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Der Baum des Feuers

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Es schien beinahe unmöglich, den gigantischen Baum direkt zu betrachten. Seine Flammen brannten grell. Auch die Hitze, die von ihm ausging, war nicht vergleichbar mit gewöhnlichem Feuer. Dass hier etwas Übernatürliches vor sich ging, musste mir keiner sagen. Doch welche Rolle Logi bei all dem spielte, war mir nicht klar. Er musste zum Baum des Feuers eine Verbindung haben. Immerhin reagierte das Feuer jedes Mal, wenn er wütend wurde oder Energie von ihm bezog.

»Dieser Baum«, begann er urplötzlich, »ist die Urquelle des Feuers. Alle Dimensionen sind mit ihm verbunden. Es kann nur Gleichgewicht herrschen, solange die Flammen lodern. Es hätte fatale Folgen, wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, erlöschen würden.«

Mir klappte die Kinnlade herunter. Sicher, der Baum war gewaltig, keine Frage. Aber dass es sich hierbei um die Urquelle des Feuers handelte, hätte ich mir nicht im Traum gedacht. Die Vorstellung, dieses Feuer könne irgendwann ausgehen, ließ mich erschaudern und so fragte ich: »Ist das in der Vergangenheit denn schon einmal passiert?«

Logi sah bedrückt ins Leere. »Ja, vor langer Zeit, soweit ich weiß. Dabei wurde alles Leben ausgelöscht. Es dauerte tausende Jahre, bis das Gleichgewicht wiederhergestellt war und neues Leben entstand. Um solch einer Katastrophe vorzubeugen, gibt es die Weltenwanderer, die Energien für die Bäume der Elemente sammeln, und jeweils einen Wächter, der diese schützt. Ich bin einer davon. Der Wächter des Feuers, wenn man so will.«

Bei genauerer Überlegung passte diese Rolle gut zu Logi. Er schien stets bemüht, sein Verhalten, seine Worte und seine Mimik unter Kontrolle zu halten. Vielleicht musste man dies, um das Feuer des Baumes zu kontrollieren. In mir entstand dieses Bild, wie der Wächter einen Wutausbruch hatte und sich dadurch die Flammen des Baumes ausbreiteten. Eine gruselige Vorstellung. Ich fragte mich, vor was man diesen mächtigen Baum schützen musste.

»Vor Fremden, die in diese Welt eindringen!«, sagte Logi scharf. Er hatte wieder meine Gedanken gelesen und sah mich dabei vorwurfsvoll an. Als wäre ich nur hierhergekommen, um den Baum zu schädigen. Doch seine Lippen zuckten, als wolle er lächeln, nachdem er meinen Blick deutete.

Er verschränkte seine Arme hinter dem Rücken und fuhr fort. »Vor etwa dreitausend Jahren gelang es einem Fremden, in diese Dimension einzudringen und diesen Baum fast zu zerstören.« Er zögerte kurz. »Hierbei handelte es sich um keinen Geringeren als Ragun.«

»Der dunkle Magier, der die Ahrmonen erschuf?«, fragte ich erstaunt.

Logi nickte. »Ragun entzog dem Baum seine Kernenergie. Zum Glück konnte ich ihn aufhalten, bevor der Baum zerstört wurde. Aber ihm gelang es, aus dieser Welt zu entkommen, da es meine Priorität war, den Baum am Leben zu erhalten und nicht, ihn zu jagen.«

Mir stellte es die Nackenhaare auf. Genau hier stand einst der gefährlichste Magier aller Zeiten. Beinahe glaubte ich, seine Anwesenheit zu spüren, was natürlich lächerlich war. Dennoch fragte ich mich, was Ragun mit der Energie des Baumes anstellen wollte. Welches Ziel konnte so wichtig sein, dass er seine eigene Vernichtung riskierte? Und da fiel es mir wie Schuppen vor die Augen: »Die Ahrmonen! Er muss sie mithilfe der Energie des Baumes erschaffen haben. Das würde erklären, warum ihre Körper in Flammen stehen.«

