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1. Kapitel (2009)

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Jetzt bin ich mittlerweile 11 Jahre alt, was für einen Kuvasz ein stolzes Alter ist. Heute fühle ich mich ausgesprochen schwach und denke, dass ich wegen meiner Krankheit nicht mehr lange auf dieser Welt weilen werde. Seit mehreren Jahren habe ich bereits Schmerzen in beiden Hüftgelenken, die der Tierarzt als Altersarthrose diagnostiziert hatte. Aber das damit verbundene Leiden ist gar nichts im Vergleich zu meinem derzeitigen hundsmiserablen Zustand.

Vor einigen Tagen begann meine seltsame Krankheit. Ich hatte nur noch Durst und keinen Appetit mehr. In einer Berliner Parkanlage hatte ich fast den ganzen See leergetrunken. Mein geliebter Freund Rudi hatte mich erstaunt angeschaut und besorgt aus dem Wasser gezogen. Aber mein Durst war nicht gestillt, ganz im Gegenteil, jede Wasserpfütze, die ich unterwegs auf den Wegen angetroffen hatte, wollte ich leertrinken. Rudi zog mich jedesmal an der Leine weiter und brachte mich kopfschüttelnd ziemlich ratlos nach Hause.

„Tisza, hast du dich mit irgendeinem Dreck vergiftet? Was hast du gegessen?“ fragte mich Rudi besorgt und ergänzte: „Immer, wenn du etwas Schlechtes gegessen hast, musst du so viel trinken.“

Traurig schaute ich ihn an und verstand jedes seiner Worte, weil ich die Menschensprache in meinem langen Hundeleben erlernt habe. Aber diesmal lag mein Durst nicht am schlechten Essen vom Wegesrand, sondern an meinem Körper, der wie ein Süchtiger nach Wasser verlangte, um es einzulagern. Rudi ist ein sehr einfühlsames Herrchen, weil er ein Tiermensch ist und sich mit allen Kreaturen wunderbar versteht. Wir lieben uns und sind symbiotisch miteinander verbunden. Leider kann ich nicht sprechen, deswegen versucht er laufend meine Mimik zu verstehen. Rudi ist mittlerweile 45 Jahre alt, ca. 1,84 Meter groß, schlank, meistens locker gekleidet und hat braune Haare mit grauen Strähnen. Er arbeitet als freier Journalist für verschiedene Tageszeitungen. Früher habe ich ihn immer hoch erfreut auf seinen beruflichen Einsätzen begleitet, aber seit ungefähr einem Jahr sind mir diese Ausflüge wegen meiner schlechten gesundheitlichen Konstitution äußerst schwer gefallen.

Als wir in unserer Wohnung waren, war ich zusammengebrochen, weil ich keine Kraft mehr in den Beinen hatte. Rudi war so geschockt, dass er mich sofort zum Auto trug und mit mir zur Tierklinik nach Zehlendorf fuhr, um mich untersuchen zu lassen. Nach mehreren Stunden lag die erschütternde Diagnose vor. Der Vorschlag der Ärzte war, mich sofort einschläfern zu lassen, weil ich wegen eines bösartigen Tumors dunkles Blut im Herzbeutel eingelagert hatte. Der Tumor blutete ununterbrochen weiter, deswegen drückte das Blut im Herzbeutel aufs Herz. Dieser Umstand führte zu einer Schwächung der Herzleistung und damit zur Wassereinlagerung im gesamten Körper. Das dunkle Blut wurde mittels einer Punktierung in den Herzbeutel (ein gewagter Eingriff in der Tiermedizin) abgesaugt. Der Eingriff brachte mir kurzzeitig ein wenig Erleichterung, weil mein Herz wieder besser schlagen konnte und das im Körper eingelagerte Wasser abgebaut wurde. Nach Auffassung der Tierärzte wird sich das Blut aber nach ein paar Tagen wieder im Herzbeutel ansammeln. Als Folge wird mein Herz erneut zusammengedrückt werden, sodass die Herzleistung wieder geschwächt und Wasser einlagert wird. Die Veterinäre gaben mir eine maximale Lebenserwartung von höchstens einer Woche. Nach ihrer Auffassung werde ich danach jämmerlich am eingelagerten Wasser ersticken oder ein Organversagen bekommen. Rudi war durch die Diagnose so geschockt, dass er mich sofort vom OP-Tisch gehoben und furchtbar weinend zum Auto getragen hatte. Nachdem er die hohe Rechnung in der Tierklinik bezahlt hatte, fuhren wir nach Hause. Dort angekommen trug er mich die Treppen hinauf, obwohl ich mit meinen 42 Kilogramm inklusive der Wassereinlagerungen nicht gerade leicht bin.

Jetzt liege ich schlaff auf meiner Hundedecke und starre apathisch mit einem gläsernen Blick die Wand an. Rudi ist vollkommen mit den Nerven herunter und leidet mit mir, weil er mir nicht mehr helfen kann. Die Punktierung hat den Druck auf mein Herz vorläufig gelindert, aber ich spüre, dass mein Ende trotzdem naht. Da ich keine Kraft mehr in den Beinen habe, trägt mich Rudi die Treppen herunter, damit ich vor der Haustür mein Geschäft machen kann. Nachdem wir zurück in der Wohnung sind, legt er mich fürsorglich auf die Hundedecke. Es geht mir so schlecht, wie noch niemals zuvor in meinem Leben. Erschöpft schlafe ich ein und in meinen Träumen läuft nochmal mein ganzes Leben wie in einem Film ab. Zwischendurch werde ich manchmal wach, schaue mit trüben Augen nach Rudi, doch ich falle gleich wieder in eine Art Trancezustand, der vermutlich die Grenze zwischen Tod und Leben markiert.

Der mit dem Wolf heult

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