Читать книгу John Armis - Martin Kern - Страница 8
IM LICHT DES MONDES
ОглавлениеDie Nachricht von Elmons Tod hatte mich erschüttert. In Gedanken versunken schlenderte ich zurück über den Marktplatz und besorgte Verpflegung für die bevorstehende Reise. Die Sonne erhellte mittlerweile den Platz. Zwischen den Ständen spielten einige Kinder. Einer der Händler schimpfte lauthals, als ein Junge seine fein säuberlich angerichteten Waren umstieß. Doch dieser rannte nur lachend davon. Er erinnerte mich ein wenig an Tess. Meine Laune besserte sich etwas.
Elmon würde nicht wollen, dass ich in Trübsal versinke, dachte ich mir und straffte die Schultern. Meine Gedanken wanderten weiter zu Amalia und ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus. Sie war ein ebenso faszinierendes Wesen wie ihr Vater. Ich lächelte unwillkürlich.
Schon bald erreichte ich das Gasthaus. Trotz meiner Abneigung gegen die Küche dort, beschloss ich, eine Mahlzeit zu mir zu nehmen. Während ich auf das Essen wartete, beobachtete ich die Menschen in der Gaststube und schnappte einige Gespräche auf. Zwei stämmige Arbeiter schimpften lauthals über den alten Fuchs, dem Besitzer der hiesigen Schmiede. Schmunzelnd dachte ich an den Mann, der die meiste Zeit des Tages damit verbrachte, im Schaukelstuhl vor der Schmiede zu sitzen, während Will die ganze Arbeit machte.
Endlich kam mein Essen. Wie vermutet, schmeckte es nicht besser als am Tag zuvor. Es war trocken und ich brachte es nur mit viel Wasser herunter. Ein komisches Gefühl breitete sich im Magen aus.
Nach dem ungenießbaren Mahl ging ich zurück auf mein Zimmer, um dort die letzten Vorbereitungen abzuschließen. Ich setzte mich an den Tisch, breitete das gekaufte Lederbündel vor mir aus und nahm meinen Rucksack zur Hand. Nachdenklich betrachtete ich das zerfetzte Stück und mir schossen wieder Bilder durch den Kopf, wie mich dieser Berggreif aus dem Hinterhalt angegriffen hatte. Ein Schauer lief mir dabei über den Rücken. Das Leder hatte eine hervorragende Qualität, doch den Angriff einer solchen Kreatur hält selbst das beste Material nicht stand.
Mit Nadel und Lederstreifen bewaffnet machte ich mich ans Werk. Schon oft hatte ich meine Ausrüstung zusammenflicken müssen und wusste daher, was ich tat. Nach getaner Arbeit betrachtete ich das Ergebnis und kam zu dem Schluss: »Keine Meisterarbeit, aber durchaus zu gebrauchen.«
Ein vertrautes Gelächter ließ mich vom Tisch aufblicken. »Der Rucksack fällt doch schon auseinander, wenn man ihn nur schief anschaut, Johnny.« Tess war wieder am Fenster aufgetaucht.