Logi lächelte knapp. »Ihr seid ja doch nicht so ein hoffnungsloser Fall, wie ich vermutet habe. Ihr liegt mit Eurer Annahme völlig richtig. Ragun nutzte die Energie des Baum des Feuers, um seine höllischen Diener zum Leben zu erwecken. Wahrscheinlich hatte er noch andere Energiequellen, jedoch entstammt ein Großteil vom Baum. Aber lassen wir das mit der Geschichtsstunde. Konzentrieren wir uns lieber auf Eure Aufgabe.«

Logi wandte sich in Richtung des Baumes. So stand er eine Ewigkeit und rührte keinen Muskel. Ich versuchte, nicht ungeduldig zu werden, und ließ alles auf mich wirken. Doch es passierte nichts. Die Zeit verging und es fiel mir immer schwerer, Nerven zu bewahren. Normalerweise konnte ich geduldig sein, nur durch das ewige Nichtstun drängten sich die Schmerzen wieder in den Vordergrund. Zudem wurde ich das Gefühl nicht los, dass der Baum meinen inneren Zorn anfachte. Je länger mir die sengende Hitze ins Gesicht schlug, umso wütender wurde ich.

Nach etwa einer Stunde passierte endlich etwas. An einem dünnen Zweig, im Zentrum des brennenden Baumes, wuchs, wie aus dem Nichts, ein kleiner Keim. Dieser wurde größer, bis er schließlich aufging. Darin befand sich eine Art Samen.

Endlich drehte sich Logi um und nickte mir anerkennend zu. »Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr es schafft.«

Etwas verwundert runzelte ich die Stirn. »Was meint Ihr? Hat die Ausbildung denn schon begonnen?«

»Nein, ich meinte, dass Ihr es schafft, für eine Weile Eure Klappe zu halten.« Zum ersten Mal brach der sonst so kontrollierte Wächter in Gelächter aus.

Während er lachte, loderte das Feuer des Baumes stärker und ich musste mir die Hand schützend vor das Gesicht halten. Aus irgendeinem Grund wurde meine Wut angeschürt. »Ihr behandelt mich wie einen Grünschnabel!«, rief ich ungeduldig.

Logi zog eine Augenbraue nach oben. »Vielleicht seid Ihr ja einer? Zumindest habt Ihr mir noch nicht das Gegenteil bewiesen. Aber Ihr könnt mich gerne eines Besseren belehren.« Er deutete in Richtung des Baumes. »Wenn Ihr es schafft, mir diesen Samen zu bringen, werde ich Euch etwas mehr Respekt erweisen.«

Ich betrachtete den kleinen Samen, der direkt im Herzen des brennenden Baumes hing. Mein Magen zog sich zusammen. Der Gedanke, mich diesem Höllenfeuer zu nähern, war nicht reizvoll. Eigentlich hätte ich mich niemals darauf eingelassen, doch die Wut in mir schien auch meine Vernunft zu unterdrücken. Je näher ich dem Baum kam, umso heftiger und unkontrolliert wüteten die Flamen. So stark, dass ich unbeholfen nach hinten flog und auf dem Rücken landete.

Als ich mich wieder aufrappelte, geriet das Feuer unter Kontrolle und ein schadenfrohes Grinsen bildete sich auf Logis Lippen aus. Durch den Sturz traten die Schmerzen in den Vordergrund und mein Inneres verkrampfte. Wütend rappelte ich mich auf und fauchte Logi an: »Wie soll ich das bitte anstellen?«

Doch der Wächter blieb so kontrolliert wie eh und je. Er verschränkte die Arme und sah mich mitleidig an. »Dies ist Teil Eurer Aufgabe. Aber ich bezweifle, dass Ihr dies jemals bewerkstelligen könnt.«

Mir wurde das alles allmählich zu blöd. Seine Sticheleien, meine Schmerzen, die ausweglose Situation, in der ich mich befand … Der Zorn war jetzt kaum mehr zu ertragen und ließ mich beinahe durchdrehen. Doch hielt ich mit aller Kraft dagegen und sagte mit zusammengebissenen Zähnen: »Ich habe keine Lust auf dumme Spiele. Diese Aufgabe ist unmöglich. Verkauft mich nicht weiter für dumm!«

Logi kehrte mir den Rücken zu. Das reizte mich mehr. »Ich habe es nicht nötig Euch für dumm zu verkaufen, das schafft Ihr schon selbst!«

Das brachte das Fass zum Überlaufen; mir platzte der Geduldsfaden. Die Wut in mir wütete so stark, als würde in mir ein Feuer lodern, welches aus mir hinausströmte. Dies hatte auch Auswirkung auf den Baum. Er tobte stärker denn je und seine Flammen schlugen unkontrolliert zur Seite aus.

