „ausbluten“ lassen. Ferner werden die Juden von den SS-Autoren zentral verantwortlich gemacht für „Wuchergeist“, „jüdisch-bolschewistisches Kollektivsystem“, „liberalistisch-kapitalistische Wirtschaft“ und „Marxismus“.

Dem verhängnisvollen Wirken der Juden wird der glückliche Umstand der Existenz des Nationalsozialismus als der einzigen Kraft, die den Juden Einhalt gebieten könne, entgegengestellt. Adolf Hitler habe, so der Text, „in zwölfter Stunde das Steuer herumgerissen und das Volk von seinen jüdischen Verführern befreit“. In dem antisemitischen Machwerk wird außerdem betont, die vorrangigen Aufgaben zur Abwehr der jüdischen Gefahr seien noch unerledigt. Lebensnotwendig für die Volksgemeinschaft sei „eine klare Scheidung vom Judentum in jeder Hinsicht“. Der Erfolg, der in dieser Beziehung bereits durch die Nürnberger Gesetzte erzielt worden sei, dürfe nicht dadurch gefährdet werden, „daß der Jude […] durch die Hintertür von Wirtschaft, Kultur oder Religion sich wieder bei uns einschleicht, unsere Art zersetzen und unser Blut vernichten kann“.

In aller Radikalität wird in dem Schulungsmaterial auch die Generallinie einer antijüdischen Politik formuliert. So heißt es in dem Begleittext: „Nach außen hin aber setzen wir alles daran, uns so schnell wie möglich so zu wappnen, dass für alle Zeiten jeder jüdische Angriff gegen unsere Grenzen und Hoheitsrechte unser Volk und unseren Staat unerschütterlich findet. Nur wer den Feind kennt, kann sich gegen ihn schützen. Sorge jeder, daß alle deutschen Volksgenossen den Juden als Todfeind jeden Staates und jeder Weltanschauung erkennen, die aus unserem Blut geboren ist.“ Damit wird ein bedeutsames Element der weltanschaulichen Schulung explizit hervorgehoben. Die SS wertete den Antisemitismus nicht nur als wesentliches Element der eigenen Weltanschauung, sondern betrachtete in ihrem Anspruch als nationalsozialistische Elite auch die Indoktrinierung der gesamten Volksgemeinschaft als selbstverständliches Agitationsfeld für die eigenen Männer.18

Während der Lichtbildervortrag in den Unterrichtsstunden der SS kursierte, wurden 1936 vom Schulungsamt weitere radikal antisemitische Schulungsinhalte herausgeben.19 Damit hatte die Verbreitung aller denkbaren antijüdischen Stereotype und die Diskussion über radikale Lösungsansätze über das ganze Jahr den Inhalt der weltanschaulichen Erziehung der SS dominiert. Dabei steht das Jahr 1936 gemeinhin für eine Zwischenphase, in der im nationalsozialistischen Deutschland sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch außenpolitisch der Antisemitismus mit Blick auf die Olympischen Spiele in Berlin deutlich gedämpft wurde.20 Die SS erachtete die Vermittlung judenfeindlicher Inhalte jedoch offensichtlich für so entscheidend, daß sie sich bei der internen Schulung nicht an die offizielle Linie gebunden fühlte.