Während sie zu mir in den Raum hineinkletterte, sagte ich zu ihr: »Du weißt, dass es hier auch eine Türe gibt, Tess?«
»Das weiß ich, Johnny, aber der Wirt hat mir wegen eines kleinen Streiches verboten, die Gaststätte zu betreten. Außerdem macht es viel mehr Spaß, hier hochzuklettern.«
Ich grinste. »Was hast du denn angestellt, dass dir der Wirt gleich Hausverbot erteilt?«
Tess schwang ihren Kopf voller gespielter Empörung um die eigene Achse. »Ich habe dem alten Spielverderber nur eine kleine Spielzeugmaus in den Suppentopf geworfen. Das fand er nicht halb so lustig wie ich.«
»Du hättest ruhig eine echte Maus hineinwerfen sollen. Wer weiß, am Ende hätte das noch seine Speisen geschmacklich verbessert.«
Tess strahlte mich an. »Wenigstens du hast Humor, Johnny, auch wenn das ganz schön eklig klingt.« Sie nahm den soeben geflickten Rucksack genauer unter die Lupe. »Aus der Nähe betrachtet sieht es ja noch fürchterlicher aus. Du hättest dir jemanden suchen sollen, der davon Ahnung hat.«
Ich zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. »So? Ich nehme an, du sprichst da von dir?«
Tess strich sich elegant eine Strähne aus dem Gesicht. »Natürlich, schließlich bin ich eine Dame von Welt.«
Mir rutschte ein lauter Lacher heraus. »Zumindest kannst du dich so vornehm ausdrücken.« Ich nahm ihr den Rucksack aus der Hand und zerrte etwas an der Naht. »Also ich finde, es ist mir sehr gut gelungen.«
Sie streckte mir die Zunge entgegen und begann, im Raum umher zu tanzen. Eine Weile sah ich ihr dabei zu, wie sie sich drehte, auf einem Bein herumsprang und sich abschließend auf den Hintern fallen ließ. Wir lachten beide.
»Welche Ehre ich doch habe, dich gleich zweimal zu sehen, Tess. Wolltest du nicht etwas Dringendes erledigen?«
Sie rappelte sich auf und fuhr mit ihren Pirouetten fort. »Das habe ich, Johnny, das habe ich. Ist aber eine Überraschung. Erzähl du mir erst von dem neuen Abenteuer, auf das du dich begibst. Der Zwerg hat mir davon erzählt«, fügte sie hinzu, da ich verwundert dreingeschaut hatte. »Ich habe ihm vorhin ein paar Feuersteine verkauft. Und da habe ich natürlich gleich gefragt, wozu er die braucht. Erst wollte er mir nichts sagen, aber ich habe so lange nachgebohrt, bis er endlich aufgegeben hat. Er erzählte mir von einem gefährlichen Abenteuer, in das ihr euch stürzen wollt. Natürlich war ich sehr neugierig und habe nachgehakt, aber er ist einfach abgehauen.«
Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie Will vor der temperamentvollen Tess flüchtete. Immerhin redete sie wie ein Wasserfall, was den Zwerg schnell zur Weißglut brachte. »Wenn Will einer Dame von Welt begegnet, wird er immer ganz nervös, weißt du?«
»Ist das so?« Sie hüpfte wieder aufgeregt auf der Stelle. »Lenk nicht vom Thema ab, Johnny. Los, erzähl von dem Abenteuer!«
Kaum hatte ich ihr von Amalia erzählt, da fiel mir Tess gleich wieder ins Wort. »Ich erinnere mich an sie. Sie hat gestern einige Dinge bei meinem Vater gekauft. Ist sie nicht wunderhübsch?« Tess zwinkerte mir vielsagend zu.
»Worauf willst du hinaus?«
Sie schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Ach Johnny, muss ich dir das wirklich erklären? Du müsstest deinen Blick sehen, wenn du über sie sprichst. Ist doch klar, dass du in diese Amalia verknallt bist. Außerdem lebst du doch schon seit gefühlten tausend Jahren alleine. Wird langsam Zeit, dass du eine Frau findest.«
Ich sah Tess mit gerunzelter Stirn an. »Für deine zehn Jahre weißt du ja schon ganz schön bescheid. Jedenfalls«, sprach ich mit anderem Tonfall weiter, »werde ich mich mit dieser Elfe und Will ins Abenteuer stürzen. Wer weiß, was alles auf uns zukommt.«
»Werdet ihr gegen Bestien kämpfen?«, fragte sie.