Mir egal!, dachte ich zornig. Dem werde ich es zeigen! In wilde Raserei verfallen stürmte ich auf den Baum des Feuers zu. Es schien, als hätte ich den Verstand verloren und wurde nur von einem Gedanken angetrieben: diesen verdammten Samen erbeuten zu wollen!

Dicke Brandblasen bildeten sich auf meiner Haut und platzten auf. Ich ließ mich davon aber nicht abhalten, der Zorn trieb mich weiterhin an. Der Baum war jetzt nur einige Schritte von mir entfernt. »Na also«, jubelte ich laut auf. Doch in diesem Moment verpuffte ein Großteil des Zorns und mein Verstand setzte ein – Panik! Der Baum gab eine kleine Explosion ab, die mich fast zehn Meter zurückschleuderte.

Ich landete unsanft im Schnee. Jetzt erst wurde mir bewusst, was die Flammen mit mir angerichtet hatten. Klaffende Wunden übersäten den Körper und ich schrie vor Schmerz. Es fühlte sich an, als würde die Haut schmelzen.

Logi packte mich mit beiden Händen. Durch seine Berührung geriet der Feuersturm, der in meinem Inneren tobte, unter Kontrolle. Die unerträgliche Hitze in mir ging auf den Wächter über. Schließlich lockerte der er wieder seinen Griff, sprang auf und streckte seine Hände Richtung Baum. All die Hitze, die er aus meinem Körper geleitet hatte, schoss er jetzt in Form von Flammen direkt in die Baumkrone.

Mein Körper stand unter Schock und ich konnte nicht mehr atmen. Logi wandte sich ab vom Baum und widmete sich mir. Er ging erneut auf die Knie und legte seine Hände sanft auf den Brustkorb. Warme Impulse strömten durch mich, die allmählich die Verspannungen lösten. Gierig sog ich die Luft ein und verlor kurz darauf mein Bewusstsein.

»Was ist passiert?«, hörte ich mich selbst sagen. Mir war speiübel und mein ganzer Körper bebte. So musste sich ein Amboss fühlen, nachdem er stundenlang mit dem Hammer bearbeitet wurde, dachte ich.

Logis Stimme drang in meinen Kopf. »Ihr wolltet es mit dem Baum des Feuers aufnehmen, erinnert Ihr Euch nicht?«

Jetzt tauchten die Bilder der kürzlich geschehenen Ereignisse vor meinem geistigen Auge auf – wie ich voller Zorn versuchte, mich dem Baum zu nähern. »Das war ziemlich dumm von mir.«

Der Wächter lachte auf. »In der Tat, das war es.«

Erst jetzt fiel mir auf, dass unsere Stimmen ein Echo erzeugten. Vorsichtig öffnete ich die Augen und fand mich in Logis Höhle wieder. Der Wächter saß am Tisch und trank aus einer Tasse, während ich wieder im Becken mit der violetten Flüssigkeit lag. Die aufgeplatzten Brandwunden schienen geheilt zu sein. An den betroffenen Stellen glitzerten neue, dünne Hautschichten. Ich seufzte einmal laut auf.

»Euch zu retten soll aber auf Dauer nicht zur Gewohnheit werden, ist das klar?«, sagte Logi mit tadelndem Unterton.

Trotz der Umstände zeigte sich ein Lächeln auf meinen Lippen. »Das wollen wir mal nicht hoffen.« Vorsichtig verließ ich das Becken und stieg in das mit dem klaren Wasser. Meine Haut zog sich schmerzhaft zusammen, dennoch tauchte ich einmal komplett unter und wusch mir die Reste der heilenden Flüssigkeit ab. Während ich mich abtrocknete, fragte ich Logi: »Habt Ihr mich den ganzen Weg zur Höhle zurückgezerrt?«

Logi winkte mit einer Hand ab. »Den Teufel würde ich tun, nein. Ich bin ein Wächter, schon vergessen? Das heißt, ich kann das Tor zu dieser Dimension immer und überall öffnen.«

