Читать книгу John Armis - Martin Kern - Страница 11
Die Zeit allein
ОглавлениеEs war viel Zeit vergangen seit dem zweiten Vorfall am Baum des Feuers. Bis jetzt hatte ich das Becken mit der heilenden Flüssigkeit nicht verlassen. Ich wollte kein Risiko eingehen und mich nur auf die Heilung konzentrieren. Meine Haut hatte sich bereits weitestgehend erholt. Dennoch wirkte sie fahl und energielos, so oft, wie sie hier erneuert wurde.
Endlich kam der Moment, an dem ich mich kräftig genug fühlte, um aufzustehen. Langsam nagten auch Hunger und Durst an mir. So schleppte ich mich in den Vorratsraum. Hier gab es Säcke voll mit Nüssen, Obst, Gemüse und Getreide. Ziemlich bescheiden, wenn ich es mit dem Essen in Fynns kleinem Reich verglich. Der Wächter schien mehr Wert auf Wein zu legen. Dutzende Fässer waren hier gelagert.
Mit gefülltem Magen fühlte ich mich deutlich besser und wusch anschließend die violette Substanz vom Körper. Währenddessen machte ich mir Gedanken über die kommende Zeit. Es stand außer Frage, dass ich mich dem Baum vorerst nicht mehr nähern würde. Genau genommen beschloss ich, in der Höhle zu bleiben.
Mein Körper hatte, seitdem ich in dieser Dimension gestrandet war, gewaltig abgebaut. Mit beiden Händen konnte ich fast den Oberschenkel umschließen. Darum wollte ich mich zunächst wieder in Form bringen, damit mein Körper belastbarer wurde. Dabei erinnerte ich mich an die Zeit bei den Mondelfen zurück. Elmon hat mich über Jahre hinweg trainiert mit körperlichen Übungen, Meditation und Kampftraining.
Während des Trainings philosophierte ich Stunden darüber, was der Samen im Baum für eine Bedeutung hatte. Doch egal, wie ich mich anstrengte, meine Sinne waren getrübt und das Phantomwolfblut in mir schien nicht zu fließen.
Ich hatte keine Ahnung, wie viele Wochen, oder Monate, ich alleine verbrachte, und kam zu dem Entschluss: »Je länger ich über die Zeit nachdenke, desto länger kommt sie mir vor.« Ich grinste. Dieser Satz hätte Onkel Aaron gefallen.
Allmählich gewöhnte ich mich an mein einsames Leben hier und entdeckte vieles, das mir zuvor verborgen geblieben war. Zum Beispiel fiel mir auf, dass die Schneeflocken auf der nackten Haut nicht schmolzen. Selbst meinem Atem hielten sie stand. Nur die Wärme des flammenden Baumes vermochte die Flocken zu schmelzen.
Selbst in der Höhle fand ich einige interessante Möglichkeiten, um mich zu beschäftigen. Logi hatte viele Bücher, die sowohl Geschichten über längst verstorbene Magier enthielten, als auch Fachwissen der Alchemie.
So verschlang ich ein Buch nach dem anderen. Eines hatte es mir besonders angetan: ein Bestiarium, eine Ansammlung von Informationen der verschiedensten Wesen. Die Auskünfte und Berichte gingen weit über mein Wissen hinaus. So erfuhr ich unter anderem, dass der Dung eines Berggreifs ein Enzym enthielt, dass die Netzhaut eines Blinden zu regenerieren vermochte. Derjenige, der dies herausgefunden hatte, musste sein Leben vollständig diesen Wesen gewidmet haben.
Irgendwann hatte ich alle Bücher mindestens einmal gelesen und fühlte mich ein wenig ausgelaugt. Nun machte ich mir selbst Vorwürfe, da ich so viel Zeit vergeudet hatte, und wollte wieder mehr Konzentrationsübungen machen. Doch da entdeckte ich eine Vitrine, die versteckt direkt in die Steinwand eingelassen war.