Dies entlockte mir ein breites Grinsen. »Natürlich, was denkst du denn?«
Tess sah mich mit großen Augen an. Dann schnipste sie mit den Fingern, als wäre ihr soeben etwas eingefallen. »Fast hätte ich deine Überraschung vergessen, Johnny.« Sie kramte in ihrer Tasche und holte ein dickes Buch hervor. »Das habe ich extra für dich besorgt.« Vorsichtig öffnete sie den Wälzer und entnahm ihm eine gepresste Blüte. »Das ist eine Nelumbotumblüte, Johnny. Aus ihrem Öl kann man eine spezielle Paste herstellen, musst du wissen.«
»Eine spezielle Paste?«, fragte ich mit übertriebener Neugierde, wie man sie nur bei Kindern anwendet. »Und was macht man damit?«
»Was wohl«, sagte sie, als ob dies das Selbstverständlichste der Welt sei. »Man trägt sie natürlich auf die Rüstung auf. Durch die behandelten Stellen dringt kein Wasser ein.«
Ich sah abwechselnd die Blüte und Tess strahlendes Gesicht an. »Das ist ein wunderbares Geschenk, Tess. Ich danke dir. Du besitzt wahrhaftig die Gabe, an interessante und nützliche Objekte zu kommen. Aus dir wird noch eine richtig gute Händlerin.«
»Nicht der Rede wert, Johnny.« Täuschte ich mich etwa oder wirkte Tess verlegen? Jedoch nur einen kleinen Moment lang, dann war sie wieder das aufgedrehte Mädchen, das ich kannte. »Ich werde dir bei der Zubereitung helfen, da ich weiß, wie schlampig du mit deiner Ausrüstung umgehst.«
Wir verbrachten den Rest des Tages damit, aus einem Teil der Blüte die Paste herzustellen. Tess arbeitete, zu meiner Überraschung, äußerst konzentriert. Ich ging ihr dabei nur etwas zur Hand. Zu guter Letzt behandelten wir damit die Lederrüstung. Der süßliche Duft vertrieb sogar den stickigen Hauch der Gaststube. Den Rest der getrockneten Blüte steckte ich in ein kleineres Buch und verstaute dieses im Rucksack. Dann warf ich mir die Ledermontur wieder über.
Tess half mir, meine Sachen einzupacken und alles reisefertig zu machen, als sie plötzlich anfing zu grinsen. »Lass es uns gleich testen.«
Ehe ich begriff, was dieser kleine Teufel damit meinte, schüttete sie mir von hinten einen Krug Wasser über den Kopf. »Haha, du müsstest mal dein Gesicht sehen, Johnny«, lachte sie lauthals los.
Meine Haare waren klitschnass, aber der Rest des Wassers perlte an der Ausrüstung ab, wodurch der Körper komplett trocken blieb. Das Leder saugte sich nicht voll und war weiterhin geschmeidig. Selbst die porösen Riemenlaschen wirkten fast wie neu durch die Pflege. »Vielleicht sollte ich die Paste auch in meinem Gesicht auftragen?«, witzelte ich und stimmte in ihr Lachen mit ein.
Der Nachmittag neigte sich dem Ende zu. Tess begleitete mich zum vereinbarten Treffpunkt am südlichen Ausgang der Stadt. Dort wartete schon ein ungeduldiger Zwerg.
»Da bist du ja endlich, John. Und wie ich sehe, ist die kleine Quasselstrippe auch dabei.« Man sah es Will an, wie ihm die Anwesenheit von Tess aufregte. Zwerge waren wahrhaftig nicht dafür bekannt, geduldig zu sein. So riss ihnen gerne mal der Geduldsfaden, wenn eine so lebhafte Person, wie Tess, sich um ihre Aufmerksamkeit bemühte.
Diese grinste nur spöttisch. »Du bist schon sehr undankbar, kleiner Mann. Immerhin habe ich dir die besten Feuersteine verkauft, die man für das Geld kriegen kann. Mit denen bist selbst du in der Lage, ein Feuer zu entzünden.«
Ich spürte förmlich, wie Will mit sich kämpfte. »Hör zu, junge Dame. Hier steht einer der besten Schmiedehandwerker der vier Kontinente vor dir. Deshalb bin ich absolut in der Lage, ein Feuer zu entfachen, ist das klar?« Wills Gesichtsfarbe entwickelte einen gefährlich roten Ton.