»Ich dachte, dass Ihr nicht zwischen den Dimensionen hin- und herreisen könnt?«

Logi verdrehte die Augen. »Wärt Ihr doch noch etwas länger bewusstlos geblieben, dann hätte ich wenigstens für eine Weile Eure ewigen Fragen nicht ertragen müssen.« Er deutete mit den Händen an, als würde sein Kopf explodieren. »Um mir eine sehr lange Erklärung zu ersparen, sage ich ganz knapp, dass dies nicht direkt etwas miteinander zu tun hat. Es stimmt zwar, dass dies auch eine andere Dimension ist, aber es ist eher vergleichbar mit einem Raum – einem Schlupfloch, welches ich öffnen kann.«

Ich entstieg dem zweiten Becken und trocknete mich ab. Nachdem ich mir wieder die Robe übergezogen hatte, fragte ich: »Wie lange war ich außer Gefecht?«

Logi lehnte sich entspannt an die Stuhllehne und nahm einen großen Schluck aus der Tasse. »Nicht lange. Sieben, acht Stunden Eurer Zeitrechnung. Wer weiß das schon. Zeit spielt hier keine wesentliche Rolle.«

Ich wusste nicht, was er mit dieser Aussage genau meinte, ersparte mir aber eine weitere Frage. Überraschenderweise hatte ich weniger Schmerzen als befürchtet. Ich humpelte zum Tisch und setzte mich Logi gegenüber. Er schenkte mir eine Tasse des Getränkes ein, welches sich als Tee herausstellte.

»Ich muss mich bei Euch entschuldigen«, sagte ich demütig.

Der Wächter zog fragend eine Augenbraue hoch. »Ach, müsst Ihr das? Wie kommt Ihr darauf?«

»Wegen meines überstürzten Versuches, diesen Samen zu erringen. Ich muss wie ein Idiot ausgesehen haben.«

Logi wirkte belustigt. »Es stimmt, Ihr habt dabei wie ein Idiot ausgesehen. Allerdings tatet Ihr genau das, was ich beabsichtigt hatte.«

Ich kräuselte die Stirn, was meine Verwirrung unterstrich. Was er damit meint?, fragte ich mich. Hat er mich zu dieser lebensgefährlichen Aktion gar angestachelt?

Der Wächter las wieder einmal meine Gedanken und nickte. »Ja, das habe ich. Allerdings nicht, um Euch in den Tod zu schicken. Nein, es gehört zu Eurer Ausbildung. Jedoch hatte ich nicht erwartet, dass Ihr dem Baum so nahekommen würdet. Aber wer konnte auch ahnen, dass Ihr so viel Zorn in Euch tragt.«

Es war einer jener Momente, in denen man nicht wusste, ob man wütend oder neugierig sein sollte. Doch da die Wut dieses Schlamassel verursacht hatte, entschied ich mich für Zweiteres. »Es gehört zur Ausbildung, ins Feuer zu springen?«

Logi legte seinen Kopf nachdenklich zur Seite. »Nicht direkt, eigentlich solltet Ihr nur all Eure unterdrückte Wut herauslassen. Dennoch hat es nur Vorteile, dass Ihr dies getan habt. Dadurch habt Ihr ein unnötiges Muster gebrochen und aufgestaute Wut in Energie umgewandelt. Seht doch, was Ihr damit bewirkt habt; trotz Eurer Schmerzen und den Qualen, hättet Ihr es fast bis zum Stamm geschafft. Ein gewaltiger Fortschritt. Allerdings verleitet der Zorn oft zu unüberlegtem Handeln, wie Ihr am eigenen Leib erfahren habt. Deshalb zielt meine Ausbildung darauf ab, dass Ihr all Eure unterdrückte Wut vollständig auflöst. Ein wichtiger Aspekt, um vom Baum des Feuers Energie zu schöpfen.«

Für eine Weile herrschte Stille. Diese nutzte ich, um über all das nachzudenken. Es machte mich stutzig, wie viel Wut in mir loderte. Es musste erst ein Wächter aus einer anderen Dimension auftauchen, damit mir dies vor Augen geführt wurde. Aber wie hat er das nur gemacht? War das allein dem Baum zuzuschreiben?

