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8. Kapitel

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Heute am Samstag werde ich endlich Rudi wiedersehen, denn er wird mich nachher aus Franzis Charlottenburger Wohnung abholen, um mit mir spazieren zu gehen. Seit dem Auszug bei Rudi ist eine Woche vergangen, die für mich schrecklich war, weil ich ihn sehr vermisst habe. Franzi hatte kaum Zeit für mich, da sie sich permanent mit ihrem neuen Freund im Bett herumgewälzt hat. Gibt es nichts Wichtigeres auf der Welt als Sex? Bei Hündinnen funktioniert das völlig anders. Ich habe während meiner Läufigkeit nur vier Stehtage, an denen ich diskussionslos rammel, sonst passiert nichts. Aufdringliche Rüden beiße ich, begleitet von einem eindeutigen Warngeräusch, einfach weg. Wenn das nichts hilft, setze ich mich einfach auf meinen Hintern, sodass dann der heißblütige Verehrer keine Chance mehr hat. Aber bei Franzi scheint das nicht so zu sein, jedenfalls beißt sie Thomas nicht, damit er verschwindet.

Franzi und Thomas werden wohl dieses Jahr noch heiraten, sobald er von seiner jetzigen Ehefrau geschieden ist. Bei dieser Angelegenheit finde ich Thomas ausgesprochen übereilig. An seiner Stelle würde ich mir doch erst einmal Franzi genauestens eine gewisse Zeit anschauen, bevor ich so eine schwerwiegende Entscheidung falle, denn sie ist bekanntermaßen wirklich keine einfache Person. In einer Beziehung ist sie kompliziert, streitsüchtig, brutal und gewalttätig, außerdem kann sie eiskalt sein. Bei so einer teuflischen Mischung würde ich es mir als Mann dreimal überlegen, auch wenn sie mit ihrem italienischen Typus verdammt gut aussieht. In der Öffentlichkeit wird sie von Männern so intensiv angestarrt, dass diese sich selbst vollkommen vergessen und wiederbelebt werden müssen. Was nützt einem Mann eine schöne Frau, wenn sie so eine Männermörderin ist? Sie macht die Männer reihenweise fertig, bevor sie es überhaupt merken. Armer Thomas! Meines Erachtens kann er sich jetzt schon bei einem Therapeuten anmelden.

Nach meinem Frühstück lege ich mich auf meine Decke, um noch ein wenig zu schlafen. Franzi und Thomas gehen nochmal ins Bett, um mal wieder Liebe zu machen. Plötzlich läutet die Klingelanlage, deswegen laufe ich laut bellend und hoch erfreut in den Flur. Franzi hat sich einen Bademantel angezogen und betätigt den Türöffner. Zum Glück ist es Rudi, das höre ich an seinem typischen Tisza-Pfiff im Treppenhaus. Hurra, endlich ist er da!

„Guten Morgen!“ sagt Rudi zu ihr mit einem ziemlichen unfreundlichen Gesicht, als sie ihm die Wohnungstür öffnet. „Guten Morgen!“ antwortet sie provokativ grinsend. „Ah, da ist ja meine liebe Tisza!“ begrüßt er mich und kniet vor mir auf dem Boden.

Ich quietsche vor Freude, rolle mich auf meinen Rücken und strecke ihm meinen Bauch entgegen, damit er mich kraulen kann. Beim Massieren verharre ich, um es richtig lange zu genießen. Was für ein wunderbares Gefühl?

„Tisza, wir gehen jetzt los! Lass uns diese fürchterliche Wohnung verlassen“, kommandiert Rudi. Franzi fragt ihn verärgert: „Wieso fürchterliche Wohnung?“ „Es liegt nicht an der Wohnung, sondern an dir“, antwortet er. „Ach so, dann geht mal jetzt“, sagt sie distanziert. „Wann soll ich sie zurückbringen?“ fragt er. „Morgen Abend“, antwortet sie. Er willigt mit einem: „O.K.!“ ein.

Endlich gehen wir, denn auch ich bin froh diese fürchterliche Wohnung zu verlassen. Auf der Straße angekommen, springe ich glücklich in Rudis Bus. Anschließend fahren wir zum Teufelsberg im Grunewald. Nachdem er sein Vehikel auf einem großen Parkplatz abgestellt hat, laufen wir los. Zunächst lässt er mich angeleint, doch wenig später öffnet er den Karabiner, sodass ich mir erst mal meine überschüssige Energie ablaufen kann.

Als wir ein Stück auf einem Waldweg gelaufen sind, entferne ich mich von Rudi und durchstöbere das Unterholz. Plötzlich sehe ich direkt vor mir ein großes Wildschwein mit vielen kleinen, gestreiften Frischlingen. Die Bache findet mich überhaupt nicht nett und schaut mich mit starren Augen durchbohrend an. Sofort bleibe ich stehen, knurre sie an und stelle mein Fell zu einer Borste auf, um sie zu beeindrucken. Leider ist mit der Bache überhaupt nicht zu scherzen, denn plötzlich rennt sie mit voller Geschwindigkeit auf mich zu. Da sie wesentlich größer ist als ich, entscheide ich mich kurzfristig für eine sofortige Flucht. Rudi befindet sich nachwievor auf dem Waldweg und ahnt nichts Böses. Um ihn nicht zu gefährden, renne ich zunächst in den Wald, aber die Bache sprintet mir im vollen Galopp hinterher. Dann wechsele ich mehrfach meine Fluchtrichtung, indem ich mehrere Haken schlage, aber dadurch kann ich sie leider auch nicht abschütteln. Da mich langsam die Angst packt, renne ich jetzt zu Rudi, der meine missliche Lage bemerkt hat und sich inzwischen mit einem Holzknüppel bewaffnet hat. Als ich Rudi auf dem Waldweg erreicht habe, stoppe ich und stelle mich böse knurrend in Richtung des kurz bevorstehenden Frontalangriffs schauend neben ihn. Die Bache denkt nicht daran stehen zu bleiben und rast weiter auf uns zu. Rudi schreit wie ein Neandertaler und schwenkt dabei drohend seinen dicken Holzknüppel. Kurz vor uns, stoppt dieses wildgewordene Schwein mit einer Vollbremsung und starrt uns dabei böse an. In meinem weiteren Leben werde ich ihren Blick wohl niemals vergessen. Gott sei Dank dreht sich die Bache plötzlich um und rennt zurück zu ihren Nachkommen. Mir fällt ein Stein vom Herzen!