Tess blieb davon unberührt und lächelte fröhlich vor sich hin, was den Zorn des Zwerges weiter anschürte.
»Reg dich ab, Will«, versuchte ich ihn zu beruhigen, konnte aber ein Grinsen nicht unterdrücken. »Sie will dich doch bloß ein bisschen aufziehen. Außerdem trennen sich hier unsere Wege.« Ich wandte mich zu Tess und nahm sie in den Arm. »Auf Wiedersehen, du kleine Unruhestifterin. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.«
Ihr Lächeln nahm eine traurige Miene an. »Ich wünsche dir alles Gute, Johnny. Und bring mir ein Andenken mit.«
»Mach ich, Tess. Und danke nochmals für dein Geschenk. Ich werde an dich denken, wenn mir das nächste Mal jemand einen Krug über den Kopf schüttet.«
Tess grinste mich frech an, wandte sich ab und lief zurück in die Stadt. Doch nach ein paar Schritten drehte sie sich abermals um. »Viel Glück auch dir, kleiner Mann. Und verbrenn dir nicht deine Finger.« Sie warf Will einen Kuss zu und verschwand hinter der nächsten Ecke.
Wills Gesichtsfarbe normalisierte sich. »Irgendwann bring ich ihr noch Manieren bei«, sagte er mit geballten Fäusten.
Ich blickte ihn herausfordernd an. »Nur über meine Leiche, alter Freund!«
Unser Treffpunkt lag einen kleinen Fußmarsch vom Dorf entfernt. Dennoch gab es auf dem Weg allerhand zu sehen. Da war ein Bach, dessen Wasser so klar und rein, dass die darumstehenden Bäume und Büsche besonders gediehen. Außerdem war das Wild hier Menschen gegenüber zutraulich. So konnte es passieren, dass plötzlich ein Elch oder anderes Tier vor einem stand. Es war eine der friedlichsten Gegenden im östlichen Kontinent. Doch heute lag eine beunruhigende Spannung in der Luft. Ob es nur mir so vorkam?
Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen durch die Baumkronen. Will begann, ein Lied zu summen. Eine einprägende und stimmige Melodie. Erst leise, dann immer lauter, bis die Vögel im Einklang mit ihm sangen. Verblüfft lauschte ich ihnen, bis er es zu Ende brachte und lediglich die Vögel noch etwas zwitscherten.
»In dir steckt ja ein richtiger Barde, Will. Jetzt fehlt nur noch, dass du in albernen Hüten und Strumpfhosen herumstolzierst«, scherzte ich.
Der Zwerg lief rot an und räusperte sich. »Äh, nur ein kleines Lied aus meiner Heimat. Es sind schon viele Jahre ins Land gezogen, seit ich sie verlassen musste. Und manchmal packt mich einfach die Sehnsucht.«
Ich wusste nur wenig von Wills Vergangenheit. Er stammte ursprünglich aus den Hammerbergen im nördlichen Kontinent. Aber warum er diese verließ, hatte er mir nie anvertraut. Überhaupt sagte er lieber gar nichts, wenn ich es zur Sprache brachte.
»Also, diese Amalia«, wechselte er schnell das Thema, ehe ich nachbohren konnte, »was hältst du von ihr?«
Dies war eine Frage, die ich Will nur ungern wahrheitsgemäß beantworten wollte. Ich fühlte mich zu der Elfe hingezogen, aber wenn der Zwerg davon erfuhr, würde er es höchstwahrscheinlich ihr gegenüber ausplaudern. Oder peinliche Situationen schaffen. Darum sagte ich nur: »Sie bewegt sich untypisch für eine Mondelfe.«
Will runzelte erst die Stirn, dann fing er an zu lachen. »Du stehst auf sie, was?«
»Wie kommst du darauf?«, fragte ich und versuchte, gelassen zu wirken.
