Читать книгу Der mit dem Wolf heult - Martin Danders - Страница 8
5. Kapitel
ОглавлениеAm nächsten Morgen wache ich als erster auf, sofort sind meine Lebensgeister voll da. Übermütig springe ich ins Bett, um zu sehen, ob meine Menschen noch da sind. Glücklicherweise sind sie noch anwesend und schlafen schnaufend nebeneinander. Vorsichtig schiebe ich den Vorhang ein Stück zur Seite und schaue durchs Fenster ins Freie. Als ich eine Katze neben dem Bus durchs Gras schleichen sehe, lasse ich meine typischen Welpen-Piep-Geräusche ab. Wie gerne würde ich jetzt dieser Katze hinterherjagen! Rudi und Franzi liegen unter einer großen, gemeinsamen Decke. Plötzlich taucht ein Fuß außerhalb der Decke auf. Sofort stürze ich mich auf meine Beute und bohre meine Milchzähne hinein. Dummerweise habe ich scheinbar Franzis Fuß erwischt, denn sie schreckt äußerst verärgert hoch.
„Tisza, du sollst mir nicht in die Füße beißen, weil ich noch schlafen will!“ schreit Franzi empört mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Lass die dumme Kuh quatschen, was sie will! Mir ist das vollkommen egal! Jede Bewegung unter der Decke animiert mich zu einem neuen Angriff, was mir einen Höllenspaß macht! Wenig später habe ich scheinbar Rudis Fuß erwischt, doch er bleibt relativ entspannt und streichelt mir über den Kopf.
„Du baust immer nur Kacke, aber das ist gut so“, sagt Rudi geduldig zu mir. Franzi meint: „Ich finde den Hund unmöglich, weil man hier noch nicht einmal ausschlafen kann!“ „Keep cool! Alles nicht so schlimm“, entgegnet er gelassen.
Als mir das Deckenspiel zu langweilig wird, springe ich vom Bett und krabbele nach vorne auf den Fahrersitz. Von dort steige ich aufs Lenkrad und schaue durch die Frontscheibe. Hinten höre ich Franzi und Rudi unter der Bettdecke lachen. Jetzt beginnen sie scheinbar wieder mit ihrem seltsamen Spiel, das sie eigentlich sehr häufig spielen. Es wäre besser aufzustehen, stattdessen liegen sie seltsamerweise übereinander bis Franzi zu stöhnen beginnt. Jetzt wackelt der ganze Bus, sodass auch ich von ihren Bewegungen tangiert werde. Nach undefinierbaren Schreien, die für mich besorgniserregend sind, ist plötzlich Ruhe. Nach einer Erholungspause erheben sie sich endlich aus den Federn und öffnen die Schiebetür. Meines Erachtens wird es dafür auch wirklich Zeit, denn in dem Karch ist die Luft extrem stickig.
Sofort springe ich ins Freie, um mein Geschäft zu erledigen. Auch Rudi und Franzi pinkeln erst mal neben den Busch. Interessiert rieche an ihren Marken, die so anders duften als die von Hunden. Der Garten ist extrem spannend für mich, sodass ich gleich mit einem Erkundungsrundgang beginne. Es ist auch wesentlich besser, ein Stück alleine zu laufen, als immer von Franzi in die Schranken verwiesen zu werden. Ich bin alt genug, um die Welt selber zu erkunden. Aber ich gebe zu, dass ich schon sehr häufig nach meinen beiden Menschen schaue, damit sie mir nicht verloren gehen. Als typisches Rudeltier wäre es für mich schrecklich, plötzlich alleine zu sein.
Franzi wäscht das Geschirr von gestern in einem Spülbecken, während Rudi den Frühstückstisch deckt. Danach kocht er einen Espressokaffee auf einem Camping-Gasbrenner, der zischende Geräusche von sich gibt. Sie haben wirklich an alles gedacht, um hier ohne Einschränkungen übernachten zu können. In der freien Natur finde ich es wesentlich schöner, als in der Kreuzberger Dachwohnung, wahrscheinlich sehen sie das genauso.