In den folgenden Jahren dauerte die antisemitische Schwerpunktsetzung bei der weltanschaulichen Erziehung der SS-Angehörigen an. Das von der SS im Dezember 1938, kurz nach dem Novemberpogrom, herausgegebene Leitheft stellt das Hitlerzitat, mit dem Judentum dürfe grundsätzlich „kein Paktieren, sondern nur das harte Entweder-Oder“ existieren, an den Anfang des ersten Artikels.21 Nach der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs und der Durchsetzung einer mörderischen, radikal antisemitischen Politik gegenüber den polnischen Juden bestand erst recht keine Veranlassung mehr, die judenfeindlichen Inhalte des weltanschaulichen Unterrichts zurückzunehmen. Absolventen eines zweiwöchigen SS-Unterführerlehrgangs, der Ende 1940 in Lucmierz stattfand, unterstrichen ihrerseits mit einer am Ende des Lehrgangs angefertigten Dokumentation, welchen wichtigen Stellenwert der Antisemitismus beim Unterricht eingenommen hatte. In holpriger Versform ließen die angehenden Unterführer den Lehrgang Revue passieren. Dabei fand auch der weltanschauliche Unterricht Erwähnung, zu dem die SS-Poeten folgendes reimten: „Ja nun kommt auch der andere gleich, / das ist nämlich unser Rassescheich: / Als Sturmmann Urban stellte er sich vor, / in seinem Unterricht waren alle ganz Ohr. / Er plagte uns mit den Nürnberger Gesetzen, daran konnte sich dann jeder ergötzen, / Juden geiselte [sic] er mit grosser Gier, / er sprach am liebsten vom Arier.“ Zwar entsprach das ‚Gedicht‘ in seiner Gesamtheit eher dem Charakter einer Bierzeitung, der vermittelte Inhalt des Lehrgangs wurde von den Teilnehmern jedoch ernst genommen. Die letzten Verszeilen lesen sich jedenfalls wie ein Versprechen, die vermittelte Ideologie im Generalgouvernement in konkrete Taten umzusetzen; die SS-Männer beendeten ihr Werk mit den Worten: „Abschließend wollen wir eins nun sagen, / das gelernte wollen wir nun in die Schwadronen raustragen. / Dies alles war uns Ansporn genug, / und wir setzen das Gelernte in die Tat um im Zug.“22

Auch Lehrpläne der Waffen-SS belegen zu dieser Zeit den zentralen Stellenwert, der der Vermittlung von Antisemitismus innerhalb der Gesamtschulung eingeräumt wurde. In der Ausbildungsübersicht eines vierwöchigen Lehrgangs für Führerbewerber sind für jede Woche die Themen für die weltanschauliche Schulung festgehalten. Gleich in der ersten Woche sollten die angehenden Offiziere demnach über die „Rassenfrage unter besonderer Berücksichtigung des Judentums“ unterrichtet werden. Anschließend stand „Deutsche Geschichte“ auf dem Lehrplan und erst in der dritten Woche war das Thema „Geschichte und Kampf der nationalsozialistischen Bewegung unter besonderer Berücksichtigung des Lebens des Führers und der Geschichte der SS“ vorgesehen.23 Analog war im Schulungsplan für die zehnwöchige Rekrutenausbildung während des letzten Quartals des Jahres 1940 festgelegt, daß als erstes Thema bei der politischen Schulung der SS-Rekruten das „Judenproblem“ zu behandeln sei, erst danach folgten Themen wie „SS“, „Aus dem Leben des Führers“ oder „Bolschewismus in Russland“.24 Während beide Lehrpläne als ersten Unterrichtsinhalt explizit die Vermittlung von Judenhaß in den Vordergrund stellten, spielte das Thema auch bei den nachfolgenden Schulungsveranstaltungen eine wichtige Rolle. Der Schulungsbericht über eine Unterrichtsstunde mit dem relativ unverfänglich klingenden Vortragsthema „Deutschland braucht Kolonien“ belegt, daß der Vortrag eine eindeutig antisemitische Argumentationslinie aufwies. So schilderte der Redner vor einer Schwadron der SS-Kavallerie, es sei „dem plutokratischen England immer wieder auf Kosten anderer Völker“ gelungen, „bis zum letzten Augenblick seine auf jüdische Art erworbenen Gebiete auszunutzen“.25