Doch Will sah mich mit einem vielsagenden Blick an. »Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, wann du mir Äpfel für Birnen verkaufen willst. Aber ich mache dir keinen Vorwurf. Sie ist wirklich bezaubernd.«
Während des restlichen Marsches warf mir Will immer wieder schelmische Blicke zu. Allmählich ging er mir damit auf die Nerven. Umso erfreuter war ich, als wir unser Ziel erreichten. Der Bach mündete in einen großen Teich.
»Da vorne ist die Höhle«, sagte ich und deutete auf den versteckten Eingang.
Will gluckste. »Dann lassen wir dein Liebchen mal nicht länger warten.«
Wir betraten die Höhle. Amalia saß meditierend auf einem flachen Stein und vor ihr prasselte ein kleines Feuer. Ohne aufzublicken sprach sie: »Schön, dass Ihr gekommen seid. Und auch noch in Begleitung.« Wie nach einem langen, erholsamen Schlaf öffnete sie ihre Augen und strahlte Will und mich an. Dieses Mal trug sie keinen Mantel. So erkannte man ihr Haar. Es lag elegant über ihren Schultern und besaß dasselbe tiefe Schwarz wie die typische, feingliedrig Rüstung der Mondelfen. Zudem umgab sie ein leichter, bläulicher Schimmer, was sie noch anmutiger wirken ließ. Zweifelsohne das schönste Wesen, das ich je gesehen hatte.
Will starrte sie einfach nur verdutzt an. So sprachlos, wie er war, würde er mich wenigstens nicht bloßstellen. Amalia wirkte alles andere als peinlich berührt. Im Gegenteil, mit einer einladenden Geste bat sie uns, am Feuer Platz zu nehmen. Wir folgten ihrer Aufforderung. Doch Will, der scheinbar so von ihrer Schönheit geblendet war, stolperte über die eigenen Füße und fiel unsanft zu Boden. Hastig rappelte er sich auf und setzte sich ihr gegenüber. Mit einem künstlichen Gelächter wollte er sein Missgeschick überspielen, lief allerdings knallrot an.
Mich überkam ein Anflug von Schadenfreude. Es war amüsant, mit anzusehen, wie er sich, nach all den selbstgefälligen Blicken und Sprüchen, selbst bloßstellte.
Amalia hingegen zeigte, bis auf ein kurzes Lächeln, keine Reaktion darauf. Stattdessen sagte sie, mit ihrer sanften Stimme: »Wie ich sehe, wollt auch Ihr mir helfen, William?«
Er wurde noch röter. »Bitte, meine Liebe, nennt mich Will. Und ja, ich sehe es als meine Pflicht, solch einer Schönheit meine Dienste anzubieten. Außerdem muss ich meinen alten Freund vor Schwierigkeiten bewahren«, erklärte er.
Diese Aussage konnte ich nur belächeln, war sie doch so typisch für Will.
»Welch ein Glück, einen solch mutigen Zwerg an seiner Seite zu wissen. Wer weiß, auf welche Probleme wir stoßen.« Ein Anflug von Besorgnis lag jetzt auf ihrem Gesicht.
»Auch wenn Will gelegentlich zu übertreiben vermag« sagte ich mit einem beruhigenden Ton, »so ist er, in der Tat, ein erfahrener Krieger. Zudem hat er geschickte Hände, wenn es ums Schlösserknacken geht. Und er stellt sich tapfer jeder Gefahr entgegen.«
Will plusterte sich auf, um eindrucksvoller zu wirken. Ich schüttelte leicht den Kopf; leider vergaß ich gelegentlich, dass er auf Lob ein übertriebenes Selbstbewusstsein entwickelte.
