Читать книгу Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer - Страница 48
Ein filmreifes Spekulationsgeschäft: Das Hanauer Lager
ОглавлениеHolzmann und Kutisker kamen im Zusammenhang mit der Finanzierung und der Vermarktung des Hanauer Lagers zusammen.106 Darin befanden sich nach dem Krieg die gesamten Gerätschaften und Materialien der ehemaligen Eisenbahntruppen der Westfront: Lokomotiven und Feldbahnwagen ebenso wie Spaten und andere Gerätschaften, die aber meist nur noch Schrottwert hatten. Zu deren Verwertung, aber mehr noch aus genuin spekulativen Gründen, wechselte das Lager mehrmals die Besitzer. Einen guten Teil der Kaufsumme finanzierte Kutiskers Steinbank, und zwar gegen Wechsel und Sicherheiten, die auf dem Materialwert des Lagers beruhten. Beides zusammen, Wechsel und Sicherheiten, reichte Kutisker bei der Preußischen Staatsbank ein und besorgte sich auf diese Weise die erforderlichen Kredite. Schon hier ging es nicht mit rechten Dingen zu, auch wenn einiges darauf hindeutet, dass Kutisker von seinem Kompagnon betrogen wurde.
Die »Luftgeschäfte« rund um das Lager waren dann aber abenteuerlich. Im Kaufvertrag vom 7. März 1924 war der Wert des Lagers mit 300000 GM (in der Tat viel zu niedrig) angesetzt worden. Seltsam war nun aber, dass der Wert binnen weniger Monate auf wundersame Weise stieg. Das war darauf zurückzuführen, dass plötzlich ausländische Interessenten auftauchten oder ihr Auftauchen ankündigten oder einfach aus dem Hut gezaubert wurden. Die Staaten Litauen, Sowjetrussland und Rumänien, zwischendurch auch die Reichswehr, hätten Interesse, so hieß es auf jeden Fall. Mitte Februar erklärte Kutisker der Staatsbank, der litauische Staat sei bereit, mehr als 10 Mio. zu zahlen, was die Verlängerung seiner inzwischen auf 4,2 Mio. angestiegenen Schuld ermöglichte.107 Dabei wurde die Preußische Staatsbank an dem hoch spekulativen Geschäft – denn nur so kann man es bezeichnen – beteiligt: Überstieg der Erlös die Summe von 4,2 Mio., sollte die Bank die Hälfte der Verkaufssumme erhalten! Im März war die Rede von 12,5 Mio. RM, die Sowjetrussland bezahlen werde. Das war erstaunlich, denn noch Ende Mai bewertete das deutsche Militär den Wert des Lagers mit 1,67 Mio., später wurde der »militärische Wert« auf 3 Mio. GM erhöht; anlässlich einer Besprechung im Reichswehrministerium Ende Juni, an der auch der Vertreter der Staatsbank Rühe anwesend war, erklärte ein Major, er kenne das Lager genau (tatsächlich hatte er es zusammen mit anderen besichtigt), er »schätze den wirtschaftlichen Wert auf 12 bis 15, mindestens aber auf 10–12 Millionen Mark«.108 Das goss Öl in das Feuer von Spekulationen, die den Wert des Lagers in die Höhe trieben. Vor diesem Hintergrund erschienen die vermeintlichen Gebote von angeblich mehr als 10 Mio. seitens Litauen im Februar, 12,5 der Sowjets im März oder 9,6 Mio. Rumäniens im Juli nicht ganz aus der Luft gegriffen. Für die Staatsbank waren solche Zahlen Musik, denn sie schienen eine Gewähr dafür, dass die aufgelaufenen Schulden Kutiskers bei der Staatsbank besichert waren.109
Zwischen Betrügern und Betrogenen war zu diesem Zeitpunkt kaum mehr zu unterscheiden. Kutisker und Holzmann kooperierten bei den Täuschungsmanövern und bekriegten sich gleichzeitig. Kutisker gaukelte der Staatsbank den angeblich kurz bevorstehenden Eingang von Geldern vor. Eine windige Ausflucht reihte sich an die andere: Geschäfte mit der sowjetischen Handelsmission mit Flachs (wobei das Flachslager plötzlich abbrannte); ein reicher Vetter und Tabakhändler aus New York, der sich an seinem Geschäft beteiligen werde, der aber nie auftauchte (wobei die vorgelegten Dokumente über Zusagen nachweislich gefälscht waren).110 Und damit nicht genug. In Hanau tauchte eine fingierte rumänische »Abnahmekommission« unter Führung eines Handelsattachés auf, darunter auch der aus Paris angereiste Holzmann, und zwar unter dem Decknamen »Negri« (Pola Negri war eine bekannte Schauspielerin der Zeit).111 Dem im August nach Hanau entsandten Beamten der Staatsbank namens Dr. Habbena kam die Sache zwar recht dubios vor, aber die Mitglieder der Kommission versuchten ihn zu beschwichtigen: Die Berichte seien schon in Bukarest und die Auszahlung des Geldes auf der Grundlage eines zuvor in Hamburg geschlossenen Vertrags könne demnächst erfolgen.112
Die Staatsanwaltschaft argumentierte später, dass Kutisker den Betrug Holzmanns, der sich gegen ihn, Kutisker, richtete, selbst arrangiert habe, um aus einem früheren Vertrag mit den Rumänen herauszukommen.113 Das war die Version Holzmanns. Unter den vielen Erklärungen bot diese zumindest eine nachvollziehbare Variante an und hatte den Vorteil, ein »Master Mind«, ein schwarzes Schaf, einen Sündenbock zu identifizieren. Dieser Sündenbock war Kutisker, der am Schluss die von Michael erwirkten gerichtlichen Zahlungsverordnungen nicht mehr erfüllen konnte, sodass der »völlige Zusammenbruch der Steinbank und damit des sogenannten ›Kutisker-Konzerns‹« nicht mehr aufzuhalten war.
Kutisker hatte Grund, sich als Opfer zu sehen. Denn die umfangreichen Ermittlungen der Berliner Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft zeigen recht eindeutig, dass Holzmann Kutisker und andere erpresste und dabei gemeinsame Sache mit Männern aus dem »Berliner Fremdenamt«, also der Stelle, bei der sich Ausländer zu melden hatten, machte.114 Folgt man den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Holzmann sowie Kutiskers eigener Darstellung, ging es Holzmann vor allem um eines: Geld. Kutisker wurde mit der Abschiebung aus Deutschland erpresst. Auf diese Spur kam auch ein Kriminaloberinspektor namens Grünberg von der Berliner Kriminalpolizei aufgrund von Informationen aus russischen »Vigilantenkreisen«. Aber er merkte schnell, dass er mit seinen Ermittlungen in ein Wespennest stach.115 Grünbergs Beweise zählten schließlich wenig, da er sich selbst angreifbar machte. Zum einen wegen banaler Abrechnungsfehler bei Auslagen für ein gemietetes Auto; zum anderen hatte er die Hilfe einer Sekretärin Kutiskers in Anspruch genommen: »Dieses Vergehen ist nicht nur ungehörig, sondern wird auch jedenfalls zu einer strengen disziplinarischen Bestrafung des Kriminalinspektors Grüneberg [sic!] führen«, war aus dem Munde des Polizeipräsidenten Richter zu hören; noch 1924 wurde Grünberg aus dem Dienst entlassen. Wenige Monate später stand der Polizeipräsident wegen seiner Beziehungen zu Barmat selbst am Pranger – und wurde gedemütigt verabschiedet.