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Villa von Zobel

Die alte Villa, die John Stevens von Star Architekt August von Zobel im Jahr 1916 errichten ließ, braucht ständige Aufmerksamkeit. Vom Keller bis zum Dachboden im dritten Stock benötigt Liselotte zwei Tage, um nur die Räume vom lästigen Staub, der sich durch die alten Holzbalken und Teppichböden zu Hauf bildet, zu befreien. Das Herrenzimmer mit der Bibliothek in der untersten Etage in Schuss zu halten, ist für sie die größte Herausforderung. Über dreitausend Bücher sammelten sich im Zeitraum von hundertzwanzig Jahren an. Jedes Buch muss sorgfältig einzeln abgestaubt werden. Eine Sisyphusarbeit. John Stevens, Alma Marias Vater, konnte sich von keinem der Bücher trennen und ließ es sogar testamentarisch eintragen, dass die Erben verpflichtet sind, die Bibliothek zu behalten und den Bestand fortlaufend zu erweitern. Was seit dem Wechsel von Alma Maria Stevens Hauptwohnsitz auf die Fijis Ferdinand übertragen wurde.

Die schmale Auffahrt zur Villa von Zobel ist gesäumt durch eine Allee von alten Lindenbäumen. Sie lassen Ferdinand kaum mehr wie eine Wagenbreite Platz, als er kurz vor zehn Uhr zum Haupteingang fährt. Gepflanzt wurden die Bäume noch auf Anordnung von Architekt August von Zobel, der in seinem Vorantreiben einer reduzierten Ästhetik das Wachsen der Bäume über die letzten hundert Jahre vergessen hatte. Die Bäume mit einem Durchmesser von über einem Meter verengten die Straße hoch zur Villa um einen Meter. Ein Versuch, die Bäume durch neue zu ersetzen, wurde von den Beamten der Stadt Bregenz jedoch abgelehnt. Die Villa sowie der gesamte Garten mit seinem Baumbestand sind seit den achtziger Jahren unter Denkmalschutz gestellt. Die Villa liegt im nördlichen Teil von Bregenz, auf einer Anhöhe, die von der ersten Etage freien Blick auf den Bodensee und den Nachbarstaat Deutschland ermöglicht. Vor der dreistöckigen Villa, welche in der Mitte einen winzigen Glockenturm besitzt, ist nur genug Platz für ein Auto. Alma Maria Stevens setzte es bei den Bregenzer Behörden durch, trotz Denkmalschutz eine geeignete Tiefgarage unter der Villa errichten zu lassen. Sie nutzte die Gelegenheit und ließ die Tiefgarage um einiges größer bauen als es genehmigt wurde. Ferdinand lässt sein »Auto des Tages« immer vor der Villa stehen, was meistens zu Konflikten mit Liselotte Gruber führt, die dann ihre Besorgungen durch die Tiefgarage und die steile Treppe in die Villa tragen muss. Wenigen Einwohnern von Bregenz ist bekannt, welch ein Juwel sich hinter den vielen Bäumen und Sträuchern praktisch mitten in der Stadt verbirgt. Ferdinand wiederum ist froh, dass dieser Umstand ihm eine gewisse Anonymität einbringt. Nur der Postbote und der Zeitungsausträger besuchen einmal am Tag den Postkasten beim massiven Einfahrtstor der Villa. Ferdinand sieht Liselotte an den Fenstern des Herrenzimmers im Untergeschoss. Da er sich erneut auf den kleinen Parkplatz vor der Villa stellt, würdigt Liselotte Ferdinand keines Blickes. Ein Croissant für die liebe Liselotte und die Situation wird sich neutralisieren, ist sich Ferdinand sicher, als er die Villa betritt.

Ferdinand serviert Liselotte das mitgebrachte Croissant mit einer Tasse Kaffee, Butter sowie Marmelade auf einem Jugendstil Tablett mit dunklem Holzboden und verschnörkelter Silberumrandung. Neben der Kaffeetasse liegt eine Nelke, die er aus einem Blumenstrauß in der Küche entwendete und elegant als seine eigene Kreation auf dem Tablett platziert. Liselotte ignoriert ihn, als er das Herrenzimmer mit einem »Schönen guten Morgen, meine Liebste«, betritt. Erst als der Duft des frischen Kaffees Liselottes Geruchsnerven erreicht, lässt sie von ihrem Staubwedel am ersten der fünf Bücherregale ab.