Aus heiterem Himmel fing Amalias ganzer Körper an zu leuchten. Auf ihrer Haut bildeten sich feine Linien, die wie ihre Augen schimmerten. Selbst durch ihre Rüstung strahlte das Blau und tauchte die Höhle in sanftes Licht. Ein Anblick, den ich in der Vergangenheit bei den Mondelfen oft erlebt hatte, dennoch faszinierte es mich jedes Mal aufs Neue.
Amalia drehte sich Richtung Höhlenausgang und blickte zum Teich, der den Mond reflektierte. »Der Mond strahlt heute besonders hell«, sprach sie und nahm einen tiefen Atemzug. »Ich hoffe, ihr nehmt es mir nicht übel, wenn ich kurz die Augen schließe.«
Will und ich beobachteten Amalia. Sie genoss es, vom Mondlicht durchflutet zu werden. Eigentlich wollte ich sie nicht so offen anstarren, doch wer hätte sich bei diesem zauberhaften Anblick abwenden können?
Nach einer Weile öffnete sie wieder ihre Augen. In ihnen war das Leuchten des Mondes zu sehen. Mit einer kraftvollen Stimme, meinte sie: »Es wird Zeit euch einiges zu erklären: Es passierte in einer klaren Vollmondnacht. Anders als gewöhnliche Nächte ist diese für uns Mondelfen die Nacht der Erneuerung. Der Zeit, wo wir am verwundbarsten sind. Die Reinigung unserer Lichtzellen schwächt uns für mehrere Stunden, bis der Prozess der Erneuerung uns wieder neue Kräfte schenkt. Dies nutzte unser Feind.«
Amalia holte tief Luft und erzählte weiter. »Ein seltsamer Nebel zog auf und verschlang unsere Heimat. Das Volk wurde unruhig, denn dies war kein gewöhnlicher Nebel. Er schluckte jedes Geräusch und es stank fürchterlich nach Schwefel. Im Kern dieses Nebels tauchten einige große Gestalten auf. Ihre massigen, von Stacheln überzogenen schwarzen Rüstungen waren von Flammen umhüllt. Die Luft um sie herum flackerte. Sie streckten ihre mächtigen Schwerter in die Luft und binnen Sekunden strömte eine Armee von Ghulen und Werwölfen aus dem Nebel.«
Amalia kämpfte erneut mit den Tränen, doch sie fuhr tapfer fort. »Die Schlacht war brutal und vermutlich bin ich die einzige Überlebende. Wir konnten ihnen einfach nicht viel entgegensetzen, da wir ja wegen des Vollmondes geschwächt waren. Meinem Vater gelang es, viele von den Ghulen zu töten. Doch als er den dämonischen Bestien gegenüberstand, war alle Hoffnung verloren. Sie überwältigten ihn. Einer packte meinen Vater und schleuderte ihn gegen einen Felsen. Ich befürchtete schon, dass ihn der heftige Aufprall getötet hatte, doch er konnte sich benommen hochrappeln. Unsere Blicke kreuzten sich. Selbst in diesem Moment, als unser Volk scheinbar kurz vor der Auslöschung stand, lächelte er und ich hörte seine Stimme in meinem Kopf. Amalia, sagte er, sie dürfen das Amulett nicht bekommen. Verschwinde von hier. Finde John Armis und reise mit ihm zum Flüsterwald!«
Jetzt rannen ihr dicke Träne die Wange hinab. »Eine der Bestien trat näher, hob sein Schwert und rammte es meinem Vater mitten ins Herz.«
In der Höhle war es totenstill. Nur das Knistern des Feuers war zu hören, bis die Elfe fortfuhr. »Wutentbrannt wollte ich diese Kreaturen töten, aber in mir hallten noch die Worte meines Vaters nach. So ergriff ich schwerenherzens die Flucht.