Logi warf mir einen merkwürdigen Blick zu und da wusste ich, dass er wieder meine Gedanken gelesen hatte. So sagte er: »Der Baum des Feuers ist, wie bereits erwähnt, die Urquelle des Feuers. Je näher man ihm kommt, desto mehr bringt er all den unterdrückten Zorn ans Licht. Selbst Ihr, mit Eurer bisherigen Ausbildung, tragt viel Wut in Euch. Unter normalen Umständen wäre diese möglicherweise niemals sichtbar geworden. Aber vor dem Baum kann man nichts verstecken. Er nährt sich von Eurem Zorn.«

Logi leerte seinen Becher mit einem letzten großen Schluck und stand daraufhin entschlossen auf. »Ich werde Euch nun für einen längeren Zeitraum alleine lassen. Es gibt einige Dinge, die erledigt werden müssen.«

Ich runzelte die Stirn. »Ihr geht fort? Was wird aus meiner Ausbildung?«

»Ach ja, richtig«, meinte er beiläufig. »Na schön, der erste Teil Eurer Ausbildung befasst sich damit, dass Ihr Euch ausruhen werdet.«

»Ausruhen?«, wiederholte ich skeptisch.

Logi nickte. »Ja, ausruhen. Schlaft, esst, macht Euch mit der Umgebung vertraut … Tut einfach alles, was notwendig ist, um zu Kräften zu kommen. Es ist wichtig, dass Ihr wieder den Zugang zu Eurem Inneren findet, ehe wir weitergehen.«

»Ist das alles?«

Er nickte wortlos.

»Und wann werdet Ihr wieder zurück sein?«

Logi ging zu einer Truhe und wühlte eine Weile darin herum. »Ich werde wiederkommen, wenn die Zeit reif ist.«

Ich grinste schief. »Wenn die Zeit keine Rolle spielt, wie kann sie dann reif sein?«

Der Wächter hielt inne und sah mich verblüfft an. Es zeigte sich ein Lächeln auf seinen Lippen und er nickte anerkennend. »Ausnahmsweise eine gute Frage. Und eine gute Frage verdient eine gute Antwort.«

Gespannt wartete ich ab, doch Logi wühlte wieder völlig gedankenverloren in der Truhe. »War’s das? Ich dachte, jetzt kommt eine tiefgründige Anekdote.«

Dies entlockte Logi eines seiner seltenen Gelächter. »Ich war noch nie ein guter Redner. Und außerdem wolltet Ihr ja eine gute Antwort. Und die beste Antwort ist die, die man in sich selbst findet. Vielleicht solltet Ihr mal darüber nachdenken. Falls Ihr eine Antwort findet, könnt Ihr ja zur Abwechslung mir eine tiefgründige Anekdote darbieten.« Er holte eine kleine Schatulle hervor und steckte sie ein.

»Warum habe ich so etwas in der Art von Euch erwartet?«, fragte ich seufzend.

Logi kratzte sich am Kopf. »Hm, so wie es aussieht, werde ich auf meine alten Tage doch noch durchschaubar.« Er ging Richtung Ausgang, hielt dann aber kurz inne. »Eins noch: Versucht es zu vermeiden, wieder irgendeine dumme Aktion zu starten, solange ich weg bin. Ich bezweifle nämlich, dass Euch jemand zur Hilfe eilen kann.« Er drehte mir den Rücken zu und verließ die Höhle ohne Verabschiedung.

Die Zeit hier wollte nicht vergehen. Es wurde niemals Nacht, der Himmel änderte seine Farbe nicht und es war hell und trüb, wie an einem bewölkten Tag. Die Windböen und Schneestürme schienen völlig unberührt von den Minusgraden, die extrem schwankten.

Trotz der Kälte unternahm ich viele kleine Erkundungstouren, um mir die Umgebung einzuprägen, und um mich an die Temperaturen zu gewöhnen. Allerdings schien Letzteres aussichtslos. Wenn ich zu weit vom Baum des Feuers entfernte war, drohte ich jedes Mal zu erfrieren – trotz des wärmenden Zaubers, der auf meiner Robe lag. Doch auch ohne die Kälte hätte ich es nicht gewagt, mich zu weit zu entfernen. Die Angst, dass der Eingang zu Logis Höhle plötzlich verschwinden könnte, war allgegenwärtig. Zum Glück trat dies nie ein.

