Читать книгу Abgründe auf La Palma - Martin Danders - Страница 7
4. Kapitel
ОглавлениеAm nächsten Morgen wache ich mit schweren Kopfschmerzen auf. Vermutlich liegt die Ursache für meine Unpässlichkeit am gestrigen Alkohol und dem unnützen Stress wegen den Frauen. Ich trinke fast eine ganze Mineralwasserflasche aus und schlucke eine Schmerztablette, um den Tag halbwegs zu überstehen. Ich laufe benommen in die Küche, fülle die Espressokanne mit Wasser sowie Kaffee und stelle sie auf die Gasflamme. Die Vollmilch erhitze ich in einem separaten Gefäß und gieße sie nach dem Aufschlagen zum Kaffee.
Als ich mit dem Kaffee am Tisch sitze, erscheinen auch Ilona und Marita in der Küche. Es entsteht kein Gespräch, weil niemand etwas zu sagen hat. Ich wüsste von meiner Seite wirklich nicht, was es noch zu bereden gibt, weil alles Nötige gestern Abend bereits gesagt wurde. Wir frühstücken zusammen, aber die gute Stimmung ist seit ihrer Offenbarung vorbei.
Nach dem Frühstück bepacken die beiden Frauen den Lieferwagen und fahren wie jeden Tag in die Stadtmitte von Santa Cruz. Ich füttere Charly und laufe mit ihm eine Pinkelrunde in der Umgebung der Finca. Anschließend setze ich mich an meinen Computer, um mein Fachbuch weiterzuschreiben. Nach einigen Minuten bemerke ich, dass ich mich heute nicht richtig auf die Arbeit konzentrieren kann. Infolgedessen starre ich Löcher in die Decke und schaffe es nicht, auch nur einen einzigen Satz zu formulieren. Somit schalte ich den Computer aus und grübele weiter vor mich hin. Ich werde unsere Gemeinschaft aus 3 Personen nicht so schnell aufgeben, auch wenn meine Situation jetzt etwas schwierig ist. Unsere Absprache war, dass jeder von uns auch eine Außenbeziehung anfangen kann, aber von einer Beziehung innerhalb unserer Gruppe war niemals die Rede. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Geschichte mit den lesbischen Frauen zu akzeptieren. Allerdings werde ich mich jetzt verstärkt nach netten Frauen umsehen, dabei werde ich mich aber nicht verkrampfen, sondern immer schön locker bleiben.
Da ich heute wegen meiner lesbischen Mitbewohnerinnen nicht mehr zum Schreiben des Fachbuches fähig bin, laufe ich gegen Mittag mit Charly eine große Runde immer am Berghang entlang in Richtung Süden. Bei diesen langen Hundespaziergängen habe ich immer die besten Ideen. Nach ein paar Kilometern setze ich mich auf eine Parkbank mit Aussicht und schaue hinunter auf Santa Cruz. Wegen der klaren Sicht kann ich heute sogar die Kanareninsel Teneriffa mit dem Pico del Teide in ca. 60 Kilometer Entfernung erkennen. Der Vulkan ist mit 3.718 Meter über NN der höchste Berg von Spanien. Normalerweise kann man auf See wegen der Erdkrümmung nur ungefähr 30 Kilometer weit sehen, aber die obere Hälfte des Vulkans ist, aufgrund seiner außergewöhnlichen Höhe, trotzdem sichtbar. Charly springt um mich herum und hat viel bessere Laune als ich. Ich stecke mir eine Zigarette an und genieße meine Ruhe.
Wenig später sehe ich nicht nur Charly, sondern noch einen zweiten Hund, vermutlich eine Hündin, weil Charly sehr interessiert an ihrem Hintern herumschnüffelt. Dann taucht das Frauchen zu diesem weißen Hund auf. Sie wirkt auf mich etwas verrückt, aber durchaus sympathisch. Sie ist auffällig bunt gekleidet mit vermutlich selbstgeschneiderter Kleidung, ist ungefähr Mitte 30 und hat feuerrot gefärbte Haare. Sie lächelt mich an und scheint sehr kontaktfreundlich zu sein.
„Charly, sei nett zu der hübschen Hündin“, sage ich auf Deutsch zu meinem Hund.
„Ist da noch ein Platz neben dir frei?“ fragt mich das Frauchen vom weißen Hund.
„Ja, natürlich!“
„Dann setze ich mich dazu, weil ich vom Laufen vollkommen fertig bin. Mir tut alles weh, weil ich vor kurzem eine OP an der Kniescheibe hatte. Bist du öfters hier unterwegs? Ich habe dich noch nie hier gesehen! Meine Hündin heißt Lola, und ich bin die Dagmar“, sagt sie mit einem unglaublichen Rededruck und rasend schnell.