Im Schimmerwald gelang es mir dann, ihnen zu entkommen. Ich wollte mich anfangs im Verborgenen halten, doch nahmen die Werwölfe meine Fährte auf, weshalb ich sofort weiter Richtung Norden floh.«
Ein kurzes Schweigen trat ein. Will hatte während der Erzählung die Luft angehalten. Er konnte Amalia nicht einmal ansehen und starrte stattdessen in die Flammen. Man hätte glauben können, dass ihm diese Geschichte selbst widerfahren wäre und er sich jetzt wieder daran erinnerte.
»Das ist schrecklich«, brach ich das Schweigen. »Einen solchen Tod hat niemand verdient. Ganz besonders nicht Elmon.« Ich biss auf die Zähne, um meinen Zorn zu unterdrücken. »Weshalb wollte er wohl, dass ich Euch in diesen Flüsterwald begleite?«
Amalia zuckte zusammen. Fast wirkte sie, als habe sie vergessen, dass wir anwesend waren. Sie wischte sich die Tränen weg. »Mein Vater sprach oft von Euch. Er sagte, unsere beiden Schicksale seien miteinander verwoben. Was er genau damit meinte, hat er mir nie gesagt.«
Will hatte sich ebenfalls wieder gefangen. Mit geballter Faust schlug er auf den Boden, wodurch das Erdreich ein wenig erzitterte. »Diese Bastarde!«, fluchte er lauthals. »Wenn ich die in die Finger bekomme …«
»Beruhige dich, Will«, versuchte ich, ihn zu besänftigen, und legte ihm meine Hand auf die Schulter. Jetzt war ich mir sicher, auch ihm war einst etwas Schlimmes widerfahren. Aber ich kannte ihn und wusste, dass er nicht darüber reden würde. So wandte ich mich wieder der Elfe zu. »Euer Vater hatte ein Amulett erwähnt. Meinte er damit den Mondstein?«
Amalia nickte und fasste mit ihrer Hand an den Kragen. Dadurch kam eine Kette zum Vorschein, an dessen Ende ein wunderschöner weißer Stein in der Form einer Träne baumelte. »Wenn Ihr über das Erbstück meines Volkes Bescheid wisst, dann müsste Euch dessen besondere Eigenschaft ebenfalls vertraut sein.«
Ich nickte. »Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, dann hat mir Euer Vater einst erzählt, dass der Mondstein jede Form von Energie in sich speichern kann. Nur dessen Träger kann aus dieser Energie einen Nutzen ziehen.«
Will hatte sich weit vorgebeugt, um das Amulett genauer zu betrachten. In seinen Augen spiegelte sich der Schein des Mondsteins. Schließlich kam er zu dem Entschluss: »So schön dieses Schmuckstück auch ist, so ist dieses wohl dafür verantwortlich, dass Euer Volk überfallen wurde.«
Amalia seufzte wehmütig. »Vermutlich. Der Mondstein hat große Macht und ich will mir gar nicht vorstellen, was alles passieren würde, wenn er in die falschen Hände gerät.« Sie sah Will und mich mit einem tieftraurigen Blick an. »Ich weiß, dass es viel verlangt ist, euch um Hilfe zu bitten, und ich kann euch weder mit Gold noch mit Silber entlohnen. Aber würdet ihr mich dennoch begleiten?«
Das Feuer sprühte Funken in die Höhe, als Will mit einem Stock darin stocherte. »Also mir genügt es als Lohn, wenn ich ein paar düsteren Kreaturen in den Arsch treten kann«, sagte der Zwerg, wodurch sich Amalias Stimmung etwas erhellte. »Oder was sagst du dazu, John?«
Beide sahen mich erwartungsvoll an.