»Die ist mir ja noch gar nicht aufgefallen«, sprach ich nachdenklich. »Steht die da schon immer?«
Ich näherte mich dem filigranen Glaskasten und fand darin diverse feine Instrumente. Darunter Reagenzgläser, Schläuche, zwei kleine Schmelzöfen, einige funkelnde Erze und andere Substanze. Ich hegte schon immer eine Bewunderung für die Alchemie und erinnerte mich an Das Lexikon der Alchemie, welches ich erst kürzlich in der Hand hatte. Ich verspürte den Drang, diese Werkzeuge genauer unter die Lupe zu nehmen. Vorsichtig öffnete ich die Vitrine und nahm ein trapezförmiges Reagenzglas in die Hand. Das Glas war so klar, dass ich mein verzerrtes Spiegelbild darin sah.
»So sauber, als wären sie noch nie benutzt worden«, murmelte ich kopfschüttelnd. Kurz darauf schoss mir ein Gedanke in den Kopf, den ich unverzüglich aussprach: »Logi hätte bestimmt nichts dagegen, wenn ich einige Experimente aus dem Lexikon ausprobiere.«
Mit einem verschmitzten Grinsen griff ich nach den Instrumenten und baute sie auf dem Tisch auf. Ich hielt mich dabei an eine Abbildung, die im Buch dargestellt war. Zufrieden nickte ich, als alles seinem Platz zugewiesen war. »Jetzt muss ich mir nur noch etwas Interessantes heraussuchen.« Ich nahm Das Lexikon der Alchemie zur Hand und blätterte es durch. »Es sollte etwas sein, woraus ich einen Nutzen ziehen kann«, murmelte ich. Und schon nach kurzer Zeit entdeckte ich einen Trank, den ich allzu gut in Erinnerung hatte. »Chamäleon«, las ich die Überschrift vor.
Abby hatte sich diesen Trank einmal selbst verabreicht. Sie wurde daraufhin nahezu unsichtbar und konnte sich an den Wachen des Sklavendistrikts vorbeistehlen.
Mein Entschluss, mich an diesem Trank zu versuchen, stand fest und ich ging die Zutatenliste durch. Da musste ich stutzen. Abby sagte, dass dieser Trank komplex sei, aber ich hatte ja keine Ahnung, welch seltene Substanzen man dafür benötigt. So ging ich mit dem Lexikon in der Hand zur Vitrine und begann, nach den Zutaten zu suchen.
Logis Vorrat erwies sich als äußerst umfangreich. Auch wenn ich einige Bestandteile nicht mal aussprechen konnte, so gelang es mir mit Hilfe der Abbildungen im Lexikon, fast alles zusammenstellen. Die letzten Substanzen waren metallische Elemente. So suchte ich dort, wo Logi die Erze gelagert hatte. Von Eisen bis Gold war alles dabei. Doch dann fiel mir eine schöne Schatulle auf. Diese befand sich versteckt hinter den vielen Erze. Voller Neugierde öffnete ich sie und traute kaum meinen Augen:
»Ein Mondstein?«, stammelte ich fassungslos. Mir glitt sogar das Lexikon aus der Hand und für einen Augenblick, erstarrte ich zur Salzsäule.
Als ich die Fassung wiedergewonnen hatte, holte ich mein Amulett hervor, um die beiden zu vergleichen. Auch wenn sie sich in ihrer Form voneinander unterschieden, so bestand dennoch kein Zweifel, dass es sich hierbei ebenfalls um einen Mondstein handelte. Der, den ich um den Hals trug, sah aus wie eine Träne. Der Mondstein aus der Vitrine war eher kegelförmig. Mein Amulett schimmerte jedoch nicht mehr. Logis hingegen schon, weshalb ich zu dem Schluss kam, dass die Energie meines Steines wirklich aufgebraucht war.
Vorsicht und langsam griff ich nach dem Stein in der Schatulle. Das Herz pochte jetzt ganz schnell. Nur noch wenige Zentimeter und – nichts passierte. Enttäuscht wog ich den Mondstein in den Händen. Was hatte ich auch erwartet?
Gerade wollte ich das schimmernde Schmuckstück wieder zurücklegen, da geschah doch etwas: Der Stein begann gleißend hell zu leuchten und eine eigenartige Woge von Energie strömte in meinen Körper - bis mir schwarz vor Augen wurde.