Hin und wieder näherte ich mich dem Baum des Feuers und spürte jedes Mal, wie der Zorn in mir geschürt wurde. Logis warnende Worte schwirrten dabei stets im Hinterkopf herum. Doch kam ich nicht umhin, ständig an den Samen zu denken, der zwischen den lodernden Flammen hing.

So saß ich, oftmals stundenlang, und in gehörigem Abstand, vor dem brennenden Baum, in Konzentration auf den Samen. Warum ich das tat? Keine Ahnung, ich hatte das Gefühl, ich müsse mich irgendwie mit dem Baum des Feuers auseinandersetzen.

Es schien eine riskante Gratwanderung; je näher ich dem Baum kam, desto größer war die Gefahr, vom Zorn übermannen zu werden. Gleichzeitig bekam ich dadurch das Gefühl, mich dem Ursprung dessen zu nähern. So kam es irgendwann, wie es kommen musste: Ich kam dem Baum zu nahe und wurde vom Zorn übermannt.

Von blinder Wut angetrieben, spurtete ich erneut in Richtung Baum des Feuers. Dieser tobte wie ein erzürnter Drache und blies mir sengende Luft, in Form eines Wirbelwindes, entgegen. Ich schrie auf, kämpfte verbittert dagegen an, bis letztlich all der Zorn in mir verpuffte und ich meterweit zurückgeschleudert wurde.

Noch bevor ich landete, setzte der Verstand ein und wurde mir meiner dummen Tat bewusst. Denn der allzu bekannte Schmerz empfing mich mit voller Wucht. Die Schneemassen sorgten für eine weiche Landung. Und dennoch empfand ich es als unerträgliche Qual, so rasch abgekühlt zu werden.

Es schien keine Stelle am Körper zu geben, die nicht verbrannt war. Meine Hände und Unterarme sahen am schlimmsten aus. Denn diese bestanden nur noch aus offenem, verkrustetem Fleisch. Dennoch konnte ich von Glück sprechen, dass ich nicht das Bewusstsein verlor.

»Das … das Becken …«, winselte ich vor mich hin. Mehr brachten meine verrußten Lungen nicht hervor.

Irgendwie musste es möglich sein, Logis Höhle zu erreichen, wo das rettende Becken mit Heilflüssigkeit wartete. Unter Qualen stützte ich mich auf den Unterarmen ab, um die Entfernung zu dem Unterschlupf einzuschätzen. Wenigstens befand sich die Höhle im Sichtfeld, was nur ein kleiner Hoffnungsschimmer war. Denn aufstehen konnte ich nicht, da mein Gleichgewichtssinn nicht funktionierte. Die zerstörerische Kraft des Baumes war erschreckend. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu kriechen.

Bereits nach wenigen Metern kratzten sich meine krustigen Unterarme auf und färbten den Schnee unter mir rot. Dadurch wurde das Vorankommen mehr zur Qual.

Warum hast du nicht auf Logi gehört?, warf ich mir selbst vor.

In meiner Vorstellung tauchte Logi über mir auf. Er sah mich herablassend an und meinte: »Wer so dumm ist, seine Fehler zu wiederholen, verdient keine Hilfe!«

Na wunderbar, ausgerechnet den Wächter musste ich jetzt in meinem Kopf ertragen. Konnte es nicht irgendjemand anderes sein? Jemand, der mich aufbaute? Will, Nicolae oder … Amalia! Mir kam das Mondamulett in den Sinn. Mit zittrigen und blutigen Händen holte ich es hervor. Auch wenn es seit meiner Ankunft mehr einem gewöhnlichen Stein ähnelte, so gab es mir trotzdem den Willen, durchzuhalten.

Bis heute kann ich mir nicht erklären, wie ich es zu Logis Unterschlupf geschafft hatte, ohne von der Ohnmacht übermannt zu werden. Der Boden fühlte sich hier, im Vergleich zu draußen, wie glühende Ofenplatten an. Allerdings empfand ich kaum etwas. All meine Sinne waren auf dieses rettende Steinbecken gerichtet. Wie ein zertrampeltes Insekt kroch ich darauf zu und ließ mich endlich kopfüber hineinfallen.

John Armis

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