»Auch einen guten Morgen, der Herr. Schon früh raus heute?«

»Ein Kunde, der nur morgens zu sprechen war. Überaus nervig so etwas. Aber was tut man nicht alles für Misses Stevens und ihre Galerie.« Liselotte setzt sich zu Ferdinand auf das schwarze Chesterfield Sofa. Sie ist sichtlich beglückt über das Bemühen Ferdinands, sie bei guter Laune zu halten. Die Nelke legt sie vorsichtig mit einem »Danke« neben das Tablett, wissend, dass die Blume aus ihrem Strauß in der Küche stammt. Ferdinand beobachtet Liselotte, wie sie graziös ihre Tasse zum Mund führt. Obwohl sie Ferdinand nie ihr richtiges Alter verraten hatte, vermutet er, dass sie trotz ihres jugendlichen Aussehens knapp über 60 Jahre alt sein könnte. Liselotte Gruber arbeitet schon über vierzig Jahre für Alma Maria Stevens. Sie stammt aus Schwarzenberg, einer kleinen oberösterreichischen Gemeinde an der Grenze zur Tschechischen Republik im Böhmerwald. Während ihrer Arbeitszeit in der Villa pflegt sie stets eine weisse Dienstmädchen-Schürze über ihrer in schwarz gehaltenen Kleidung zu tragen. Ihre Haare arrangiert sie zu einem traditionellen Zopf. Ihr war es schon immer wichtig, eine perfekte Frisur zu haben, auch während der Arbeit. Der in letzter Zeit leichte Blauton ihrer schwarzen Haare lässt vermuten, dass sich Liselotte in der Tönung vergriffen hat. Ferdinand wagte es einmal, sie darauf anzusprechen, woraufhin sie ihn für eine ganze Woche mit Schweigen strafte. Ihr innerösterreichischer Akzent drang nur ganz selten durch ihr perfektes Hochdeutsch. Vor allem, wenn Liselotte verärgert war, fiel sie in einen Sing Sang unverständlicher Flüche, welche teilweise auch in die tschechische Sprache, die sie als Zweitsprache beherrschte, abwanderten. Hinter ihrer Dienstmädchen-Schürze versteckt sich eine perfekte Haushälterin, die auch Alma Maria Stevens Buchhaltung in Schuss hält und ihre Güter während ihrer Abwesenheit verwaltet. Liselotte ist Alma Maria Stevens rechte Hand in allen Belangen während ihrer Abwesenheit. Vor allem hält sie die Hand über die Finanzen, was die Stiftung in Liechtenstein sowie die Galerie El-Mar in Bregenz, angeht.

Die Stelle der Geschäftsleitung in der Galerie El-Mar wurde lokal im Bregenzer Gemeindeblatt ausgeschrieben. Interessierte konnten sich donnerstags direkt in der Galerie vorstellen. Es war Zufall, dass Ferdinand genau an jenem Donnerstag die Galerie besuchte, einige Tage, nachdem ihr alter Galerist, Herr Van der Zwarn, ein Holländer, im Alter von 92 Jahren bei einem Autounfall verunglückte. Ferdinand war drauf und dran, der Galerie einen Denifl, den er im Dachboden seines Elternhauses gefunden hatte, zu verkaufen. Dazu kam es zu Ferdinands Glück aber nicht. Der Denifl war am unteren Ende der Preislisten für lokale Maler. Mehr als hundert Euro hätte er wohl nicht bekommen, obwohl Denifl als angesehene Persönlichkeit von Dornbirn galt. Den Denifl ernsthaft einer Galerie zu überhöhtem Preis anzubieten, hätte bei geschultem Personal den Eindruck eines versuchten Betruges erwecken oder ihn als Laie darstellen können. Liselotte begrüßte ihn an jenem Donnerstag mit einem »Sie kommen sicher wegen der Neubesetzung der Leitung für die Galerie.« Ferdinand hatte zur der Zeit weder eine Arbeit, noch Geld, um seinen Lebensaufwand bezahlen zu können. Er stieg auf die Anfrage von Liselotte ein und schon nach wenigen Worten merkten sie, dass beide auf der selben Wellenlänge lagen, was ihre Vorstellung von Arbeit und Leben betraf. Ferdinand schenkte Liselotte und der Galerie den Denifl, der nun seit Jahren im Keller auf seinen Einsatz wartete. Einige Tage später wurde Ferdinand offiziell als neuer Leiter der Galerie El-Mar vorgestellt.

Liselotte ist Mitglied des Stiftungsrats von Alma Marias Stevens Stiftung in Liechtenstein. Sie schlug Ferdinand vor, einen Sitz im Gremium für An- und Verkäufe im Aufsichtsrat zu übernehmen. Ab und zu kam es vor, dass Geschäftsabschlüsse der Stiftung einen sensiblen Umgang mit Geld gegenüber der Finanzbehörde verlangte. So begann Ferdinand, Devisen für die Stiftung von Liechtenstein über die Grenze zu schaffen und sich die Basis für die ersten privaten Transporte von Gütern, die nicht deklariert werden sollten, zu legen. Die Stiftung unterstützt junge Künstler, indem sie ihre Werke ankauft und in der Galerie weiter verkauft, lagert oder umgekehrt.