Wenig später sitzen Rudi und Franzi am Camping-Tisch und verzehren genüsslich ihre Marmeladen- und Käsebrote. Jeder Biss wird von mir aufmerksam verfolgt. Leider muss ich warten, bis sie fertig sind, damit auch ich mein Welpenfutter bekomme. Nachdem wir alle satt sind, lege ich mich entspannt vor Rudis Füße. Plötzlich erscheint Indien-Peter, um sich wiederholt mit Rudi zu unterhalten.
„Guten Morgen! Na, habt ihr gut geschlafen?“ fragt Peter. Rudi antwortet: „Guten Morgen! Ausgezeichnet, spitze, umwerfend!“ „Guten Morgen! Hier schläft man immer sehr gut, wenn uns nicht Tisza beim Ausschlafen stören würde“, meint Franzi. „Ich stehe nicht so auf Tiere, lieber rauche ich meinen Joint“, entgegnet er. „Ach, immer dieses dumme Kiffen, davon verblödet man langsam“, antwortet Rudi. „Nein, Kiffen ist wunderbar! Das Zeug erweitert den Horizont und man hat super kreative Einfälle“, erklärt er. „Wahrscheinlich kiffen alle Künstler und Lebenskünstler, um gute Einfälle zu haben. Ich brauche das nicht, mir reicht es mit meinem Hund Spaziergänge zu machen, da habe ich auch gute Einfälle“, erzählt Rudi. „Ich finde es besser, Bier oder Wein zu trinken“, meint Franzi passenderweise. „Ja, aber davon bekommt man so schnell eine dicke Birne“, antwortet er. „Außerdem wird man schneller ein Alkoholiker, als man denken kann“, sagt Rudi und schaut seine Freundin mit einem durchbohrenden Blick an.
Mindestens eine Stunde steht Peter an unserem Tisch und redet fast ohne Unterlass. Meines Erachtens hat Rudi schon genug von ihm, denn sein Gesichtsausdruck sieht mittlerweile genervt aus. Als Peter endlich verschwunden ist, atmen Rudi und Franzi erleichtert auf und rauchen jeweils eine Zigarette. Diesen Qualm kann ich überhaupt nicht leiden, weil er für mich unerträglich stinkt. Wieso rauchen Menschen? Als Mensch würde ich morgens, mittags und abends ausschließlich Steaks essen, aber nicht rauchen!
Nach der Zigarettenpause holt Rudi eine Sense und beginnt sofort mit dem Schneiden des hochstehenden Grases. Jedesmal, wenn ich ihm vor die Sense springe, schimpft er mit mir, wie ein Rohrspatz.
„Halte Abstand, das Gerät ist sehr gefährlich!“ schreit er und beginnt wegen der schweren Arbeit zu schwitzen.
Ich verstehe partout nicht, warum er sich mit diesem dummen Gras beschäftigt. Es wäre doch viel schöner, gemeinsam durch den Garten zu jagen und dabei das Umfeld zu erkunden. Menschen tun manchmal wirklich seltsame Dinge. Franzi wäscht derweil das Frühstücksgeschirr ab und räumt danach den Bus auf. Auch ihren übertriebenen Ordnungssinn verstehe ich nicht. Scheinbar fühlt sie sich besser, wenn sie putzt und aufräumt. Wieso räumt sie den Bus auf, wenn er gleich wieder unordentlich ist, sobald wir eingestiegen sind? Wahrscheinlich sollte man im Leben nicht so viel hinterfragen. Menschen verkomplizieren viele Dinge, stattdessen sollten sie alles ein wenig lockerer nehmen.
Gegen Mittag brechen wir auf, um spazieren zu gehen. Heute passe ich natürlich bei Uferabhängen besser auf, damit ich nicht erneut ins Wasser falle. Auch bei Weidezäunen lasse ich Vorsicht walten, denn ich will nicht nochmal das gleiche, schreckliche Erlebnis wie gestern erleiden. Scheinbar ist es besonders schlimm, wenn man sie mit einer feuchten Nase berührt. Was haben da die Menschen nur Furchtbares erfunden? Ich würde es als Folterwerkzeug bezeichnen. Der Spaziergang verläuft ohne Zwischenfälle, weil mich Rudi und Franzi konzentriert mit Argusaugen beobachten, um jegliche Dummheiten meinerseits sofort zu verhindern.