„Mein lieber Herr Gesangsverein, das war wirklich eine Scheißsituation! Ich habe mir fast vor Angst in die Hose geschissen“, sagt Rudi entsetzt mit einem kreideweißen Gesicht. „Scheinbar haben wir die wütende Bache mit deiner Drohgebärde und meinem Gebrüll einschließlich Knüppel doch beeindruckt. Ich bin richtig stolz auf dich“, meint er und streichelt mir anerkennend meinen Kopf.

Natürlich konnte ich mir wegen meiner Angst nicht in die Hose scheißen, weil ich keine trage. Aber ich hätte fast auf den Waldweg geschissen, als ich verteidigungsbereit neben Rudi stand. Mit der Bache war partout nicht zu spaßen, die hatte überhaupt keinen Humor. Oh je, ich muss jetzt wesentlich mehr aufpassen, als zuvor. Mein Erregungspegel befindet sich immer noch am obersten Level. Als wir weiter durch den Wald gehen, schaue ich häufig ins Unterholz, ob uns nicht noch ein weiteres Wildschwein oder ein anderes böses Ungeheuer auflauert.

Nachdem wir eine große Runde im Grunewald gelaufen sind, erreichen wir zum Glück ohne weitere Zwischenfälle unseren Bus. Als Rudi die Schiebetür geöffnet hat, steige ich ein und setzte mich auf den Beifahrersitz. Wenig später fahren wir quer durch die Stadt direkt nach Kreuzberg zu Rudis Dachwohnung.

Rudi parkt unsern Bus in der kleinen Nebenstraße nicht weit von unserer Wohnung. Ich bin froh, wieder in meinem bekannten Terrain zu sein, wo ich fast alle Hundemarken kenne. In Franzis neuem Kiez, bin ich noch relativ unsicher, weil ich dort noch vollkommen unbekannt bin. Wie schnell kann man in so einem fremden Revier von einer anderen, dominanten Hündin angegriffen werden!

Wenig später betreten wir unsere Wohnung, die nach Franzis Auszug etwas leerer ist. Aber ich fühle mich trotzdem sehr wohl hier, weil es für mich mein zu Hause ist. Rudi beginnt zu kochen, während ich mich erwartungsvoll in die Küche lege. Vielleicht fällt doch irgendetwas Essbares für mich ab. Mal sehen! Als er mit der Zubereitung fertig ist, stellt er seinen Teller auf den Tresen und setzt sich auf den Barhocker. Natürlich lege ich mich neben ihn und schaue ihm aufmerksam bei der Nahrungsaufnahme zu. Zum Glück lässt er mir einige Reste auf dem Teller, die er mir nach Beendigung seiner Mahlzeit herunterreicht. Sofort fresse ich alles hastig auf. Vielleicht überlegt er es sich nochmal anders und nimmt mir vorzeitig den Teller weg. Man kann ja nie wissen! Beim Fressen kenne ich überhaupt keinen Spaß!

Nach dieser kleinen Vorspeise richtet Rudi mir meine normale Hundemahlzeit, eine Hälfte sehr gutes Dosenfutter (Rinti), die andere exzellentes, amerikanisches Trockenfutter mit etwas Wasser angereichert. Rudi gibt mir keinen Zucker oder sonstige süße Leckereien, da es quasi Gift für uns Hunde ist. Sobald er den Fressnapf auf den Boden gestellt hat, stürze ich mich drauf und schlinge alles schnell wie ein Wolf herunter. Als Dessert bekomme ich noch einen Kauknochen aus getrockneter Rinderhaut, der das menschliche Zähneputzen ersetzen soll. Nachdem ich noch einen Schluck Wasser getrunken habe, lege ich mich mit meinem Knochen ins Wohnzimmer auf den Teppich und kaue ihn so lange, bis er weich und problemlos herunterzuschlucken ist.

Rudi setzt sich auf die Couch und schaltet den Fernseher an. Heute sehen wir gemeinsam einen interessanten Tierfilm, der in Afrika spielt. Wenn ich diese fremden Tiere höre, brumme ich gefährlich, damit keiner es wagt aus dem Fernseher zu springen. Rudi scheint die Geschichte mit Franzi ganz gut verdaut zu haben. Meines Erachtens geht es ihm besser, seitdem die dumme Kuh fort ist.

Am Abend laufen wir noch eine Runde durch den Kiez. Leider regnet es in Strömen, sodass mein Fell schnell klitschnass ist. Als wir wieder in der Wohnung sind, trocknet mich Rudi im Flur mit meinem Hunde-Handtuch gründlich ab. Es gefällt mir bei ihm wesentlich besser, als bei Franzi. Am liebsten würde ich für immer bei ihm bleiben!

Der mit dem Wolf heult

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