Bei den einzelnen Reiterschwadronen waren die monatlich verfaßten Schulungsberichte über den jeweiligen Stand der weltanschaulichen Erziehung generell eher nüchtern gehalten. Im Kern wurde lediglich das im abgelaufenen Monat durchexerzierte Programm beschrieben. Als aber die einzelnen Schwadronsführer im Herbst 1940 berichteten, den Männern sei Veit Harlans Propagandafilm „Jud Süß“ gezeigt worden, änderte sich die Diktion der Berichte schlagartig. Nun war die Rede von der „ungeteilten, begeisterten Aufnahme“ und dem „besonderen Erlebnis für die Männer“. Die Tätigkeitsberichte hoben emphatisch das „starke Interesse“ und die „rege Anteilnahme“ hervor sowie die lebhaften Diskussionen, die unter den SS-Männern angesichts der im Film „virtuos dargestellten Typen“ oder der „bezeichnenden Schilderungen des ewigen Juden“ im Anschluß an die Vorführung stattgefunden hätten.26

Die Berichterstattung über die Reaktion auf den NS-Propagandafilm weist auf einen Aspekt hin, der über die Wirkung der weltanschaulichen Erziehung hinausweist. Wie die beschriebenen Reaktionen der SS-Männer verdeutlichen, mußten im Rahmen der Filmvorführung von „Jud Süß“ gar keine erklärenden, propagandistischen Vorträge gehalten werden, da die Intention des Films auch so von den Mannschaften sofort verstanden wurde. Dieser Umstand deutet das antisemitische Potential an, das schon vor der eingehenden Schulung bei den einzelnen Männern vorhanden gewesen sein muß. Judenfeindliche Einstellungen mußten demnach häufig gar nicht mittels der weltanschaulichen Erziehung erzeugt, sondern brauchten nur bestärkt oder vereinheitlicht werden. Diesem Sachverhalt entsprechend, berichtete der Chef der 3. Schwadron der 2. SS-Totenkopf-Reiterstandarte, daß keine Bedenken bestünden, neu zugeteilte Rekruten sofort an der weltanschaulichen Schulung der übrigen Mannschaften teilnehmen zu lassen. Der SS-Offizier begründete die Entscheidung mit der ideologischen – und antisemitischen – Vorbildung der Rekruten. Diese kämen nämlich aus dem Altreich, wo ihnen in der Hitlerjugend in den vergangenen Jahren das „weltanschauliche Wissen“ vermittelt worden wäre, welches ihnen nun die weitere Teilnahme an der Schulung innerhalb der Waffen-SS ermöglichen würde.27

Wenige Wochen vor dem Einsatz der Brigaden in der Sowjetunion wurden im Frühjahr 1941 die Bemühungen im Bereich der weltanschaulichen Erziehung nochmals intensiviert. Der Schulungsplan des SS-Kavallerieregiments 1 sah im Mai 1941 die Behandlung von Themenfeldern vor, die eindeutig als Vorbereitung der Männer auf den bevorstehenden Krieg gedacht waren. In den Unterrichtsstunden wurden Themen behandelt wie „Das deutsche Volk kämpft um sein Leben“, „Deutschland kämpft für Europa, es muß seine Einheit finden“ oder „Das Reich muß einen der deutschen Leistung gemäßen Lebensraum besitzen“.28 Daneben wurden Vorträge über den Einfluß von „Freimaurertum“ und „Judentum“ oder über „Juda in England“ gehalten.29 Ergänzend besuchten die einzelnen Schwadronen der SS-Kavallerie im März und April 1941 an ihren Stationierungsorten Vorstellungen des Kinofilms „Der ewige Jude“. Während der Hetzfilm bei den deutschen Kinobesuchern im Reich keinesfalls auf ungeteilte Zustimmung stieß, wurde er laut den Berichten der Einheitsführer von den SS-Mannschaften mit „großem Beifall“ aufgenommen.30