Als wir das Zentrum von Wusterwitz erreicht haben, gehen wir zu einem großen See mit sehr vielen Wasservögeln. An einem kleinen Strandabschnitt verweilen wir und schauen aufs Wasser. Direkt vor uns befinden sich einige Enten, auf die ich mich sofort stürze, um sie zu jagen. Wild flatternd und schnatternd starten sie in die Lüfte, um mir zu entkommen. Seltsam, dass sie so eine Angst vor mir haben, obwohl ich doch noch so klein bin. Nach dieser Aktion befestigt Rudi die Hundeleine an meinem Halsband, wahrscheinlich befürchtet er Ärger mit anderen Badegästen. Schade, alles Lustige wird mir verboten, wie gerne würde ich weiter diese dummen Enten jagen.
Meine Begleiter breiten auf einer Wiese nahe am Strand eine Decke aus und wechseln ihre Kleidung, indem sie ihre Jeans sowie T-Shirts ausziehen und in ihre Badesachen steigen. Danach nimmt Rudi meine Leine und sagt zu mir: „Na, los, auf ins Wasser!“ Anschließend rennen wir zusammen ins kühle Nass. Es ist ein seichter See, indem man ein Stück laufen muss, um ins tiefere Wasser zu kommen. Nach wenigen Metern öffnet Rudi meinen Leinenkarabiner, damit ich mich frei entfalten kann. Sie gehen weiter hinein und beginnen jetzt zu schwimmen. Ich zögere ihnen zu folgen, da das tiefe Wasser mich zum Schwimmen zwingt.
„Na, los! Komm Tisza, schwimm!“ ruft Rudi. Auch Franzi will mich ins Wasser locken: „Komm zu uns, das Wasser ist ganz toll!“
Vorsichtig gehe ich noch ein Stück weiter hinein, aber jetzt geht nichts mehr, weil ich gleich absaufe. Etwas unwohl ist mir schon bei der Sache, aber ich entscheide mich trotzdem ihnen zu folgen. Wenn das Rudel ins Wasser geht, muss ich hinterher, da gibt es gar keine Diskussion. Jetzt habe ich keinen Boden mehr unter den Füßen, sodass ich nun tatsächlich schwimmen muss, so wie gestern im Anglerteich. Mit meinen Vorder- und Hinterbeinen trete ich mich, ähnlich wie bei einem Raddampfer, durchs Wasser. Meine Nase und mein dicker Schädel befinden sich knapp oberhalb der Wasseroberfläche. Manchmal taucht auch noch mein Schwanz auf. Das Schwimmen gefällt mir ausgezeichnet! Relativ schnell erreiche ich sie mit meiner extravaganten Schwimmtechnik und berühre ihre Körper unter Wasser mit meinen Vorderfüßen.
„Sei vorsichtig Tisza, du kratzt mich!“ meint Franzi empfindlich. Rudi sagt stolz: „Ich finde es absolut super, wie sie schwimmt!“
Mein Rudel schwimmt weiter hinaus, trotzdem folge ich ihnen mutig. Alleine würde ich sicherlich nicht so weit hinausschwimmen, aber wenn Rudi das richtig findet, warum nicht! Als unsere Decke am Strand nur noch ein kleiner Punkt ist, drehen wir wieder um und schwimmen zurück. Wenig später habe ich wieder Boden unter den Füssen und laufe zum Strand, um mich dort zu schütteln. Jetzt ist mein Fell gleich weniger schwer. Rudi und Franzi trocknen sich mit ihren Handtüchern ab und legen sich danach auf ihre Decke. Leider bindet mich Rudi mittels Hundeleine fest, weil ich vermutlich die dummen Enten in Ruhe lassen soll.
Nachdem wir ewig lange in der Sonne gelegen haben, ziehen Rudi und Franzi ihre normale Kleidung an. Sie verstauen die Decke in ihrem Rucksack und laufen weiter die Strandpromenade entlang. Darüber bin ich sehr erfreut, weil ich grelle Sonne sowieso nicht leiden kann und einen Schattenplatz immer bevorzuge. Bald erreichen wir ein nettes Gartenlokal mit vielen Tischen, das direkt am See liegt und einen schönen Ausblick bietet. Ein wilder, angeleinter Hund kläfft mich böse an, als wir an seinem Platz vorbeigehen. So ein aufgeblasener Wichtigtuer! Meine Halter setzen sich an einen Tisch. Natürlich lande ich mal wieder auf Franzis Schoss. Von dort aus beobachte ich die ganze Zeit den feindlichen Hund, aber er kann glücklicherweise wegen seiner Leine nicht kommen.