»Um Eures Vaters Willen wäre ich auch aufgebrochen, selbst wenn Ihr nicht um Hilfe gebeten hättet. Wir werden Euch begleiten, egal was kommen mag.«
Amalia ließ sich erleichtert zurücksinken. Ein Großteil ihrer Anspannung verflüchtigte sich. »Ich danke euch.«
»Nicht der Rede wert«, meinte ich abwinkend. »Aber sagt, glaubt Ihr, dass diese Kreaturen die Drahtzieher sind?«
Amalia runzelte nachdenklich die Stirn. »Um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, aber ich vermute, dass hinter all dem jemand anderes steckt.«
»Wie kommt Ihr darauf?«
Amalia nahm einen Stock und zeichnete damit ein Symbol auf den Boden. »Dieses Zeichen trugen die Bestien auf ihren Armen eingebrannt. Leider ist das mein einziger Hinweis.«
Ich betrachtete es eine Weile. Etwas Derartiges hatte ich nie zuvor gesehen. »Es sieht auf jeden Fall nach schwarzer Magie aus. Hm …« Ich dachte kurz nach. »Soweit ich weiß, gibt es seit Jahrhunderten keine Magier mehr. Wenn also einer dahintersteckt, könnte dies ein Problem werden. Eines würde mich dennoch wirklich interessieren«, meinte ich und wechselte damit das Thema. »Was erhoffte sich Euer Vater uns beide in den verwunschenen Flüsterwald zu schicken?«
Amalia wirkte genauso ratlos wie ich und ein langes Schweigen trat ein. Ich beobachtete unsere Schatten. Durch das flackernde Feuer tänzelten sie unruhig umher. Ein Seitenblick zu Will verriet, dass er es mir gleichtat, doch er war dabei tief in Gedanken. Irgendetwas beschäftigte ihn.
Auf einmal sprang der Zwerg auf und rief: »Jetzt fällt´s mir wieder ein!« Er ignorierte, dass sowohl Amalia und ich zusammengezuckt waren. »Der Flüsterwald, er befindet sich im nördlichen Kontinent. Meine Heimat!«
»Und was sagt uns das genau?«, fragte ich verwundert.
Will marschierte auf und ab. Auch jetzt schien er angestrengt nachzudenken. »Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es über diesen Wald viele Mythen. Unter anderem, dass er verflucht sei und dort ein Magier umherstreift.«
Ich sah ihn skeptisch an. »Ich weiß nicht, klingt für mich nach Altfrauengeschwätz. Geschichten, die man Kindern erzählt, um ihnen Angst einzujagen.«
»Das kann schon sein, doch niemand wagt sich mehr in den Wald. Nur eine Handvoll, die es taten, kamen lebend heraus. Und diese Wenigen schienen den Verstand verloren zu haben. Sie berichteten von Stimmen in den Bäumen und grässlichen Dingen, die sie sahen.« Will fröstelte. Zwerge galten schon von jeher als abergläubisch. »Ob Magier oder nicht, es ist auf jeden Fall riskant, den Wald zu betreten.«
»Wenn es wahr ist und es dort tatsächlich noch einen Magier geben sollte, dann steckt dieser vielleicht hinter der Vernichtung Eures Volkes«, meinte ich zu Amalia gewandt. »Vielleicht ist das der Grund, wieso uns Euer Vater dorthin schickt. Um ihn aufzuspüren und dem ein Ende zu setzen.«
Amalia blickte nachdenklich ins Leere. »Das wäre denkbar. Wobei ich nicht glaube, dass mich mein Vater ins offene Messer laufen lassen würde. Nein, er hätte mich auf jeden Fall gewarnt!« Sie sah mir entschlossen in die Augen. »Ich bin bereit, jedes Risiko einzugehen. Mein Vater wollte, dass ich dorthin gehe, also werde ich es tun.«
Will saß mit erhobenem Haupt da und seine Augen glitzerten. »Das wird bestimmt eine aufregende Reise. Bis zum nördlichen Kontinent werden wir mindestens eine Woche unterwegs sein und etwa doppelt so lange, bis wir den Flüsterwald erreichen. Lasst uns deshalb nicht viel Zeit verlieren und noch vor Sonnenaufgang aufbrechen!«