„Ich heiße Frank und das ist Charly! Ich bin auch nicht fit und nur manchmal hier mit dem Hund unterwegs“, antworte ich.
„Wollen wir nachher zusammen ein Stück weiterlaufen?“ fragt mich Dagmar.
„Nach der Pause können wir zusammen weiterlaufen! Das ist eine gute Idee!“
Wir sitzen noch mindestens eine Stunde auf der Parkbank. In dieser Zeit hat Dagmar mir ungefähr ihre halbe Lebensgeschichte erzählt. Anschließend laufen wir zusammen denselben Weg zurück, den ich vorhin gekommen war. Während des Fußmarsches, der ungefähr eine weitere Stunde dauerte, hat sie mir den Rest ihrer Lebensgeschichte erzählt, sodass ich kurz vor meiner Finca praktisch alles über sie weiß. Eigentlich hat sie die gesamte Zeit geredet, sodass mir nur die Rolle des Zuhörers übrig geblieben ist. Von ihren Erzählungen habe ich etwas Kopfschmerzen bekommen, wegen ihrer intensiven Art zu reden. Ihre Geschichten deuten auf eine sehr krasse Kindheit hin, aber ich bin deswegen nicht abgeneigt, den Kontakt weiter zu vertiefen, weil ich in meinem Bekanntenkreis wirklich niemanden ohne gravierende Macken kenne, somit ist Dagmar keine Ausnahme.
„Wollen wir heute Abend ein Bier trinken gehen?“ frage ich Dagmar bei der Verabschiedung.
„Wir können uns morgen um ca. 14 Uhr wieder auf dieser Parkbank von vorhin treffen!“
„O.K.! Wir treffen uns morgen um ca. 14 Uhr auf der Parkbank. Das ist eine gute Idee!“ antworte ich.
„Na, dann bis morgen!“ meint sie. Ich antworte „bis morgen!“
So schnell wie Dagmar gekommen ist, so schnell verschwindet sie auch wieder. Was für eine irre Frau! Aber ich finde sie trotz ihrer offensichtlichen Eigenarten sehr sympathisch. Warum erzählt sie mir so schnell ihre ganze Lebensgeschichte? Eine raffinierte Frau versucht eher etwas vom Mann zu erfahren und wird erst später mit ihren eigenen Geschichten kommen. Sie kennt mich doch gar nicht! Ich laufe mit Charly die nur noch kurze Strecke zurück zur Finca und habe ein gutes Gefühl, weil ich Dagmar kennengelernt habe. Ich habe ihr nichts vom Zusammenleben mit meinen lesbischen Mitbewohnerinnen erzählt, das wäre auch gar nicht gegangen, weil sie ohne Punkt und Komma geredet hat.
Ilona und Marita sind schon in unserer Behausung und kochen gerade ein warmes Abendessen. Ich setze mich an den Küchentisch, warte auf die Mahlzeit und bin ziemlich wortkarg.
„Hast du einen schönen Tag gehabt?“ fragt mich Ilona.
„Ja, es war ganz schön“, antworte ich.
„Dann ist ja alles in Ordnung“, sagt sie und schaut mich dabei prüfend an.
„Ja, es ist alles in Ordnung!“
Beim Essen schweigen wir, weil scheinbar niemand eine gescheite Idee für ein Gesprächsthema hat. Die Stimmung ist jetzt irgendwie kaputt, aufgrund der gestrigen Verkündung. Nach der Mahlzeit setzen sich Ilona und Marita im Wohnzimmer auf unsere gemeinsame Couch und lesen jeweils ein Buch. Ich öffne mir eine Bierflasche, nehme eine deutsche Tageszeitung und verziehe mich in mein Zimmer. Dort lege ich mich auf mein Bett und lese die Meldungen und Kommentare.
Ziemlich spät gehe ich mit Charly nochmal vor die Tür, damit er pinkeln kann. Auf jeden Fall sollte ich mich morgen mit Dagmar treffen, weil ich neugierig auf sie geworden bin. Sie ist eine interessante Person, aber vermutlich auch ein komplizierter Fall. Solche Frauen ziehen mich geradezu magisch an und bringen mich erfahrungsgemäß schnell an den Rand des Abgrundes. Bei Dagmar bin ich jetzt schon sicher, dass die ganze Geschichte im Chaos endet. Ich gehe mit Charly zurück zur Finca, begebe mich nach der Abendtoilette gleich ins Bett und schlafe schnell ein.