Zum Auftakt des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion sorgte der Kommandostab Reichsführer-SS dafür, daß den Brigadeangehörigen sowohl Hitlers Aufruf an die Soldaten der Ostfront als auch die Richtlinien für das Verhalten der Truppe bekannt gemacht wurden.31 Als dann der erste Einsatz von zwei Brigaden in den rückwärtigen Heeresgebieten unmittelbar bevorstand, gab der Kommandostab eilig noch einen Ausbildungsplan zur weltanschaulichen Schulung über die UdSSR heraus, der in den nächsten Wochen Grundlage bei allen Einheiten sein sollte. „Besonders wichtig“, so der Begleittext, sei nach dem einleitenden Abschnitt über politische und demographische Verhältnisse in der Sowjetunion der Abschnitt über „das Judentum“. Detailliert sollte die Rolle der Juden in Rußland vor der Oktoberrevolution sowie während der Herrschaft Lenins und Stalins thematisiert werden. Ergänzend wurde in dem Plan die Verwendung von Zeitungsauszügen mit Titeln wie „Der Jude ist es!“ oder „Würgeengel der Völker“ empfohlen. Abschließend wurde angeraten, den SS-Männern während des Unterrichts kein „totes Wissen“, sondern ein „lebendiges Bild“ des Landes, seiner Verhältnisse, „insbesondere aber des Judentums und des Bolschewismus“ zu vermitteln. Besonders zu beachten sei, wie der Begleittext des Kommandostabes empfahl: „Es müssen die sowjetrussischen Zustände als Musterbeispiel eines jüdischen ‚Sowjetparadieses‘, dessen Übergreifen auf Deutschland und ganz Europa mehrfach und am gefährlichsten jetzt gedroht hat, gezeigt werden“. Damit müsse „auch dem Letzten“ klargemacht werden, „daß unser Herrschaftsanspruch verpflichtet: Einerseits zu äußerster Härte gegenüber Feinden, andererseits zu Abstand gegenüber der Bevölkerung und zu Achtung gegenüber fremdem Volkstum.“32 Die unterstellten SS-Brigaden nahmen die Schulungspläne des Kommandostabes dankbar auf. Die 2. SS-Brigade meldete die Behandlung des Schulungsmaterials in einem Umfang von zwei Unterrichtsstunden pro Woche und hob eigens die große politische Bedeutung der Inhalte hervor.33

Während dann bei den in der Sowjetunion im Einsatz befindlichen Brigaden der Unterricht wesentlich erschwert war, wurden die Schulungsveranstaltungen für die ortsfest stationierten Einheiten weiterhin abgehalten. Die Kommandotruppen und die Stabskompanie des Kommandostabes besuchten am 3. Oktober geschlossen eine am Vortag angekündigte Filmvorführung. Gezeigt wurde neben der neuesten Wochenschau einmal mehr der Propagandafilm „Jud Süß“.34 Im November 1941, als die Brigaden dann wegen des hereinbrechenden Winters ortsfeste Unterkünfte bezogen, wurde der Erziehungsauftrag umgehend wieder aufgenommen. Der Kommandostab gab den vom Schulungsamt im SS-Hauptamt erstellten Winterschulungsplan 1941/42 weiter und überprüfte bei den unterstellten Truppen mehrmals dessen Realisierung.35 Für die Zeit von November bis einschließlich März waren im Rahmen der weltanschaulichen Erziehung für die Dauer von jeweils einem halben Monat Themen wie „Die Sowjetunion – Raum und Volk“, „Dieser Krieg ist ein weltanschaulicher Kampf“ oder „Angloamerikanischer Imperialismus“ vorgesehen. Gleich das erste Thema im November 1941 trug aber den Titel „Der Bolschewismus – jüdisches Untermenschentum“.36