Durch das Gartenlokal flitzt die ganze Zeit ein Mann mit einem Tablett in der Hand. So etwas kann einen Hund ganz schön nervös machen. Auch an unseren Tisch kommt er, verschwindet so schnell wie er gekommen ist und bringt wenig später für uns die Getränke. Zwischendurch stoppt der Mann an anderen Tischen. Wenig später bringt er uns zwei randvoll mit Nahrung gefüllte Teller. Jetzt essen meine Menschen, dabei gehe ich natürlich leer aus. Franzi setzt mich angeleint auf den Boden, damit ich nicht so dicht an ihrem Futter bin. Wahrscheinlich befürchtet sie, dass ich ihr etwas vom Teller stibitze. Ehrlich gesagt, hätte ich das auch gemacht, weil der Geruch einfach zu verführerisch ist. Wegen meines schrecklichen Hungers beneide ich sie, dass sie fressen dürfen.
Als sich die Beiden die fetten Bäuche halten und sich befriedigt in die Stühle zurücklehnen, bin ich maßlos empört, immer noch nichts bekommen zu haben. Glücklicherweise werfen sie mir jetzt tatsächlich ein paar Reste auf den Boden, auf die ich mich sofort stürze. Ihr edles Menschenfutter schmeckt natürlich viel besser als der langweilige Welpenfrass!
Nachdem Rudi die Rechnung bezahlt hat, verlassen wir das Gartenlokal. Der fremde Hund ist immer noch da und verabschiedet sich von mir mit bösem Gekläffe. Ich erwidere sein Bellen, aber mein bescheidenes Welpenorgan beeindruckt leider niemanden. Wir laufen zurück durch den Ort zum Bauernhof. Unterwegs rieche ich angeleint an jeder Marke, deswegen muss jedesmal das ganze Rudel auf mich warten.
Am Bus angekommen, kocht Rudi einen Milchkaffee auf dem Gasbrenner. Franzi holt Kuchen aus der Kühlbox des Wagens und deckt den Tisch. Wenig später sitzen sie auf ihren Campingstühlen und essen die leckeren, süßen Stücke. Ich bin froh wieder im Garten zu sein, denn hier ist es wesentlich entspannter für mich, weil es keine feindlichen Hunde gibt. Das von Rudi gemähte Gras riecht toll. Meines Erachtens wäre es viel besser, auf diesem schönen, liebenswerten Bauernhof zu leben, als in dieser dummen Dachwohnung in der hektischen Großstadt.
Am Abend verabschieden sich Rudi und Franzi von ihren Mietern und packen alle Camping-Utensilien einschließlich meiner Wenigkeit in den Bus. Als sie auf den Vordersitzen sitzen, startet Rudi den Motor. Peter öffnet für uns das hintere Grundstückstor und schließt es wieder, nachdem wir vorsichtig hinaus auf den Feldweg gefahren sind. Er winkt uns zum Abschied zu und geht danach zurück zum Gehöft. Ein kurzes Stück wackelt unser Wagen auf dem löchrigen Feldweg, aber dann wird die Straße besser. Brav sitze ich auf dem Schoss von Franzi und schaue aus dem Beifahrerfenster hinaus. Das Autofahren liebe ich sehr, aber nur bei langsamer Fahrt, denn dann kann ich etwas erkennen. Fahren wir schneller, ermüdet es mich schnell, sodass ich mich dann lieber schlafen lege.
Als wir in unserem Kiez angekommen sind, ist es bereits dunkle Nacht. Franzi läuft mit mir noch eine Pinkelrunde ums Karree, während Rudi das leidige Gepäck in die Wohnung schleppt. Meines Erachtens benutzt Franzi den armen Rudi wiedermal als Packesel. In der Wohnung bekomme ich endlich meine Welpen-Mahlzeit und frisches Wasser. Etwas später sitzen wir alle drei vorm Fernseher und schauen einen Liebesfilm an, den ich furchtbar langweilig finde, weil keine Tiere drin vorkommen. Müde schlafe ich auf dem Schoss von Rudi ein.