»Wie läuft es in der Galerie?«

»Nicht viel los im Moment. Ein, zwei Bilder, die eventuell aus einer Liechtensteiner Stiftung freigegeben werden. Ich versuche, die Bilder für die Galerie zu bekommen. Nichts Bewegendes, aber immer noch besser, als das, was wir im Moment in der Sammlung haben. Geplant ist noch ein Ankauf von der Stiftung, ich habe mich noch nicht entscheiden können, welches Bild. Ich werde wohl morgen nochmals nach Liechtenstein fahren, damit ich das regeln kann.«

Ein SMS Ton, der eine Nachricht von 117 ankündigt: »Auftrag kann erledigt werden.«

»Was gibt es Neues von Alma Maria?« fragt Ferdinand Liselotte und beginnt, Francesco auf 117 zu antworten. Das Thema Alma Maria Stevens löst bei Liselotte immer einen schier nie endenden Monolog aus. Liselotte steht im täglichen Kontakt mit Alma Maria auf den Fijis. Irgendwann machte es sich Ferdinand, aus anfänglich genervten Zügen über ihren Redeschwall, zu Nutze, während Liselotte‘s Monolog seine kleineren Arbeiten am Mobiltelefon zu erledigen. Liselotte schien das nie sonderlich zu stören, da sie froh war, den täglichen Reinigungstrott durch eine gepflegte Tasse Kaffee und eine kleine Unterhaltung zu unterbrechen. Ferdinand öffnet das Kuvert von Michi Schneider und fügt die Daten der Übergabe zu Francescos Nachricht. Während Liselotte redet, versucht er, so unauffällig wie möglich seine Nachrichten zu verschicken. Gelegentlich blickt er auf und nickt ihr zu. Alle zwei bis drei Sätze wirft er ein »Aha« ein. Das »Aha« eignet sich hervorragend gut als Allgemeinantwort sowie Bestätigung seiner Aufmerksamkeit. Ferdinand will Liselotte nicht unterbrechen. Er schreibt, entgegen seinen Gewohnheiten, wichtige Angelegenheiten persönlich zu besprechen, eine SMS an Michaela Schneider. »Nehme den Auftrag an. Bitte um Bezahlung der Bilder wie üblich.« Sekunden später erscheint die Antwort OK von der 13, wie er Michaela Schneider gespeichert hatte. Zur gleichen Zeit von der 117 »Auftritt steht, muss noch Proben, bis morgen.«

»Ferdinand, ich weiss, Sie hören mir nicht zu. Aber dennoch danke für den Kaffee und das Croissant. Eines Tages werde ich es schon noch schaffen, mit Ihnen einen Kaffee zu trinken, ohne dass sie anderen Arbeiten nachgehen. Ich würde sagen, ich entlasse sie aus meinen Diensten. Ich muss heute noch die Regale entstauben. Und nochmals danke, dass sie so unregelmäßig die Büchersammlung von Alma Maria erweitern. Jedes Buch weniger zählt.« Liselotte steht auf und geht wieder zu ihrem Bücherregal. Ferdinand antwortet mit einem »Aha«, ohne wirklich auf Liselotte einzugehen, den Blick immer noch auf sein Mobiltelefon gerichtet. Der Ton eines Raben mit dem Symbol einer Kamera erscheint auf seinem Telefon. Das Zeichen, dass eine Aktivität beim Briefkasten an der Galerie stattgefunden hat. Er wird nachher an Liselottes Computer eine Auswertung der Kamerabilder durch-führen, bevor er morgen in die Galerie El-Mar fährt, um die Bezahlung zu überprüfen. Ferdinand vermutet, dass es sich hier um die Bezahlung von Michaela Schneider handelt. Er wundert sich aber über die Schnelligkeit der Bezahlung. Knappe fünf Minuten, fast unmöglich, wenn man nicht schon in der Nähe der Galerie ist.

»Danke, meine Dame. Ich werde mich nochmals kurz zurückziehen. Morgen geht es früh los. Es scheint, so als ob sich in der Sache in Liechtenstein etwas getan hat.« Ferdinand lässt das Geschirr stehen und begibt sich in seine Wohnung im ersten Stock, ohne Liselotte nochmals anzusehen. Jetzt will er noch eine Runde schlafen. Er beschließt, morgen den Defender für den Auftrag zu fahren.

Ferdinand Baum & Die Reise des Herrn Kleinmann

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