Mag auch in den folgenden Kriegsjahren angesichts der Notwendigkeit, die Frontlinien im Osten und Westen gegen die Übermacht der Alliierten zu halten, die Vermittlung des ‚politischen Soldatentums‘ der Waffen-SS gegenüber einer möglichst effektiven militärischen Ausbildung immer wieder in den Hintergrund getreten sein, lassen sich trotzdem Dokumente finden, die den weiterhin hohen Stellenwert antisemitischer Schulungsinhalte beweisen. Die Abteilung VI der SS-Kavallerie erarbeitete im Sommer 1942, während der Neuaufstellung des Verbandes im Generalgouvernement, eine Stoffsammlung für den Unterricht der Truppe. Die Materialsammlung stellt den primitiven Versuch dar, den Mannschaften deutsche Geschichte von den Anfängen Preußens bis in die Zeit des Nationalsozialismus zu vermitteln. Als ein zentrales Kontinuum der Geschichte wurde in der Materialsammlung das durchgängig gegen das deutsche Volk gerichtete, verhängnisvolle Wirken der Juden beschrieben. Insgesamt glich das Schulungsmaterial in der Stringenz der Argumentation und der Radikalität des Ausdrucks dem antisemitischen Lichtbildervortag von 1936.37 Ein Jahr später rückte auch der „anglo-amerikanische Imperialismus“ in den Blickpunkt der weltanschaulichen Erziehung der Waffen-SS. Die Abteilung VI der Kavalleriedivision gab Ende Juli 1943 Texte heraus, die das Thema zentral behandelten. Als Ursache der als aggressiv dargestellten Haltung der USA wurde in dem Schulungstext festgestellt: „Der Hauptgrund für die weltimperialistischen Pläne Nordamerikas seit dem ersten Weltkriege ist die verstärkte Einwanderung und Machterweiterung der Juden die Amerika zum grössten Judenstaat der Welt gemacht haben. Viereinhalb Millionen Juden in den USA, in Newyork [sic] fast 500 000. Alle führenden Stellen in Wirtschaft und Politik sind in den Händen von Juden! Präsident Franklin D. Roosevelt ist Hauptträger dieses nordamerikanisch-jüdischen Weltimperialismus.“38

Bei der Ausbildung von Männern und SS-Führern wurde aber nicht nur auf die bloße Vermittlung judenfeindlicher Propaganda, sondern auch auf die Erziehung zum Denken im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie gesetzt. Die angehenden Offiziere des neunten Kriegsjunkerlehrgangs in Bad Tölz bekamen bei der Zwischenprüfung im März 1943 die Frage gestellt: „Unsere Gegner behaupten: ‚Im nationalsozialistischen Deutschland gibt es keine Freiheit mehr!‘ Welche Antwort geben Sie auf diesen Vorwurf?“39 Ganz im Sinne des geforderten Denkens schrieb der SS-Junker Wagner in der Abschlußprüfung des 16. Kriegsjunkerlehrgangs der Junkerschule Braunschweig noch im August 1944 zu den Zielsetzungen des Nationalsozialismus: „Damit wenden wir uns bewußt von den Irrlehren des Liberalismus, der in seiner letzten Konsequenz zum Bolschewismus wird, ab und verfolgen unnachsichtig das Ziel, einen nordisch-bestimmten Menschen im Volk zu entwickeln.“ Im folgenden formulierte der junge Offiziersschüler, unter welchen Kategorien er die Kriegslage im Sommer 1944 einordnete: „Schon in diesem zweiten Weltkrieg steht die Rasselosigkeit im Kampf mit der Rassebewußtheit und wir wissen, daß am Ende des Kampfes unser Sieg steht; der Sieg einer natürlichen, auf den Grundlagen der Biologie aufgebauten Schöpfungsordnung.“40

Für halbwegs rational denkende Menschen war im Sommer 1944 die Kriegsniederlage Deutschlands deutlich absehbar. Der dagegen von dem jungen SS-Junker halluzinierte Erfolg des Nationalsozialismus weist bereits auf das innerhalb der Waffen-SS in der Kriegsendphase weit verbreitete Festhalten an einer fanatischen und völlig realitätsfernen Endsiegmentalität hin. Mit der Propagierung der entsprechenden Feindbilder, in denen der Antisemitismus immer eine tragende Rolle spielte, wird die weltanschauliche Schulung der Waffen-SS auch an diesem Verhalten einen erheblichen Anteil gehabt haben.

Wegbereiter der Shoah

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